Die Wurzeln des Nahost-Konflikts
Aufarbeitung des Themas in den Schulen
ORF Topos
Aufarbeitung des Themas in den Schulen
An vielen Schulen herrscht dieser Tage das Bedürfnis, der aufgeladenen Stimmung zum aktuellen Nahost-Konflikt mit Fakten zu begegnen. Die Wurzel des Konflikts bilden Siedlungsbewegungen im Gebiet des heutigen Palästina in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die das Gebiet in gewissem Sinne aus seinem Dämmerzustand rissen. Juden und auch Christen zog es ins „Gelobte Land“. Dort lebten freilich gut 300.000 Menschen arabisch sunnitischer, aber auch christlicher Herkunft. Und es gab ebenso kleinere Gruppen jüdischer Bewohner, etwa in Hebron.
Fakten unterliegen Bewertungen und Blickwinkeln, aus denen sie betrachtet werden. Will man das schwierige Verhältnis von jüdischer und arabischer Bevölkerung dieser Region betrachten, wird man in Österreich immer die eigene Geschichte und das späte Eingeständnis zur Mitverantwortung an den Taten des Nationalsozialismus und damit auch an der Verfolgung der Jüdinnen und Juden miteinbeziehen. Das Bekenntnis zum Staat Israel ist in Österreich wie auch in Deutschland aufgrund der eigenen Geschichte zur Staatsräson geworden.
Auch Fakten unterliegen Bewertungen
Das Bedürfnis, den Nahost-Konflikt in Schulen zu diskutieren, ist riesengroß. Das Dilemma, diesen komplexen Konflikt auf einfache Formeln oder Haltungen zu bringen, ist augenscheinlich. Will man diesen Konflikt nicht im Freund-Feind-Schema betrachten, dann kann die Kenntnis elementarer Fakten helfen. Auf den Seiten des Bildungsministeriums etwa versucht man das.
Die Dimensionen des Konflikts
Es gibt eine historisch-politische, religiöse bis ideologische und nicht zuletzt auch eine riesige soziale Dimension dieses Konflikts. Stets haben Kräfte von außen in diesem Spannungsfeld mitgewirkt – von der Mandatszeit der Briten bis hin zur Gegenwart, betrachtet man alleine die Rolle des Iran, Konflikte rund um Israel quasi über die Bande zu spielen. Beschäftigt man sich nur mit der sozialen Dimension des Nahost-Konflikts, stößt man gerne auf die Dimension des Kampfes der weniger gut Situierten gegen ein, so der Vorwurf von arabischer und auch westlich-linker Seite, „imperialistisch“ agierendes Land.
Solche Argumente der Gegenwart waren schon an der Quelle des Konflikts rund um das ausgehende 19. Jahrhundert zu hören, als sich die ersten zugezogenen jüdischen Siedlerinnen und Siedler in Palästina niederließen. Als die Emigranten aus dem Ausland damals nach Palästina kamen, gab es freilich die Auffassung eines „palästinensischen Volkes“ noch gar nicht. Wohl gab es aber auch schon zur Zeit des Osmanischen Reiches und im Zeitalter des wachsenden Nationalismus auch auf arabischer Seite den Wunsch, die arabische Bevölkerung Syriens, des Libanon und Palästina in einem gemeinsamen, eigenständigen arabischen Königreich zu vereinen.
Es war einmal in Palästina
Ende des 19. Jahrhunderts waren bereits erste Gruppen von Jüdinnen undJuden nach Palästina gegangen, um dort auf dem Boden der einstigen Heimat, in Eretz Israel, von wo die Juden 70 nach Christus von den Römern vertrieben wurden, landwirtschaftliche Siedlungen zu errichten. Sie taten das in der Nachbarschaft christlicher Sekten, die ebenfalls davon beseelt waren, in dem für sie „Heiligen Land“ zu siedeln.
Photostock-Israel / Science Photo Library / picturedesk.com
Ausschnitt aus einer alten Karte zu Palästina, Mitte des 19. Jahrhunderts
Eine der ersten berühmten Beschreibungen Palästinas unter osmanischer Herrschaft stammt vom US-Schriftsteller Mark Twain in seinem oft bitterbös gehaltenen Reisebuch „The Innocents Abroad“ („Die Arglosen im Ausland“). Sein amerikanischer Blick auf Palästina im Jahr 1867 zeigt eine oft menschenleere Gegend. Die heute kultivierte Jesreelebene in Galiläa etwa stellte sich ihm als ein wüstes, menschenleeres Land vor, ein leeres Land, von dem christlich und jüdisch beseelte Siedler meinten, es wäre das Land, das man nicht zuletzt aus religiösen Motiven besiedeln könne.
akg-images / picturedesk.com
Aquarell von Edward Lear aus dem Jahr 1856 mit Blick auf Jerusalem von Osten
„Der Judenstaat“ als Antwort auf Antisemitismus in Europa
In verschiedenen Wellen sollte Palästina von Jüdinnen und Juden ab den 1880er Jahren, gerade auch unter dem Eindruck von Pogromen in Osteuropa, in verschiedenen Wellen besiedelt werden. Das war noch bevor der Wiener Journalist Theodor Herzl in seiner programmatischen Schrift „Der Judenstaat“ (1896) die ideelle Grundlage für den politischen Zionismus geschaffen hatte.
