Eine Kurzchronik der letzten Kriegswochen in Österreich

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
Vor 80 Jahren begann die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft. Nachfolgend Auszüge aus der im STANDARD als Livebericht rekonstruierten Artikel über die letzten Kriegswochen


Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 1:
29. - 31. März 1945


Die Truppenbewegungen in den letzten Kriegswochen
Alliierte Einheiten nähern sich im Frühjahr 1945 von allen Seiten.



29. März 1945
Heute vor 80 Jahren begann die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft.
Wir schreiben den 29. März 1945. Glaubt man der NS-Propaganda, ist der Krieg für Deutschland noch immer nicht verloren. Auszusprechen, dass die Rote Armee schon in Ungarn kurz vor der Reichsgrenze zum Burgenland steht, ist lebensgefährlich.
Die Angst in der Bevölkerung vor der Roten Armee ist enorm (Tanja Traxler)
Nirgends haben Wehrmacht, SS und ihre Helfer - darunter viele Österreicher - in den vergangenen Jahren so viel Leid und Zerstörung angerichtet wie in der Sowjetunion. 17 Millionen tote Zivilisten und neun Millionen tote Soldaten hat der Staat bereits zu beklagen. Im Rückzug hat die Wehrmacht ganze Landstriche dem Erdboden gleichgemacht.
Kein ernsthaftes Hindernis (David Rennert)
Der Vorstoß der Roten Armee geht zügig vonstatten. Die von der NS-Propaganda zum „Südostwall“ aufgeblasene Verteidigungslinie an der Südostgrenze des Deutschen Reichs, zu deren Bau zehntausende Zwangsarbeiter – vor allem ungarische Jüdinnen und Juden – unter mörderischen Bedingungen gezwungen wurden, stellt für die vorrückenden Befreier kein wirkliches Hindernis dar.
Genau sieben Jahre und 17 Tage zuvor ist die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert und statt auf Gegenwehr auf jubelnde Massen gestoßen. Nun ist die Rote Armee auf österreichischem Boden – und trifft nicht auf Begeisterung, sondern auf Angst, Verzweiflung, Flucht und Massenverbrechen.
IMAGO/RIA Novosti
29. März 1945, 11.05 Uhr: "Wir haben die große Linie überschritten“ (David Rennert)
Der Anfang vom Ende der NS-Herrschaft in Österreich hat eine lange Vorgeschichte. An diesem Gründonnerstag wird er aber konkret: Einheiten der 6. Garde-Panzerarmee der 3. Ukrainischen Front überschreiten von Ungarn kommend bei Klostermarienberg im Burgenland die Reichsgrenze und erreichen damit erstmals heutiges österreichisches Gebiet. „Wir haben die große Linie überschritten“, lautet die sowjetische Militärmeldung.
Fanatische Durchhalteparolen (David Rennert)
Auch im Westen rücken die Aliierten zügig vor. In der Nacht auf den 23. März haben erstmals US-amerikanische Truppen den Rhein überquert. Trotz aller Aussichtslosigkeit für das nationalsozialistische Regime werden fanatische Durchhalteparolen ausgegeben.
Männer zwischen 16 und 60 müssen zum völlig sinnlosen „Abwehrkampf“ im sogenannten Volkssturm antreten. Kaum ausgebildet und nur notdürftig ausgerüstet, stehen sie den kampferprobten alliierten Truppen gegenüber – die militärische Wirkung ist äußerst gering. Viele von ihnen werden das Kriegsende nicht erleben.
ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Propaganda und Hetze (David Rennert)
Die Titel der Tageszeitungen in den „Alpen- und Donau-Reichsgauen des Großdeutschen Reichs“, wie das ehemalige Österreich seit 1942 in der NS-Sprache heißt, werden an diesem 29. März von plumper NS-Propaganda und der Lage im Westen dominiert. „Maßlose Übertreibungen der feindlichen Panzererfolge“ sieht das "Neue Wiener Tagblatt". Die "Salzburger Zeitung" ruft dazu auf, „kühles Blut zu bewahren: Eiserne Entschlossenheit notwendiger denn je“.
Der "Völkische Beobachter" hetzt in gewohnter antisemitischer Manier: „Das sowjetisch-plutokratische Bündnis repräsentiert die Gemeinschaft des Weltjudentums“.
Beschwichtigungen (David Rennert)
Noch am Vortag des sowjetischen Einmarsches im Burgenland, dem 28. März, schreibt die nationalsozialistische Kleine Wiener Kriegszeitung: „Die Deutsche Führung steht vor einer Aufgabe, die gewiß nicht leicht ist. Indes, sie hat in den letzten Jahren wiederholt Situationen meistern müssen und alles in allem auch zu meistern verstanden, die gleichfalls schwierig waren und sehr oft sogar aussichtslos schienen. Der Ansturm im Osten ist schließlich auch zum Stehen gebracht worden und hat viel von seiner Bedrohlichkeit verloren.“
Rückblick auf die Befreiung von Auschwitz (Tanja Traxler)
In den Konzentrationslagern auf österreichischem Boden verschlechtern sich die Bedingungen zusehends, vom bevorstehenden Ende der NS-Schreckensherrschaft ist für die Gefangenen noch nichts zu bemerken. Andernorts konnten die Alliierten das Grauen in einigen KZs bereits beenden. Die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee liegt an diesem 29. März 1945 genau zwei Monate und zwei Tage zurück. Mehr darüber ist hier zu lesen.
Todesmärsche Richtung Mauthausen (David Rennert)
Zeitgleich mit der Ankunft der sowjetischen Soldaten im Burgenland am 29. März 1945 ordnen die zuständigen Gauleiter die Räumung der Lager ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter an, die am „Südostwall“ arbeiten mussten. Sie sollen nicht von den Sowjets befreit werden, sondern werden nun unter unvorstellbaren Bedingungen auf Todesmärsche Richtung KZ Mauthausen geschickt.
Gewaltsame Übergriffe und mutige Hilfsaktionen (Tanja Traxler)
Rund 40.000 Menschen werden durch die Steiermark und das heutige Nieder- und Oberösterreich nach Mauthausen und weiter in das Außenlager Gunskirchen getrieben. Wer zu erschöpft ist zum Weitergehen, wird erschossen. Unterwegs kommt es zu gewaltsamen Übergriffen und Massakern an den ungarischen Jüdinnen und Juden in Ortschaften entlang des Wegs, selten auch zu heimlichen Hilfsaktionen durch mutige Ortsansässige.


30. März 1945
Standrecht in Wien (David Rennert)
An diesem Karfreitag, dem 30. 3. 1945 erfahren Wienerinnen und Wiener aus den Zeitungen, dass Reichsverteidigungskommissar Baldur von Schirach das Standrecht proklamiert hat. Damit können auch Zivilisten bei kleinsten Vergehen ohne ordentliches Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet werden.
1744126298424.png imago/ZUMA/Keystone
Im Bild: Baldur von Schirach in Haft nach Kriegsende.
In der Verlautbarung heißt es: „Die Härte des Ringens um den Bestand des Reiches erfordert von jedem Deutschen Kampfentschlossenheit und Hingabe bis zum Aeußersten. Wer versucht, sich seinen Pflichten gegenüber der Allgemeinheit zu entziehen, insbesondere wer dies aus Feigheit oder Eigennutz tut, muß sofort mit der notwendigen Härte zur Rechenschaft gezogen werden, damit nicht aus dem Versagen eines einzelnen dem Reich Schaden erwächst.“
"Wozu eigentlich?" (Tanja Traxler)
Der österreichische Diplomat Josef Schöner wundert sich über die Ausrufung des Standrechts. „Die heutigen Zeitungen bringen die Verordnung Schirachs über die Verhängung des Standrechtes in Wien – wozu eigentlich?“, notiert er in seinem Tagebuch. „Das Regime hat doch jetzt schon die Macht, jedermann jederzeit vom Leben zum Tode zu bringen, ohne die Gerichte besonders zu bemühen. Standrecht erhöht nur die allgemeine Unruhe.“
Schöner ist 1933 in den auswärtigen Dienst eingetreten und 1939 von den Nationalsozialisten in vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Der Höhepunkt seiner diplomatischen Karriere steht aber noch bevor: Er wird an den Verhandlungen zum Österreichischen Staatsvertrag beteiligt sein und später Botschafter in Bonn und London werden. In seinem „Wiener Tagebuch 1944/45“ hält Schöner die Kriegswirklichkeit in der Donaustadt akribisch fest.
Vorstoß der Roten Armee (David Rennert)
Die Rote Armee, die am Vortag erstmals heutigen österreichischen Boden erreicht hat, kommt im Burgenland schnell voran. Während es mancherorts zu erbitterten Kämpfen mit der Wehrmacht kommt, behauptet der deutsche Wehrmachtsbericht, dass noch immer in Ungarn gekämpft wird.
Indes schickt die „Kriegsschule Wiener Neustadt“ (heute: Militärakademie) 1200 Fahnenjunker zur Verteidigung von Stellungen an der Grenze zwischen dem Burgenland und Niederösterreich. Wie der Journalist Herbert Lackner in seinem neuen Buch "1945 – Schwerer Start in eine neue Zeit" schreibt, wird eine der Gruppen vom 30-jährigen Hauptmann Rudolf Kirchschläger befehligt, dem späteren österreichischen Bundespräsidenten. Kirchschläger ist schon im Herbst 1939 zur Wehrmacht eingezogen und mehrfach verwundet worden.
Todesmärsche gehen weiter (Tanja Traxler)
Während im Burgenland gekämpft wird und Zivilisten vor den näherrückenden sowjetischen Soldaten fliehen, forcieren SS, lokale Machthaber und ihre Helfer die mörderischen Todesmärsche von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern weiter. Ungarische Jüdinnen und Juden sind die größte Opfergruppe der sogenannten Endphasenverbrechen auf österreichischem Boden: Rund 23.000 werden auf den Todesmärschen ermordet oder sterben an Hunger und Erschöpfung.
Luftangriffe auf Wien (David Rennert)
In Wien gibt es am Vormittag wieder Luftangriffe. Getroffen werden vor allem die südlichen Randgebiete der Stadt. Der schwerste Bombenangriff auf heutigem österreichischem Boden liegt zweieinhalb Wochen zurück: Am 12. März hat die US-Armee Wien mit fast 750 Bombern, begleitet von 230 Jagdflugzeugen, angegriffen. Eigentliches Ziel war die Ölraffinerie in Wien-Floridsdorf. Doch stattdessen wurde vor allem die Wiener Innenstadt getroffen. Unter anderem das Burgtheater, das Kunsthistorische Museum, das Volkstheater, die Oper und der Heinrichshof erlitten schwere Schäden. Die meisten Todesopfer liegen noch unter den Trümmern des komplett eingestürzten Philipphofs am Albertinaplatz begraben. Rund 200 Menschen starben im Luftschutzkeller des noblen Wohnhauses.
IMAGO/GRANGER Historical Picture
Sowjetische Bomber (David Rennert)
Am Vortag hat auch die Sowjetunion erstmals Angriffe geflogen – bis dahin waren nur US-amerikanische und britische Flugzeuge über dem Gebiet des heutigen Österreichs im Einsatz gewesen. Ziel war abermals das bereits schwer zerstörte Wiener Neustadt. „Nach den amerikanischen Angriffen gibt es aber nichts mehr zu zerstören. Es werden daher nicht einmal mehr Aufzeichnungen über Schäden geführt“, stellt die Militärakademie fest.
"Die Russen können uns den ganzen Tag unter Alarm halten" (Tanja Traxler)
Der Diplomat Josef Schöner vermutet, dass am 30. März auch sowjetische Bomber über Wien fliegen. In seinem „Wiener Tagebuch“ notiert er:
„Wir sitzen zumeist im Hof in der Sonne, weil es im LS-Keller saukalt ist. Im
1. Stock schreit der Lautsprecher am Fenster seine Luftlagemeldungen: Viele Einzelflugzeuge in kurzen Abständen überfliegen die Stadt. Ich sehe sie deutlich in geringer Höhe, Kondensstreifen hinter sich ziehend, anscheinend zweimotorige Schlachtflieger – alle aus dem Osten kommend und nach Süden abfliegend. Wir vermuten, daß es sich erstmals um russische Flugzeuge handelt, da ihre Taktik von der gewohnten der Amerikaner völlig abweicht – keine Verbände, alles kommt einzeln. Die Flak schießt stark, die weißen Wölkchen stehen im blauen Himmel. Hie und da werden einzelne Bomben abgeworfen, wir hören das Rauschen deutlich und laufen dann in Deckung. Aber gleich darauf kommt alles wieder hervor und geht fröstelnd in die Sonne. Wenn die Russen wollten, so könnten sie uns den ganzen Tag unter Alarm halten, indem sie alle Stunden ein paar Flugzeuge von ihren ungarischen Feldflugplätzen herüberschicken, weit ist es ja nicht mehr. Es dauert aber Gott sei Dank nicht so lang, wie ich befürchtet habe, um 12.40 h wird Vorentwarnung gegeben.“
Unbehelligter Kriegsverbrecher (David Rennert)
Einer der Verantwortlichen für den Zwangsarbeitereinsatz am sinnlosen "Südostwall", den die Rote Armee rasch überschreitet, und die Todesmärsche ist der steirische Gauleiter und Reichskommissar Sigfried Uiberreither. Er ist auch in zahlreiche weitere Verbrechen involviert, noch Anfang April 1945 wird er die Hinrichtungen von Regimegegnern anordnen, ohne die Urteile der Standgerichte abzuwarten.
Als Kriegsverbrecher gesucht, lebt Uiberreither nach dem Krieg unter falschem Namen völlig unbehelligt bis zu seinem Tod 1984 im deutschen Sindelfingen. Der Historiker Stefan Karner hat Uiberreithers Geschichte in seinem neuen Buch "Gauleiter Uiberreither. Zwei Leben. Gesucht als Kriegsverbrecher – gelebt in Deutschland" minutiös recherchiert. Eine Rezension des Buchs von STANDARD-Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer finden sie hier.
Weltbild / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Massenmorde im Burgenland (Tanja Traxler)
In den vergangenen Tagen haben SS und lokale Beteiligte im Burgenland und der Steiermark schon mehrere Massaker an ungarischen Jüdinnen und Juden verübt. Bereits in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 wurden in Rechnitz rund 200 jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn erschossen, die zum Bau des Südostwalls zur Abwehr der Roten Armee gezwungen worden waren. Das Massengrab mit den Ermordeten wurde trotz intensiver Suche und Grabungen 1966 bis 1969, 1993, 2017, 2019 und 2021 bis heute nicht gefunden – auch, weil sich ein Großteil der Lokalbevölkerung in Schweigen hüllte.
Hans Ringhofer / picturedesk.com
Im Bild: Ein Mahnmal beim Kreuzstadel in Rechnitz, in dessen Nähe der Tatort vermutet wird.
"Dann bin ich ja ein Mörder" (David Rennert)
Auch am Vortag, dem 29. März, als die Rote Armee das Burgenland erreicht, werden beim Massaker in Deutsch-Schützen mindestens 57 weitere jüdische Zwangsarbeiter von der Waffen-SS ermordet. Wie in so vielen Fällen werden auch bei diesem Massenmord die Täter nie zur Rechenschaft gezogen.
Einen von ihnen, den ehemaligen SS-Unterscharführer Adolf Storms, macht der Wiener Politikwissenschafter Walter Manoschek im Jahr 2008 ausfindig: Storms lebt da seit mehr als sechs Jahrzehnten unbehelligt in Duisburg. Manoschek führt mehrere Interviews mit Storms, der sich an die Tat vorgeblich nicht mehr erinnern kann. Daraus entsteht der Film "Dann bin ich ja ein Mörder".
Über die Begegnungen mit dem SS-Mann und die Versäumnisse der Justiz sprach Manoschek im STANDARD-Interview.


31. März 1945
In Linz fallen Bomben (Marlene Erhart)
Bereits seit Monaten fliegen die Alliierten immer wieder Luftangriffe auf Linz, in deren Mittelpunkt strategische Ziele wie etwa die Hermann-Göring-Panzerwerke stehen. Am 31. März wird bei einem Bombenangriff US-amerikanischer Truppen das Linzer Frauengefängnis Kaplanhof getroffen. Mehr als 160 Frauen sind zu diesem Zeitpunkt am Areal des ehemaligen Gutshofs in der Kaplanhofstraße 40 inhaftiert, Stadtpläne zeigen dort mehrere Baracken. Die Gefangenen sind vornehmlich Regimegegnerinnen, darunter etwa Mitglieder der von der Gestapo als „Welser Gruppe“ bezeichneten Widerstandsbewegung. Auch Russinnen, Ukrainerinnen, Griechinnen, Französinnen und Frauen anderer Nationalität, die in Fabriken und auf Feldern in der Umgebung Zwangsarbeit leisten müssen, sind in der provisorischen Haftanstalt eingesperrt.
IMAGO/piemags
Geplagt von Hunger und Läusen (Marlene Erhart)
Die Lebensbedingungen der Inhaftierten im Frauengefängnis Kaplanhof sind katastrophal. Die Zellen des Gefängnisses sind völlig überbelegt, die hygienischen Bedingungen erbärmlich. Inhaftierte werden von Läusen und Wanzen geplagt, nur alle zwei Wochen dürfen die Frauen ihre Wäsche wechseln. In der Früh gibt es für die Frauen einen Kaffee, zu Mittag ein Kilo Brot, das sich je 12 Insassinnen teilen müssen, dazu bekommen sie eine Suppe. Etwas besser gestellt sind jene, die von Verwandten mit Kleidung und Essen versorgt werden können, wobei die von Angehörigen gesendeten Pakete aber nicht immer bei den Gefangenen ankommen. Auch die monatliche Besuchserlaubnis wird häufig verweigert. Von dem seit 1944 bestehenden Gefängnis gingen regelmäßig Gefangenentransporte in verschiedene Konzentrationslager, etwa in das Frauen-KZ Ravensbrück.
1744132624583.png
Flammen, Chaos und Schüsse (Marlene Erhart)
Das Frauengefängnis Kaplanhof fängt durch das Bombardement der Alliierten Feuer. Die durch Holzwände in Zellen unterteilten Gefängnisbaracken stehen in Flammen. Maria Ehmer, eine der Gefangenen, spricht von einem lauten Knall, von zweistündiger Bombardierung, von Schreien und Chaos. Manche Frauen, die versuchen, sich zu retten, werden von der SS erschossen, andere werden von herabstürzenden Gebäudeteilen erschlagen oder kommen im Feuer ums Leben. Rund 100 Frauen, also mehr als die Hälfte der Inhaftierten, sterben. Die hohe Opferzahl ergibt sich auch daraus, dass es den Gefangenen wegen eines vorangegangenen Fluchtversuchs nicht mehr erlaubt ist, bei Fliegeralarm Zuflucht in den Luftschutzgräben zu suchen.

