Heute zeige ich eine schriftliche Hinterlassenschaft von 1944, die nicht ganz dem mir selbst auferlegten Schema entspricht. In diesem Beitrag beschäftige ich mich nämlich nicht mit einer Beschriftung an einer Wand, einem Ziegel oder einem Fundament, sondern mit einer auf den ersten Blick eigentümlich anmutenden Karte. Seit Mitte 1944 hing sie an der Innenseite einer Kellertür, bis ich sie 2013 mit dem Einverständnis der Hauseigentümerin abnehmen durfte, um sie vor der Entsorgung zu bewahren.
Es handelt sich dabei um eine „Übersichtskarte für den Einflug feindlicher Flugzeuge“. Solche Karten wurden in vielen Zeitungen mit dem Hinweis veröffentlicht, man solle sie ausschneiden und im Luftschutzraum zum Aushang bringen. Die hier gezeigte Übersichtskarte druckte die „Kleine Volks-Zeitung“ am Freitag, dem 16. Juni 1944.
Kellertüre, an der knapp 70 Jahre nach der Anbringung noch die Übersichtskarte für den Einflug feindlicher Flugzeuge hing.
Diese Karten wurden für alle größeren Städte im damaligen deutschen Reichsgebiet veröffentlicht. Im Zentrum der hier gezeigten Übersichtskarte befindet sich die Stadt Wien. Die konzentrischen Kreise haben einen Abstand von 25 Kilometern, sodass der innere dick gezogene Kreis dem 100-Kilometer-Radius um Wien entspricht, der zweite dick gezogene Kreis dem 200-Kilometer-Radius und der äußerste Kreis einer Entfernung von 275 Kilometern von Wien.
Übersichtskarte für den Einflug feindlicher Flugzeuge
Aufgrund der durchnummerierten Abschnitte konnte am Radiogerät die Flugroute der Flugzeuge mitverfolgt werden. Wurde ein Abschnitt mit einer Zahl über 121 durchgegeben, so wussten die Radiohörer, dass die Flugzeuge noch über 200 Kilometer von Wien entfernt waren. Zu diesem Zeitpunkt war das endgültige Ziel der Bomber noch nicht abzuschätzen. Kamen sie etwa aus den südlichen Abschnitten 148 bis 152, so konnten Graz oder die obersteirischen Industriegebiete das Ziel sein. Lauteten die Angaben im Radio „166 – 167 – 151 – 152 – 137 – 153“, so kamen die Flieger aus dem Südosten und richteten sich gegen Salzburg.
Der 275- bis 300-Kilometer-Radius um Wien
Wurde im Radio durchgegeben, die Bomber befänden sich in Abschnitt 57 bis 120, so konnte man anhand der folgenden Durchsagen schon eher feststellen, ob der Flug der Bomber wohl nach Wien führen würde. Zu diesem Zeitpunkt waren die Flugzeuge nur noch 100 bis 200 Kilometer entfernt. Da es in diesem Umgebungsradius allerdings noch immer zahlreiche Industriestandorte und Verkehrsknotenpunkte gab, die für die Alliierten wichtige Ziele darstellten, stand auch jetzt noch nicht fest, dass die Flieger nach Wien kommen würden. Genausogut konnten die Angaben im Radio „118 – 102 – 103 – 87 – 88 – 73 – 74 – 90“ lauten, womit Linz im Fokus der Bomber lag.
Der 200-Kilometer-Radius um Wien
Die Abschnitte 1 bis 56 kennzeichneten den 100-Kilometer-Radius um Wien. Spätestens jetzt war eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegeben, als Wiener und Wienerin bald wieder in die Bunker und Keller laufen zu müssen. Doch noch immer gab es in diesem Radius genügend andere Ziele: Die Wiener Neustädter Flugzeugwerke lagen etwa im Abschnitt 22, die Raffinerien bei Moosbierbaum im Abschnitt 10.
Die inneren 25 Kilometer um Wien wurden mit acht Zonen dargestellt. Alle anderen Umkreisradien wurden in 16 Abschnitte unterteilt.
Der 100-Kilometer-Radius um Wien
War abzusehen, dass die Bomberverbände über Wien fliegen würden, so wurden die Luftwarnsignale ausgelöst, die ich bereits am 1. Februar 2020 beschrieben habe.
Interessant bei dieser Karte ist die Beklebung der Rückseite des Kartons mit einer russischen Zeitung. Leider ist keine Datierung möglich, aber vermutlich wurden nach dem Krieg aus unerfindlichem Grunde Fragmente einer russischen Zeitung aufgeklebt und der Karton dann wieder an seiner Stelle an der Kellertür platziert. Inhaltlich geht es in diesen kurzen Ausschnitten um landwirtschaftliche Themen aus dem Bereich Raditsa, Oblast Brjansk, und Mazal’tsevo, Oblast Smolensk.