Der Begriff Zionismus
Der Zionismus bildet eine Verbindung von Elementen der Moderne und der traditionellen jüdischen Werte. Für die deutsche Historikerin und Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer „meint der Zionismus im weitesten Sinn die Sehnsucht nach Zion“. Zion ist ein Alternativbegriff zu Jerusalem. Zionismus, so Krämer, könne religiös oder kulturell gemeint sein, er könne sich aber auch politisch zuspitzen, so Krämer jüngst gegenüber der ARD: „Zionimus ist aber auch eine Spielart des Nationalismus, wie er sich im 19. Jahrhundert herausbildet, und beschreibt im konkreten Fall den jüdischen Nationalimus, der davon ausgeht, dass die Juden nicht nur eine religiöse Gemeinschaft sind, sondern auch eine politische, und als solche auch den Anspruch haben, wie andere Völker, auf die Bildung eines eigenen Staates.“
ORF Topos: Kalkül der Hamas – Schicksal der Palästinenser
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Herzl hatte als Korrespondent der Wiener „Freien Presse“ den Dreyfus-Prozess in Frankreich mitverfolgt und dabei gesehen, wie sehr der Antisemitismus Triebfeder für die Verurteilung des französischen Offiziers Alfred Dreyfus wegen angeblichen Geheimnisverrats gewesen war. Selbst nach dessen erwiesener Unschuld wurde das Urteil gegen Dreyfus nicht zurückgenommen. Herzl war sich im Schatten des europäischen Antisemitismus gewiss, dass Jüdinnen und Juden ohne eigenen Staat nie würden in Sicherheit leben können. Sein Programm des politischen Zionismus, das ein Jahr später auf dem ersten Zionistischen Weltkongress (ZWO) in Basel verabschiedet wurde, sah die Errichtung einer gesicherten Heimat für das jüdische Volk vor. Im Zusammenwirken mit den Großmächten und jüdischen Finanziers sollte ein Protektorat als Vorstufe eines künftigen jüdischen Staates gebildet werden.
Das ausgeschlagene Uganda-Angebot
Die „Jewish Company“ war für die Finanzierung von Landkäufen zuständig, der Jischuv, also das Gemeinwesen der Juden in Palästina, sollte auch Regeln für das gemeinsame Zusammenleben der verschiedenen Einwanderungswellen etablieren. Herzl hatte dem britischen Kolonialminister Joseph Chamberlain vorgeschlagen, den Nordteil der Sinai-Halbinsel zum Ansiedlungsgebiet der Juden und zugleich „zu einem Stützpunkt englischer Macht im Mittelmeer-Raum“ werden zu lassen.
Zwischenzeitlich gab es von englischer Seite auch das Angebot, die Juden im britischen Mandatsgebiet Uganda anzusiedeln. Während Herzl bereit war, sich mit dieser Idee auseinanderzusetzen, solange Palästina nicht zu haben war, protestierten maßgebliche zionistische Gruppen gegen diese Afrikavariante.
Austrian Archives / brandstaetter images / picturedesk.com
Theodor Herzl in Palästina. Fotografie von David Wolffsohn, Anfang November 1898
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Die Wellen der Alija nach Palästina
Die Wellen jüdischer Emigration nach Palästina seit den 1880er Jahren bezeichnet man auf jüdischer Seite gesamtheitlich als alijot, die einzelnen Wellen als alija. Der Begriff leitet sich aus dem Hebräischen ab und heißt übersetzt „Aufstieg“. Es meint seit biblischen Zeiten die Rückkehr von Jüdinnen und Juden aus dem Exil ins Land Israel. Seit 1880 gibt es verschiedene Einwanderungswellen nach Palästina. Viele haben Pogrome gegen Juden, etwa im zaristischen Russland, als Ursache. Etwa 25.000 Jüdinnen und Juden kamen mit der ersten alija ins Land, von denen sich die meisten im Gebiet um Dschaffa, Haifa und Jerusalem niederließen. Einige gründeten neue gemeinschaftliche, landwirtschaftliche Siedlungen, moschavot (Singular: moschava) entlang der Küste, in Galiläa und am See Genesareth.
Charakteristisch für die Siedlungstätigkeiten war der Landkauf, unterstützt teilweise von ausländischen Finanziers wie Edmond de Rothschild. Prägend war aber auch die Verbindung von Siedlungstätigkeit und das Etablieren eigener Arbeitsrollen. Beides war auch dann für die kibuzzim-Bewegung prägend. In den agrarischen jüdischen Siedlungen sollten nur Juden arbeiten und keine Abhängigkeit von arabischen Landarbeitern bestehen. Die arabischen Landarbeiter verloren damit aber ihre Stellung als Bauern und wurden somit in Richtung der Städte abgedrängt.
Austrian Archives/brandstaetter images/picturedesk.com
Der Kibbuz Nahal, aufgenommen Ende der 1930er Jahre
Die Briten und das Match um Palästina
Seit dem Ende des Osmanischen Reiches im Schatten des Ausgangs des Ersten Weltkrieges hatten die Briten den allmählich stärker werdenden Konflikt zwischen Juden und Arabern auf dem Boden von Palästina genutzt, um ihre Herrschaft im Nahen Osten über das Prinzip von Teilen und Herrschen zu festigen. Mal förderte man die jüdische Seite, mal gab es Konzessionen für die arabische Seite, nachdem diese unter Emir Faisal mitgeholfen hatte, das osmanische Heer zu schlagen.
Als sich England und Frankreich auf der Grundlage des Sykes-Picot-Abkommens vom 16. Mai 1916 ihre künftige Einflusssphäre im Nahen Osten aufteilten und die Briten ihren Anspruch auf Palästina stellten, lebten somit schon einige zehntausend Jüdinnen und Juden auf jenem Gebiet. Die Türkei als künftiger Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches hatte für das Gebiet von Palästina, Syrien oder des Libanon keine Zuständigkeiten mehr. Die Zukunft dieser Region war somit offen und rief die siegreichen europäischen Mächte aus dem Ersten Weltkrieg auf den Plan.