Das Schicksal der überlebenden Frauen (Marlene Erhart)
Rund 60 Gefangene des Frauengefängnisses Kaplanhof überleben, als dieses beim Luftangriff auf Linz getroffenen wird. Sie werden infolge in das „Arbeitserziehungslager Schörgenhub“ der Staatspolizei Linz im Süden der Stadt verlegt. Es ist ein Lager für Menschen, die vom NS-Regime als „Arbeitsverweigerer“ und „Arbeitsflüchtlinge“ eingestuft werden. Das dortige Frauenlager ist mit provisorischen Pritschen eingerichtet, die Versorgung wird als verheerend beschrieben. Generell ähneln die Zustände jenen in Konzentrationslagern. Unter den überlebenden Frauen, die hierher verlegt werden, ist auch die Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig. Wenige Tage vor Kriegsende wird sie – wie viele andere im Lager – von der SS erschossen.
Fahrzeuge dürfen Wien nicht mehr verlassen (David Rennert)
Schauplatzwechsel nach Wien: "Das Verlassen des Gebietes des Reichsgaues Wien (...) wird mit sofortiger Wirkung für motorisierte und bespannte Fahrzeuge aller Art, mit Ausnahme der Fahrzeuge der Wehrmacht, SS und Polizei, verboten", ist im "Neuen Wiener Tagblatt" vom 31. März 1945 zu lesen.
Unter dem Titel "Sternschnuppen im April" hat die Zeitung an diesem Tag auch noch leichte Kost zu bieten: "Sternschnuppen sind bei jedermann beliebt, geht doch von ihnen die Sage um, daß sie Wünsche erfüllen. Man braucht nur beim Aufleuchten dieser glänzenden Boten aus dem All blitzschnell einen Wunsch auszusprechen, und dann geht er nach alter Volksmeinung in Erfüllung."
Neues Wiener Tagblatt, 31.03.45 Die Front rückt näher:
"Anordnung des Reichsverteidigungskommissars für den Reichsverteidigungsbezirk Wien"
ANNO, Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 1945-03-31, Seite 2
Eingeständnis zwischen den Zeilen (David Rennert)
Dass sowjetische Truppen auf dem Boden der Alpen- und Donau-Reichsgaue (sprich: im heutigen Österreich) stehen, lässt sich für Geografiekundige an diesem 31.3. auch aus dem offiziellen Wehrmachtsbericht herauslesen. "Südwestlich Koermend und im Gebiet nördlich Guens konnten die Bolschewisten nach harten Kämpfen weiter vordringen." 22 Gemeinden auf heutigem österreichischen Gebiet sind bereits befreit, darunter Mattersburg.
Sowjetische Truppen rücken vor (Marlene Erhart)
Die 6. Panzerarmee, auch Panzerarmeekommando 6, der Wehrmacht errichtet in der Burg zu Wiener Neustadt ihren Gefechtsstand. Indes gelingt es sowjetischen Truppen, zwischen der 12. und 13. SS-Panzerdivision durchzubrechen und bis Deutschkreutz vorzudringen. Durch einen erfolgreichen Gegenangriff können die SS-Brigaden verhindern, eingeschlossen zu werden, und sich nach Sopron absetzen.
Die Rote Armee erreicht um 14 Uhr die Ortschaft Edlitz und besetzt später an diesem Tag Grimmenstein. Um 16 Uhr nehmen sowjetische Truppen Thernberg ein, auch Scheiblingkirchen wird besetzt. Weiter im Süden wird Aspang erreicht, Aufklärungstrupps dringen bis St. Corona am Wechsel vor.
1744133218475.png
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#2
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 2:
1. - 3. April 1945


1. April 1945
Wiener Neustadt in Schutt und Asche (Thomas Bergmayr)
In den Tagen vor dem heutigen Ostersonntag hatten vor allem Bomber der 15. US-Luftflotte die Bahnhöfe von Wiener Neustadt in Schutt und Asche gelegt. Am Vortag hatten noch einmal bis in den frühen Abend sowjetische Jagdbomber den Fliegerhorst und die Bahnanlagen der Stadt angegriffen. Viele der abgeworfenen Bomben waren im südlichen Teil der Stadt eingeschlagen. Dort wüten am Vormittag immer noch Brände, zum einen, weil die Wasserversorgung nicht mehr funktioniert, zum anderen, weil in der Stadt keine Kräfte und kein Gerät zum Brandlöschen mehr vorhanden sind.
imago/Arkivi
Evakuierung von Wiener Neustadt (Thomas Bergmayr)
Da die Front immer näher rückt, war die Evakuierung von Wiener Neustadt bereits am 30. März angeordnet worden. Das Donnern der Gefechte lässt die noch in der Stadt verbliebene Bevölkerung das Schlimmste befürchten. Schließlich wird auch der Fliegerhorst geräumt. Alles, was nicht abtransportiert werden kann, wird zerstört.
Am Nachmittag werden Lanzenkirchen, Frohsdorf und Katzelsdorf im Süden der Stadt von den Russen besetzt. Russische Panzerverbände stoßen auch von Mattersburg aus kommend bis nach Neudörfl im Osten von Wiener Neustadt vor.
Panzer werden in Stellung gebracht (Thomas Bergmayr)
Ein deutsches Bataillon (Lehrgruppe I) hat Verteidigungsstellungen vom Eisenbahnübergang an der Straße Wiener Neustadt-Schwarzau (heute B54) entlang des Bahndamms der Mattersburgerbahn und weiter entlang der Akademieparkmauer bis zur Neudörflerstraße im Südosten bezogen. Unterstützt wird das Bataillon durch die 3. Kompanie des 1. SS-Panzerregiments der 1. SS-Panzerdivision, die gerade zehn neue Panzer IV übernommen hat. Gemeinsam mit vier Panzern V (Panther) der Panzer-, Ersatz- und Ausbildungsabteilung 4 werden diese unter heftigem Beschuss nun in die Abwehrstellungen eingebunden.
Sowjetische Panzer erreichen den Eisenstädter Bahnhof (Thomas Bergmayr)
Für die sowjetischen Truppen war der von hunderten später ermordeten Zwangsarbeitern errichtete Südostwall kein großes Hindernis. Am 29. März hatten erstmals Einheiten der Ukrainischen Division burgenländischen Boden betreten. Nur drei Tage später, am 1. April, erreichen sie mit 40 Panzern, 60 LKW und zwei Infanterie-Bataillonen den Eisenstädter Bahnhof.
Voller E. dpa picturedesk.com
Das Bild zeigt Anfang April 1945 vorrückende sowjetische Truppen in der Umgebung von Wien.
Eisenstadt: Flucht in die Keller und Höhlen (Thomas Bergmayr)
Von den etwa 7.000 Einwohnern flieht die Hälfte in Richtung Westösterreich. Der Rest versteckt sich am Ostersonntag in den Luftschutzbunkern der Stadt, darunter jenem in der Bergstraße oder den Kellern des Franziskanerklosters. Auch in den Naturhöhlen des Leithaberges suchen die Menschen Schutz.
Volkssturm legt die Waffen nieder (Thomas Bergmayr)
Da sich die deutsche Wehrmacht bereits zuvor kampflos zurückgezogen hatte, wird die Verteidigung Eisenstadts dem Volkssturm und den Landesschützen überlassen. Die Kämpfenden setzen sich mehrheitlich aus Jugendlichen und Alten zusammen. Die Panzer der Roten Armee umgehen die errichteten Sperren und greifen Eisenstadt vom Leithaberg her an. Bereits um 14 Uhr wird bekannt, dass die Landesschützen und der Nazi-Befehlshaber nach Stotzing geflohen sind. Um 15 Uhr schließlich legt der Volkssturm die Waffen nieder und geht nach Hause. Eisenstadt ist befreit.
Bevölkerung von Graz wird aufgefordert, die Stadt zu verlassen (Klaus Taschwer)
In Graz wird die Bevölkerung an diesem Ostersonntag von Gauleiter Uiberreither per Radioansprache informiert, dass sie die Stadt verlassen könne. Höchste Eile ist geboten, denn es werden Bombardierungen durch die Alliierten befürchtet. Wie der Historiker Stefan Karner in seiner voluminösen neuen Uiberreither-Biografie berichtet, ordnet der steirische Reichsstatthalter am 1. April zudem die vollkommene Vernichtung und Verbrennung aller politischen Akten an. Zeugen berichten laut Karners Darstellung, dass es insbesondere in den Höfen der Polizei und Gestapo, aber auch des Landhauses und der Grazer Burg meterhoch brennt.
Todesmarsch aus dem KZ-Außenlager Hinterbrühl beginnt (Klaus Taschwer)
Hinterbrühl ist eine Gemeinde rund 25 Kilometer südöstlich von Wien. Ihre Hauptattraktion ist die Seegrotte, ein ehemaliges Gipsbergwerk. In der NS-Zeit wird sie trockengelegt, damit dort Zwangsarbeiter ab 1943 unter miserabelsten Bedingungen Jagdflugzeuge herstellen.
Als die Rote Armee vom Süden und Osten immer näher rückt, lassen die Nazis dieses eilig errichtete Außenlager des KZs Mauthausen auf und beginnen, 1.884 Lagerinsassen nach Mauthausen zu treiben. 51 Häftlinge, die marschunfähig sind, werden noch an Ort und Stelle von SS-Männern mittels Benzininjektionen getötet oder erwürgt. 204 der Zwangsarbeiter werden auf dem Weg nach Oberösterreich sterben.


2. April 1945
Schwere Kämpfe am Boden und Bombardierung aus der Luft (Klaus Taschwer)
Guten Morgen zum historischen Ticker über die Ereignisse vor 80 Jahren in Österreich! In der Nacht vom 1. auf 2. April 1945 – also von Ostersonntag auf Ostermontag – wurde im Deutschen Reich auf die Sommerzeit umgestellt. Die Wiedereinführung der Sommerzeit in Österreich 1940 (nachdem sie schon im Ersten Weltkrieg praktiziert wurde) geht damit auf die Nazis zurück.
Die Kämpfe im Osten, sowohl am Boden wie aus der Luft, erreichen heute weitere Höhepunkte: Wiener Neustadt, bis dahin die am heftigsten bombardierte Stadt im heutigen Österreich, wird im Laufe des Tages von der Roten Armee eingenommen werden, die bis Baden bei Wien vordringt. In Graz kommt es zu schwersten Luftangriffen und am Abend zu einem der besonders schweren Kriegsendverbrechen. Und in Hochwolkersdorf in der Buckligen Welt wird von heute an österreichische Geschichte geschrieben werden.
Panzergefechte um Wiener Neustadt (Thomas Bergmayr)
Am Morgen des Ostermontags liefern sich deutsche und russische Panzer noch heftige Gefechte am Rand von Wiener Neustadt: Im Westen der Stadt ist das sowjetische IX. Garde-mechKorps über Weikersdorf bis Bad Fischau vorgedrungen. Die dort eingesetzten Teile der Kampfgruppe Groß, die aus versprengten Resten der 12. SS-Panzerdivision bestehen, werden auf die Hohe Wand zurückgedrängt. Auch die Lehrgruppe II (Bataillon Holzapfel) der Fahnenjunkerschule, Luftwaffenangehörige vom Fliegerhorst sowie Männer des Polizeiregiments Wien sollen die Stellung halten. Von Süden und Südosten drängt die Rote Armee mit Teilen der 99. und der 107. Garde-Schützendivision, unterstützt von Panzern des IX. Garde-mechKorps vor. Es kommt zu schweren Kämpfen.
Ein verlustreicher Häuserkampf soll vermieden werden, daher wird um 7 Uhr der Befehl an die Lehrgruppe I ausgegeben, sich nach Theresienfeld im Norden von Wiener Neustadt abzusetzen. Zwei Stunden später brechen die Fahnenjunker unter Feindfeuer das Gefecht ab und treten einen verlustreichen Rückzug an. Die SS-Panzerkompanie erhält keinen Absetzbefehl, doch ohne Infanterieschutz sind die Stellungen nicht zu halten. Als alle Munition verschossen und der Treibstoff aufgebraucht ist, zerstören die Besatzungen die Panzer und fliehen in Richtung Theresienfeld.
Voller E. / dpa / picturedesk.com
Letzter Luftangriff auf Wiener Neustadt (Thomas Bergmayr)
Mittlerweile haben sowjetische Truppen von Osten kommend den Akademiepark und die Burg erreicht. Kompaniechef SS-Obersturmführer Sternebeck nutzt das Überraschungsmoment und bricht mit acht Panzern gegen Norden durch. Auf dem weiteren Weg ins Piestingtal gelingt noch die Zerstörung einer sowjetischen Panzerabwehrkanonen-Kompanie sowie von 10 bis 12 sowjetische Panzer ohne eigene Verluste. Um 09.50 Uhr erfolgt der 29. und zugleich letzte Luftangriff auf Wiener Neustadt: 34 US-Jagdbomber vom Typ P-38 bekämpften nicht nur deutsche Jagdflugzeuge, sondern auch Bodenziele. Eine Bombe trifft vor der Burg eine abrückende deutsche Fahrzeugkolonne. 27 Soldaten finden den Tod.
Eine zerstörte Stadt (Thomas Bergmayr)
Am frühen Nachmittag schließlich wird Wiener Neustadt von sowjetischen Soldaten vollständig eingenommen. Sie finden eine zerstörte und entvölkerte Stadt vor. Von den ursprünglich rund 45.000 Einwohnern sind nur 900 in der Stadt geblieben, die sich in Bunkern, Luftschutzkellern oder Dachböden versteckt halten. 350 Fremdarbeiter und 200 internierte ungarische Juden überleben ebenfalls.
Die tragische Bilanz der Kämpfe um Wiener Neustadt: Zwischen August 1943 und April 1945 fallen 56.611 Bomben auf die Stadt. Von 4.196 Gebäuden sind 1.060 total zerstört und 1.450 schwer oder mittelschwer beschädigt. Der Luftkrieg forderte 502 zivile Tote, 106 weitere Personen gelten als vermisst. Ebenfalls den Luftangriffen fallen 161 Soldaten sowie 131 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene zum Opfer. Bei den Bodengefechten sterben 238 deutsche und 530 sowjetische Soldaten. 132 werden vermisst.
Gauleiter von Schirach erklärt Wien zur Verteidigungszone (Reinhard Kleindl)
Gauleiter Baldur von Schirach erklärt an diesem Ostermontag die Stadt Wien zum „Verteidigungsbereich“. Das bedeutet, dass Frauen, Kindern und alten Leuten empfohlen wird, die Stadt zu verlassen. In Wien schreibt jemand über eines der Plakate „Wohin?“
Im Wiener Musikverein gibt es noch ein letztes philharmonisches Konzert, bevor sich alles auf das Gefecht vorbereitet. Ältere Männer und Teenager der Hitlerjugend sollen die Stadt verteidigen. „Jeder von uns wird seine Pflicht bis zum Äußersten tun“, wird von Schirach tags darauf per Radiobotschaft verkünden.
Nach einem ruhigen, frühlingshaften Osterwochenende mit Temperaturen um 20 Grad können die Wienerinnen und Wiener die Vorzeichen des Kommenden inzwischen als Donnergrollen aus dem Süden hören.
Foto: SZ Photo / picturedesk.com (vor 1945)
Graz erlebt die schwersten Bombenangriffe (Reinhard Kleindl)
Am 2. April wird Graz von den bisher schwersten Bombenangriffen der US-Amerikaner getroffen – einen Tag, nachdem Gauleiter Uiberreither die Bewohnerinnen und Bewohner aufgefordert hat, die Stadt zu verlassen. Neben Wiener Neustadt gehört Graz zu den besonders stark bombardierten Städten, unter anderem aufgrund der Rüstungswerke im Süden von Graz.
Zeitzeuge Alexander Unger flieht gerade aus seinem Geburtsort Wolfau an der burgenländisch-steirischen Grenze vor den rasch vorrückenden russischen Truppen. Am 2. April, dem Ostermontag, macht er sich gemeinsam mit einem guten Bekannten auf den Weg in Richtung der steirischen Gauhauptstadt Graz, wie der aus der Steiermark stammende Historiker Kurt Bauer in seinem neuen Buch "Niemandsland zwischen Krieg und Frieden. Österreich im Jahr 1945" rekonstruiert. Die Hoffnung, von St. Johann in der Haide einen Zug nehmen zu können, wird enttäuscht. Züge verkehren nicht mehr. Man ergattert einen Platz auf einem LKW. Als sie sich vom erhöhten Osten aus der Stadt nähern, können sie von dort die heftigen Luftangriffe beobachten. Immer neue Bomben fallen auf Graz, wirbeln Staubwolken auf und setzen Gebäude in Brand.
Massenerschießungen in der SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf (Klaus Taschwer)
Angesichts der absehbaren Niederlage reagieren viele NS-Verantwortliche mit besonderer Härte und Grausamkeit. Einer der Gauleiter, der besonders unbarmherzig agiert, ist Sigfried Uiberreither in der Steiermark, der bis zuletzt an den Endsieg glaubt. Er ordnet am 2. April 1945 an, etwa 180 Personen in die SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf zu bringen. Dazu gehören rund 150 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter vom Südostwallbau, die nicht mehr marschfähig sind, Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer, Häftlinge aus den KZ-Außenlagern Aflenz und Peggau, „Ostarbeiter“ und Kriegsgefangene.
Nach dem Einbruch der Dunkelheit werden sie in der Kaserne erschossen und in Bombenkratern verscharrt. Darunter sind vier Frauen, zwei von ihnen russische Fallschirmspringerinnen. Die Exekutionen setzen sich in den nächsten Tagen fort. Zur Verschleierung der Verbrechen wird ein Teil der Opfer Ende April von der SS exhumiert und in ein Massengrab auf den Schießplatz Feliferhof überführt.
Das Haus der Geschichte Österreich hat zu diesen Ereignissen 2020 eine Gedenkintervention mit zusätzlichen Informationen gestaltet.
Auflösung des KZ-Außenlagers Peggau (Reinhard Kleindl)
Das Vorrücken der Roten Armee bringt auch das Ende für das KZ-Außenlager Peggau. Dieses Lager, rund 20 km nördlich von Graz und in einem sich verengenden Tal entlang der Mur gelegen, war erst im August 1944 errichtet worden. In der größten Felswand gibt es zahlreiche trockene Höhlen. Am Fuß der Wand, mitten im Ortsgebiet, trieben Häftlinge weitere Stollen in den Berg, 9.400 Quadratmeter Gesamtfläche waren geplant. Bald darauf waren fast 900 Internierte, hauptsächlich aus Polen und der Sowjetunion, damit beschäftigt, in den Stollen Flugzeugteile zu bauen. Das Lager selbst liegt nur einen Steinwurf entfernt, und wenn der Tross sich auf den Weg zu den Arbeitsstätten machte, gingen im Ort Peggau die Fensterläden zu.
Nach achtmonatigem Bestehen wird das Lager am Ostermontag aufgelöst, 875 Häftlinge werden zu Fuß nach Norden getrieben, um dort von Bruck an der Mur mit dem Zug weiter nach Mauthausen zu fahren. Mindestens 15 werden als nicht mehr marschfähig eingeschätzt und noch in Peggau ermordet. 820 Häftlinge schaffen es bis Mauthausen.
Zu den Ereignissen rund um das Kriegsende in der Steiermark wurde am 1. April 2025 im Museum für Geschichte in Graz eine neue Ausstellung eröffnet.
Die Operation Radetzky wird angebahnt (Klaus Taschwer)
Die österreichischen Freiheitskämpfer um Major Carl Szokoll, die sich im Wehrkreiskommando XVII (Sitz im jetzigen Regierungsgebäude am Stubenring) zusammengeschlossen haben und auch schon am gescheiterten Hitler-Attentat im Juli 1944 beteiligt waren, beschließen zu handeln.
Im Auftrag von Szokoll fährt Oberfeldwebel Ferdinand Käs in einem Wehrmachtsauto, das der Obergefreite Johann Reif in lenkt, in einer lebensgefährlichen Fahrt zur Front südlich von Wien. Er soll versuchen, mit der Roten Armee Kontakt aufzunehmen und Vorschläge für eine möglichst schonende Eroberung Wiens zu machen. So soll unter anderem die lebensnotwendige Wiener Hochquellenleitung geschützt werden. Zudem schlagen sie vor, dass Wien nicht von Süden, sondern nach einer Umgehung von Westen und Norden besetzt werden soll.
Die 9. Sowjetische Gardearmee beziehungsweise das Oberkommando der 3. Ukrainischen Front hat für einige Tage in Hochwolkersdorf, rund 75 Kilometer südlich von Wien, ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Käs und Reif gelingt es heute, mit dem Oberkommando in Kontakt zu treten. Hier wird sich in den nächsten Tagen das Schicksal Österreichs mitentscheiden.
Erst seit dem Sommer vergangenen Jahres wird der Widerstandstätigkeit Szokolls am heutigen Ministeriumsgebäude am Stubenring mit einer Ehrentafel gedacht (siehe Foto).
Klaus Taschwer


3. April 1945
Morgenappell zum 3. April: "Zeit der Bewährung ist gekommen" (Klaus Taschwer)
Wienerinnen und Wiener, die in der Früh des 3. April 1945 ihre Nazi-Zeitungen wie den „Völkischen Beobachter“ lesen, finden gleich auf Seite 1 Aufrufe des Reichsstatthalters Baldur von Schirach sowie von Sepp Dietrich zur Verteidigung Wiens. Dietrich ist jener deutsche SS-Mann, der militärisch dafür zuständig ist. Baldur von Schirach, der an diesem Tag auch das Standrecht verhängt, beginnt:
"Wiener und Wienerinnen!
Die Zeit der Bewährung ist gekommen. Der Russe, schon der traditionelle Feind des alten Österreich, nähert sich unserer Stadt. Jeder von uns wird seine Pflicht bis zum Äußersten tun. Aber auch jeder Helfer ist uns willkommen. Heute habe ich die Ehre, meinen alten Freund, den Obergruppenführer Generaloberst der Waffen-SS Sepp Dietrich, bei Ihnen einzuführen, dessen kampferprobte SS-Männer bei uns eingesetzt werden. Er ist Ihnen und allen deutschen Volksgenossen als Führer der SS-Leibstandarte Adolf Hitlers seit langem ein klarer Begriff geworden.
Ich bitte Sie, lieber Kamerad Sepp Dietrich, das Wort zu ergreifen".
Anno / ÖNB
Generaloberst Sepp Dietrich: "Der Kampf wird hart" (Klaus Taschwer)
Der aus dem "Altreich" stammende SS-Oberst-Gruppenführer Sepp Dietrich übernimmt von Schirach das Wort und richtet es ebenfalls an die
"Wiener und Wienerinnen:
Ich bin kein Mann der großen Worte und der geschliffenen Rede. Überdies zählen heute Taten viel, Worte wenig. Wenn ich mit meinen Männern mich der Verteidigung dieser schönen alten Stadt zugeselle, so geschieht dies mit dem festen und unverbrüchlichen Vorsatz, alles nur Menschenmögliche zu tun, dieses Bollwerk des deutschen Südostens unserem deutschen Vaterland zu erhalten.
Mehr zu versprechen, wäre verwegen. Der Kampf wird hart, der Erfolg schwer.
Sie, meine Wiener und Wienerinnen, kennen den Feind aus früheren Generationen Ihrer Geschichte. Sie kennen aber auch die europäische Aufgabe, der sich Wien niemals entzogen hat.
Halten wir zusammen, kämpfen wir zusammen. Es geht nicht um uns, es geht nicht um die Partei, es geht um unser Land.
Heil unserem Führer!"

