1938 bis 1945 – Das Edelweiß am Fensterladen

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#1
Mit 1. Oktober 1938 wurde die Reichsarbeitsdienstpflicht für Männer in Österreich eingeführt. Der Reichsarbeitsdienst (RAD) trat an die Stelle des Freiwilligen Österreichischen Arbeitsdienstes und dauerte sechs Monate. Sinn des RAD war es, junge Menschen zwischen dem 17. und 25. Lebensjahr im nationalsozialistischen Sinne zu erziehen. Durch strenge Regeln, straffe Einteilung sowohl der Arbeits- als auch der Freizeit, und militärisches Exerzieren mit dem Spaten wurden sie auf den daran anschließenden Wehrdienst eingestimmt.

Der praktische Grund für die Einführung des RAD war der auf diese Weise mögliche Einsatz billiger Arbeitskräfte in der Land- und Forstwirtschaft, beim Güterweg- und Forststraßenbau oder ähnlichen Gebieten.

Die Unterbringung der RAD-Leistenden erfolgte in Barackenlagern, die in der Nähe der jeweiligen Arbeitsstätte errichtet wurden. War die Arbeit fertiggestellt, wurde das Lager abgebaut und am nächsten Einsatzort wieder neu aufgestellt. Bei der Errichtung der Lager sollte gewährleistet sein, für mindestens vier bis sechs Jahre an diesem Standort bleiben zu können. In der Umgebung mussten also entsprechend umfangreiche Arbeitsprojekte zu erledigen sein.

Die Dienstpflicht galt vorerst nur für Männer. In Österreich wurde aber von Anfang an auch das RAD-System für die weibliche Jugend aufgebaut, die bis Ausbruch des Krieges die Wahl hatte, sich freiwillig dafür zu melden. Erst am 4. September 1939 wurde die Arbeitsdienstpflicht auch für die weibliche Jugend verordnet.
Der Einführung der RAD-Pflicht ging monatelange Arbeit zum Aufbau der dazugehörigen Strukturen voraus.

Die Arbeitsgaue

Mit 1. Juli 1938 wurden vier Arbeitsgaue für den RADmJ, den RAD für die männliche Jugend, gebildet:
  • Arbeitsgau XXXIII Alpenland (Reichsgaue Salzburg und Tirol)
  • Arbeitsgau XXXIV Oberdonau (Reichsgau Oberdonau)
  • Arbeitsgau XXXV Niederdonau (Reichsgaue Wien und Niederdonau) – ab März 1939 auf „Wien-Niederdonau“ umbenannt
  • Arbeitsgau XXXVI Südmark (Reichsgaue Steiermark und Kärnten)
Für den RADwJ, den RAD für die weibliche Jugend, wurde ab März 1938 eine andere Struktur ausgearbeitet:
  • Bezirk XX Alpenland
  • Bezirk XXI Donauland
  • Bezirk XXII Südmark
Die Bezirke des RADwJ waren mit den Arbeitsgauen des RADmJ deckungsgleich mit Ausnahme des Bezirks Donauland. Dieser umfasste Ober- und Niederdonau mit Wien.
Der Aufbau der Bezirke des RADwJ war bis März 1939 abgeschlossen.

Der Reichsarbeitsdienst in Kärnten

Der RAD in Kärnten war gemäß obiger Liste Teil des Arbeitsgaus XXXVI Südmark. Schon vor Einführung der Reichsarbeitsdienstpflicht am 1. Oktober 1938 nahm die „Abteilung Arbeitsleistung“ des zukünftigen Arbeitsgaues in der Grazer Carnerigasse 34 ihre Tätigkeit auf. Ihre Aufgabe war es, die RAD-Dienststellen aufzubauen. Am 27. Mai 1938 meldete sie an das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, „das Gebiet des Arbeitsgaues XXXVI umfasst die Länder Steiermark, Kärnten und Osttirol, weiters die Bezirke Güssing und Jennersdorf des südlichen Burgenlandes“[1].

Der Kärntner RAD teilte sich in zwei Gruppen auf, die RAD-Gruppe 361 mit Sitz in Klagenfurt und die RAD-Gruppe 362 mit Sitz in Villach.

Am 5. August 1938 richtete das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft ein Schreiben an den Reichsarbeitsdienstführer der Aufbaugruppe in der Grazer Grabenstraße 38, in dem die geplanten Standorte für die ersten RAD-Lager durchgegeben wurden:

„Das Ministerium für Landwirtschaft nimmt zur Kenntnis, dass zwecks Durchführung von Wasserbauten und Errichtung von Güterwegen durch den RAD nachstehende Lager errichtet werden sollen:

1.) Saak
2.) Nötsch
3.) Hermagor
4.) Rattendorf
5.) St. Andrä im Lavanttal
6.) St. Paul
7.) Viktring
8.) Ebenthal
9.) Grafenstein
10.) Griffen
11.) Lind im Drautal
12.) Faak am Faakersee“[2]