Chaim Weismann, ein Pragmatiker auf dem Weg zum jüdischen Staat
Wichtiger Kontaktmann zu den Briten war der Chemiker Chaim Weismann, der als Präsident des Zionistischen Weltkongresses eine entscheidende Rolle für die zionistische Siedlungspolitik in Palästina nach dem Ersten Weltkrieg einnehmen sollte. Weismann wird oft als Vertreter des „pragmatischen Zionismus“ gesehen und auch als jemand, der die Existenz eines jüdischen wie arabischen Territoriums in Palästina zeitweise mitdachte. Ihm war 1916 für die britische Seite die künstliche Herstellung des kriegswichtigen Acetons gelungen.
Die Unterstützung der Briten zur Festigung der Macht im Nahen Osten sollte sich für die zionistische Seite bezahlt machen. Die Briten unterstützten die jüdischen Einwanderungswellen auch, um ihre Position im Nahen Osten abzusichern. Zugleich pflegten die Briten auch enge Kontakte mit der arabischen Seite und suchten von verschiedenen Gruppen Unterstützung für die Loslösung vom Osmanischen Reich.
Das britische Mandat über Palästina
Der Oberste Rat der Alliierten übertrug am 25. April 1920 in Sanremo den Briten die Mandate über den Irak und Palästina. Das Palästina von 1920 deckte sich annähernd mit dem Palästina des Altertums und wurde erst mit der Bildung des Emirats Transjordanien mit der Westgrenze des Jordans begrenzt. Sollten im Fall der Mandate Irak und Syrien eigene Regierungen gebildet werden, sah das Mandat in Palästina eine direkte britische Führung vor. Das vom Völkerbundsrat bestätigte Dokument sah aber vor, dass die Mandatsmacht Bedingungen für die Errichtung einer jüdischen Heimstätte zu schaffen hatte; eine Aufgabe, die der Jewish Agency zufallen sollte. Am Anfang kümmerte sich die ZWO darum.
Die arabische Sicht der Briten und ihrer Politik
Hatte man der arabischen Seite 1915 noch für die Unterstützung im Kampf gegen die Osmanen Unabhängigkeitsversprechungen gemacht, so schienen diese mit der Mandatsregelung hinfällig geworden zu sein. Das von US-Präsident Woodrow Wilson 1916 verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker, das sich im Völkerbundpakt niedergeschlagen hatte, blieb für die arabische Seite in Palästina wirkungslos. Hatte Emir Amir Faisal als Führer der arabischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz noch vorab im Jänner 1919 eine Vereinbarung mit Weismann und dem ZWO geschlossen, die von der „rassischen Verwandtschaft und uralten Bindung zwischen den Arabern und dem jüdischen Volk“ ausging, so war diese Vereinbarung im März 1920, also knapp vor dem Sanremo-Abkommen, schon wieder Geschichte.
Während des Krieges gab es Lockrufe der britischen an die arabische Seite, nach dem Krieg einen arabischen Staat bzw. arabische Staaten zu unterstützen. Doch die Abmachung etwa mit Scharif Hussein und seinem Sohn Amir Faisal rund um die arabische Revolte gegen das Osmanische Reich, angeführt durch den britischen Offizier T. E. Lawrence („Lawrence von Arabien“) war nie von konkreten Landversprechen der britschen Seite begleitet gewesen.
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Sinnbild für das schwierige Verhältnis zwischen Kolonialmacht und Arabern: Der Brite T. E. Lawrence im Beduinengewand
Die vielen Versprechungen Großbritanniens
„Großbritannien unterzeichnete nicht nur viele Vereinbarungen und Nebenvereinbarungen mit Verbündeten oder möglichen Verbündeten“, erinnert der US-Nahost-Historiker James L. Gelvin, „sondern machte verschiedenen nationalistischen Gruppen Versprechungen, sie nach Ende des Ersten Weltkrieges zu unterstützen“. Der arabische Nationalismus, so Gelvin, habe sich stets auf die gebrochenen Versprechen der Briten als Startpunkt des eigenen Kampfes um Palästina bezogen.
Erst mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches hätten sich die Araber der Region, die sich als Untertanen des Osmanischen Reiches wahrgenommen hätten, in ihrer eigenen Identität neu bestimmt. „Ein eigener palästinensischer Nationalismus, der eine eigene palästinensische Identität vorsah, begann sich erst mit Ende des Ersten Weltkrieges herauszubilden“, so Gelvin.
King-Crane-Bericht prognostizierte gewalttätige Konflikte
Eine Kommission des Obersten Alliierten Rates sollte noch 1919 auf dem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches erheben, in welchen Teilen der Region politische Selbstbestimmung möglich sei. Vorgeschlagen wurde die Kommission von US-Präsident Woodrow Wilson. Es sollte aber eine rein US-amerikanische Mission unter der Führung der Diplomaten Henry C. King und Charles R. Crane werden: Beide kamen in ihrem Bericht zum Ergebnis, dass Landkäufe jüdischer Siedler Probleme schaffen würden.
histopics / Ullstein Bild / picturedesk.com
Das Dorf Siloach (Siloam) im Osten Jerusalems um 1900
Die Spannungen entladen sich
Noch bevor der King-Crane-Report veröffentlicht wurde, kam es im April 1920 und Mai 1921 zu arabischen Pogromen gegen jüdische Einwanderinnen und Einwanderer, ebenso zu einem Aufstand gegen die britische Mandatsherrschaft, die zunehmend als Vertretung zur Durchsetzung imperialistischer Ziele angesehen wurde. Erst der Beginn der Mandatszeit markierte auch den Beginn eines eigenen palästinensischen Nationalismus, der in den kommenden Jahren um seine eigenen Ansprüche kämpfte.