Schwere Bombenangriffe und Luftkämpfe (Marlene Erhart)
Zwischen 1. und 3. April 1945 kommt es vor allem im Raum St. Pölten zu schweren amerikanischen Bombenangriffen. Um die Rote Armee auf dem Weg zur Befreiung von Wien zu unterstützen, soll das Verkehrsnetz beschädigt und so die Versorgung deutscher Truppen beeinträchtigt werden.
Am 1. April gibt der 24-jährige US-Kampfpilot Walter P. Manning den „Liberator“-Bombern der 15th Air Force bei einem Angriff auf Ziele in St. Pölten Begleitschutz. Nach der Mission fliegt die Gruppe auf dem Rückweg zum Flugplatz Ramitelli in Italien entlang der Donau, als sie bei Linz auf Wehrmachtflieger trifft. „Wir suchten nach feindlichen Lastkähnen auf dem Fluss, stattdessen sichteten wir feindliche Flugzeuge“, berichtet Flugoffizier James H. Fischer. Es sind Mitglieder des in Hörsching und Wels stationierten Jagdgeschwaders „Boelcke“.
Ein heftiges Luftgefecht entbrennt. Die acht US-Piloten schießen 12 Flugzeuge ab, eines wird von Manning getroffen. Über Kematen an der Krems wird sein Jagdflugzeug zum Absturz gebracht. Manning rettet sich mit dem Fallschirm aus der Maschine, die P-51 Mustang zerschellt am Boden. Auch ein zweites Flugzeug der Air-Force-Gruppe wird getroffen, der 20-jährige Flugoffizier William P. Armstrong kommt ums Leben.
Imago/Piemags
Dem Tod knapp entronnen (Marlene Erhart)
Am 3. April sitzt Leutnant Walter P. Manning in einer Zelle im Fliegerhorst Linz-Hörsching. Zwei Tage zuvor hat der US-Pilot den Abschuss seiner Maschine durch die Luftwaffe überlebt. Als er mit seinem Fallschirm nahe Kematen an der Krems landet, wartet dort ein aufgestachelter Mob. Soldaten der Nachrichtenabteilung Kematen bewahren ihn vor Misshandlungen und möglicherweise Schlimmerem. Sie übergeben ihn an den lokalen Gendarmerieposten, von wo er schließlich nach Hörsching gebracht wird. Als Kriegsgefangener steht er unter dem Schutz der Genfer Konvention.
Manning hatte zu diesem Zeitpunkt an mehr als 50 Missionen teilgenommen und sechsmal die Air Medal for heroism erhalten. Er gehört zu den sogenannten Tuskegee Airmen. Es ist eine Gruppe hauptsächlich afroamerikanischer Militärpiloten. Die ersten schwarzen Vertreter in der Air Force werden wegen der geltenden Rassentrennung in eigenen Einheiten zusammengefasst.
Nach Mannings Absturz trifft ihn der Rassenwahn des NS-Regimes. Nationalsozialistische Zeitungen berichten von „schwarzen Terrorfliegern“. Diese Erzählung fügt sich in umfassende Propaganda, in der alliierte Flugzeugbesatzungen etwa als „Kindermörder“ bezeichnet werden. Die Hetze wirkt. Noch ist Manning in seiner Zelle sicher, doch ein Lynchmob beginnt sich zu formieren.
US-Pilot Walter P. Manning wird erhängt (Marlene Erhart)
Die Hetzjagd auf den in Linz-Hörsching inhaftierten Kampfpiloten Walter P. Manning erreicht ihren grausamen Höhepunkt. Obwohl dem Kriegsgefangenen nach der Genfer Konvention Schutz zusteht, verschaffen sich örtliche NS-Funktionäre und zwei Luftwaffenoffiziere Zutritt zu seiner Zelle. In der Nacht vom 3. auf den 4. April zerren sie den 24-Jährigen ins Freie, wo er auch vom dort wartenden Mob schwer misshandelt wird. Seine Peiniger erhängen ihn vor dem Kommandanturgebäude des Fliegerhorsts an einem Laternenpfahl.
Mannings Mörder hängen dem Leichnam ein Schild um den Hals. „Wir wehren uns!“ steht darauf geschrieben. Eine Woche vor seinem 25. Geburtstag wird Leutnant Walter P. Manning Opfer einer der zahlreich vorkommenden Fliegerlynchmorde. Zugleich ist er der einzige schwarze Kampfpilot, der während des Zweiten Weltkrieges im heutigen Österreich erhängt wurde. Seine Leiche wird auf dem Gelände des Fliegerhorsts verscharrt.
Nach Kriegsende nehmen US-Behörden Ermittlungen auf, doch 1948 wird der Fall zu den Akten gelegt. Die wenigsten dieser Morde an Piloten werden aufgeklärt oder vor Gericht gebracht. Vielfach bleibt ihr Schicksal unklar, sie gelten als vermisst. Im April 2018 wird am nunmehrigen Fliegerhorst Vogler eine Gedenktafel für den ermordeten Piloten Manning enthüllt.
1744146199725.png
Aufruf zu Lynchjustiz an „Feindfliegern“ (Marlene Erhart)
Da die deutsche Luftwaffe den alliierten Bombardements ab Ende 1943 militärisch kaum noch beikommt, soll die Kriegsmoral der Bevölkerung durch entsprechende Propaganda aufrechterhalten werden. In einer Rede hetzt Joseph Goebbels im Juni 1944 gegen westalliierte Flugzeugbesatzungen und ruft zur Lynchjustiz auf. Der Luftkrieg gegen das Deutsche Reich wird als Verbrechen verdammt. Gegen Piloten wird mit Begriffen wie „Terrorflieger“, „Lufthunnen“, „Kindermörder“ und „Luftgangster“ Stimmung gemacht.
Die Folge sind regelrechte Mordwellen im ganzen Deutschen Reich. „Gegen die Lynchjustiz an abgesprungenen Feindfliegern seitens der Bevölkerung (besonders durch Angehörige der NSDAP) ist von der Gendarmerie nicht einzuschreiten“, heißt es in einem fernmündlichen Befehl des Gauleiters August Eigruber vom 27. Februar 1944. Die Information sei streng geheim zu halten.
Piloten, die Abstürze überstehen, wird nötige, oft lebensrettende Hilfe verwehrt, darüber hinaus werden sie teils brutal von der Bevölkerung misshandelt oder umgebracht. Im heutigen Österreich verdichten sich diese Verbrechen im April 1945 vor allem rund um Linz. Etwa 100 US-Flieger werden ermordet, 22 davon im Umkreis von Linz.
Imago/Piemugs
Die Rote Armee erobert Gloggnitz, und Karl Renner meldet sich (Klaus Taschwer)
Die Rote Armee bringt die Stadt Gloggnitz im südlichen Niederösterreich unter ihre Kontrolle. Dort begibt sich ein alter, weißhaariger Bewohner zur sowjetischen Ortskommandantur und bittet um schonende Behandlung der Bevölkerung. Was der 74-Jährige, der den Krieg in Gloggnitz überstanden hat, nicht weiß: Angeblich suchen die Rotarmisten bereits nach ihm.
Der Sozialdemokrat Karl Renner, Staatskanzler von 1918 bis 1920 und Nationalratspräsident 1931 bis 1933, wird ins nächstgelegene Kommando nach Köttlach geschickt. Dass Renner, der 1938 noch den „Anschluss“ Österreichs befürwortet hat, bei den Sowjets aufschlägt, quittiert Stalin in Moskau angeblich mit folgenden beiden Sätzen: „Was, der alte Verräter lebt noch immer? Er ist genau der Mann, den wir brauchen.“
OpenSteetView contributors
Wie Rotarmisten in Hochwolkersdorf einmarschiert sind (Klaus Taschwer)
Einige Tage bevor Renner und die Verbindungsleute der Operation Radetzky in Hochwolkersdorf eintreffen, hat eine Vorhut der Roten Armee den Ort in der Buckligen Welt erreicht, wo nun über die Zukunft Österreichs verhandelt wird. 70 Jahre später erinnert sich Zeitzeuge Georg Steiner im STANDARD an diese erste Begegnung mit den Rotarmisten, die mit einem Gepolter plötzlich auf ihren Pferden in der Küche gestanden seien, in die sie einfach hoch zu Ross hereingeritten sind.
„Wir versteckten uns unter dem Tisch und haben gezittert vor lauter Angst. Aber auch die Russen haben sich gefürchtet, hat man uns später erzählt. Nachdem, was unsere Leut’ in Russland gemacht haben, mussten sie ja denken, wir sind Barbaren. Germanski, Germanski haben sie immer wieder gerufen. Sie haben nach SSlern gesucht."
In Hochwolkersdorf wird über die Zukunft Wiens beraten (Klaus Taschwer)
Während die Wiener Bevölkerung auf den Endkampf eingeschworen wird, werden in der Buckligen Welt gut 70 Kilometer südlich der Hauptstadt demnächst Vorkehrungen getroffen, wie eine möglichst unblutige Übergabe der Stadt ohne viel Zerstörung gelingen kann. Denn Hitlers Nerobefehl vom 19. März sah eine Politik der „verbrannten Erde“ vor: Jegliche Infrastruktur sollte vor der Niederlage unbrauchbar gemacht werden, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung.
Oberfeldwebel Ferdinand Käs und Obergefreiter Johann Reif von der Operation Radetzky haben ihre hochgefährliche Fahrt durch die Front überstanden und sind bereits gestern in Hochwolkersdorf eingetroffen. Mit dem Mitglied des Kriegsrates der 3. Ukrainischen Front, Generaloberst Aleksej S. Zeltov, haben sie das weitere Vorgehen besprochen.
Letzte Vorbereitungen für weitere Exekutionen in Graz (Klaus Taschwer)
In Graz gehen die Exekutionen in der SS-Kaserne Wetzelsdorf weiter, die am Tag zuvor begonnen haben. Zu den Opfern gehören diesmal die steirische Juristin Julia Pongracic, die in der Behörde des Reichsstatthalters arbeitete, sowie Widerstandskämpfer um die Gruppe von Rudolf Hübner.
Weil der berüchtigte Gestapo-Kommissar SS-Scharführer Adolf Herz die Exekution durch den Strang verweigert, werden die zum Tode Verurteilten zu zweit aneinandergekettet am 3. April 1945 um 19 Uhr vom Grazer Polizeigefängnis am Paulustor in die SS-Kaserne Wetzelsdorf überstellt.
Dort ermordet sie ein eigens zusammengestelltes Exekutionskommando der Waffen-SS mit Genickschüssen. Die Leichen werden zunächst vor Ort verscharrt, dann in ein Massengrab am Feliferhof geworfen, um die Spuren zu verwischen.
Ein Zeitungsartikel, der mehrere Wochen später in der Grazer Volkszeitung über die Exekutionen berichtet, spricht von "unauslöschlichen Schande“. Der Verantwortliche für diese Hinrichtungen, Gauleiter Sigfried Uiberreither, wird straflos ausgehen und von 1947 bis 1984 unter einem Pseudonym unbehelligt in Sindelfingen leben.
Anno / ÖNB
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#3
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 3:
4. - 6. April 1945


4. April 1945
Die Operation Radetzky wird angebahnt (Klaus Taschwer)
(Am 2. April 1945 und bis weit in die Nacht des 3. April hinein haben Oberfeldwebel Ferdinand Käs und Obergefreiter Reif in Hochwolkersdorf mit dem sowjetischen Oberkommando verhandelt. Die Hauptergebnisse der Unterredungen: Käs verspricht namens der Freiheitskämpfer, den Kampf der Roten Armee zu unterstützen. Dazu gehört die Empfehlung, nicht vom Süden oder Osten her nach Wien vorzustoßen, sondern über den Westen, wo weniger Widerstand zu erwarten sei. Zudem würden die Freiheitskämpfer um Carl Szokoll sich bemühen, im Westen den Verteidigungsring zu öffnen.
Umgekehrt garantiert die Rote Armee, bei der Eroberung Wiens möglichst schonend vorzugehen, die Stadt nicht zu bombardieren und die Wasserleitung nach Wien zu schützen. Mit Leuchtsignalen soll der Beginn der aktiven Widerstandsaktionen in Wien mit dem Vordringen der Roten Armee koordiniert werden.
Käs und Reif gelingt es, am Morgen des 4. April nach neuerlicher abenteuerlicher Fahrt durch den Frontbereich von Hochwolkersdorf nach Wien zurückzukehren. Und noch am Vormittag des 4. April informieren Carl Szokoll und die Widerstandsgruppe im Wehrkreiskommando XVII über die Vereinbarungen mit dem sowjetischen Oberkommando. Damit ist die Operation Radetzky angebahnt.
Sowjetischer Tagesbefehl am 4. April: "Kein Kampf gegen die Bevölkerung Österreichs" (David Rennert)
Die Truppen der 3. Ukrainischen Front rücken immer weiter auf heute österreichischem Gebiet vor. Ihr Oberbefehlshaber Marschall Tolbuchin ermahnt im Tagesbefehl seine Truppen, keine Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung zu verüben, von denen vielerorts berichtet wird: "Bei der Befreiung Österreichs kämpft die Rote Armee gegen deutsche Besatzer und nicht gegen die Bevölkerung Österreichs. (...) Während ihr erbarmungslos mit den deutschen Unterjochern abrechnet – verschont dabei das friedliche österreichische Volk. (...) Möge euer Benehmen überall Achtung gegenüber der Roten Armee – der Befreierin – und gegenüber eurem machtvollen Vaterland hervorrufen."
Entsprechend der Moskauer Deklaration von 1943 ist auch in Tolbuchins Tagesbefehl Österreich das erste Opfer der nationalsozialistischen Aggression. Eine Logik, die Österreich nach dem Krieg jahrzehntelang dafür nutzen wird, eine bequeme Opferrolle einzunehmen und die eigene Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen kleinzureden.
Mil.ru CC BY 4.0
Im Bild: Marschall Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin (vorne) im Herbst 1944
Ein kurzer Blick über die Grenzen (Julia Sica)
Am 4. April wird Ungarn vollständig durch die Rote Armee besetzt. Während die Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs auf heute ungarischem Gebiet damit enden, sind ungarische Soldaten an anderen Fronten mitunter noch in Kämpfe verwickelt. Eine verkürzte Zusammenfassung des vorangegangenen Geschehens: Das „Königreich ohne König“, das 1920 bis 1944 von Reichsverweser Miklós Horthy geführt wurde und nationalistisch-antikommunistisch ausgerichtet war, war 1941 in den Krieg gegen die Sowjetunion eingetreten. 1944 marschierte die Wehrmacht ein und besetzte das Land.
Die sowjetischen Truppen nehmen am 4. April 1945 auch Bratislava ein, damit kommt das gesamte slowakische Staatsgebiet unter sowjetische Kontrolle. Unter dem Druck von Nazi-Deutschland wurde die Tschechoslowakei zerschlagen, 1939 bis 1945 gab es die Slowakische Republik, eine Diktatur, die mit den Nationalsozialisten verbündet war; 1944 hielten deutsche Truppen Einzug. Nach der Befreiung durch die Rote Armee folgt die Dritte Tschechoslowakische Republik – bis Prag eingenommen wird, dauert es aber noch bis zum 9. Mai. Tschechische Gebiete waren früh von Deutschland (Sudetenland, Protektorat Böhmen und Mähren) annektiert worden, andere Teile gingen an Ungarn und Polen – ohne Intervention von Frankreich und Großbritannien, als Teil der Appeasement-Politik gegenüber Hitler.
Graz-Liebenau als Zwischenstation der Todesmärsche (Karin Kirchmayr)
Anfang April dient das Lager Graz-Liebenau als Zwischenstation der Todesmärsche ungarischer Jüdinnen und Juden vom "Südostwall" in Richtung des KZ Mauthausen und des Außenlagers Gunskirchen. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hatten an der Errichtung des "Südostwalls" gearbeitet, der das Vorrücken der Roten Armee auf Graz und Wien stoppen sollte. Als das scheitert, werden sie "evakuiert".
Kein Häftling sollte lebend in die Hände der Alliierten geraten, weshalb "Marschunfähige", also Erschöpfte und Kranke, im damals bereits aufgelassenen Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau ermordet wurden.
7.000 bis 9.000 Personen passieren das damals aufgelassene Lager Liebenau. Viele der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sind im höchsten Grad unterernährt und krank. Einige haben Flecktyphus und werden zusammen mit den anderen entkräfteten Jüdinnen und Juden in gesonderten Baracken in der Nähe der Mur untergebracht. Laut Zeugenaussagen handelte es sich dabei um 200 bis 240 Personen. Sie müssen im Freien nächtigen und erhalten unzureichende Verpflegung.
Rainer Possert
"Keine Medikamente für diese Schweine" (Karin Kirchmayr)
Der Krankenwärter Hans Fugger arbeitet im Lager Graz-Liebenau, als es zur Zwischenstation für tausende Jüdinnen und Juden auf ihrem Todesmarsch nach Mauthausen wird. Er will den Kranken wenigstens die nötigen Medikamente verschaffen, die ausreichend vorhanden sind, wie die Historikerin Barbara Stelzl-Marx in einem 2013 erschienenen Buch rekonstruiert hat. Lagerleiter Nikolaus Pichler hindert ihn daran. "Für diese Schweine haben wir keine Medikamente", wird er zitiert. Er befiehlt Fugger, Morphiumspritzen herzurichten, denn man werde "die Juden nicht länger füttern". Als Fugger den Einsatz von "Todesspritzen" verweigert und dem Gesundheitsamt eine Meldung machte, lässt Pichler Kranke in den nahen Luftschutzkeller tragen. "Jetzt geht der Spaß los", soll er gesagt haben. Dann hört man Schüsse.
Mindestens 34 Personen werden in Graz-Liebenau erschossen und in Massengräbern verscharrt. Lange Zeit ist über das ehemalige NS-Lager buchstäblich Gras gewachsen. Ein erst 2023 abgeschlossenes Forschungsprojekt brachte berührende Überreste zutage.
Sieben junge Deserteure werden erschossen (Karin Kirchmayr)
Am 4. April werden sieben junge Soldaten am Stadtrand von Graz erschossen. Sie mussten zu Fuß durch die Oststeiermark marschieren – trotz der aussichtslosen Lage schickt das Nazi-Regime noch Tausende an die Front. Als sich die Soldaten beim Marsch über die Riesstraße in einem Waldstück verstecken wollen, werden sie aufgegriffen. Sie werden vom Standgericht in der nahegelegenen Reiterkaserne zum Tode verurteilt und zur Abschreckung für nachfolgende Einheiten auf der Ries aufgehängt. Die Namen der jungen Männer blieben unbekannt. Ihnen ist das wohl älteste Deserteursdenkmal gewidmet: Bereits im April 1954 wurde von Mitgliedern der Freien Österreichischen Jugend ein schlichtes Gedenkkreuz aus Holz errichtet. Unbekannte entfernten es kurze Zeit später. Erst 1988 wurde ein steinernes Gedenkkreuz auf der Ries enthüllt.
Eine Tafel trägt die Aufschrift: "Hier wurden am 4. April 1945 7 junge Soldaten wegen Widerstandes hingerichtet" – von der Desertion ist keine Rede, wie Gedenkinitiativen kritisieren. Es zeigt, wie lange diese Gruppe im Gedenken ein Tabu war. Erst 2014 wurde mit dem Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz auf dem Wiener Ballhausplatz eine kollektive Gedenkstätte errichtet. Insgesamt wurden während des Zweiten Weltkrieges 25.000 bis 30.000 Todesurteile gegen Deserteure, Selbstverstümmler, "Wehrkraftzersetzer" und Kriegsdienstverweigerer verhängt. Mehr als die Hälfte dieser Urteile wurde vollstreckt, circa 2.000 davon betrafen Österreicher.
Aus den Zeitungen am 4. April (I): Propaganda auf wenig Papier (Julia Sica)
Zu diesem Zeitpunkt bestehen die österreichischen Zeitungen nur mehr aus einem oder zwei Blättern, der Grund ist Papiermangel. Regelmäßig wird mitgeteilt, zu welchen Uhrzeiten Verdunkelung angesagt ist, um Luftangriffe der Alliierten zu erschweren („erfahrungsgemäß ist jedes Licht Bombenziel“).
Die Propaganda ist in vollem Gange, das „Vorarlberger Tagblatt“ titelt etwa „Fanatischer Lebenswille gegen hasserfüllten Vernichtungswillen“ und „Dem Freunde das Herz, dem Feinde das Erz – Entweder wir siegen, oder der Feind geht über unsere Leichen“. Laut einer Chronologie in der „Neuen Warte am Inn“ sabotiert England unter Churchill seit 1933 großzügige Friedensangebote vonseiten Hitlers (siehe Bild).
Im „Neuen Wiener Tagblatt“ schreibt SS-Kriegsberichter Walter Kalweit zur „Entscheidungsschlacht vor Wien“, dass die Sowjetpanzer nach dem ungarischen Flachland im Mittel- und Hochgebirge nun vor größeren Herausforderungen stünden: „Der Feind ist sehr gut zum Stehen zu bringen.“ Auch Wien sei auf den Ansturm vorbereitet: Wenn sich nur „genügend tapfere Herzen finden, die unter Ausnützung aller gegebenen natürlichen Verteidigungsanlagen dem Feind einen Halt entgegensetzen, dann wird der Gegner eine Überraschung erleben, dass ihm dabei Hören und Sehen vergeht“. Jeder „anständige Kerl“ sei fest entschlossen, die Wiener Heimat (einmal mehr) „vor dem Sturm aus Asien zu bewahren“.
Anno / ÖNB
Aus den Zeitungen am 4. April (II): Fußball und Tomaten (Julia Sica)
Was den Alltag der Menschen sonst beschäftigte, zeigt sich ebenfalls beim Lesen der zeitgenössischen Journale. An diesem Tag kann man neben Todesmeldungen, Fortsetzungsromanen und Tipps zum Strecken von Rauchtabak beispielsweise etwas über Personalmangel im Fußball erfahren. Eigentlich hätten zu Ostern offiziell fünf Fußballspiele in Wien stattfinden sollen, aber weil nicht jede Mannschaft elf Spieler zusammenbringen konnte, kam nur eines zustande: Austria gegen WAC – nicht der Wolfsberger, sondern der Wiener Athletiksport Club. Spielt der WAC heute nicht mehr im Ligabetrieb Fußball, wurde er 1931 noch Pokalsieger.
Die Violetten treten mit zahlreichen Ersatzleuten an und werden auf dem Pratersportplatz 6:0 geschlagen. Auf Fußballplätzen in Hütteldorf und Favoriten treten jeweils kombinierte Mannschaften gegeneinander an. Das Team des FC Wien und der Kriegsspielgemeinschaft (KSG) Oberlaa/Felten gewinnt etwa 4:2 gegen das Konglomerat aus Admira und FAC (Floridsdorfer Athletiksport-Club).
Derweil erhält man in den Nachrichten die Illusion aufrecht, dass man den Alliierten noch bis zum Herbst widerstehen kann. In der „Kleinen Wiener Kriegszeitung“ heißt es unter dem Titel „Alle werden Selbstversorger“: „Denk einmal darüber nach: Irgendwo kannst du wenigstens ein paar alte Kisten oder sonstige Behälter mit Tomaten (sic) bepflanzen und in einem sonnigen Winkel aufstellen. Von jeder Pflanze kannst du von August bis Oktober zwei bis drei Kilogramm der köstlichsten Früchte ernten.“