Die Einteilung inklusive der Abteilungsnummern der einzelnen Lager kann man dem Kärntner Amts- und Adressbuch von 1939 entnehmen[3]:

RAD-Gruppe 361 – Klagenfurt:

1/361 Klagenfurt
2/361 St. Andrä im Lavanttal
3/361 Viktring
4/361 Kappel im Rosental
5/361 Grafenstein
6/361 Griffen

RAD-Gruppe 362 – Villach:

1/362 Rattendorf bei Jenig
2/362 Hermagor
3/362 Nötsch am Dobratsch
4/362 Saak im Gailtal
5/362 Steinfeld im Drautal
6/362 Faak am See

Bis 1945 erhöhte sich die Zahl der RAD-Lager von diesen anfänglichen 12 auf mindestens 27. Allein im Gailtal entstanden in den sieben Jahren des NS-Regimes sieben: in Draschitz, Hermagor, Kirchbach, Kühweg, Nötsch, Rattendorf und Saak.[4]

Das unten beschriebene Lager wird in mancher Quelle, obwohl es sich in Kühweg befand, auch unter der Ortsbezeichnung Hermagor erwähnt.

Das RAD-Lager in Kühweg

Diesem Lager, das sich im heutigen Kühweg südlich von Hermagor befindet, wurde die Abteilungsnummer 2/362 zugeteilt. Es war eines der größten im Gailtal, wo hauptsächlich Arbeitspflichtige aus der Steiermark untergebracht wurden.

Die Lagerbaracken entsprachen dem neuesten Stand der Bautechnik: Sie verfügten über Doppelwände, die zu Isolationszwecken mit Sägespänen gefüllt waren und in der Baracke der Lagerleitung, der sogenannten „Führerbaracke“, gab es sogar fließendes Wasser.[5]

Ebenfalls in der obigen Liste vom 5. August 1938 wurden bereits die Arbeiten festgelegt, zu denen die RAD-Dienstleistenden herangezogen werden sollten. Im „Einvernehmen zwischen den Leitern der Wasserbauabteilung, der Landeshauptmannschaft, der Landesbehörde, des Meliorationsamtes, der Landwirtschaftskammer und des Vertreters des RAD“ wurden für das Lager in Hermagor (Kühweg) folgende Aufgaben definiert:
  • Entwässerung des Potschachermooses
  • Gösseringregulierung
  • Entwässerung des Bürgermooses
  • Entwässerung des Kühweg-Podlanigermooses
  • Entwässerung des Modern-Watschigermooses[6]
Der geplante Arbeitsbeginn für diese Tätigkeiten war mit 1. Oktober 1938 angegeben.

Im März 1941[7] erhielt es nach dem Offizier Josef Troyer der österreichisch-ungarischen Armee den Ehrennamen „Josef Troyer – Der eiserne Major“.

Im Frühjahr 1945 wurde das Lager zu einem Lazarett umgewandelt und mittels eines auf ein Barackendach gemalten roten Kreuzes vor einem britischen Fliegerangriff bewahrt.
Nach Kriegsende nutzte die britische Besatzungsmacht das Lager.[8]

Das Edelweiß am Fensterladen


Die Fensterläden der „Führerbaracke“

Fast wäre ich im September 2019 zu spät gekommen. Die heute noch stehende Baracke der ehemaligen Lagerleitung wurde zu diesem Zeitpunkt gerade vom Eigentümer renoviert. Dabei wurden auch die alten Fensterläden abmontiert und an verschiedene Abnehmer übergeben. Gerade noch konnte ich ein Paar dieser Läden fotografieren, die das Symbol des Reichsarbeitsdienstes für die Arbeitsgaue Alpenland, Oberdonau, Wien-Niederdonau und Südmark zeigten – das Edelweiß.

Alte Bilder vom Reichsarbeitsdienstlager in Kühweg, auf denen auch die Fensterläden zu erkennen sind, finden Sie im Buch von Bernhard Gitschtaler „Gailtaler Jugend im Nationalsozialismus“, das ich unter Fußnote 4 angeführt und verlinkt habe, auf den Seiten 33 und 44/45.

Fußnoten:

[1] Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, 1. Republik Allgemein, Fasz. Allgemein, Reichsarbeitsdienst, Zl. 27494/1938.

[2] Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, 1. Republik Allgemein, Fasz. Allgemein, Reichsarbeitsdienst, Abschriften zu Zl. 23793/1938, ad Zl. 38118-10b/1938.

[3] Kärntner Amts- und Adressbuch 1939, online unter: Findbuch für Opfer des Nationalsozialismus,
Amts– und Adressbuch 1939 - Findbuch für Opfer des Nationalsozialismus
Kärnten Behörden Arbeitsamt–Reichsbahn:
https://www.findbuch.at/files/conte..._Kaernten_Behoerden_Arbeitsamt-Reichsbahn.pdf (15. Juni 2020)

[4] Bernhard Gitschtaler, Gailtaler Jugend im Nationalsozialismus. Hitlerjugend, Bund deutscher Mädel und der Reichsarbeitsdienst im Gailtal (Wien/Hermagor 2012) S. 26, online unter: Erinnern Gailtal e.V.,
http://www.erinnern-gailtal.at/wp-c...Nationalsozialismus-im-Gailtal-endversion.pdf (15. Juni 2020)

[5] Gitschtaler, Gailtaler Jugend, S. 31–33.