Nicht zuletzt die schlechtere Organisiertheit der arabischen Seite, auch die am Anfang zunächst hauptsächlich von syrischen Eliten getragenen Formulierungen einer nationalen arabischen Identität, sollten die arabische Seite sehr oft ins Hintertreffen gegenüber der jüdischen Siedlungsbewegung in der Mandatszeit bringen.
Erste Resolution des Palästinensisch-Arabischen Kongresses, 1919
Als Reaktion auf die Ansiedlung jüdischer Einwanderinnen und Einwanderer vor dem Krieg traf sich von 27. Jänner bis 10. Februar 1919 der erste palästinensische-arabische Kongress mit 27 Delegierten aus muslimisch-christlichen Gesellschaften aus ganz Palästina. Die meisten Delegierten stammten aus der besitzenden Klasse und waren gleichmäßig in probritische und panarabische Fraktionen aufgeteilt. Ein Telegramm wurde an die Pariser Friedenskonferenz geschickt, in dem ein Verzicht auf die Balfour-Erklärung und die Aufnahme Palästinas als „ein integraler Bestandteil der unabhängigen arabischen Regierung Syriens innerhalb einer Arabischen Union, frei von jeglichem ausländischen Einfluss oder Schutz“ gefordert wurde.
ORF Topos: Wie reden über den Hamas-Terror?
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Die unterschiedlichen Ansätze von Juden und Arabern
Während sich die Jüdinnen und Juden nicht zuletzt auch auf besser gebildete Eliten verlassen konnten, die ins Land kamen, hatte man sich auf arabischer Seite nie eigens zu Siedlungsverbänden oder ähnlichen Einigungsformen zusammenschließen müssen. War man zunächst Bewohner des Osmanischen Reiches, hatte man nun die britische Mandatsmacht als Gegenüber.
Die Zionistinnen und Zionisten, so erinnert Gelvin, hätten ihre Kolonien von Anfang an von Grund auf strukturieren müssen. Die arabische Seite wiederum habe sich stets im Rahmen bekannter politischer Institutionen des Osmanischen Reiches bewegt. „Obwohl die meisten Zionisten die Politik der Briten im Nahen Osten ablehnten, gewöhnten sie sich doch daran, im Rahmen des Mandats zu operieren“, so Galvin. Bei den Araberinnen und Arabern habe zunächst eine komplette Ablehnung des Mandatsystems und der Balfour-Deklaration vorgeherrscht.
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Keine Freunde in Sachen Nahost-Palästinenser-Politik: Österreichs Kanzler Bruno Kreisky und die israelische Premierministerin Golda Meir, 1973 im Bundeskanzleramt in Wien
Soziale Verschiebungen durch Landverkäufe
Die Landverkäufe von arabischen Großgrundbesitzern an jüdische Siedler brachten starke soziale Verschiebungen mit sich, weil Araber das Land verloren, auf dem sie als Bauern arbeiteten. Sie mussten für Lohnarbeit oft an die Ränder der Städte ziehen und sahen ihre soziale Position weiter untergraben. Die arabische Oberschicht Palästinas sah durch die Grundverkäufe ihre Position gegenüber der Basis der Bevölkerung geschwächt. Ihre Glaubwürdigkeit wurde gerade durch die Landverkäufe untergraben.
Nicht zuletzt aus der Zwischenkriegszeit wird eine soziale Frage des Konflikts zunehmend deutlich, die sich auch wieder in der Radikalisierung des Konflikts niederschlagen sollte. Zahlreiche Expertinnen und Experten zum Nahen Osten weisen darauf hin, dass die Frage der Palästinenserinnen und Palästinenser zu sehr im Rahmen syrischer Eliten gestellt wurde, die ein Palästina der Araberinnen und Araber immer als Teil eines „Großsyriens“ ansahen. „Die Palästinenser mussten im Lauf ihrer Geschichte erleben, dass sie immer wieder Spielball unterschiedlicher Interessen von außen wurden“, fasste der deutsche Journalist und Nahost-Experte Richard C. Schneider die Situation in einem Podcast des „Spiegel“ knapp zusammen. Die 1920er Jahre sollten der Auftakt für große Verwerfungen zwischen Arabern und Juden bringen.
03.11.2023, Gerald Heidegger, ORF Topos (Text)
Links:
TVthek-Schwerpunkt zum aktuellen Nahost-Konflikt
Die Geschichte des Nahost-Konflikts auf ORF Sound
Wellen der jüdischen Immigration nach Palästina
„Spiegel“-Podcast zur Geschichte des Konflikts
Fakten unterliegen Bewertungen und Blickwinkeln, aus denen sie betrachtet werden. Will man das schwierige Verhältnis von jüdischer und arabischer Bevölkerung dieser Region betrachten, wird man in Österreich immer die eigene Geschichte und das späte Eingeständnis zur Mitverantwortung an den Taten des Nationalsozialismus und damit auch an der Verfolgung der Jüdinnen und Juden miteinbeziehen. Das Bekenntnis zum Staat Israel ist in Österreich wie auch in Deutschland aufgrund der eigenen Geschichte zur Staatsräson geworden.
Auch Fakten unterliegen Bewertungen
Das Bedürfnis, den Nahost-Konflikt in Schulen zu diskutieren, ist riesengroß. Das Dilemma, diesen komplexen Konflikt auf einfache Formeln oder Haltungen zu bringen, ist augenscheinlich. Will man diesen Konflikt nicht im Freund-Feind-Schema betrachten, dann kann die Kenntnis elementarer Fakten helfen. Auf den Seiten des Bildungsministeriums etwa versucht man das.