5. April 1945
Plünderungen und Flucht (Julia Sica)
In der Zivilbevölkerung eskaliert die Lage mancherorts. Man macht sich Sorgen, nicht mehr genügend Nahrungsmittel zu bekommen, oder will die fragile Lage ausnutzen.
An diesem Tag teilen Wiener Zeitungen mit, dass der Einzelhandel ein Paar Schuhe pro Person ausgeben soll. Wenige Schuhgeschäfte haben noch geöffnet, meist stehen nur noch Holzschlapfen zum Verkauf.
Laut der Wiener Rathauskorrespondenz befindet sich im heutigen 23. Bezirk, im Jesuitenkolleg Kalksburg, ein großes Lebensmittellager, das gestürmt wird. Polizei und SS kommen dazu und schießen auf die Plünderer. Mehrere Menschen sterben.
Sowohl in der Metropole als auch in kleineren Städten und Gemeinden gibt es Geschäfte, die leergekauft sind, und Gasthäuser, in denen man nichts mehr zu essen bekommt – daran erinnern sich auch Personen, die zu dieser Zeit in Scharen die Flucht Richtung Westen antreten. Kein leichtes Unterfangen: Züge und Busse sind überfüllt, dann wird vor allem gegen ausländische Mitreisende aus Ungarn oder Italien geschimpft, die teils unter Androhung von Gewalt und Totschlag zum Aussteigen gezwungen werden.
Auch das durch Bomben beschädigte Schienen- und Straßennetz setzt mancher Reise ein jähes Ende. Und es ist schwierig, informiert zu bleiben. Teils ist der Strom ausgefallen; im Radio sind keine Nachrichten mehr zu hören, es wird nur noch Musik gespielt.
Karl Renner bespricht mit den Sowjets die Wiedererrichtung der Republik (Klaus Taschwer)
In Wien ist es vorbei mit der Ruhe vor dem Sturm: Kanonendonner ist bereits in der ganzen Stadt zu hören. In Hochwolkersdorf, rund 70 Kilometer südlich, wird über die Zeit danach verhandelt. Nachdem Stalin gestern aus Moskau rückgemeldet hat, dass man Karl Renner das Vertrauen erweisen soll, kommt es am 5. April zu einer dreistündigen Besprechung mit dem 74-jährigen SP-Politiker. (In so gut jedem Text zu 1945 wird Renner rätselhafterweise ein Jahr älter gemacht.)
Mit dabei sind Aleksej Zeltov, der Leiter der 7. Abteilung der Politverwaltung der 3. Ukrainischen Front, Oberst Georgij Piterskij und eine überraschend große Anzahl hoher Offiziere. Zeltov sagte Renner weisungsgemäß zu, dass die Rote Armee ihn unterstützen werde, und forderte ihn auf, seine Pläne in einem Memorandum an die Rote Armee schriftlich niederzulegen.
Die Darstellungen gehen in diesem Punkt auseinander: Renner gibt an, diesen Vorschlag abgelehnt zu haben, da ihn eine solche Vorgangsweise als Beauftragten der Sowjets erscheinen ließe. Das sowjetische Protokoll hingegen lautet, dass Renner sehr wohl versprach, der Roten Armee bis 9. April einen Plan vorzulegen.
Renner gibt an, dass er zur Wiedererrichtung der Republik die Wiedereinberufung des 1933 aufgelösten Parlaments vorgeschlagen habe, das sodann eine neue Regierung wählen solle. Daran findet die Führung der Exil-KPÖ in Moskau wenig Gefallen, da sie im Parlament vor der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur nicht vertreten war.
akg-images / picturedesk.com
Wien: Naziprofessor ermordet zwei Chemiker in der Währinger Straße (Klaus Taschwer)
Das chemische Institut der Universität Wien ist Schauplatz eines brutalen Kriegsendverbrechens. Deren interimistischer Nazirektor Viktor Christian hat wenige Tage zuvor angeordnet, alle wichtigen und teuren Instrumente der Universität vor der heranrückenden Roten Armee zu zerstören, damit sie nicht in die Hände der Sowjets fallen.
Die beiden jungen Chemiker Kurt Horeischy und Hans Vollmer wissen, dass der stellvertretende Institutsleiter Jörn Lange diesen Befehl an einem damals noch seltenen Elektronenmikroskop vollstrecken würde. Die beiden Forscher gehören der im Oktober 1944 gegründeten Widerstandsgruppe Tomsk an und versuchen, die Tat zu verhindern, die Lange zur Mittagszeit in Angriff nimmt.
Die jungen Chemiker stellen sich ihrem Vorgesetzten in den Weg und werden daraufhin von Lange kaltblütig erschossen. Lange führt daraufhin die angeordnete Zerstörung mit Hammer und Meißel durch.
Ein historischer Ticker hat den Vorteil, in die damalige Zukunft blicken zu können: Jörn Lange wird kurz nach der Befreiung Wiens verhaftet und am 15. September 1945 vom Volksgericht Wien zum Tod durch Erhängen verurteilt (hier geht es zum Volksgerichtsurteil, hier zu einem Pressebericht). Er wird sich der Exekution am 21. Jänner 1946 durch Suizid entziehen.
Anno / ÖNB
Baldur von Schirach verlässt seinen Posten am Gallitzinberg (Klaus Taschwer)
Die Rote Armee erreicht heute den westlichen Stadtrand. Das deutsche Kommando begreift erst jetzt, dass die Rote Armee nicht von Süden her vordringt, wo starke Verteidigungsstellungen aufgebaut wurden.
Während für die Bevölkerung Durchhalteparolen wie am Foto oben ausgegeben werden, zeigt sich das Kommando wenig heldenhaft. Gauleiter Baldur von Schirach wird es mit seinem Stab am „Gaubefehlsstand“ am Gallitzinberg (aka Wilhelminenberg) angesichts der Roten Armee im Westen der Stadt zu heiß, und der Reichsverteidigungskommissar weicht zunächst in seinen Bunker auf der Hohen Warte aus.
Doch auch dort wird er bald abziehen, denn Widerständler werden Strom und Telefon kappen. Also übersiedelt er in die Kellergewölbe unter der Hofburg, wo zwei Stockwerke unter der Erde neben einem Lazarett auch Räumlichkeiten für von Schirach eingerichtet worden sind.
Die Endzeitstimmung dort muss absurd gewesen sein. Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb zitiert in seiner Schirach-Biografie aus Erinnerungen den Zeitzeugen Karl Zischka, der für die Funkverbindung nach Berlin sorgte:
„Es gab Konservendosen und Kaviar, und der Champagner ist geflossen. Alles, was wir unendlich lang nicht mehr gesehen haben […] Ich will nicht sagen, dass es Gelage gab, aber man hat sich mehr oder weniger gut unterhalten. Und jeder hat an den Sieg geglaubt. Jeder hat an die Wunderwaffe geglaubt, die irgendwie noch eingesetzt werden sollte.“
Die Operation Radetzky startet – und wird verraten (Klaus Taschwer)
Wie vor zwei Tagen in Hochwolkersdorf vereinbart, kreisen am 5. April drei sowjetische Flugzeuge über Wien und schießen rote Leuchtkugeln ab. Das ist der offizielle Startschuss für die Operation Radetzky, die Carl Szokoll, der Anführer der Verschwörung, nun offiziell ausruft. Zeitgleich kommen sowjetische Flugblätter in Umlauf, worin sowohl die Wiener Bevölkerung als auch österreichische Wehrmachtsangehörige zum aktiven Kampf gegen die deutsche Wehrmacht aufgefordert werden. Der Aufstand soll um Mitternacht vom 5. auf den 6. April beginnen.
Doch Major Karl Biedermann, Kommandant der Heeresstreife Groß-Wien, wird im Verlauf des Tages als Angehöriger der österreichischen Widerstandsbewegung verraten und auf Befehl des Kampfkommandanten von Wien verhaftet. In den frühen Morgenstunden des 6. April gibt Biedermann während der Verhöre unter Folter die Operation Radetzky preis, wodurch die Wehrmacht genaue Kenntnis über die Akteure und ihre Pläne gewinnt.
Landesgericht Wien wird geräumt, Figl kommt frei (Thomas Bergmayr)
Als die Rote Armee Wien erreicht, sind die Häftlinge im landesgerichtlichen Gefangenhaus in Wien schon marschbereit, sie sollen nach Westen abtransportiert werden. Doch es kommt anders: Der deutsche Gefängnisdirektor des Landesgerichts hat sich abgesetzt, sein österreichischer Stellvertreter teilt den Gefangenen am 5. April mit, sie würden freigelassen. Als einer der ersten kommt der Schauspieler Paul Hörbiger frei, es folgen andere politische Häftlinge wie der Journalist Ernst Molden und der spätere Bundeskanzler Leopold Figl.
Für 46 bereits zum Tode verurteilte Gefangene geht es allerdings weiter: Sie werden am Abend des 5. April aneinandergekettet und zu Fuß nach Stein getrieben. Zwei können unterwegs fliehen, die übrigen treffen am Morgen des 9. April im Zuchthaus Stein ein. Dessen Häftlinge sind zu diesem Zeitpunkt bereits fast alle teils ermordet, teils evakuiert (mehr zu dem schrecklichen Massaker im Ticker vom 6. April). Die 44 Häftlinge aus Wien werden am 15. April in Stein durch Genickschuß hingerichtet.
Bis zur letzten Hinrichtung am 4. April 1945 wurden im Landesgericht Wien kanpp 2.000 Personen exekutiert, vor allem Widerstandskämpferinnen und -kämpfer. Am 5. April montiert der Scharfrichter Ulicky das Fallbeil ab und flüchtet. Danach verliert sich die Spur des Henkers genauso wie die des Fallbeils. „Österreich hat von einer Verfolgung der drei Scharfrichter abgesehen“, schreibt Neues Österreich in seiner Ausgabe vom 3. Jänner 1948. (kri)


6. April 1945
Verhaftung weiterer Freiheitskämpfer der Operation Radetzky (Klaus Taschwer)
Nachdem am 5. April 1945 die Operation Radetzky aufgeflogen ist, wird in der Früh des 6. April nach weiteren Mitverschwörern gefahndet. Was nun geschieht, ist Gegenstand zahlreicher verschiedener Berichte. Welche Version davon stimmt, ist nicht ganz klar.
Eine Version lautet, dass der Zugriff auf weitere Freiheitskämpfer gegen 8 Uhr früh erfolgt. Eine SS-Abteilung gelangt mit dem Codewort „Radetzky“ ins Hauptquartier, wo sich Oberleutnant Rudolf Raschke und Hauptmann Alfred Huth befinden. Die beiden wurden sofort verhaftet. Dass nicht noch mehr Mitverschwörer sterben müssen, wird dem Mut und der Geistesgegenwart von Lotte Rohrer zugeschrieben, der Sekretärin von Carl Szokoll und der Verlobten von Huth.
Als ein SS-Kommando in Szokolls Büro erscheint, bietet sie den Männern an, Tee zu kochen und verwendet zum Unterzünden Papiere, die der SS keinesfalls in die Hände fallen durften. Als das Telefon läutet, greift sie schnell zum Hörer, spricht ihren Chef mit „gnädige Frau“ an – ohne dass die anwesenden SS-Männer begreifen, was los ist.
Szokoll ist damit gewarnt und kann rechtzeitig untertauchen. Sein Chauffeur Johann Reif soll daraufhin erneut die Frontlinie überschritten und das sowjetische Oberkommando vom Scheitern des Aufstandes informiert haben.
Einig sind sich alle Berichte in den Konsequenzen: Der bereits am 5. April verhaftete Major Karl Biedermann, Alfred Huth sowie Rudolf Raschke werden von einem Standgericht zum Tode verurteilt.
Der Kampf um Wien hat begonnen (David Rennert)
Wien ist bereits in einem weiten Bogen von der Roten Armee umschlossen – von Simmering bis Döbling. Um die Zugänge zur Stadt im Süden wird seit Tagen gekämpft, der Luftraum über Wien wird von sowjetischen Fliegern beherrscht. An diesem 6. April rückt die Rote Armee weiter vor, die Kämpfe erreichen erstmals das Wiener Stadtgebiet.
Schon seit den Morgenstunden wird die Stadt aus dem Süden durch sowjetische Artillerie beschossen. Es kommt zu erbitterten Gefechten der Roten Armee mit Angehörigen der 2. SS-Panzer-Division "Das Reich" und der 3. SS-Panzer-Division "Totenkopf".
"Artilleriefeuer schon morgens ziemlich heftig" (David Rennert)
In der Stadt sind Informationen spärlich. Wie viele Stadtbewohner ahnt Josef Schöner aber, dass es ernster wird. Der 41-jährige Diplomat, den die Nazis 1939 wegen "Unverlässlichkeit" in Ruhestand versetzt haben und der nun die Gastronomiebetriebe seiner Eltern verwaltet, schreibt in sein Tagebuch:
"Artilleriefeuer schon morgens ziemlich heftig, die Batterien des Flakturms schießen ohne Unterbrechung gegen Südosten. Alle Stunden stürzen Tiefflieger, in der Sonne glitzernd, auf den Turm hernieder und beschießen die Geschütze auf dem Plateau mit Bordkanonen und MGs. Ich sehe dieses Schauspiel aus nächster Nähe an, in eine Tornische der Siebensterngasse gepreßt. Straßenbahnen sind anscheinend eingestellt.
Um 9 h gehe ich wieder ins Büro. In den Straßen stehen noch immer Mengen vor den Lebensmittelläden angestellt, ebenso vor Schuhgeschäften, in denen Schuhe ohne Bezugsschein verkauft werden. Es ist doch eigenartig, früher sind die Frauen schon bei der Rundfunkansage "Einflug Kärnten – Steiermark" aus den Wohnungen und Büros in die Bunker und Keller gelaufen – jetzt lassen sie sich weder durch Artilleriefeuer noch durch russische Flugzeuge von der Straße vertreiben.
Im Dienst sitzen wir fast alle in der Portierloge, wilde Gerüchte über russische Vorausabteilungen am Margareten-Gürtel und Zentralfriedhof gehen herum. Ich glaube nicht, daß sie wirklich schon so weit sind."
Österreichischer Beitrag zur Befreiung (Tanja Traxler)
Auch wenn die Operation Radetzky zur kampflosen Übergabe Wiens gescheitert ist, so hat sie dennoch einen wichtigen Zweck erfüllt, wie der Journalist Herbert Lackner in seinem Buch über 1945 betont: „Österreich hat einen eigenen Beitrag zur Befreiung geleistet, wie das von den Alliierten in der Moskauer Deklaration von 1943 gefordert wurde, selbst wenn der Plan letztlich nicht verwirklicht werden kann.“
Neben der Symbolkraft spielt die Operation Radetzky trotz ihres Verrats den Alliierten doch auch militärisch in die Hände: Oberfeldwebel Ferdinand Käs kann den sowjetischen Kommandeuren bestätigen, dass sich die meisten verbliebenen Truppen der Wehrmacht und SS auf den Süden und Südosten von Wien konzentrieren, da sie den Angriff von dort erwarten. Von Westen her ist der Zugang viel schlechter abgesichert. Teile der Roten Armee bahnen sich folglich ihren Weg von Wiener Neustadt kommend über den Wiener Wald nach Wien.
Unübersichtliche Lage (Tanja Traxler)
Militärisch ist die Lage an diesem 6. April 1945 in Wien einigermaßen unübersichtlich. Am heftigsten wird in Favoriten und Simmering gekämpft, ausgerechnet auf dem Gelände des Zentralfriedhofs kommt es zu heftigem Blutvergießen und zahlreichen Todesopfern.
In den westlichen Bezirken ist der Widerstand durch die Wehrmacht nur noch recht schwach. Die Zivilbevölkerung widersetzt sich hier zunehmend den Befehlen von SS und Gestapo. So kommt es in Penzing zu folgender bemerkenswerter Szene: In Hadersdorf treibt die SS die Bewohner am Hauptplatz zusammen und fordert sie zur Flucht auf, denn die Russen würden die Frauen vergewaltigen und Männer und Kinder erstechen. Doch anstatt zu fliehen, treibt die Zivilbevölkerung lauthals die SS-Männer in die Flucht: "Gesindel! So habt ihr euch in Russland aufgeführt!"

