Ein Bericht in der Onlineausgabe der "Wiener Zeitung" aus der Arbeitswelt von Zugbeleiter- und Zugbegleiterinnen

josef

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#1
Alleingelassen: Knochenjob ÖBB-Schaffner:in
Sie sind für die Sicherheit im Zug verantwortlich. Sie müssen sich um Hunderte Fahrgäste kümmern. Sie werden beschimpft, bespuckt und geschlagen. Drei Betroffene erzählen:
„Wo ist mein Zug?“ – „Wo ist das Bahngleis?“ – „Scheiß Automat hat nicht funktioniert.“ – „Ich hab' hier aber reserviert.“
Die Uniform signalisiert: Hier ist die eine Ansprechperson, die den Fahrgästen geblieben ist, und manchmal für Erleichterung schon bei der Sichtung sorgt. Denn die Mehrheit des ÖBB-Kundendienstes soll online ablaufen. Aber nur in der Theorie. Denn selbst in der Praxis lenkt die ÖBB-App Scotty die Anfragen wieder zum Schaffner oder zur Schaffnerin. Etwa so: „Der Zug fährt heute ohne xy. Bitte wenden Sie sich an den Zugbegleiter.“ Freilich ist das ein Ventil, das ins Leere geht. „Was soll ich als Zugbegleiter da machen? Soll ich einen Ersatzwagen aus der Hosentasche zaubern?“, schnaubt ein leidgeprüfter Zugbegleiter. Es ist eine von hundert Anfragen, mit denen er an Arbeitstagen konfrontiert wird. Nicht immer kann er helfen. Aber es ist ein guter Tag, wenn es nur Anfragen gibt. Ein schlechter, wenn es zu körperlichen Übergriffen kommt.

Kontrolle aus Selbstschutz
Kurz bevor die Reise losgeht, kontrollieren die Zugbegleiter:innen noch rasch ihren Zug. Wagenreihung? Defekte Türen? Kaputte Klos? Niemand will unangenehme Überraschungen. „Das mache ich schon allein aus Selbstschutz”, abgesehen davon ist am Zug fast alles sicherheitsrelevant. Und nebenbei die ersten Kundenanfragen. In Form von Menschen am Bahnsteig. Gehetzt, besorgt, verschlafen, verärgert.

Der oder die Zugbegleiter:in ist – wenn es sich um einen Zug im Fernverkehr handelt – für die nächsten Stunden die einzige Ansprechperson. Und wird für alles verantwortlich gemacht. Für die Verspätung genauso wie für das verlorene Handy.

Ich bin so oft bespuckt worden, dass ich es dann gar nicht mehr gemeldet habe.
Ein ÖBB-Schaffner:

„Ich bin so oft bespuckt worden, dass ich es dann gar nicht mehr gemeldet habe“, berichtet ein Zugbegleiter. Aber auch Gehirnerschütterungen und Krankenhaus-Aufenthalte kommen vor, heißt es hinter vorgehaltener Hand, von einem der Zugbegleiter, die sich getraut haben, über ihren Job zu reden – wenngleich nur unter Zusicherung der Anonymität. Die ÖBB sehen es nicht gern, wenn Probleme nach außen getragen werden. Die Anfragen zu den Zahlen von Übergriffen auf Zugbegleiter:innen wurden nur ausweichend beantwortet, nach einem Aufflackern während Corona hätte sich die Zahl der Übergriffe wieder gelegt, heißt es offiziell.

„Manche Menschen sind mit dem Zugfahren überfordert”
Das deckt sich nicht mit den Beobachtungen, die die Zugbegleiter mit der WZ teilen. „Es wird leider immer schlimmer“, sagt der eine. „Ich habe zumindest nicht bemerkt, dass es besser geworden wäre“, sagt der andere. Dieser Zugbegleiter führt ins Treffen, dass ein „gewisser Pool“ an Menschen gern Streit sucht, egal, ob es gerade die Maskenpflicht gibt oder nicht. Manche Menschen seien einfach mit dem Zugfahren überfordert. Sei es, weil der Raum begrenzt ist, oder so viele andere Menschen da sind, oder sie sich von Autoritäten bevormundet fühlen.

Er habe schon Passagier:innen gehabt, die, obwohl sie ein Zugticket in der Hand hielten, sich schlicht geweigert haben, es dem Zugbegleiter zu zeigen. Menschen, die meinten, dass man kein echter Schaffner ist. Menschen, die „ihre Rechte kennen“ und den Datenklau anprangern. Und natürlich jene Menschen, die auf die unschuldige Frage nach ihrem Zugticket in einen Monolog über ihren Kummer mit den ÖBB abdriften. Manchmal braucht es da nur ein kaputtes Licht und der Tag ist gelaufen.

