1945: KRIEGSENDE IN BREITENLEE
P. Hermann Geist hält die letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges in Breitenlee genau fest. Das lokale Kriegsgeschehen, die persönlichen Umstände der Bevölkerung und die Seelsorge stehen im Mittelpunkt seiner Aufzeichnungen. Wir nehmen den 65. Jahrestag des Kriegsendes zum Anlass, darüber zu berichten. Einblendungen aus dem Gesamtgeschehen sollen ein möglichst deutliches Bild vermitteln:
Trotz aller Gefahr besuchte P.Hermann viele Familien: „Sie sind wohl in Sorge. Gott gebe ein gutes Ende. Viele raten immer noch, wegzugehen. Ich darf die Gemeinde nicht verlassen und will auch nicht. Soll ich etwa die Kirche schließen?“ … „Heute in der Nacht v. 5. - 6. Leuchteten Leuchtkugeln klar und hell minutenlang die finstere Stadt. Starke Explosionen durchzittern die Luft, das Licht war weg.“ Die Leuchtsignale zeigten der Roten Armee den Beginn der aktiven Widerstandsaktionen in Wien an. Die 46. Armee der 2. Ukrainischen Front überschritt ab dem 6. April bei Pressburg die March und drang nach Westen vor: „Der Krieg rückt immer näher an unser Dorf. Breitenlee bekommt das Gesicht eines regelrechten Frontdorfes. Militär ist samt allem Kriegsgerät massenhaft im Dorf einquartiert, der Gutshof ist das Zentrum der Kampfvorbereitungen. Die Einwohner verschwinden aus dem Bild des Dorfes … Autos, Panzer, Geschütze ziehen durch und halten. … Die Russen, die ja schon in den Außenbezirken von Wien sind, können jederzeit da sein.“ In Simmering tobten erbitterte Kämpfe auf und um den Zentralfriedhof. Trotzdem behaupteten die Zeitungen „Durchbruch auf Wien gescheitert“ und „Die Sowjets südlich Wien aufgefangen“. Radio Wien wurde eingestellt, der von der SS betriebene „Kampfsender Prinz Eugen“ trat an dessen Stelle und beschränkte sich auf Musik und Wehrmachtsbericht. „Die Front rückte von Groß Enzersdorf her immer näher. Wir wussten, es kann sich nur um Tage handeln und der Krieg ist bei uns.
Alle Leute vergruben Lebensmittel und wertvolle Sachen in den Kellern, auf dem Felde, um sie vor Brand oder vor Raub zu sichern. Tag und Nacht hält man sich im Keller auf … Im letzten Moment fuhren noch Menschen weg, in Angst versetzt durch die Propaganda der Deutschen. Die Nächte waren voll Kampfgetöse und Fliegeralarm, denn die Front hatte sich in Raasdorf festgelegt und war … bis an den Bahndamm vorgestoßen, wo sich die Deutschen zwei Tage lang halten konnten. Über uns ging dafür der gegenseitige Kanonenbeschuss hinweg. … Bei diesem Kampf erhielt die Kirche 4 – 5 Granattreffer, die schwere Dach und Fensterschäden anrichteten. … Auf dem rechten Turm war ein Beobachtungsposten aufgestellt, wahrscheinlich galt dem der eine Treffer…“„Die seelsorgliche Situation in der Kampfzeit war natürlich eine eingedämmte. Das hl.Opfer mussten wir nur drei Mal entfallen lassen. Das erste Mal, als knapp vor dem Gottesdienst das Munitionslager außer Breitenlee gegen Raasdorf zu, in die Luft gesprengt wurde (v. d. Deutschen). Das gab so gewaltige Explosionen, dass es Glasscherben in die Kirche regnete. Wir konnten den Gottesdienst nicht halten. … Ich konnte manche Familien besuchen, einigen Bombenopfern die Sakramente spenden. Ständig trug ich den Talar, um den Leuten zu sagen, der Pfarrer ist da. Solange ich das Fahrrad hatte, konnte ich ja rasch vorwärts kommen. Dieses wurde mir von den Deutschen gestohlen, als ich eben eine ausgebombte Familie besuchte.“
Die Wehrmacht war kampfmüde. Viele Soldaten tauchten unter. „Täglich hörte man von Deserteuren, die im Dorf lagen. Die Überreste ihrer Ausrüstung, Helm, Gasmaske u. dgl. fand man oft und oft in den Straßengräben.“ Die politischen „Systemerhalter“ hingegen glaubten noch immer an den großen Endsieg. Sie waren besessen, den Terror von „Zucht und Ordnung bis zum letzten Tag“ zu erhalten und alles „Artfremde“ kaltblütig und rücksichtslos zu „erledigen“. Obwohl die Würfel längst gefallen waren, erfüllte die SS noch immer abgrundtiefer Hass: „Die Deutschen versuchten noch in der Nacht ihres Abzuges manche Familien, und vor allem junge Mädel mitzuschleppen, in den meisten Fällen ließen sich die Leute nicht bewegen. Die einquartierten SS-Soldaten hinterließen im Dorf kein gutes Angedenken. Durch Schweinereien und Verwüstungen zeichneten sie sich aus. …“
Erwin Kager