Im Bild: Ein gestelltes Foto des Armeefotografen Jewgeni Chaldej von sowjetischen Truppen auf dem Weg nach Wien.
Absurde Fake News (David Rennert)
Die Zeitungen verbreiten indes weiterhin nur Desinformationen. Während die Gefechte schon in Hörweite der Wienerinnen und Wiener sind und in den Randbezirken der Häuserkampf beginnt, titelt die "Kleine Wiener Kriegszeitung" an diesem 6. April: "Durchbruch auf Wien gescheitert".
Statt Informationen über die militärische Lage der Millionenstadt finden Leserinnen und Leser Durchhaltepropaganda, die übliche antisemitische Hetze und einen Artikel über die Fallgeschwindigkeit des Regens bei einem Gewitter.
Anno / ÖNB
Zwischen Kampf und Kapitulation (Tanja Traxler)
Angesichts der ausweglosen Lage setzen sich hunderte Angehörige der Wehrmacht ab. Sie werden von der Bevölkerung mit Zivilkleidung versorgt und können untertauchen. Insbesondere in den westlichen Wiener Bezirken kippt die Stimmung: SS-Männer und kampfbereite Soldaten werden hier von Frauen beschimpft und teilweise mit Steinen beworfen, wie in der Wiener Rathauskorrespondenz zu lesen ist.
Andere sind hingegen noch längst nicht auf Kapitulation eingestellt, sondern wollen fanatisch bis zum letzten Moment weiterkämpfen.
Massaker in Krems (David Rennert)
Angesichts der bevorstehenden Niederlage greift unter Regimeanhängern tödlicher Fanatismus um sich. Ein besonders krasses Beispiel dafür ereignet sich am 6. April in Krems an der Donau: Hier werden hunderte Häftlinge des Zuchthauses Stein ermordet.
Das Heranrücken der Roten Armee und die zunehmenden Versorgungsengpässe veranlassen den Anstaltsdirektor Franz Kodré zur Weisung, möglichst alle der etwa 1900 Gefangenen freizulassen. Sie sind wegen politischer oder krimineller Delikte inhaftiert, neben vielen Regimegegnern sitzen auch Gewaltverbrecher, Deserteure, Homosexuelle oder Menschen, die "Feindsender" gehört haben, in Haft.
Die angeordnete Freilassung stößt unter fanatischen Wachbeamten auf Widerstand. Sie informieren die Kreisleitung von Krems und in weiterer Folge die Gauleitung über eine angebliche "Revolte" im Zuchthaus. Daraufhin werden Angehörige von SS, SA, Wehrmacht und Volkssturm losgeschickt, um die Häftlinge wieder ins Gefängnis zurückzutreiben. Unter den Gefangenen bricht Panik aus – Angehörige der Waffen-SS und der Wehrmacht eröffnen wahllos das Feuer.
"Es war, als bliebe die Zeit stehen" (David Rennert)
Auf Weisung des Gauleiters von Niederdonau, Hugo Jury, werden Gefängnisdirektor Kodré, sein Stellvertreter Johann Lang und drei Wachbeamte im Gefängnishof hingerichtet. Im Umland beginnt eine Menschenhatz: Soldaten, Polizisten und bereitwillige Helfer aus der Bevölkerung durchkämmen die Umgebung nach bereits entkommenen Häftlingen. Viele der Gefundenen werden an Ort und Stelle ermordet. Bis zu 500 Menschen überleben den Wahnsinn nicht. Die exakte Opferzahl ist nicht bekannt.
Eine minutiöse Rekonstruktion des Massenverbrechens von Stein legte zuletzt Karl Reder in seinem Buch "Tod an der Schwelle zur Freiheit" vor. Reder zitiert darin den Griechen Nikos Mavrakis, der das Massaker nur überlebte, weil er von der Leiche eines anderen Häftlings verdeckt wurde.
"Sie brachten uns zum letzten Platz, wo die Druckerei war. Dort sahen wir etwas, das uns das Blut in den Adern gefrieren ließ: einen Riesenhaufen mit Leichen (...). Wir standen wie versteinert da. Neben uns war die Mauer, an der Menschen erschossen worden waren. Das Blut floss in einem Rinnsal hinunter. (...) Niemand konnte denken oder sprechen. Es war, als bliebe die Zeit stehen."
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#4
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 4:
Rest 6. - 8. April 1945


6. April 1945 (Rest vom Tag)
Widerstandskämpfer verteidigt Simmeringer Gaswerk gegen SS (Tanja Traxler)
Hitlers „Nerobefehl“, wonach jegliche Infrastruktur unbrauchbar gemacht werden solle, bevor alliierte Truppen das Gebiet einnehmen, soll auch an diesem Tag im umkämpften Wien Folge geleistet werden. Am Nachmittag wird über das Radio die Durchsage gegeben: „Wien rechts der Donau“. Konkret bedeutet das, dass die kriegsrelevante Infrastruktur östlich vom Donaukanal zu zerstören ist und der Rückzug über den Donaukanal vorbereitet werden soll. Diesem Befehl will auch eine SS-Einheit nachkommen, die sich auf den Weg zum Simmeringer Gaswerk macht mit dem Vorsatz, dieses zu zerstören. Der mutige Gaswerk-Arbeiter Otto Koblicek stellt sich den SS-Männern entgegen. Er wird an Ort und Stelle in den Bauch geschossen und verwundet abtransportiert. Später wird er von Angehörigen einer NSDAP-Ortsgruppe ermordet. Kurz darauf erreichen sowjetische Truppen das Simmeringer Gaswerk, die SS-Männer ergreifen die Flucht – bevor sie das Werk zerstören konnten.
Heute ist zu Ehren des Widerstandskämpfers Koblicek eine Straße in Wien-Simmering benannt.
Wasserzufuhr unter sowjetischer Kontrolle (David Rennert)
Die Rote Armee hat mit Teilabschnitten der Wiener Hochquellenleitungen inzwischen auch die Wasserzufuhr nach Wien unter ihrer Kontrolle. Die sowjetische Armeeführung sieht aber von einer Sperre ab. Das Wasser ist in der Stadt bereits durch massive Beschädigungen des Leitungsnetzes infolge der Luftangriffe knapp.
In Wien kennt man die Pläne der sowjetischen Armeeführung freilich nicht. Angesichts einer möglichen vollständigen Unterbrechung der Wasserleitungen sieht der Bürgermeister von Wien, Hanns Blaschke, die Zeit für ein Ende des Kampfes gekommen: Der Wiener Bevölkerung sei nicht zuzumuten, ohne Wasser durchzuhalten. Die Bevölkerung würde im Ernstfall mit Recht meutern. Für Reichsverteidigungskommissar Baldur von Schirach ist Aufgeben keine Option – er droht Blaschke mit dem Erschießen.
Polizei an der Front, Bevölkerung plündert Geschäfte (Tanja Traxler)
Im Tumult der Kämpfe ist in Wien in der Zwischenzeit Chaos auf den Straßen ausgebrochen. Die Polizei ist zum Fronteinsatz befohlen worden, und so werden in der ganzen Stadt Geschäfte und Lager von der hungernden Bevölkerung geplündert.
Unter dem Diebesgut befinden sich neben Mehl und Kartoffeln insbesondere Hülsenfrüchte, Zucker, Rüben, Zwieback, Sardinendosen, Butterschmalz und Trockengemüse. In den kommenden Wochen wird die Beute der Bevölkerung das Überleben sichern.
Die letzten deutschen Flieger über Wien (Tanja Traxler)
Zum letzten Mal sind an diesem Tag Flugzeuge der deutschen Luftwaffe über Wien im Einsatz. Sie werfen Bomben auf Purkersdorf ab, dabei wird die Jakobs-Kirche getroffen und das Kirchendach und die Innendecke beschädigt. Am Tag zuvor ist die Rote Armee in Purkersdorf einmarschiert. Dutzende Einwohner, darunter viele überzeugte Nationalsozialisten, begingen daraufhin Suizid.
"Helft der Roten Armee, wo ihr könnt" (David Rennert)
Nun wendet sich der Oberbefehlshaber der 2. Ukrainischen Front, Marschall Rodion Jakowlewitsch Malinowski, in einer "Bekanntmachung" an die österreichische Bevölkerung.
"Österreicher! Das Kommando der Roten Armee ruft euch dazu auf, absolute Ruhe und Ordnung zu bewahren und einzuhalten sowie die von den sowjetischen Militärbehörden eingesetzte Militärverwaltung anzuerkennen und zu respektieren. Bleibt alle an euren Plätzen und setzt eure friedliche Arbeit fort. (...)
Nun ist euch bereits allen klar, dass Hitler-Deutschland den Krieg verloren hat, denn die Armee Hitlers steht unmittelbar vor ihrem vollständigen Zusammenbruch, und die Tage des nationalsozialistischen Raubritterregimes sind gezählt. Helft der Roten Armee, wo ihr könnt, und arbeitet mit ihr zusammen, denn damit tragt ihr zu einem schnelleren Ende der Kriegshandlungen in eurem Land bei und beschleunigt die Wiedererrichtung eines freien und unabhängigen Österreichs."
(Zitiert nach Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx, Alexander Tschubarjan: Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945-1955. Dokumente)
Mil.ru CC BY 4.0
Im Bild: Malinowski 1965 bei der Moskauer Siegesparade 20 Jahre nach der Kapitulation der Wehrmacht.
"Dieses Gesindel muß zusammengeschossen werden!" (David Rennert)
Während in Simmering und Favoriten Häuserkämpfe toben und in immer größeren Teilen der Stadt Chaos herrscht, sorgt sich Joseph Goebbels um die "politische Entwicklung" in Wien. Der Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung hält in seinem Tagebuch fest:
"Der Feind ist südwestlich bis an das Wiener Stadtgebiet herangedrungen. Der Südostteil von Wien befindet sich schon zum großen Teil in seinem Besitz. Schlimmer aber ist die politische Entwicklung, die sich infolgedessen in Wien angelassen hat. Es haben in der Stadt Aufruhraktionen in den ehemals roten Vororten stattgefunden, und zwar haben diese Ausmaße angenommen, daß Schirach sich in seiner Hilflosigkeit veranlaßt gesehen hat, sich unter den Schutz der Truppe zu begeben. Das ist so typisch Schirach. Erst läßt er die Dinge laufen, wie sie laufen, und dann flüchtet er sich zu den Soldaten. Ich habe nie etwas anderes von ihm erwartet. (...) Jetzt müssen die härtesten Maßnahmen getroffen werden, um die Dinge in Wien wieder zu bereinigen. Der Führer ist weiterhin entschlossen, die Stadt unter allen Umständen zu halten. Man darf natürlich die Vorgänge, die sich in Wien selbst abspielen, nicht allzusehr dramatisieren. Es handelt sich natürlich nur um Gesindel, das diese Aufstände veranstaltet, und dieses Gesindel muss zusammengeschossen werden!"
Agentur Voller Ernst / dpa Picture Alliance / picturedesk
Im Bild: Soldaten der Roten Armee beim Straßenkampf in Wien.


7. April 1945
Die Rote Armee rückt weiter nach Wien vor (Karin Kirchmayr)
An diesem Samstag rückt die Rote Armee vom Süden und auch schon vom Westen weiter in Richtung der Innenstadt vor. Der Versuch, Wien kampflos zu übergeben, ist gescheitert, und seit dem 6. April wird erbittert gekämpft. Spitzen der Roten Armee haben bereits den Gürtel erreicht, auch am Lainzer Tiergarten und im Wiental tauchen sowjetische Panzer auf. Berichten zufolge schießt Artillerie über den Wienerberg und den Laaer Berg hinweg über die Stadt.
Trotz der Übermacht der rund 400.000 Rotarmisten trommeln die Nazis Trupps aus Wehrmacht, SS und Volkssturm zusammen, vielfach halbe Kinder und alte Männer, um Wien "bis zur letzten Patrone" zu verteidigen. Auf persönlichen Befehl Hitlers wird die Panzerdivision "Führer" abgedreht und trifft in Wien ein. Gegen Mitternacht wird Generaloberst Lothar Rendulic ankommen, er ist von Hitler nach Wien beordert worden, um als neuer Oberbefehlshaber die Heeresgruppe Süd zu übernehmen. Er soll laut Führerbefehl alle Brücken und Verkehrseinrichtungen zerstören. "Die Sprengung der Brücken über die große Donau bei Wien befehle ich persönlich", heißt es.
akg-images / picturedesk.com
Spuren des Straßenkampfs: "Häuserblock überprüft" (Karin Kirchmayr)
An einigen Hausern in Wien finden sich noch heute russische Markierungen, welche die Rote Armee bei ihrem Vorrücken im Straßenkampf hinterlassen hat. "Kvartal proveren" bedeutet wörtlich "Viertel überprüft", gemeint war "Häuserblock überprüft".
Solche Markierungen finden sich noch an Westfassade des Stephansdoms, in der Laudongasse 1 und am Palais Pallavicini.
Kaum noch im Stadtbild findet sich der Hinweis "ZIVIL", der vermutlich von Hausbewohnern an die Fassaden gemalt wurde, um den Sowjets zu signalisieren, dass mit keinem Widerstand zu rechnen war.
Foto: Thomas Keplinger/Worte im Dunkel
Mythos Alpenfestung (Martin Stepanek)
Während der Kampf um Wien und im Osten Österreichs tobt, herrscht im Westen des Landes an diesem 7. April noch Ruhe vor dem Sturm. Hinweise, dass das NS-Regime vor dem Zusammenbruch steht, gibt es allerdings. So treffen jeden Tag hunderte weitere Menschen, viele von ihnen hochrangige Nationalsozialisten, in Tirol und Vorarlberg ein, weil sie in der sogenannten Alpenfestung Schutz vor den vorrückenden Alliierten und insbesondere den Russen erwarten.
Das Gerücht, das NS-Regime arbeite an einer enormen Verteidigungsstellung in den Alpen als Rückzugsgebiet, beschäftigt die US-Geheimdienste, aber auch US-Zeitungen seit Herbst 1944. Auch Franz Hofer, Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, fantasierte noch im November desselben Jahres von so einer "Reichsfestung" und davon, dass Tirol zum "südlichen Bollwerk des germanischen Lebensraums" werde, wie es am 13. September 1944 im "Bozner Tagblatt" heißt.
Dass die angebliche Alpenfestung ein reines Luftschloss ist und weder riesige unterirdische Bunkeranlagen noch in Gebirgsstollen errichtete Militärfabriken, geschweige denn hochtechnische Verteidigungsanlagen existieren, ist der damaligen Führung klar. Um die von Joseph Goebbels dankbar aufgegriffene Propagandaerzählung aufrechtzuerhalten, lässt Hofer seit Jänner 1945 Stellungen nahe der Schweizer Grenze bei Bregenz, Dornbirn, Götzis, Feldkirch und Nüziders ausbauen. Militärisch ist das ein völlig sinnloses Unterfangen, dem offenbar auch Regimeanhänger auf den Leim gehen.
Die Wiener Nazi-Zeitungen erscheinen zum letzten Mal (Karin Kirchmayr)
An diesem Samstag erscheinen zum letzten Mal die letzten verbliebenen Wiener Tageszeitungen. Vom Vormarsch der Roten Armee ist in der Wiener Ausgabe des "Völkischen Beobachters", Kampfblatt der NSDAP und Flaggschiff der nationalsozialistischen Propaganda, nichts zu lesen. Die Schlagzeile lautet entgegen jeglicher Realität: "Im Zeichen erfolgreicher Abwehr".
Die "Kleine Wiener Kriegszeitung" schreibt im hinteren Teil des ohnehin nur mehr vierseitigen Blattes: "An unsere Leser. Die Kriegsverhältnisse zwingen zur größten Einschränkung im Zeitungswesen. Die 'Kleine Wiener Kriegszeitung' wird daher wie die anderen Wiener Blätter ihr Erscheinen vorübergehend einstellen. Ab 8. April erscheint ein Einheitsblatt unter dem Titel: 'Wiener Zeitung', Amtliches Organ des Reichsverteidigungskommissars für den Reichsgau Wien, mit einer Morgen- und einer Nachtausgabe, die nur in den Trafiken und im Straßenverkauf zum Preis von 10 Pfennig abgegeben wird."
Das "Vorarlberger Tagblatt" bemüht sich hingegen um praktische Tipps und bringt ein Glossar über "Sowjetworte und Abkürzungen". Die "Oberdonau-Zeitung" titelt: "Eisenhower: Deutschland kapituliert nie!"
KZ-Außenlager in Lochau (Martin Stepanek)
Zu den Absurditäten der letzten Kriegswochen zählt auch das Vorhaben der Nazis, in Lochau bei Bregenz ein Außenkommando des KZ Dachau einzurichten. Tatsächlich nimmt es am 7. April 1945 in der aufgelassenen Brauerei Reiner (siehe Bild) offiziell seinen Betrieb auf. Die etwa 20 Häftlinge sollen die Versuche und die Produktion für ein blutstillendes Blutgerinnungsmedikament namens Polygal fortführen, die zuvor im KZ-Außenkommando Schlachters bei Lindau am Bodensee begonnen wurden. Es soll helfen, Blutungen bei Verwundungen schneller zu stoppen.
Schon am 29. März sind die Produktionsanlagen von den Häftlingen nach Lochau verlegt worden, nun ist der Aufbau zumindest teilweise abgeschlossen. Geleitet wird das Außenlager vom Waffen-SS-Arzt Kurt Plötner, der die Funktion schon im Frühling 1944 vom berüchtigten Luftwaffenarzt und Massenmörder Sigmund Rascher übernommen hat.
Raschers Menschenversuche führten nachweislich zu mindestens 150 Todesopfern im KZ Dachau. So ordnete er unmenschliche Versuche in Unterdruckkammern an und ließ Menschen nackt bis zu 14 Stunden im Freien stehen oder in Becken mit Eiswasser legen, um deren Körpertemperatur auf 27 Grad abzukühlen. Er wurde noch vor Kriegsende vom NS-Regime erschossen.
In Lochau ist über solche Versuche nichts bekannt. Außen gibt es zu dem Zeitpunkt keinen Stacheldraht um das Gelände, zudem dürfen sich die Häftlinge offenbar einigermaßen frei in der Produktionsstätte, die von fünf SS-Männern bewacht wird, bewegen.
gemeinfrei
Aufgelassenen Brauerei Reiner in Lochau
Robert Feix: Lochauer Verbindung zu Anne Frank (Martin Stepanek)
Die Entwicklung des Blutgerinnungsmittels in Lochau geht auf den Sonderhäftling Robert Feix zurück. Der Wiener Chemiker hatte es vor dem Krieg geschafft, das Geliermittel Pektin erstmals für den Haushalt, sprich den Einsatz in der Küche, herzustellen. Das Produkt namens Opekta war so erfolgreich, dass der Unternehmer Niederlassungen in Österreich, der Schweiz, der Tschechoslowakei und den Niederlanden gründete.
Als Sohn einer jüdischen Mutter gerät er schnell ins Visier der Nazis und landet schließlich im KZ Dachau, wo er als Assistent des KZ-Mediziners Sigmund Rascher und später des SS-Arztes Kurt Plötner das blutstillende Präparat auf Basis von Rüben- und Apfelresten entwickelt. Die Forschung dazu soll nun in Lochau weitergeführt werden. Seine Aufgabe wird ihm das Leben retten, wenngleich er nach dem Krieg von den Alliierten – zumindest vorübergehend – verhaftet wird. Das Bild zeigt ihn 75-jährig im Jahr 1968.
Die Lebensgeschichte von Feix ist aber noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Denn die niederländische Zweigstelle seiner Opekta-Fabrik ist untrennbar mit dem Schicksal von Anne Frank verbunden. Deren Vater Otto Frank leitete die Niederlassung über mehrere Jahre und versteckte sich und seine Familie bis zu deren Aufgriff am 4. August 1944 im "Hinterhaus" der Fabrik – dem heutigen Anne-Frank-Haus.
Kampf um Wien: Ein grafischer Überblick (Karin Kirchmayr)
Zurück von Vorarlberg nach Wien: hier ein Überblick über das Vorrücken der Roten Armee zur Befreiung Wiens. Der Kampf im Stadtgebiet dauert von 6. bis 13. April. Am 14. April ziehen sich die SS-Truppen noch über die Wiener Gemeindebezirke in "Transdanubien" zurück.
In den Tagen vom 7. bis 9. April wird das Wiener Arsenal Brennpunkt der Kämpfe. In manchen Gegenden, besonders in Simmering, am Gürtel und am Donaukanal, wird bis zuletzt um jedes Haus gekämpft. Andere, wie die Leopoldstadt und die Brigittenau, werden schneller eingenommen. Auch in den westlichen Bezirken stößt die Rote Armee auf wenig Widerstand.