Wenn dich wer aufmachen will, dann macht er dich auf
Ein ÖBB-Schaffner:
Natürlich haben die Zugbegleiter:innen Deeskalationsseminare absolviert. Aber: „Wenn dich wer aufmachen will, dann macht er dich auf.“ „Du wirst angestiegen, beschimpft und bedroht“, erklärt ein Zugbegleiter. Und: Es spiele sich nicht immer alles sichtbar ab. Oft gehe der Fahrgast – bei den körperlichen Übergriffen seien die Täter zu 99 Prozent Männer – einfach knapp am Schaffner vorbei und rammt ihm dabei den Ellbogen in die Rippen. Auch Bisse kommen vor.

Nur in Österreich sind die Zugbegleiter:innen allein
Die Antwort der Politik: Ein Angriff auf eine:n Zugbegleiter:in ist automatisch strafrechtlich eine schwere Körperverletzung. Aber dazu muss der Täter erst mal geschnappt werden. „Du bist Freiwild“, sagt ein Zugbegleiter: „Denn du bist allein. In Mitteleuropa sind wir mittlerweile die einzigen, die allein herumfahren. In Deutschland gibt es zwei am Zug. In der Schweiz, in Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn. Nur in Österreich gibt es nur einen Zugbegleiter.“

Der Sicherheitsaspekt ist ein Grund, dass der Job am Zug männlich dominiert ist. Frauen wird bei der Kontrolle der Tickets gern die Frage gestellt, ob sie nicht noch etwas anderes kontrollieren wollen – und andere Ansagen in dieser Tonalität. Ein weiterer Grund für die wenigen Frauen sind die familienfeindlichen Turnus-Dienste. Heute bis 15 Uhr, morgen bis 21 Uhr, übermorgen bis 00:10.

Bei den ÖBB gab es zehn Jahre lang einen Einstellungsstopp bei den Zugbegleiter:innen, im Glauben, dass früher oder später alles automatisiert abläuft. Die Bestimmungen wurden dementsprechend geändert. Vor fünfzehn Jahren musste in Österreich auf einem Personenzug mindestens ein Zugführer sein. Heute ist das nicht mehr der Fall. In den Wiener S-Bahnen etwa – hier gibt es nur selten einen einzelnen Zugbegleiter – für bis zu 1.200 Menschen im Wiener Nahverkehr. Oder es wird in Zweier- oder Dreier-Gruppen kontrolliert, eine Kombi aus Service- und Kontrolldienst. Ein:e einzelne:r Schaffner:in im Ballungszentrum ist laut den Betroffenen „zu gefährlich“.

„Du bist eine Insel“
Anders ist es im Fernreisezug. Weniger Haltestellen bedeuten weniger Wechsel unter den Fahrgästen. Also weniger Probleme? Der Railjet in Österreich fährt mit der sogenannten Eins:Null-Besetzung. Das bedeutet: ein einziger Zugbegleiter, der für bis zu sieben Railjet-Waggons zuständig ist. Besonders pikant: Fährt derselbe Railjet vorher durch die Schweiz, durch Tschechien, die Slowakei oder Ungarn, fährt er mit einer Eins:Eins-Besetzung. Ein:e Zugführer:in und ein:e Schaffner:in, also insgesamt zwei – manchmal drei –Zugbegleiter:innen. In Österreich ist man damit im Fernreiseverkehr allein auf buchstäblich weiter Flur. „Du bist als Zugbegleiter eine Insel“, formuliert es ein Betroffener. Allein auf dem Zug. Nur der Triebfahrzeugführer, also der Lokführer, ist noch vorhanden, aber der sitzt räumlich getrennt in der Lok und ist mit der Aufrechterhaltung des Betriebs gefordert. Autopilot gibt es noch nicht im Fernverkehr, zumindest nicht bei den höheren Geschwindigkeiten.

Personal des Bordrestaurants muss mithelfen
Wie viele Zugbegleiter braucht man nun, um einen Personenzug zu betreuen? Flugzeuge oder Schiffe, sowie jede Party, müssen ab einer gewissen Größe eine Anzahl von Mitarbeiter:innen bereitstellen, die sich um die Sicherheit kümmern. Für die Eisenbahn gibt es keine internationalen Gesetze in Sachen Mindestbesetzung. In Österreich hat man sich darauf geeinigt, dass pro drei Waggons ein „geschulter Mitarbeiter“ da sein muss, der im Fall des Falles bei der Evakuierung mithelfen muss. Im Fernverkehr auf Österreichs Schienen rechnen die ÖBB folgendermaßen: Sieben Railjet-Waggons bedeuten drei Waggons, für die der Schaffner zuständig ist. Und drei Waggons, für die ein:e Mitarbeiter:in aus dem Bordrestaurant zuständig ist. Denn ein paar der Gastro-Service-Mitarbeiter:innen bekommen eine Schulung, wie im Ernstfall die Evakuierung vonstatten gehen soll.