Die Dimensionen des Konflikts
Es gibt eine historisch-politische, religiöse bis ideologische und nicht zuletzt auch eine riesige soziale Dimension dieses Konflikts. Stets haben Kräfte von außen in diesem Spannungsfeld mitgewirkt – von der Mandatszeit der Briten bis hin zur Gegenwart, betrachtet man alleine die Rolle des Iran, Konflikte rund um Israel quasi über die Bande zu spielen. Beschäftigt man sich nur mit der sozialen Dimension des Nahost-Konflikts, stößt man gerne auf die Dimension des Kampfes der weniger gut Situierten gegen ein, so der Vorwurf von arabischer und auch westlich-linker Seite, „imperialistisch“ agierendes Land.
Solche Argumente der Gegenwart waren schon an der Quelle des Konflikts rund um das ausgehende 19. Jahrhundert zu hören, als sich die ersten zugezogenen jüdischen Siedlerinnen und Siedler in Palästina niederließen. Als die Emigranten aus dem Ausland damals nach Palästina kamen, gab es freilich die Auffassung eines „palästinensischen Volkes“ noch gar nicht. Wohl gab es aber auch schon zur Zeit des Osmanischen Reiches und im Zeitalter des wachsenden Nationalismus auch auf arabischer Seite den Wunsch, die arabische Bevölkerung Syriens, des Libanon und Palästina in einem gemeinsamen, eigenständigen arabischen Königreich zu vereinen.
Die Uhren [in Palästina] tickten langsam – das Tempo wurde bestimmt vom Schreiten des Kamels und den Zügeln der Tradition. Dann begannen Ende des Jahrhunderts vermehrt Fremde ins Land zu strömen, und es schien aus seiner levantinischen Betäubung zu erwachen. Muslime, Juden und Christen fühlten sich vom Land Israel emotional angezogen. In der von ihnen angestoßenen multikulturellen Revolution, die fast hundert Jahre andauerte, gingen Prophetentum und Wunschdenken, Unternehmertum, Pioniergeist und Abenteurertum eine magische Verbindung ein. Die Grenze zwischen Hirngespinst und Realität war oft verschwommen.
Tom Segev: „Es war einmal in Palästina“Es war einmal in Palästina
Ende des 19. Jahrhunderts waren bereits erste Gruppen von Jüdinnen undJuden nach Palästina gegangen, um dort auf dem Boden der einstigen Heimat, in Eretz Israel, von wo die Juden 70 nach Christus von den Römern vertrieben wurden, landwirtschaftliche Siedlungen zu errichten. Sie taten das in der Nachbarschaft christlicher Sekten, die ebenfalls davon beseelt waren, in dem für sie „Heiligen Land“ zu siedeln.
Photostock-Israel / Science Photo Library / picturedesk.com
Eine der ersten berühmten Beschreibungen Palästinas unter osmanischer Herrschaft stammt vom US-Schriftsteller Mark Twain in seinem oft bitterbös gehaltenen Reisebuch „The Innocents Abroad“ („Die Arglosen im Ausland“). Sein amerikanischer Blick auf Palästina im Jahr 1867 zeigt eine oft menschenleere Gegend. Die heute kultivierte Jesreelebene in Galiläa etwa stellte sich ihm als ein wüstes, menschenleeres Land vor, ein leeres Land, von dem christlich und jüdisch beseelte Siedler meinten, es wäre das Land, das man nicht zuletzt aus religiösen Motiven besiedeln könne.
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Der Berg Tabor steht allein […] in einer lautlosen Ebene, […] einer Verödung. […] Wir sahen niemals irgendein menschliches Wesen auf der gesamten Etappe, […] äußerst selten irgendwo einmal einen Baum oder Busch. Sogar Olivenbaum oder Kaktus, jene Freunde kargen Bodens, schienen fast vollständig das Land Galiläa verlassen zu haben.
Mark Twain über Palästina in: „The Innocents Abroad“„Der Judenstaat“ als Antwort auf Antisemitismus in Europa
In verschiedenen Wellen sollte Palästina von Jüdinnen und Juden ab den 1880er Jahren, gerade auch unter dem Eindruck von Pogromen in Osteuropa, in verschiedenen Wellen besiedelt werden. Das war noch bevor der Wiener Journalist Theodor Herzl in seiner programmatischen Schrift „Der Judenstaat“ (1896) die ideelle Grundlage für den politischen Zionismus geschaffen hatte.
Der Begriff Zionismus
Der Zionismus bildet eine Verbindung von Elementen der Moderne und der traditionellen jüdischen Werte. Für die deutsche Historikerin und Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer „meint der Zionismus im weitesten Sinn die Sehnsucht nach Zion“. Zion ist ein Alternativbegriff zu Jerusalem. Zionismus, so Krämer, könne religiös oder kulturell gemeint sein, er könne sich aber auch politisch zuspitzen, so Krämer jüngst gegenüber der ARD: „Zionimus ist aber auch eine Spielart des Nationalismus, wie er sich im 19. Jahrhundert herausbildet, und beschreibt im konkreten Fall den jüdischen Nationalimus, der davon ausgeht, dass die Juden nicht nur eine religiöse Gemeinschaft sind, sondern auch eine politische, und als solche auch den Anspruch haben, wie andere Völker, auf die Bildung eines eigenen Staates.“
ORF Topos: Kalkül der Hamas – Schicksal der Palästinenser
zur Website
Herzl hatte als Korrespondent der Wiener „Freien Presse“ den Dreyfus-Prozess in Frankreich mitverfolgt und dabei gesehen, wie sehr der Antisemitismus Triebfeder für die Verurteilung des französischen Offiziers Alfred Dreyfus wegen angeblichen Geheimnisverrats gewesen war. Selbst nach dessen erwiesener Unschuld wurde das Urteil gegen Dreyfus nicht zurückgenommen. Herzl war sich im Schatten des europäischen Antisemitismus gewiss, dass Jüdinnen und Juden ohne eigenen Staat nie würden in Sicherheit leben können. Sein Programm des politischen Zionismus, das ein Jahr später auf dem ersten Zionistischen Weltkongress (ZWO) in Basel verabschiedet wurde, sah die Errichtung einer gesicherten Heimat für das jüdische Volk vor. Im Zusammenwirken mit den Großmächten und jüdischen Finanziers sollte ein Protektorat als Vorstufe eines künftigen jüdischen Staates gebildet werden.