Die Wiener Infrastruktur bricht zusammen (Karin Kirchmayr)
In diesen Tagen bricht die Infrastruktur Wiens völlig zusammen. Seit dem späten Vormittag des 7. April gibt es keinen Strom mehr. "Das hieß vor allem: kein Radio mehr, keine Nachrichten über den Stand der Dinge. Von nun an waren Gerüchte die einzige Informationsquelle", wird der Zeitzeuge Eugen Margarétha in Kurt Bauers Buch "Niemandsland zwischen Krieg und Frieden" zitiert.
Die Gasversorgung ist aus Sicherheitsgründen eingestellt, vielfach ist auch die Wasserversorgung unterbrochen. Die Straßenbahn wird eingestellt, ebenso der Postbetrieb. Nur in einigen Bezirken funktioniert noch das Telefon. Die Zivilbevölkerung flüchtet sich, sofern möglich, in Keller.
Die Wiener Feuerwehr erhält von Gauleiter Baldur von Schirach den Befehl, die Stadt zu verlassen. 3800 Männer mit 627 Fahrzeugen ziehen sich über die Reichsbrücke zurück, heißt es in der Rathauskorrespondenz. In Wien verbleiben nur wenige Männer, die sich dem Abmarschbefehl entziehen können, mit einigen veralteten und nur bedingt einsetzbaren Geräten. Gleichzeitig flammen überall in der Stadt Brände auf – die Bevölkerung ist bei der Bekämpfung des Feuers auf sich selbst gestellt.
Imago / Iter Tass
Im Bild: brennende Häuser beim Straßenkampf in Wien.
Todesmärsche: Das Massaker am Präbichl (Karin Kirchmayr)
Am 7. April ereignet sich auf der Passhöhe des Präbichl in der Steiermark eines der schrecklichen Verbrechen in den letzten Zügen der NS-Herrschaft. Tausende ungarische Jüdinnen und Juden, die als Zwangsarbeiter an der Errichtung eines "Südostwalls" beteiligt waren, wurden ab Ende März aus dem Südburgenland und der Oststeiermark in Marsch gesetzt. Ziel der Todesmärsche über die Eisenstraße ist das Konzentrationslager Mauthausen, wohin seit Monaten KZ-Häftlinge aus den bereits befreiten Lagern gebracht werden.
Wer zu erschöpft ist, wird erschossen. Am heutigen Tag ist ein Treck aus mehreren Tausend Jüdinnen und Juden bei Eisenerz angekommen. Dort spielen sich abscheuliche Szenen ab. "Das Publikum, das gerade aus dem Kino kam, bewarf die Kolonne mit Steinen, bespuckte Einzelne und zeigte seine Freude über das Leid dieser Menschen ganz offen. Am schlimmsten trieb es die Hitlerjugend", wird der Überlebende Josef Kahan in Herbert Lackners Buch "1945" zitiert.
Dann trifft der Befehl von Otto Christandl, Kreisleiter von Leoben, ein, die Kolonne zu "dezimieren". Mehr als 200 Menschen werden am Präbichl von Mitgliedern des Eisenerzer Volkssturms erschossen – innerhalb von 45 Minuten. Auf Lastwagen werden die Leichen in die Seeau beim Leopoldsteiner See transportiert. Die Massengräber werden im November 1945 entdeckt. Heute erinnert ein Mahnmal an das Massaker.
Walter Dall-Asen
Im Bild: der Todesmarsch bei Hieflau, 15 Kilometer nordwestlich von Eisenerz.
Eine kleine Gruppe in Sandleiten entwaffnet Soldaten (Karin Kirchmayr)
Wir schwenken noch einmal nach Wien zurück. Dort gibt es auch Hoffnungsvolles zu vermelden. Dass ein Großteil der Wohnbezirke Ottakring und Hernals verschont bleibt, ist einer Gruppe junger Menschen rund um den Sanitätsunteroffizier Heinrich Klein zu verdanken. Die Gruppe KJV Wien 44 bricht am 7. April die "Spinnstoff-Sammelstelle" der NS-Volkswohlfahrt in Sandleiten auf und überzeugt hunderte Mitglieder von Wehrmacht und Volkssturm, ihre Uniform gegen Zivilkleidung auszutauschen und die Waffen abzugeben.
Eine der beteiligten Jugendlichen, Helli Neuhaus (damals Helene Arent), berichtet später, sie habe den Männern gesagt: "Bei uns wird nicht gekämpft. Der Krieg ist aus, versteckts euch in den Kellern."
Heini Klein bringt zudem in einer beispiellosen Aktion als angeblicher Wehrmachtskurier einen gefälschten Befehl von Gauleiter Baldur von Schirach zur Kampfleitstelle auf der Sophienalpe – und schafft es so, die Frontlinie kurzerhand vom Wilhelminenberg zum Gürtel zu verlegen. Damit können die vom Wienerwald kommenden Einheiten der Roten Armee kampflos die westlichen Bezirke durchqueren.
"Die Aktion in Sandleiten sprach sich in den westlichen Bezirken der Stadt schnell herum. Frauen beschimpften Wehrmachtssoldaten, die bereit waren, den aussichtslosen Kampf weiterzuführen, und bewarfen sie angeblich sogar mit Steinen", schreibt der Historiker Winfried Garscha, der die Ereignisse hier aufgearbeitet hat.


8. April 1945
Rote Armee gewinnt an Boden (David Rennert)
Am 8. April 1945 meldet der Wehrmachtsbericht: "Im Raum um Wien konnten die Sowjets im Nordteil des Wiener Waldes nach Westen und Norden Boden gewinnen und trotz zäher Gegenwehr unserer Truppen in die südlichen Vorstädte der Stadt eindringen. Erbitterte Kämpfe sind im Gange."
Am Vortag sind sowjetische Truppen über Gersthof und nördlich der Westbahn in die inneren Bezirke vorgedrungen. Die 2. SS-Panzer-Division verstärkt indes über Mauer und die Mariahilfer Straße kommend die Verteidigung der Innenstadt.
Die Wienerinnen und Wiener erreicht dieser Wehrmachtsbericht nicht. Inzwischen werden weder Radiosendungen noch Zeitungen veröffentlicht.
Rote Armee erreicht den Gürtel (Tanja Traxler)
In diesen Stunden erreicht die Rote Armee von mehreren Seiten den Wiener Gürtel. Kurzfristig gibt es dort heftige Kämpfe. Stadtbahnstationen werden kurzerhand als Festungen genutzt, und auch Eckhäuser werden in Kampfstellungen umgewandelt. Die Bewohner der betreffenden Häuser werden in die Keller von Nachbarhäusern umgesiedelt. Für den Volkssturm müssen nun vor allem Vierzehn- bis Sechzehnjährige in den Kampf ziehen, denn die einberufenen alten Männer sind großteils untergetaucht, wie die Wiener Rathauskorrespondenz vermeldet. Die Jugendlichen kämpfen eine aussichtslose Schlacht an der Seite von Wehrmacht und SS.
"Die Westbahnstraße darf man nicht mehr hinauf" (David Rennert)
Der von den Nazis außer Dienst gestellte Diplomat Josef Schöner verbringt den 8. April im Haus seiner Eltern in der Siebensterngasse im siebten Bezirk und vermutet, dass sowjetische Truppen schon nahe sind.
"Die Straße ist praktisch menschenleer, unter einigen Haustoren stehen Leute so wie wir. Vereinzelte Passanten, auch Soldaten, gehen eng entlang der südlichen Straßenseite stadtwärts – jeder wird befragt, doch niemand weiß was Sicheres. Die Westbahnstraße darf man nicht mehr hinauf, es heißt, die Russen stünden vor dem Gürtel. Kann auch nach der Nähe des MG- und Gewehrfeuers stimmen. An den Straßenkreuzungen Kirchen- und Stiftgasse stehen einzelne Posten.
Um 1/2 11 h will ich in die Burggasse hinuntergehen, gehe aber dann doch nicht weg, da das Artilleriefeuer zunimmt. Ich stehe gerade gegenüber unserem Hause, wie eine Granate in das Haus Ecke Siebensterngasse/Kirchengasse einschlägt, eine braune Rauchwolke, Dachziegel und Mauerbrocken sausen durch die Luft, ich bin mit einigen Sprüngen wieder über der Straße in unserem Haus. Unsere Leute lassen alles stehen und laufen teils in den Keller, teils in den Hausflur. Mehrere schwere Einschläge in der Nähe, dann flaut es wieder eine Weile ab. Ganz hört das Feuer ja schon seit Tagen nicht mehr auf, doch hat es sich langsam gesteigert, man konnte sich etwas daran gewöhnen."
Chaos und Plünderungen (Tanja Traxler)
In großen Teilen von Wien gibt es inzwischen keine Ordnungsmacht mehr. Tausende Flüchtlinge irren durch die Stadt. Hochrangige NS-Funktionäre versuchen unterzutauchen oder Richtung Westen zu gelangen, um nicht in die Hände der Roten Armee zu fallen. Auch kommt es vermehrt zu Plünderungen und Gewalttaten. Besonders blutig verläuft die Plünderung eines großen Gepäcklagers am Franz-Josefs-Bahnhof.
IMAGO/Vladimir
Auch außerhalb von Wien haben die sowjetischen Truppen an Boden gewonnen: Am 8. April erobern sie Klosterneuburg und Tulln.
Die letzten Gräueltaten der Gestapo in Wien (Klaus Taschwer)
Nach dem Scheitern der Operation Radetzky werden drei der Mitverschwörer vom Standgericht zum Tod verurteilt. Die Begründung lautet, "dass sowohl Raschke als auch Huth die Machenschaften des Majors (Carl Szokoll, Anm.) gebilligt haben und mit Szokoll darin einig waren, Wien kampflos der Roten Armee zu übergeben, die Kampfhandlungen der deutschen Wehrmacht zu unterbinden und dass ihr Verhalten wesentlich zu der derzeitigen schwierigen Lage der kämpfenden Truppen mit beigetragen hat".
Gestapo-Chef Rudolf Mildner beauftragt daraufhin SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny damit, die drei Verhafteten der Operation Radetzky in aller Öffentlichkeit zu exekutieren. Biedermann, Huth und Raschke werden nicht erschossen, sondern am 8. April nach Misshandlungen auf Straßenlaternen am sogenannten Floridsdorfer Spitz aufgehängt – nur fünf Tage vor der Eroberung Wiens.
Das Kommando leitet SS-Obersturmführer Franz Kleedorfer. Den drei Widerständlern werden Schilder mit der Aufschrift "Ich habe mit den Bolschewiken paktiert" um den Hals gebunden. So sollen sie als abschreckendes Beispiel hängen bleiben.
Suizid des großen Lyrikers und Hitler-Huldigers Josef Weinheber (Klaus Taschwer)
Im niederösterreichischen Kirchstetten begeht der Lyriker Josef Weinheber am 8. April Suizid durch eine Überdosis Morphium. Er ist einer der prominentesten unter zahlreichen Österreicherinnen und Österreichern, die sich aus Angst davor, zur Verantwortung gezogen zu werden, im April 1945 das Leben nehmen. (Einen Tag später wird ihm etwa der Zoologe Otto Antonius nachfolgen, der langjährige Direktor des Tiergartens Schönbrunn.)
Weinheber gilt als der berühmteste Lyriker Nazi-Deutschlands. Ende August 1944 wird er von Adolf Hitler in die Gottbegnadeten-Liste mit den wichtigsten Schriftstellern des NS-Reiches aufgenommen, was ihn vor einem Arbeitseinsatz im Kriegsdienst bewahrt.
Die Kontroversen um die Bedeutung seines Werks und seine politische und künstlerische Kompromittierung beginnen unmittelbar nach seinem Tod.
Die Diskussionen um Weinheber und etwaige Ehrungsaberkennungen (etwa durch Umbenennungen von Straßennamen) dauern bis in die jüngste Gegenwart an.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#5
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 5:
9. - 10. April 1945



9. April 1945
Die Rote Armee dringt langsam in Richtung Ringstraße vor (Klaus Taschwer)
Die deutschen Truppen räumen am 9. April in Wien fluchtartig die Gegend zwischen Gürtel und Donaukanal und ziehen sich – bis auf einige wenige Splittergruppen – in Richtung Transdanubien zurück. Beide Seiten beschießen nun die inneren Bezirke. Viele Wohnhäuser werden durch Granattreffer beschädigt, viele Wohnungen zerstört. Durch den Beschuss kommt es auch zu zahlreichen Bränden. In Flammen steht unter anderem der Naschmarkt.
Weil Hinterhalte befürchtet werden, rücken die sowjetischen Truppen nur langsam und vorsichtig nach. Haus um Haus wird überprüft. Noch viele Jahre später sieht man an Hausfassaden in zyrillischer Schrift die Worte "Kwartal prowiereno" (Häuserblock überprüft). Bei diesen Überprüfungen kommt es zu Vergewaltigungen und Plünderungen durch sowjetische Soldaten. Die Rote Armee dringt an diesem Tag erstmals bis zur Ringstraße vor, wo das Parlament, das Burgtheater und etliche andere Gebäude schwere Treffer erhalten und/oder brennen.
Foto von Jewgenij Chaldej / akg-images
Agenten landen mit Fallschirmen im Höllengebirge (Karin Kirchmayr)
Derweil im Westen: Am Vormittag des 9. April treffen vier Exilösterreicher in der Rieder Hütte im Höllengebirge ein. In der Nacht zuvor waren Albrecht Gaiswinkler, Hans Grafl, Karl Standhartinger und Karl Lzicar mit Fallschirmen von einer britischen Halifax-Maschine abgesprungen. Sie waren als Deserteure zu den Alliierten übergelaufen und arbeiten nun für den britischen Geheimdienst. Ihre Mission sei es gewesen, Joseph Goebbels zu töten oder zu verhaften, berichtet Grafl später im Interview mit Peter Kammerstätter. Belege gibt es dafür aber keine. Das Ausseerland ist damals ein beliebter Zufluchtsort für belastete Nazi-Größen, und Propagandaminister Goebbels hält sich regelmäßig in der Roth-Villa (heute Schloß Grundlsee) auf. Anfang April ist er jedoch nicht vor Ort, womit der Auftrag der vier Agenten hinfällig ist.
Unumstritten ist, dass sich Gaiswinkler und Grafl nach Aussee durchschlagen, um sich dort mit der Widerstandsgruppe Willy-Fred um Sepp Plieseis zusammenzuschließen. Die beiden anderen gehen nach Wien, um den dortigen Widerstand zu unterstützen.
Nach Kriegsende wird Gaiswinkler von den Amerikanern kurzfristig als Bezirkshauptmann von Aussee eingesetzt und ist danach SPÖ-Nationalratsabgeordneter. Bald wird er jedoch zu einer umstrittenen Figur, weil er sich fälschlicherweise auch die Rettung der Kunstschätze im Salzbergwerk Altaussee auf die Fahnen schrieb.
Karl Renner wird ins Schloss Eichbüchl gebracht, um weiter über Österreichs Zukunft nachzudenken (Klaus Taschwer)
Karl Renner, der nach seinen Verhandlungen mit sowjetischen Offizieren wieder in seinen Heimatort Gloggnitz zurückgekehrt ist, wird abermals von einer sowjetischen Eskorte abgeholt. Dieses Mal geht es zum Schloss Eichbüchl bei Wiener Neustadt, wo der ehemalige Staatskanzler und Ex-Nationalratspräsident in Klausur weitere Konzepte zur Wiedererrichtung der Republik verfassen soll. Wie der Historiker Walter Rauscher anmerkt, dürfte ihm dabei die Gabe zugute gekommen sein, „seine Meinungen bei Bedarf rasch (…) zu ändern“.
Hat Renner vor wenigen Tagen noch vorgeschlagen, dass man zur Wiedergründung das Parlament aus dem Jahr 1933 wieder einberufen sollte, so hält er das nun – ähnlich wie zuvor schon die Sowjets – für „viel zu langsam und umständlich“.
"Kampf bis zum letzten Mann" – nur eben ohne Schirach (Klaus Taschwer)
Fast gleichzeitig mit dem Befehl von General Lothar Rendulic, alle Wehrmachtseinheiten und das II. SS-Panzerkorps aus den inneren Stadtbezirken Wiens abzuziehen und über den Donaukanal abzurücken, tritt Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach am 9. April 1945 seinen überstürzten Rückzug aus seinem luxuriösen Quartier unter der Hofburg an.
Schirach befiehlt zwar noch den „Kampf bis zum letzten Mann“, verlässt gleich darauf aber in einem Konvoi über die noch intakte Floridsdorfer Brücke die Stadt. Der Gauleiter hat in einem VW-Schwimmwagen Platz genommen, gefolgt von einem Mercedes-Cabrio mit vier Soldaten aus der Genesenen-Kompanie des Panzerkorps „Großdeutschland“ sowie zwei LKWs mit Lebensmitteln. Schirach bezieht nördlich von Wien im Gasthaus Hempfling in Flandorf Quartier.
„Das ist so typisch Schirach“, wird Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, am 10. April in Berlin verärgert seinem Tagebuch anvertrauen.
Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi und Dietrich Bonhoeffer werden hingerichtet (Julia Sica)
Am 9. April 1945 endet das Leben von Hans von Dohnanyi am Galgen. Geboren wird er am 1. Jänner 1902 in Wien, wächst nach der Trennung seiner Eltern in Berlin auf und beginnt in der Schule eine enge Freundschaft mit Dietrich Bonhoeffer, dessen Schwester Christine er später heiratet. Der evangelische Theologe Bonhoeffer sollte für sein Engagement gegen den Nationalsozialismus sowie seine Gefängnisbriefe berühmt werden.
Von Dohnanyi studiert Rechtswissenschaft und macht im Reichsjustizministerium Karriere. Als Hitler 1934 anordnet, die vermeintlichen Röhm-Putschisten zu ermorden, beginnt der Jurist, Regimeverbrechen zu dokumentieren. Aufgrund seiner kritischen Einstellung wird er später versetzt und 1941 entlassen.
Von Dohnanyi wird zu einem der bekanntesten Vertreter des bürgerlichen Widerstands. Er hilft, 14 Jüdinnen und Juden in die Schweiz zu schmuggeln, und ist etwa an der Vorbereitung des Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli 1944 beteiligt – gemeinsam mit hochrangigen rechten Militärs. Bei der Durchführung ist er bereits inhaftiert und kommt ins KZ Sachsenhausen. Als sich die Beweislage gegen die Verschwörer erhärtet, wird der schwerkranke Hans von Dohnanyi am 9. April gehängt – am gleichen Tag wie sein Schwager Dietrich Bonhoeffer.
Suizid eines hochrangigen Nazis samt Familie im Wiener Rathauspark (Klaus Taschwer)
Der russische Fotograf Jewgenij Chaldej, der die Rote Armee bei der Befreiung Wiens begleitet, erinnert sich an einen Vorfall, der sich vor 80 Jahren zutrug:
„Eines Morgens bin ich mit einer Gruppe von Soldaten zu einem Platz in der Nähe des Parlaments gekommen. Auf dem Rathaus hing schon die österreichische Fahne. [Die war von Widerstandskämpfern bereits am 7. April gehisst worden, die Red.] Plötzlich kam aus irgendeinem Keller ein Mensch in Zivilkleidung auf uns zu und begann schnell und überstürzt zu reden. Dabei zeigte er auf einen kleinen Platz. (…)
Was wir zu sehen bekamen, haben wir nicht verstanden. Nicht sofort, weshalb wir den Alten fragten, der uns genau erzählte, was hier vorgefallen war. Wir sahen das befremdliche Bild vom Selbstmord der ganzen Familie eines österreichischen Nazisten, der selbst gleich daneben lag mit dem goldenen Parteiabzeichen auf dem Rockaufschlag. Darauf war ein Hakenkreuz zu sehen.
Der Alte sagte noch einmal, unter den Faschisten sei er ein hohes Tier gewesen. Auf dem Platz rechts vom Parlament stand eine ganze Allee von Bänken – worauf eine Frau und ein 16-, 17-jähriger Junge saßen, neben ihnen lag ein 13-jähriges Mädchen. Sie waren alle tot.“
Die erschütternden Fotos finden sich im vor 30 Jahren erschienenen und immer noch lesenswerten Bildband „Die Russen in Wien“, herausgegeben von Erich Klein. (Das Foto mit der Fahne am Rathaus stammt auch von Chaldej.)
Agentur Voller Ernst / dpa / picturedesk.com