Und zu guter Letzt soll der Lokführer selbst aus seiner Lok aussteigen und einen Waggon evakuieren. Allerdings, so gibt ein Zugbegleiter zu bedenken, hängen doch einige Vorkommnisse auf der Eisenbahn unmittelbar mit Problemen auf den Schienen vor dem Zug zusammen, und der Lokführer ist der erste, der mit diesen Hindernissen konfrontiert wird. Seien es Personen oder umgefallene Bäume. Ob da der Lokführer noch die Evakuierung eines Waggons hinter ihm schaffe, sei dahingestellt.

Nach oben hin offene Passagieranzahl
Wie viele Menschen sich im Railjet – mit dem einzigen Schaffner – befinden, ist übrigens nach oben hin offen. „Im Nahverkehr steht in jedem Autobus oder in jeder U-Bahn, wie viele Leute drinnen sein dürfen, wie viele Sitzplätze oder Stehplätze vorhanden sind. Bei uns hast du das nicht“, sagt ein Zugbegleiter. Im Railjet gibt es „keine eindeutigen Richtlinien, keine Zulassungsbestimmungen, die besagen, wie viele Leute im Waggon sein dürfen. Es gibt so eine nebulöse Lösung, die besagt, pro Quadratmeter dürfen vier Personen stehen. Kontrollier‘ das mal, wenn du allein für sieben Waggons zuständig bist.“ Im vergangenen Jahr hat man sich intern darauf geeinigt, es dürfen maximal 240 Stehende im Railjet sein, zusätzlich zu den 440 Sitzplätzen. Also knapp 700 Leute. „Wie kontrollierst du das allein bei sieben Wagen? Wenn da einmal was Gröberes passiert, dann steht der Zugbegleiter mit einem Fuß im Häfen. Und das seit Jahrzehnten“, erzählt der Zugbegleiter, der ja per Gesetz für „die Ordnung und Sicherheit am Zug“ zuständig ist.

„Wir pfeifen aus dem letzten Loch“
Das Klimaticket wird gut angenommen. Vielleicht zu gut.
„Die Politik hat das beschlossen und nicht nachgefragt: Schafft ihr das, wenn fünf bis sieben Prozent mehr Passagiere sind? Die Züge sind seitdem spürbar mehr voll“, sagt der Zugbegleiter. Dafür fehle es an Zügen und an Personal. „Wir haben Waggons verkauft, weil wir sie eh nicht brauchen, und heute wissen wir nicht, wie wir die Züge stellen sollen.“ Auch in den Werkstätten fehle das Material. „Wir haben alles ‚just in time‘ bestellt. Und dann kam die Ukraine-Krise und damit die Lieferschwierigkeiten. Wir haben nichts lagernd“, klagt der Zugbegleiter. Die vorhandenen rund 50 Railjet-Garnituren fahren „Tag und Nacht“. „Wenn ich – überspitzt formuliert – einen Waggon nur alle 7.000 statt 5.000 Kilometer warte, dann wirkt sich das aufs Material aus. Wir pfeifen zum Teil aus dem letzten Loch. Uns fehlen hinten und vorn die Garnituren. Denn vorgesehen sind zwei, drei Railjet-Garnituren als Reserve: Wenn ein paar Garnituren aufgrund von Wartungsarbeiten stehen, dann fehlt schnell eine. Dann fahren wir mit dem Cityjet quer durch Österreich, der eigentlich für den Nahverkehr gedacht ist. Qualitätsmäßig macht das einen Unterschied“, erklärt der Zugbegleiter.

"Es sind alle böse auf die Eisenbahn"
Einen Vorteil haben die übervollen Züge allerdings: Die zwischenmenschlichen Probleme werden da oft nebensächlich, „weil da sind alle böse auf die Eisenbahn, da haben sie ein gemeinsames Ziel“, erzählt der Schaffner. Das gemeinsame Ziel bekommt dann ein menschliches Gesicht, wenn die Ticketkontrolle ansteht: „Da kommt dann der oder die Zugbegleiter:in als eierlegende Wollmilchsau und ist als einzige:r Ansprechpartner:in an allem schuld. Reservierung, Verspätung, Zugreihung, die kaputten und die nicht vorhandenen Wagen.“

In den Zügen werben die ÖBB gerade mit Personalanzeigen: „Stell dich vor! Für deinen Job mit Sinn als Zugbegleiter:in. Heute. Für Morgen. Für uns.“ Das zusätzliche Personal wird auch bitter gebraucht. Ab 10. Dezember gibt es den neuen ÖBB-Fahrplan – die Taktung wird verdichtet, die Streckenkilometer werden erhöht. „Keine Ahnung, wie wir das schaffen“, meint der Schaffner.
ÖBB-Zugbegleiter:innen sind alleingelassen und überfordert
 
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