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
1939 bis Kriegsende – Worte im Dunkel
Mehr zum Luftschutz:
Details – Worte im Dunkel
Mehr zu den Kriegstraumata und ihren Auswirkungen:
1945 bis 2020 – Sirenenseelen – Worte im Dunkel
Link zum Originalbeitrag: 1944 – Wohin fliegen die Bomber? – Worte im Dunkel
Es handelt sich dabei um eine „Übersichtskarte für den Einflug feindlicher Flugzeuge“. Solche Karten wurden in vielen Zeitungen mit dem Hinweis veröffentlicht, man solle sie ausschneiden und im Luftschutzraum zum Aushang bringen. Die hier gezeigte Übersichtskarte druckte die „Kleine Volks-Zeitung“ am Freitag, dem 16. Juni 1944.
Diese Karten wurden für alle größeren Städte im damaligen deutschen Reichsgebiet veröffentlicht. Im Zentrum der hier gezeigten Übersichtskarte befindet sich die Stadt Wien. Die konzentrischen Kreise haben einen Abstand von 25 Kilometern, sodass der innere dick gezogene Kreis dem 100-Kilometer-Radius um Wien entspricht, der zweite dick gezogene Kreis dem 200-Kilometer-Radius und der äußerste Kreis einer Entfernung von 275 Kilometern von Wien.
Aufgrund der durchnummerierten Abschnitte konnte am Radiogerät die Flugroute der Flugzeuge mitverfolgt werden. Wurde ein Abschnitt mit einer Zahl über 121 durchgegeben, so wussten die Radiohörer, dass die Flugzeuge noch über 200 Kilometer von Wien entfernt waren. Zu diesem Zeitpunkt war das endgültige Ziel der Bomber noch nicht abzuschätzen. Kamen sie etwa aus den südlichen Abschnitten 148 bis 152, so konnten Graz oder die obersteirischen Industriegebiete das Ziel sein. Lauteten die Angaben im Radio „166 – 167 – 151 – 152 – 137 – 153“, so kamen die Flieger aus dem Südosten und richteten sich gegen Salzburg.
Wurde im Radio durchgegeben, die Bomber befänden sich in Abschnitt 57 bis 120, so konnte man anhand der folgenden Durchsagen schon eher feststellen, ob der Flug der Bomber wohl nach Wien führen würde. Zu diesem Zeitpunkt waren die Flugzeuge nur noch 100 bis 200 Kilometer entfernt. Da es in diesem Umgebungsradius allerdings noch immer zahlreiche Industriestandorte und Verkehrsknotenpunkte gab, die für die Alliierten wichtige Ziele darstellten, stand auch jetzt noch nicht fest, dass die Flieger nach Wien kommen würden. Genausogut konnten die Angaben im Radio „118 – 102 – 103 – 87 – 88 – 73 – 74 – 90“ lauten, womit Linz im Fokus der Bomber lag.
Die Abschnitte 1 bis 56 kennzeichneten den 100-Kilometer-Radius um Wien. Spätestens jetzt war eine gewisse Wahrscheinlichkeit gegeben, als Wiener und Wienerin bald wieder in die Bunker und Keller laufen zu müssen. Doch noch immer gab es in diesem Radius genügend andere Ziele: Die Wiener Neustädter Flugzeugwerke lagen etwa im Abschnitt 22, die Raffinerien bei Moosbierbaum im Abschnitt 10.
Die inneren 25 Kilometer um Wien wurden mit acht Zonen dargestellt. Alle anderen Umkreisradien wurden in 16 Abschnitte unterteilt.
Der 100-Kilometer-Radius um Wien
War abzusehen, dass die Bomberverbände über Wien fliegen würden, so wurden die Luftwarnsignale ausgelöst, die ich bereits am 1. Februar 2020 beschrieben habe.
Interessant bei dieser Karte ist die Beklebung der Rückseite des Kartons mit einer russischen Zeitung. Leider ist keine Datierung möglich, aber vermutlich wurden nach dem Krieg aus unerfindlichem Grunde Fragmente einer russischen Zeitung aufgeklebt und der Karton dann wieder an seiner Stelle an der Kellertür platziert. Inhaltlich geht es in diesen kurzen Ausschnitten um landwirtschaftliche Themen aus dem Bereich Raditsa, Oblast Brjansk, und Mazal’tsevo, Oblast Smolensk.
Mehr zu den Jahren von 1939 bis Kriegsende:
1939 bis Kriegsende – Worte im Dunkel
Mehr zum Luftschutz:
Details – Worte im Dunkel
Mehr zu den Kriegstraumata und ihren Auswirkungen:
1945 bis 2020 – Sirenenseelen – Worte im Dunkel
Link zum Originalbeitrag: 1944 – Wohin fliegen die Bomber? – Worte im Dunkel