[6] Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, 1. Republik Allgemein, Fasz. Allgemein, Reichsarbeitsdienst, Abschriften zu Zl. 23793/1938, ad Zl. 38118-10b/1938.

[7] Diese Quellenangabe konnte von mir im Rahmen dieses Blogartikels nicht verifiziert werden. Da sich der Forenuser jedoch in Beitrag 35 auf die Originalquelle „Verordnungsblatt für den Reichsarbeitsdienst“ beruft, habe ich diese Information in gutem Glauben eingearbeitet:
War Relics Forum, Thread „RAD Original photos“, Beitrag 34 von User „Wilhelm Saris“, online unter:
RAD Original photos - Page 4 (15. Juni 2020)

[8] Gitschtaler, Gailtaler Jugend, S. 32–33.

Interne Links:

Mehr zum Jahr 1938 nach dem „Anschluss“:
1938 nach dem „Anschluss“ – Worte im Dunkel

Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
1939 bis Kriegsende – Worte im Dunkel

Link zum Originalbeitrag: 1938 bis 1945 – Das Edelweiß am Fensterladen – Worte im Dunkel
 
#2
Vielleicht nicht ganz passend, aber zumindest im Bundesland:

Vor ca. vierzig Jahren machten wir eine verwahrloste HJ-Hütte am Südufer des Weißensees wieder bewohnbar.

Mein Vater war höherer Beamter (Univ.-Doz.), der Direktor der Wiener "Universitäts-Turnanstalt" (heute USI) ein guter Freund der Familie. Die Herren, begeisterte Bergsteiger und Leichtathleten, waren beim Reden draufgekommen, daß die Uni Wien am Paterzipf ein Grundstück samt Küchenhaus und großem Bootshaus ihr Eigen nannte, das seit Kriegsende ungenutzt vor sich hin dämmerte.

Nachdem beide Herren immer ungewöhnliche Orte für Universitäts-Blockveranstaltungen (der eine Germanistik, der andere Sport) suchten, verbrachten wir bald einen Großteil der Sommerferien dortselbst, um die Baulichkeiten wieder bewohnbar zu machen. Wir fanden eine große Blockhütte mit riesigem, gesetzten Herd, Büro und Aufenthaltsraum, daneben einen Schuppen, der voll war mit allem, was man für ein Zeltlager braucht, vom Häring bis zur Petromaxlampe, fein säuberlich in Kisten verpackt. Auch Übungshandgranaten waren dabei! Im Bootshaus eine große Plätte und mehrere Ruderboote in Klinkerbauweise.

In den folgenden Jahren, bis zu Pensionierung, gab es noch regelmäßig Aufenthalte und auch Univeranstaltungen dort, leider hab ich nach dem Tod beider Herren jeden Kontakt nach Kärnten verloren. Als Jugendlicher hatte ich angesichts des Abenteuerspielplatzes auch keine Zeit für Fotos - nur schöne Erinnerungen sind geblieben.

Hütte und Bootshaus sind auch heute noch leicht auf google zu finden.
46°42'11.0"N 13°20'53.5"E

Es wäre interessant, ob jemand im Forum Näheres zur Geschichte dieser Hütte bringen kann!
 

typ180

Well-Known Member
#3
Hallo Geist!

Super Bericht - DANKE! War das Edelweißzeichen auch bei anderen Lager sichtbar? Hatte man es nur an Gebäuden oder findet man es an anderen Gegenständen?
Machst du die anderen RAD - Lager auch noch - oder war das auf Kärnten beschränkt?
Freue mich schon auf deine nächsten " Worte im Dunkel":)

LG - Gerhard Typ180
 

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#4
Hallo Geist!

Super Bericht - DANKE! War das Edelweißzeichen auch bei anderen Lager sichtbar? Hatte man es nur an Gebäuden oder findet man es an anderen Gegenständen?
Machst du die anderen RAD - Lager auch noch - oder war das auf Kärnten beschränkt?
Freue mich schon auf deine nächsten " Worte im Dunkel":)

LG - Gerhard Typ180
Hallo Gerhard,

danke, freut mich, wenn dir der Artikel gefällt!

Ja, das Edelweiß war auch in anderen Lagern zu sehen. Am besten du googelst einfach nach alten RAD-Lager-Bildern. Wenn du oben auf den Link unter Fußnote 4 klickst, findest du auch noch zwei, drei Bilder, auf denen das Edelweiß auf den Fensterläden und der Lagereinfahrt zu erkennen ist. Das Edelweiß war meines Wissens auch auf den Kappen der RAD-Pflichtigen angebracht, sofern sie in den Gauen des ehemaligen Österreich den RAD ableisteten.
 
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