Das ausgeschlagene Uganda-Angebot
Die „Jewish Company“ war für die Finanzierung von Landkäufen zuständig, der Jischuv, also das Gemeinwesen der Juden in Palästina, sollte auch Regeln für das gemeinsame Zusammenleben der verschiedenen Einwanderungswellen etablieren. Herzl hatte dem britischen Kolonialminister Joseph Chamberlain vorgeschlagen, den Nordteil der Sinai-Halbinsel zum Ansiedlungsgebiet der Juden und zugleich „zu einem Stützpunkt englischer Macht im Mittelmeer-Raum“ werden zu lassen.
Zwischenzeitlich gab es von englischer Seite auch das Angebot, die Juden im britischen Mandatsgebiet Uganda anzusiedeln. Während Herzl bereit war, sich mit dieser Idee auseinanderzusetzen, solange Palästina nicht zu haben war, protestierten maßgebliche zionistische Gruppen gegen diese Afrikavariante.
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Die Wellen der Alija nach Palästina
Die Wellen jüdischer Emigration nach Palästina seit den 1880er Jahren bezeichnet man auf jüdischer Seite gesamtheitlich als alijot, die einzelnen Wellen als alija. Der Begriff leitet sich aus dem Hebräischen ab und heißt übersetzt „Aufstieg“. Es meint seit biblischen Zeiten die Rückkehr von Jüdinnen und Juden aus dem Exil ins Land Israel. Seit 1880 gibt es verschiedene Einwanderungswellen nach Palästina. Viele haben Pogrome gegen Juden, etwa im zaristischen Russland, als Ursache. Etwa 25.000 Jüdinnen und Juden kamen mit der ersten alija ins Land, von denen sich die meisten im Gebiet um Dschaffa, Haifa und Jerusalem niederließen. Einige gründeten neue gemeinschaftliche, landwirtschaftliche Siedlungen, moschavot (Singular: moschava) entlang der Küste, in Galiläa und am See Genesareth.
Charakteristisch für die Siedlungstätigkeiten war der Landkauf, unterstützt teilweise von ausländischen Finanziers wie Edmond de Rothschild. Prägend war aber auch die Verbindung von Siedlungstätigkeit und das Etablieren eigener Arbeitsrollen. Beides war auch dann für die kibuzzim-Bewegung prägend. In den agrarischen jüdischen Siedlungen sollten nur Juden arbeiten und keine Abhängigkeit von arabischen Landarbeitern bestehen. Die arabischen Landarbeiter verloren damit aber ihre Stellung als Bauern und wurden somit in Richtung der Städte abgedrängt.
Austrian Archives/brandstaetter images/picturedesk.com
Die Briten und das Match um Palästina
Seit dem Ende des Osmanischen Reiches im Schatten des Ausgangs des Ersten Weltkrieges hatten die Briten den allmählich stärker werdenden Konflikt zwischen Juden und Arabern auf dem Boden von Palästina genutzt, um ihre Herrschaft im Nahen Osten über das Prinzip von Teilen und Herrschen zu festigen. Mal förderte man die jüdische Seite, mal gab es Konzessionen für die arabische Seite, nachdem diese unter Emir Faisal mitgeholfen hatte, das osmanische Heer zu schlagen.
Als sich England und Frankreich auf der Grundlage des Sykes-Picot-Abkommens vom 16. Mai 1916 ihre künftige Einflusssphäre im Nahen Osten aufteilten und die Briten ihren Anspruch auf Palästina stellten, lebten somit schon einige zehntausend Jüdinnen und Juden auf jenem Gebiet. Die Türkei als künftiger Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches hatte für das Gebiet von Palästina, Syrien oder des Libanon keine Zuständigkeiten mehr. Die Zukunft dieser Region war somit offen und rief die siegreichen europäischen Mächte aus dem Ersten Weltkrieg auf den Plan.
Chaim Weismann, ein Pragmatiker auf dem Weg zum jüdischen Staat
Wichtiger Kontaktmann zu den Briten war der Chemiker Chaim Weismann, der als Präsident des Zionistischen Weltkongresses eine entscheidende Rolle für die zionistische Siedlungspolitik in Palästina nach dem Ersten Weltkrieg einnehmen sollte. Weismann wird oft als Vertreter des „pragmatischen Zionismus“ gesehen und auch als jemand, der die Existenz eines jüdischen wie arabischen Territoriums in Palästina zeitweise mitdachte. Ihm war 1916 für die britische Seite die künstliche Herstellung des kriegswichtigen Acetons gelungen.
Die Unterstützung der Briten zur Festigung der Macht im Nahen Osten sollte sich für die zionistische Seite bezahlt machen. Die Briten unterstützten die jüdischen Einwanderungswellen auch, um ihre Position im Nahen Osten abzusichern. Zugleich pflegten die Briten auch enge Kontakte mit der arabischen Seite und suchten von verschiedenen Gruppen Unterstützung für die Loslösung vom Osmanischen Reich.
Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, mit der Maßgabe, dass nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern infrage stellen könnte.