10. April 1945
Die Rote Armee erreicht langsam den Donaukanal (Klaus Taschwer)
Wien liegt heute von beiden Seiten unter schwerem Artilleriefeuer. Die deutsche Wehrmacht, die sich am Vortag über den Donaukanal aus den inneren Bezirken zurückzog, hat im Laufe des Tages und der Nacht die Brücken hinter sich gesprengt, als letzte um 4 Uhr früh die Aspernbrücke. Dabei werden die Urania und die Rettungszentrale beschädigt.
Die sowjetischen Truppen erreichen im Laufe des Tages nicht nur den Donaukanal. Sie besetzen auch die Freudenau und das Lusthaus sowie Vösendorf, Neulengbach, Gänserndorf und Deutsch-Wagram. Hitler verkündet währenddessen in Verkennung der Tatsachen: "Berlin bleibt deutsch und Wien wird wieder deutsch!" Er befiehlt einen Gegenangriff zur Rückeroberung Wiens aus den Räumen St. Pölten und Semmering. Der Befehl ist surreal, und es gibt keine ernsthaften Versuche, ihn auszuführen.
Jewgenij Chaldej / Tass / picturedesk.com
Es kommt zu zahlreichen Bränden (siehe Foto, auch dieses Mal wieder von Jewgenij Chaldej), die von der Bevölkerung mit primitivsten Mitteln bekämpft werden müssen. Denn die Feuerwehr hat Gauleiter Schirach bei seinem eigenen Abzug aus der Stadt ebenfalls aus der Stadt hinausbefohlen – als Teil des Nerobefehls.
SS-Befehl zur Zerstörung des Stephansdoms wird verweigert (Klaus Taschwer)
Am 10. April ist der Wehrmachtshauptmann Gerhard Klinknicht mit seiner 8,8 Flakbatterie auf dem Bisamberg stationiert. Alle Luftabwehrgeschütze der Stadt werden nur zum Bodenkampf eingesetzt. Plötzlich erhält er einen Funkbefehl aus dem Stab von Sepp Dietrich: „Der Dom ist mit einem Feuerschlag von 100 Granaten in Schutt und Asche zu legen. Sollte das nicht ausreichen, ist bis zu seiner Zerstörung weiterzuschießen!“
Der SS-General ist empört, dass in einer kurzen Kampfphase, in welcher der Stephansplatz Niemandsland ist, in rund 120 Metern Höhe eine weiße Fahne auf dem Turm gehisst werden konnte. Sie sollte Signal für die heranrückende russische Hauptarmee sein, dass die Innenstadt bereits befreit ist.
Der aus Celle bei Hannover stammende Klinkicht liest die schriftlich übermittelte Anordnung angeblich seinen Soldaten vor und zerreißt den Zettel vor aller Augen: „Nein, dieser Befehl wird nicht ausgeführt!“ Die Verweigerung sollte ohne unmittelbare Folgen für den couragierten Hauptmann bleiben.
Langfristig trägt sie ihm den Ehrentitel „Retter des Stephansdoms“ ein. 1997 wird ihm eine Gedenktafel am Dom gewidmet: „Hauptmann Gerhard Klinkicht zum Dank. Durch seine Gewissensentscheidung bewahrte er im April 1945 den Stephansdom vor der Zerstörung."
Am nächsten Tag sollte der Dom allerdings durch Funkenflug Feuer fangen und – trotz Klinkichts Befehlsverweigerung – schwerstens beschädigt werden.
Das Grauen der Vergewaltigungen (I) (Karin Kirchmayr)
"Ist das auszudenken? Mitten in der Stadt, in seinem eigenen Zimmer fürchtet man den Überfall – der Befreier", fasst die Wiener jüdische Krankenschwester Mignon Langnas in ihrem Tagebuch die Situation der letzten Kriegstage zusammen. Nun gilt es nicht nur, in dem Chaos der Straßenkämpfe zu überleben, sondern auch der sexuellen Gewalt durch die Rote Armee zu entgehen. Oft wird berichtet, dass es nicht die ersten Einheiten waren, die Frauen vergewaltigten und plünderten, sondern erst nachziehende Truppen. Dem widersprechen Berichte von Zeitzeuginnen, wie von Steffi Bamer. Sie haust seit dem 4. April mit ihrer Mutter im Keller ihres zerbombten Wohnhauses am Margaretengürtel. Am 10. April zerren sowjetische Soldaten drei Frauen aus dem Keller, um sie zu missbrauchen. Sie selbst bleibt nur verschont, weil ihr Gesicht mit Schmutz eingerieben ist und ein Russe sie für ein "stara baba" (altes Weib) hält, wie Kurt Bauer in seinem Buch "Die dunklen Jahre" berichtet.
Schon vor dem Eintreffen der Roten Armee herrscht, befeuert von der NS-Propaganda, große Panik vor Plünderungen und Vergewaltigungen. Frauen verlassen die Stadt, verstecken sich, schneiden sich die Haare ab, setzen Kopftücher auf. Sie richten sich möglichst hässlich her, täuschen Krankheiten wie Tuberkulose und Syphilis vor. Auch ein Kleinkind am Arm soll vor Übergriffen schützen.
Das Grauen der Vergewaltigungen (II) (Karin Kirchmayr)
Wie sich zeigt, müssen die Frauen mit dem Eintreffen der Roten Armee tatsächlich mit dem Schlimmsten rechnen. In vielen Häusern richten die Bewohner Alarmwachen ein. Wenn sich sowjetische Soldaten nähern, wird aus Angst vor Plünderungen und Vergewaltigungen Lärm gemacht, um Offiziere der Militärpolizei herbeizuholen, die gegen die meist betrunkenen Soldaten vorgehen. Dennoch kommt es zu zahllosen Vergewaltigungen, nicht nur von Wienerinnen, auch befreite Zwangsarbeiterinnen werden Opfer. Manche werden mehrfach missbraucht, oft von ganzen Gruppen von Männern. Schätzungen zufolge wurden allein in Wien zwischen April und Juni 1945 70.000 bis 100.000 Frauen von Soldaten der Roten Armee vergewaltigt.
Genaue Zahlen existieren nicht, viele Frauen schweigen aus Scham und einem Gefühl der Mitschuld oder wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Fakt ist, dass die Zahl der Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaftsabbrüche, die stillschweigend toleriert werden, ansteigt. Viele Frauen überleben die Vergewaltigungen nicht, sterben an den Folgen, werden danach ermordet oder verüben Suizid. Die anderen tragen teils schwere körperliche und seelische Folgen davon. Damit war Bild von "den Russen" als Eroberer und Besatzer und nicht als Befreier einzementiert. Dabei wird oft unter den Tisch gekehrt, dass auch Einheimische und Männer anderer Nationalitäten zu den Tätern zählten.
Zwei Zeitzeugen über die Kämpfe am Donaukanal (Klaus Taschwer)
Der 20-jährige jüdische Rotarmist Simion Fridkin macht im April 1945 an vorderster Front an der Befreiung Wiens mit. 1975 lässt er sich in der Stadt nieder. 2005 erinnert sich der Veteran im Gespräch mit dem damaligen APA-Journalisten und Historiker Peter Pirker an die letzten Kriegstage. Und speziell an den 10. April.
Fridkin ist mit seinem Trupp gerade am Donaukanal angekommen. Sämtliche Brücken sind von der Wehrmacht gesprengt worden. Fridkin soll mit seinen Kameraden mögliche Übergänge finden. Die Rotarmisten wissen nicht, was auf der anderen Seite des Donaukanals los ist. Als einfacher Soldat habe man nicht einmal gewusst, in welchem Stadtteil man gerade ist.
Also fahren die Rotarmisten den Donaukanal entlang, um eine Stelle zum Übersetzen zu finden. Unterwegs entdecken sie eine Luke, eine Leiter führt nach unten in einen Gang. Sie steigen hinunter. "In diesem Moment wurden von der anderen Kanalseite her Minen geworfen. Sie explodierten über uns. Als wir wieder herausstiegen, waren unsere Räder zerfetzt."
Ein anderer Zeitzeuge der Roten Armee berichtet im Buch „Die Russen in Wien“ (1995), dass sein Trupp von Männern unter Beschuss genommen wurde, die sich dann in Zivilkleidung davonmachten. Eine Frau habe den Rotarmisten dann den Weg zu den „verkleideten“ Wehrmachtsangehörigen gewiesen. „Unsere Panzersoldaten haben sie geradewegs aus dem dritten, vierten Stock eines eroberten Hauses durch das Fenster hinausgeworfen.“
Das NS-Massaker auf der Hebalm (Karin Kirchmayr)
"Meine liebe Dory! (…) Gott sei Dank ist das Verhör bei der Gestapo vorbei. Es ist nicht zu schildern, was man hier mitmacht. Man hat mir das linke Trommelfell eingeschlagen, so daß ich dermalen taub bin. Ich bitte Dich, sage es niemandem. Es ist einfach entsetzlich." Diese Zeilen schreibt der Schwanberger Arzt Ludwig Mooslechner am 29. März 1945. Wenige Tage später ist er tot. Der Brief ist eines der wenigen Zeugnisse des Massakers am 10. April auf der weststeirischen Hebalm, bei dem 18 politisch "Verdächtige" auf Befehl des Kreisleiter Hugo Suette hingerichtet werden.
Nachdem im März ein Gendarm von einem holländischen Freiheitskämpfer getötet worden ist, wird mit voller Härte gegen die Koralmpartisanen, die sich in den Bergen der Südweststeiermark verstecken, vorgegangen. Schließlich werden zehn Schwanberger beschuldigt und mit brutalen Methoden verhört. Dem Arzt Mooslechner wirft man vor, die Widerstandskämpfer mit Medikamenten und Lebensmitteln zu versorgen. Unter den Festgenommenen ist der Postzusteller, seine Frau und zwei seiner Kinder, der Friseurgehilfe, ein Bergarbeiter ebenso wie eine Erntearbeiterin. Sie sind nicht in einer Widerstandsgruppe organisiert, sie eint lediglich eine wohl katholisch motivierte NS-Gegnerschaft.
19 Personen werden zur Hebalm gebracht, nur einem Franzosen gelingt die Flucht. Die anderen werden in einem Bombentrichter erschossen und verscharrt. Heute erinnert ein Grabstein in Deutschlandsberg an das Massaker so kurz vor Kriegsende.
Verstecktes Depot für Raubkunst tief im Salzbergwerk (Marlene Erhart)
Anfang August 1943 sind es hauptsächlich Kunstschätze aus Kirchen und Klöstern, die in die heutige österreichische Gemeinde Altaussee geliefert werden. Tief im Untergrund – im alten Laugwerk des Salzbergwerks – sollen sie vor Luftangriffen alliierter Truppen geschützt sein.
Ende 1943 wird das gesamte Bergwerk Altaussee für die sichere Verwahrung von Kunstwerken reserviert. Die Stollen und Kammern sind dafür nicht nur wegen der abgeschiedenen Lage ideal: Temperaturen von rund sieben Grad und eine Luftfeuchtigkeit von etwa 75 Prozent versprechen beste Lagerbedingungen, auf 40.000 Quadratmetern ist außerdem ausreichend Platz für Kunstgegenstände.
Teile des Bergwerks werden ausgebaut, Regale gezimmert und Holzdecken eingezogen, um Schäden durch abbröckelndes Gestein zu vermeiden. Mehr als 6500 Gemälde und mehr als 130 Skulpturen werden hier – neben anderen Wertgegenständen – letztlich Platz finden. Zu großen Teilen handelt es sich um geraubte Kunstwerke, die für das geplante Führermuseum in Linz gedacht waren. Von 1943 bis 1945 gilt der Bergungsort Salzbergwerk Altaussee als die größte Lagerstätte für NS-Raubkunst.
United Archives International
Sprengung von Kunstschätzen in Altaussee wird vorbereitet (Marlene Erhart)
Kurz vor Kriegsende ist das Reichsbergungsdepot für Kunstschätze in den stillgelegten Anlagen des Salzbergwerks in Altaussee reich gefüllt. Neben der Brügger Madonna von Michelangelo und dem Genter Altar der Brüder Van Eyck lagern hier Werke von Dürer, Vermeer und Rubens. Hinzu kommen Kupferstiche, Gold, Möbel und andere Wertgegenstände.
Die kostbaren Güter sollen jedoch keinesfalls in die Hände der näher rückenden Feinde fallen. Daher beschließt der fanatische Nationalsozialist und Gauleiter August Eigruber, die Kunstschätze von Altaussee zu zerstören.
Am 10. und 13. April lässt er je vier Holzkisten nach Altaussee transportieren, alle tragen die Aufschrift: "Vorsicht Marmor nicht stürtzen [sic]". Angeblich beinhalten sie Kunst aus seiner Privatsammlung, in Wahrheit sind es amerikanische Blindgänger-Bomben, mit denen die gehorteten Schätze gesprengt werden sollen. Doch der Plan scheitert: Kunst- und Kulturgüter, deren Wert nach Kriegsende auf 3,5 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, werden gerettet. Wir werden hier weiter dazu tickern, wie diese Rettung möglich war.
United Archives International
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#6
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 6:
11. - 13. April 1945