Der britische Außenminister Arthur James Balfour an Walter Rothschild im November 1917. Die Erklärung wurde als „Balfour Declaration“ bekannt.Das britische Mandat über Palästina
Der Oberste Rat der Alliierten übertrug am 25. April 1920 in Sanremo den Briten die Mandate über den Irak und Palästina. Das Palästina von 1920 deckte sich annähernd mit dem Palästina des Altertums und wurde erst mit der Bildung des Emirats Transjordanien mit der Westgrenze des Jordans begrenzt. Sollten im Fall der Mandate Irak und Syrien eigene Regierungen gebildet werden, sah das Mandat in Palästina eine direkte britische Führung vor. Das vom Völkerbundsrat bestätigte Dokument sah aber vor, dass die Mandatsmacht Bedingungen für die Errichtung einer jüdischen Heimstätte zu schaffen hatte; eine Aufgabe, die der Jewish Agency zufallen sollte. Am Anfang kümmerte sich die ZWO darum.
Die Briten taten so, als wäre die Errichtung einer nationalen Heimstätte für Juden durchführbar, ohne den Arabern zu schaden, und manche mögen das tatsächlich geglaubt haben. Aber natürlich war es unmöglich. In Wahrheit bildeten sich in Palästina zwei rivalisierende nationalistische Bewegungen heraus, die unweigerlich auf Konfrontation zusteuerten. […] Von Anfang an blieben also nur zwei Möglichkeiten: Entweder besiegten die Araber die Zionisten, oder die Zionisten unterwarfen die Araber. Der Krieg zwischen beiden war unvermeidlich.
Tom SegevDie arabische Sicht der Briten und ihrer Politik
Hatte man der arabischen Seite 1915 noch für die Unterstützung im Kampf gegen die Osmanen Unabhängigkeitsversprechungen gemacht, so schienen diese mit der Mandatsregelung hinfällig geworden zu sein. Das von US-Präsident Woodrow Wilson 1916 verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker, das sich im Völkerbundpakt niedergeschlagen hatte, blieb für die arabische Seite in Palästina wirkungslos. Hatte Emir Amir Faisal als Führer der arabischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz noch vorab im Jänner 1919 eine Vereinbarung mit Weismann und dem ZWO geschlossen, die von der „rassischen Verwandtschaft und uralten Bindung zwischen den Arabern und dem jüdischen Volk“ ausging, so war diese Vereinbarung im März 1920, also knapp vor dem Sanremo-Abkommen, schon wieder Geschichte.
Während des Krieges gab es Lockrufe der britischen an die arabische Seite, nach dem Krieg einen arabischen Staat bzw. arabische Staaten zu unterstützen. Doch die Abmachung etwa mit Scharif Hussein und seinem Sohn Amir Faisal rund um die arabische Revolte gegen das Osmanische Reich, angeführt durch den britischen Offizier T. E. Lawrence („Lawrence von Arabien“) war nie von konkreten Landversprechen der britschen Seite begleitet gewesen.
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Die vielen Versprechungen Großbritanniens
„Großbritannien unterzeichnete nicht nur viele Vereinbarungen und Nebenvereinbarungen mit Verbündeten oder möglichen Verbündeten“, erinnert der US-Nahost-Historiker James L. Gelvin, „sondern machte verschiedenen nationalistischen Gruppen Versprechungen, sie nach Ende des Ersten Weltkrieges zu unterstützen“. Der arabische Nationalismus, so Gelvin, habe sich stets auf die gebrochenen Versprechen der Briten als Startpunkt des eigenen Kampfes um Palästina bezogen.
Erst mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches hätten sich die Araber der Region, die sich als Untertanen des Osmanischen Reiches wahrgenommen hätten, in ihrer eigenen Identität neu bestimmt. „Ein eigener palästinensischer Nationalismus, der eine eigene palästinensische Identität vorsah, begann sich erst mit Ende des Ersten Weltkrieges herauszubilden“, so Gelvin.
Der palästinensische Nationalismus tauchte erst in der Zwischenkriegszeit als Antwort auf die zionistische Migration nach Palästina auf.
US-Nahost-Historiker James L. Gelvin („The Israel-Palestine-Conflict. A History“)King-Crane-Bericht prognostizierte gewalttätige Konflikte
Eine Kommission des Obersten Alliierten Rates sollte noch 1919 auf dem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches erheben, in welchen Teilen der Region politische Selbstbestimmung möglich sei. Vorgeschlagen wurde die Kommission von US-Präsident Woodrow Wilson. Es sollte aber eine rein US-amerikanische Mission unter der Führung der Diplomaten Henry C. King und Charles R. Crane werden: Beide kamen in ihrem Bericht zum Ergebnis, dass Landkäufe jüdischer Siedler Probleme schaffen würden.
histopics / Ullstein Bild / picturedesk.com
Wiederholt wurde in der Beratung der Kommission mit jüdischen Vertretern klar, dass die Zionisten auf eine praktisch vollständige Enteignung der gegenwärtigen nicht jüdischen Bewohner durch verschiedene Formen des Landkaufes abzielten. […] Die Friedenskonferenz sollte nicht ihre Augen vor der Tatsache verschließen, dass antizionistische Gefühle in Palästina und Syrien stark sind. […] Kein britischer Offizier, der von den Kommissionsmitgliedern befragt wurde, glaubte, dass das zionistische Programm anders als durch den Einsatz von Waffen verwirklicht werden könnte.
King-Crane-Report, nachträglich veröffentlicht 1922Die Spannungen entladen sich
Noch bevor der King-Crane-Report veröffentlicht wurde, kam es im April 1920 und Mai 1921 zu arabischen Pogromen gegen jüdische Einwanderinnen und Einwanderer, ebenso zu einem Aufstand gegen die britische Mandatsherrschaft, die zunehmend als Vertretung zur Durchsetzung imperialistischer Ziele angesehen wurde. Erst der Beginn der Mandatszeit markierte auch den Beginn eines eigenen palästinensischen Nationalismus, der in den kommenden Jahren um seine eigenen Ansprüche kämpfte.
Nicht zuletzt die schlechtere Organisiertheit der arabischen Seite, auch die am Anfang zunächst hauptsächlich von syrischen Eliten getragenen Formulierungen einer nationalen arabischen Identität, sollten die arabische Seite sehr oft ins Hintertreffen gegenüber der jüdischen Siedlungsbewegung in der Mandatszeit bringen.
Erste Resolution des Palästinensisch-Arabischen Kongresses, 1919
Als Reaktion auf die Ansiedlung jüdischer Einwanderinnen und Einwanderer vor dem Krieg traf sich von 27. Jänner bis 10. Februar 1919 der erste palästinensische-arabische Kongress mit 27 Delegierten aus muslimisch-christlichen Gesellschaften aus ganz Palästina. Die meisten Delegierten stammten aus der besitzenden Klasse und waren gleichmäßig in probritische und panarabische Fraktionen aufgeteilt. Ein Telegramm wurde an die Pariser Friedenskonferenz geschickt, in dem ein Verzicht auf die Balfour-Erklärung und die Aufnahme Palästinas als „ein integraler Bestandteil der unabhängigen arabischen Regierung Syriens innerhalb einer Arabischen Union, frei von jeglichem ausländischen Einfluss oder Schutz“ gefordert wurde.
Wir betrachten Palästina als nichts anderes als einen Teil des arabischen Syriens, und es wurde zu keiner Zeit davon getrennt. Wir sind durch nationale, religiöse, sprachliche, moralische, wirtschaftliche und geografische Grenzen an es gebunden. […] Unser Distrikt Südsyrien oder Palästina sollte nicht von der unabhängigen arabischen-syrischen Regierung getrennt und frei von jeglichem fremden Einfluss und Schutz sein.
Erste Resolution des Palästinensisch-Arabischen KongressesORF Topos: Wie reden über den Hamas-Terror?
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Die unterschiedlichen Ansätze von Juden und Arabern
Während sich die Jüdinnen und Juden nicht zuletzt auch auf besser gebildete Eliten verlassen konnten, die ins Land kamen, hatte man sich auf arabischer Seite nie eigens zu Siedlungsverbänden oder ähnlichen Einigungsformen zusammenschließen müssen. War man zunächst Bewohner des Osmanischen Reiches, hatte man nun die britische Mandatsmacht als Gegenüber.
Die Zionistinnen und Zionisten, so erinnert Gelvin, hätten ihre Kolonien von Anfang an von Grund auf strukturieren müssen. Die arabische Seite wiederum habe sich stets im Rahmen bekannter politischer Institutionen des Osmanischen Reiches bewegt. „Obwohl die meisten Zionisten die Politik der Briten im Nahen Osten ablehnten, gewöhnten sie sich doch daran, im Rahmen des Mandats zu operieren“, so Galvin. Bei den Araberinnen und Arabern habe zunächst eine komplette Ablehnung des Mandatsystems und der Balfour-Deklaration vorgeherrscht.
Es gab so etwas wie Palästinenser gar nicht. Wann hat es ein unabhängiges palästinensisches Volk mit einem unabhängigen palästinensischen Staat gegeben? Es gab Südsyrien vor dem Ersten Weltkrieg, und dann gab es Palästina unter dem Einschluss von Jordanien. Es gab kein palästinensisches Volk, das sich als solches deklariert hätte, und wir wären gekommen und hätten ihnen dann ihr Land weggenommen. Sie haben nicht existiert.
Golda Meir, israelische Premierministerin (1969–1974) in der „Sunday Times“, 15. Juni 1969Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
Soziale Verschiebungen durch Landverkäufe
Die Landverkäufe von arabischen Großgrundbesitzern an jüdische Siedler brachten starke soziale Verschiebungen mit sich, weil Araber das Land verloren, auf dem sie als Bauern arbeiteten. Sie mussten für Lohnarbeit oft an die Ränder der Städte ziehen und sahen ihre soziale Position weiter untergraben. Die arabische Oberschicht Palästinas sah durch die Grundverkäufe ihre Position gegenüber der Basis der Bevölkerung geschwächt. Ihre Glaubwürdigkeit wurde gerade durch die Landverkäufe untergraben.
Nicht zuletzt aus der Zwischenkriegszeit wird eine soziale Frage des Konflikts zunehmend deutlich, die sich auch wieder in der Radikalisierung des Konflikts niederschlagen sollte. Zahlreiche Expertinnen und Experten zum Nahen Osten weisen darauf hin, dass die Frage der Palästinenserinnen und Palästinenser zu sehr im Rahmen syrischer Eliten gestellt wurde, die ein Palästina der Araberinnen und Araber immer als Teil eines „Großsyriens“ ansahen. „Die Palästinenser mussten im Lauf ihrer Geschichte erleben, dass sie immer wieder Spielball unterschiedlicher Interessen von außen wurden“, fasste der deutsche Journalist und Nahost-Experte Richard C. Schneider die Situation in einem Podcast des „Spiegel“ knapp zusammen. Die 1920er Jahre sollten der Auftakt für große Verwerfungen zwischen Arabern und Juden bringen.
03.11.2023, Gerald Heidegger, ORF Topos (Text)
Links:
TVthek-Schwerpunkt zum aktuellen Nahost-Konflikt
Die Geschichte des Nahost-Konflikts auf ORF Sound
Wellen der jüdischen Immigration nach Palästina
„Spiegel“-Podcast zur Geschichte des Konflikts
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