11. April 1945
Heftige Kämpfe im Prater (Klaus Taschwer)
Die Rote Armee macht bei der Befreiung Wiens weitere Fortschritte. In den frühen Morgenstunden des 11. April setzen Rotarmisten an einigen Stellen über den Donaukanal und bilden Brückenköpfe. Hauptkampfgebiet ist der Prater. Auf dem Messegelände kommt es zu schweren, für beide Seiten verlustreichen Kämpfen. Der Wurstelprater wird in Flammen geschossen. Angeblich wird auch mit Bier und Wein gelöscht, da die SS das Wasser abgedreht hat.
Auch in der übrigen Stadt gibt es viele Brände – vor allem durch den Artilleriebeschuss von beiden Seiten. Die Feuerwehr kann nicht löschen, weil sie aus der Stadt abgezogen wurde. Die Plünderungen durch Zivilisten und Soldaten erreichen einen Höhepunkt. Es werden vor allem Lebensmittel gesucht, denn die Bevölkerung leidet seit Tagen unter Hunger. Zivilistinnen und Zivilisten schneiden sich das Fleisch aus den zahlreichen Pferdekadavern, die in den Straßen der Stadt liegen.
Der Naschmarkt wird völlig ausgeplündert, wobei viele Marktstände, die den Krieg bis dahin unbeschädigt überstanden haben, zerstört werden. Es gibt zahlreiche Verletzte als Folge der Auseinandersetzungen um die Lebensmittel – und keine Polizei und keine Rettung.
Tagebucheintrag der jüdischen Krankenschwester Mignon Langnas (Klaus Taschwer)
Mignon Langnas ist eine der wenigen jüdischen Frauen, die das Kriegsende in Wien er- und überleben. Die ausgebildete Krankenschwester arbeitet im jüdischen Kinderspital im zweiten Bezirk und schreibt daneben ein Tagebuch, das 2010 herausgegeben wurde. Der Eintrag vom 11. April – es ist ein Mittwoch – schildert eindrücklich die Kämpfe und die Not, die auf der „Mazzesinsel“ (also auf dem Gebiet zwischen Donaukanal und Donau; der 2. und der 20. Bezirk) gerade herrschen:
„Es dröhnt ununterbrochen! Die Wände zittern, der Boden wankt, und man hat das Gefühl, dass es jetzt und jetzt aus ist. Wir wissen nicht, was auf der Straße vorgeht, das Radio sagt: erbitterte Abwehrkämpfe im Prater, Leopoldstadt, Floridsdorf und Brigittenau. Also das, was ich bange geahnt habe: Wir auf der „Insel“ sind am meisten gefährdet. Und ich bin noch immer im Dienst – bei Tag und bei Nacht – seit Samstag 7 Uhr früh. Gut, dass ich hier bin. – Wo sollte ich denn sonst sein? – Wir haben schon kein Wasser, und weil sich kein Mensch in den ersten Stock traut, auch kein warmes Essen. Wie lange aber können wir mit dem Brot auskommen?“
Das Vivarium im Prater geht in Flammen auf (Klaus Taschwer)
Bei den heftigen Kämpfen im Prater kommt es zu großen Zerstörungen. So brennt unter anderem die Biologische Versuchsanstalt (BVA) – Österreichs wichtigste Forschungseinrichtung im Bereich der Lebenswissenschaften bis 1938 – fast völlig aus. Nach einem Augenzeugenbericht sind vom 6. bis 9. April 1945 deutsche SS- und Heereseinheiten mit schweren Panzerkampfwagen in der BVA einquartiert, die für die ersten Zerstörungen sorgen.
Am 11. April 1945 bricht durch Geschoßtreffer ein Brand aus, der zwei Tage wütet. Ein Bekämpfen des Feuers ist wegen des Wassermangels und wegen des überaus starken Beschusses nicht möglich. Zudem dürfte die SS im Prater das Wasser abgedreht haben, damit nicht gelöscht werden kann.
Das Gebäude im Renaissance-Stil ist anlässlich der Weltausstellung in Wien 1873 erbaut worden und gilt damals als das größte öffentliche Aquarium Europas. Dann wird der Prachtbau direkt an der Prater Hauptallee zum Zoo und hält den Namen Vivarium. Kurz nach 1900 kauft der Zoologe Hans Przibram die Liegenschaft und macht daraus eine der modernsten und innovativsten Forschungseinrichtungen zum Beginn des 20. Jahrhunderts, bis es 1938 zum „Anschluss“ kommt.
Sieben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BVA – darunter Hans Przibram – kommen in der Shoah um. Keine andere wissenschaftliche Einrichtung im Deutschen Reich zählt mehr Opfer.
Das Palais Auersperg wird Zentrale der Widerstandsgruppe O5 (Klaus Taschwer)
Im Palais Auersperg sammeln sich in den letzten Kriegstagen Wiens Vertreterinnen und Vertreter des österreichischen Widerstands. Die meisten stammen aus dem bürgerlichen und katholischen Lager sowie aus dem der Monarchisten. Es gibt aber auch einige Sozialisten und Kommunistinnen. Sie nennen sich O5.
Die Bedeutung des Zeichens ist nicht ganz klar. Es gibt die Vermutung, dass "5" für den fünften Buchstaben des Alphabets, das E, stünde: O5 bedeute also eigentlich OE für Österreich. Diese etwas verrätselte Lösung der Losung ist allerdings umstritten. Eine andere Vermutung lautet, dass O5 für den Zusammenschluss von fünf Widerstandsgruppen gewählt wurde. Ebenso denkbar erscheint die politische Erklärung, O5 stehe für den Zusammenschluss der fünf politischen Richtungen Monarchismus, Katholizismus, Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus.
Im Palais Auersperg wird nun darüber diskutiert, wie man eine funktionierende staatliche Ordnung wiederherstellen und eine neue demokratische Verwaltung einsetzen könnte. In Hoffnung auf Posten begeben sich auch dubiose Figuren ins Palais, aber auch Vertreterinnen und Vertreter alter und neu entstehender Parteien.
Ein grausames Endphaseverbrechen in der Wiener Förstergasse (Klaus Taschwer)
Noch in den letzten Zuckungen der NS-Herrschaft in Wien begehen SS-Angehörige Morde an Jüdinnen und Juden. Am 11. April flüchten Primaria Dr. Grete „Nelly“ Blum (50 Jahre alt) und ihre Schwester Marie „Mizzi“ Margolin (47), Arthur Holzer (59), Arthur Klein (50), Erna und Grete Klüger-Langer (81 und 43), Kurt Mezei (20), Emil Pfeiffer (67) und Genia Jenny Schaier (46) vor den Kampfhandlungen in den Keller der Förstergasse 7 in Wien-Leopoldstadt.
Um etwa 15.30 Uhr führt eine SS-Einheit eine Hausdurchsuchung durch. Die SS-ler befehlen allen Personen im Keller, sich auszuweisen, sondert die neun Jüdinnen und Juden aus und bringt sie in die Hauseinfahrt. In den Abendstunden werden sie in einen Bombentrichter auf der Straße vor dem Haus geführt und durch Genickschüsse ermordet. Wenige Stunden später, um 3:30 Uhr, treffen die Soldaten der Roten Armee in der Förstergasse ein.
Die Krankenschwester Mignon Langnas kommt wenig später an den Ort des Grauens, als man gerade einen der Getöteten aus dem Bombentrichter holt: „Schon werde ich in ein Haustor geführt, und dort liegen sie. Ich agnosziere Kurterl, der die Hände zur Abwehr erhoben hält (…), Blum und noch sechs Leichen. Und die Frau Holzer heult auf den Ruinen um ihren Mann, der auch dabei ist, und die zwei Buben stehen verstört da: SS hat den Vati erschossen! Ich nehme beide Kinder mit und gehe durch die verwüsteten Straßen, an Leichen vorbei, die mitten drin liegen mit weit aufgerissenen Augen.“
Ein angeblich kommunistischer Bürgermeister tritt sein Amt an (Karin Kirchmayr)
Am 11. April findet sich unter den Widerstandskämpfern im Palais Auersperg ein gewisser Rudolf Prikryl ein. Die Geschichte kennt ihn als den „Drei-Tage-Bürgermeister“, der angeblich von einem russischen Offizier zum provisorischen Bürgermeister bestimmt wurde. Nach seiner Bestellung soll Prikryl mit mehreren Stempeln bewaffnet allerhand Vollmachten und Verfügungen ausgestellt haben. Wer zu Prikryl ins Büro kam, konnte schon einmal als stolzer Besitzer eines Kinos nach Hause kommen. Abschriften gab es keine, sodass durchaus mehrere Personen mit ein und demselben Posten bedacht werden konnten.
Lange währt Prikryls Amtszeit nicht. Bereits nach wenigen Tagen wird er bei Verhandlungen der Widerstandsbewegungen aufs Abstellgleis gestellt. Schlussendlich wird am 17. April Theodor Körner als erster Wiener Bürgermeister präsentiert.
Prikryls Rolle gilt als umstritten. Historiker bezweifeln, dass Prikryl tatsächlich jemals Bürgermeister war. Vielmehr soll er in den Wirren des Kriegsendes nahezu unabsichtlich zumindest einen kleinen Teil der österreichischen Geschichte geschrieben haben.
Daniel Retschitzegger hat diese überaus skurrile Begebenheit recherchiert.
Der Stephansdom steht in Flammen (Teil 1) (Klaus Taschwer)
Hat Wehrmachtshauptmann Gerhard Klinkicht am 10. April noch den SS-Befehl verweigert, den Stephansdom in Schutt und Asche zu legen, so nimmt das Unheil am Abend des 11. April dennoch seinen Lauf: Es beginnt im gotischen Dom zu brennen, und das Feuer wird weite Teile der Kathedrale zerstören.
Was zur Katastrophe führt, lässt sich 80 Jahre später nicht mehr eindeutig rekonstruieren. Die populärste Version in der Nachkriegszeit ist, dass Plünderer das damalige Kleiderkaufhaus Rothenberger am Stephansplatz in Brand stecken und dass die Funken auf die 800 Jahre alte Kirche überspringen, die bis dahin auch das Kriegsgeschehen überstanden hat.
Vor allem seit der aufwendigen TV-Dokumentation "Brandakte Stephansdom" gilt eine andere Version als wahrscheinlicher: Verantwortlich dürfte wohl doch der Beschuss durch die deutsche Wehrmacht oder die Rote Armee gewesen sein – "entweder als Kollateralschaden beim Kampf oder aber durch blanken Zerstörungswillen", so Dombaumeister Wolfgang Zehetner.
Vermutlich entzündeten Granaten die Häuserfront an der Westfassade des Doms, der Brand griff von einem alten Gerüst am Nordturm auf den hölzernen Dachstuhl über. Ein möglicher weiterer Beschuss führte zum Einbruch einer Stützmauer auf dem Gewölbe und damit zur Zerstörung des Kirchenschiffs.
Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
Der Stephansdom steht in Flammen (Teil 2) (Klaus Taschwer)
Der Brand, der am Abend ausbricht und in der Nacht zum 12. April zu wüten beginnt, hätte unter normalen Umständen vermutlich gelöscht werden können. Doch das wird durch mehrere Umstände verunmöglicht: Zum einen haben die Nazis die Feuerwehren zwei Tage zuvor aus Wien abgezogen – als Teil ihrer Politik der „verbrannten Erde“.
Zum anderen hat ein US-Angriff am 12. März dafür gesorgt, dass die beiden großen Wasserleitungen des Doms schwer beschädigt wurden, während die Treffer die Kathedrale selbst verschonten. Doch einen Monat später erweist sich die Zerstörung der Wasserleitungen als fatal.
Die Lärchenbalken des Dachstuhls halten den Flammen zwar einige Zeit lang stand, doch letztlich wird der Holzdachstuhl – ähnlich wie beim Brand der Notre-Dame in Paris – zum Zunder und zum vollständigen Raub der Flammen.
Am 12. April 1945 wird die Pummerin, die größte Glocke des Stephansdoms, als Folge eines Dachbrandes in die Turmhalle herabstürzen und zerbrechen. Tags darauf durchschlägt eine einbrechende Stützmauer das Gewölbe des südlichen Seitenchors. Das in den Dom eindringende Feuer zerstört Chorgestühl und Chororgel, Kaiseroratorium und das gotische Lettnerkreuz.
Der niedergebrannte Stephansdom wird zum Sinnbild der sinnlosen Zerstörung des Krieges – in den Jahren danach aber auch zum Symbol für den Wiederaufbauwillen Österreichs.


12. April 1945
Sprengung der Reichsbrücke verhindert (David Rennert)
Während der Stephansdom am Nachmittag des 12. Aprils noch in Flammen steht, überqueren sowjetische Soldaten den Donaukanal und besetzen rasch die Leopoldstadt und die Brigittenau. Die 2. SS Panzerdivision hält am rechten Donauufer nur mehr den Bereich zwischen Friedrich-Engels-Platz und Nordwestbahnhof. Die bereits vorbereitete Sprengung der Reichsbrücke wird vereitelt.
Franklin D. Roosevelt stirbt (David Rennert)
Ein wichtiges weltpolitisches Ereignis dieses Tages werden die Wienerinnen und Wiener erst mit Verspätung erfahren: Völlig überraschend stirbt US-Präsident Franklin Delano Roosevelt an einer Hirnblutung. Unter Roosevelt rückten die USA vom Isolationismus ab und wurden zu unverzichtbaren Unterstützern der Alliierten, ehe sie nach dem Angriff auf Pearl Harbor und Hitlers Kriegserklärung an die USA 1941 selbst in den Krieg eintraten.
Vizepräsident Harry S. Truman wird als Nachfolger Roosevelts angelobt.
Imago Images
Im Bild: FDR nach der Konferenz von Jalta wenige Wochen vor seinem Tod.


13. April 1945
Sowjetische Truppen dringen in der Inneren Stadt vor (Tanja Traxler)
Seit nunmehr einer Woche toben Kämpfe in der strategisch wichtigen Hauptstadt Wien, wobei es den sowjetischen Truppen gelingt, immer weiter in die Innere Stadt vorzudringen. Der deutsche Wehrmachtsberichtet meldet an diesem Tag lakonisch: „In Wien dauern die schweren Straßenkämpfe an.“ Die Nazi-Propaganda geht mit keinem Wort darauf ein, wie die Lage wirklich ist. Dieser 13. April wird als jener Tag in die Geschichte eingehen, an dem Wien von der NS-Herrschaft befreit wird.
ullstein bild / picturedesk.com
Im Bild: Sowjetische Offiziere am Heldenplatz
Heftige Kämpfe in Simmering und am Donaukanal (Tanja Traxler)
Während die Leopoldstadt und die Brigittenau rasch an die Rote Armee fallen, wird in manchen Gegenden Wiens schon seit Tagen erbittert um jedes Haus gekämpft, noch bis zu diesem 13. April. Besonders heftig fallen die Kämpfe in Simmering, am Donaukanal und am Gürtel aus.
Credit: Imago/SNA/Vladimir
Im Bild: Kämpfer der 3. Ukrainischen Front laufen bei Kämpfen am Wiener Donaukanal eine Schiffsleiter hinauf.
"Die Österreicher werfen ihre Waffen weg, desertieren aus ihren Einheiten" (David Rennert)
"Das deutsche Kommando, das die Österreicher mit Erzählungen über angebliche Gräueltaten der Russen in Angst versetzt, stellt unter Androhung von Waffengebrauch österreichische Volkssturmeinheiten auf, die nach ihrer Bewaffnung in den Kampf gegen Einheiten der Roten Armee geschickt werden", heißt es in einem Bericht der Politabteilung der 2. und der 3. Ukrainischen Front an die Hauptverwaltung der Roten Armee. „Diese Einheiten leisten unseren Truppen gewöhnlich keinerlei Widerstand. Die Österreicher werfen ihre Waffen weg, desertieren aus ihren Einheiten und kehren an ihre Wohnorte zurück."
Fanatiker im Endkampf (David Rennert)
Nicht alle geben auf. Manche Volkssturm-Angehörige kämpfen noch fanatisch weiter und glauben selbst jetzt noch, die Rote Armee sei aufzuhalten. Unter ihnen ist der 17-Jährige Volkssturm-Angehörige Fred Borth. Er berichtet später in seinen Erinnerungen über seine Verachtung jenen gegenüber, die aufgeben oder aus Angst weglaufen.
Er kämpft noch am 13. April gemeinsam mit einem SS-Mann hinter den russischen Linien und ist an Angriffen und Überfällen auf sowjetische Soldaten beteiligt. Erst zwei Tage nach Kriegsende wird Borth schließlich aufgeben. Seiner Gesinnung wird er aber noch jahrzehntelang treu bleiben und sich in der Zweiten Republik am Aufbau neonazistischer Strukturen beteiligen.
Sprengung der Floridsdorfer Brücke und provisorische Brücke über den Donaukanal (Tanja Traxler)
In der Schlacht um Wien stellen die Brücken über die Donau und über den Donaukanal strategisch wichtige Nadelöhre dar. Nach ihrem fluchtartigen Rückzug aus Floridsdorf (nachdem sie nur knapp der Einkesselung entkommen sind) gelingt es der Wehrmacht noch, die Floridsdorfer Brücke zu sprengen. Die ebenfalls geplante Sprengung der Reichsbrücke ist am Vortag verhindert worden. Die Sowjets nehmen die Reichsbrücke ein und errichten eine improvisierte Brücke über den Wiener Donaukanal, da die dortigen Brücken ebenfalls zerstört sind.
Credit: IMAGO/SNA/Boris
Im Bild: Sowjetische Ingenieure beim Bau einer provisorischen Brücke über den Donaukanal.
Blutiger Kampf um Wien (David Rennert)
Der Kampf um Wien fordert zwar weniger Tote als etwa die Befreiung Budapests, dennoch sind die Opferzahlen enorm. Während der gesamten "Wiener Operation" von 16. März bis 13. April fallen heutigen Schätzungen zufolge rund 168.000 Soldaten der Roten Armee. Diese Zahl schließt Kämpfe der Roten Armee auf dem Weg von der Grenze zu Ungarn nach Wien mit ein. Wie viele sowjetische Soldaten im Wiener Stadtgebiet sterben, ist nicht bekannt.
Auf der Seite der Wehrmacht und der Waffen-SS wird von bis zu 20.000 Toten ausgegangen. Auch zu den zivilen Opfern gibt es keine genauen Zahlen, sie gehen jedenfalls in die Tausende. In Wien ist jedes fünfte Gebäude zerstört oder beschädigt.
Die offizielle sowjetische Bilanz fällt freilich anders aus: 26.000 gefallene sowjetische Soldaten auf österreichischem Boden insgesamt, 18.000 im Kampf um Wien sowie 19.000 tote und 47.000 gefangene Offiziere und Soldaten deutscher Einheiten.
Imago Images
Im Bild: Ein verwundeter sowjetischer Soldat wird von zwei Kameraden in den Straßen von Wien evakuiert.
Noch ein Eindruck vom Wiener Donaukanal (David Rennert)
Dort, wo die Wienerinnen und Wiener heutzutage an schönen Frühlingstagen die ersten Sonnenstrahlen genießen, toben am 13. April 1945 letzte erbitterte Kämpfe.
IMAGO/SNA/Vladimir
Massaker in Göstling an der Ybbs (Tanja Traxler)
Schauplatzwechsel ins westliche Niederösterreich: In Göstling an der Ybbs werden an diesem 13. April am Fuße des Skigebiets Hochkar 76 ungarische Männer, Frauen und Kinder in einer Baracke zusammengetrieben. Sie sind als Zwangsarbeiter zu Straßenarbeiten eingesetzt worden. „SS und Hitlerjugend werfen Handgranaten und Panzerfäuste durch die Fenster, danach stecken sie die Baracke in Brand. Überlebende, die flüchten wollen, sterben im Maschinengewehr-Feuer“, schreibt Herbert Lackner in seinem Buch „1945“.
Ende der Kämpfe, Wien ist befreit! (Tanja Traxler)
Am Nachmittag des 13. April veröffentlicht das sowjetische Oberkommando die entscheidende Sondermeldung. „Am 13. April nahmen die Truppen der 2. Ukrainischen Front nach heftigen Kämpfen die Hauptstadt Österreichs, Wien, einen strategisch wichtigen Verteidigungsknotenpunkt der Deutschen, der den Weg nach Süddeutschland versperrte.“ Nach 2571 Tagen ist die NS-Herrschaft in Wien vorbei. Bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrags und Leopold Figls berühmten Ausspruch „Österreich ist frei!“ wird es noch gut 10 Jahre dauern, doch ein wichtiger Grundstein für das unabhängige Österreich wird durch die Befreiung Wiens an diesem 13. April gelegt.
Raskin, S. / ÖNB-Bildarchiv
Ein Ende des Albtraums (David Rennert)
Für versteckte Jüdinnen und Juden und andere Verfolgte des NS-Regimes, für NS-Gegner und untergetauchte Deserteure in Wien ist der 13. April ein Wendepunkt. Die Gefahr, von fanatischen Nationalsozialisten noch im letzten Moment ermordet zu werden, ist weitgehend gebannt. Viele wagen sich langsam aus ihren Verstecken, in denen sie oft unter unmenschlichen Bedingungen und höchster Lebensgefahr lange Zeit ausharren mussten.
Unter ihnen ist die 16-jährige Jüdin Lucia Heilman, geborene Treister. Sie ist den Deportationen in die Vernichtungslager gemeinsam mit ihrer Mutter, der Chemikerin Regina Treister, dank der Hilfe des Kunstschmieds Reinhold Duschka entgangen. Er versteckt die beiden vier Jahre lang in einem dunklen Verschlag in seiner Werkstatt in der Mollardgasse im 6. Wiener Bezirk. 1944 brennt die Werkstatt nach einem Bombentreffer aus, Duschka bringt Lucia und Regina in einem Kellerabteil seines neuen Ateliers unter, wo sie ein halbes Jahr in absoluter Dunkelheit verbringen müssen. Sie überleben und werden von der Roten Armee befreit.
Lucia Heilman wird Ärztin und berichtet später als Zeitzeugin über ihre Verfolgungsgeschichte. Reinhold Duschka erhält den israelischen Ehrentitel "Gerechter unter den Völkern".
Goebbels über die Wiener: "Widerwärtiges Pack" (David Rennert)
Die Nachricht vom Verlust Wiens veranlasst Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in Berlin zu Schimpftiraden. Sein frustrierter Tagebucheintrag: "Das haben wir nun vom sogenannten Wiener Humor, der bei uns in Presse und Rundfunk sehr gegen meinen Willen immer wieder verniedlicht und verherrlicht worden ist. Der Führer hat die Wiener schon richtig erkannt. Sie stellen ein widerwärtiges Pack dar, das aus einer Mischung zwischen Polen, Tschechen, Juden und Deutschen besteht."
Verletzte Soldaten werden versorgt (Tanja Traxler)
Trotz des sowjetischen Triumphs sind an diesem Tag auf allen Seiten zahlreiche Tote zu beklagen und Verwundete zu versorgen.
IMAGO/SNA/Simon Raskin
Im Bild: Ein Krankenpfleger bandagiert den Kopf eines verletzten sowjetischen Soldaten.
Unübersichtliche Lage (David Rennert)
Für die Wienerinnen und Wiener ist die Situation unübersichtlich. Es gibt keinen Rundfunkempfang, seit Tagen erscheinen in Wien keine Zeitungen mehr. Informationen über den Kriegsverlauf und die politische Situation gibt es nur gerüchteweise.
Der militärische Stadtkommandant General Iwan Blagodatow lässt Kundmachungen plakatieren, in denen die Bevölkerung zur "Aufrechterhaltung des normalen Lebens" und zu loyalem Verhalten gegenüber der Roten Armee aufgefordert wird.
Noch während der letzten Kampfhandlungen kommen Vertreter des Widerstands aller politischen Richtungen im Palais Auersperg zusammen, um über die Wiederherstellung einer funktionierenden staatlichen Ordnung zu beraten.
Sowjets nehmen SS-Kriegsgerät in Beschlag und deutsche Soldaten gefangen (Tanja Traxler)
Bei der Besetzung Wien durch sowjetische Soldaten wird auch allerhand Kriegsgerät in Beschlag genommen. „In den Kämpfen um die Anmarschwege nach Wien und um Wien selbst zerschlugen die Truppen der Front vom 16. März bis 13. April elf deutsche Panzerdivisionen, darunter die 6. SS-Panzerarmee, nahmen über 130.000 Soldaten und Offiziere gefangen, vernichteten bzw. erbeuteten 1.345 Panzer und Sturmgeschütze, 2.250 Feldgeschütze sowie viel sonstiges Kriegsgerät“, heißt es in einer Meldung des sowjetischen Oberkommandos.
Absurde Durchhaltepropaganda im Innviertel (David Rennert)
Anderswo erscheinen noch Zeitungen und verbreiten unverändert NS-Durchhaltepropaganda. Das in Ried im Innkreis erscheinende "Innviertler Heimatblatt" etwa titelt an diesem 13. April: „Deutschland kapituliert nie!“
Dass in Wien "heftige Straßenkämpfe" toben, räumt sogar die NS-Postille ein. Gleich darunter heißt es: "Es sind eben unsere schwersten Stunden in diesem Kriege, die wir jetzt durchmachen, aber wir kommen selbst jetzt, wo alles vermeintlich gegen uns verschworen ist, unserem Ziele näher, wenn auch unendlich langsam und mühselig. Der fanatische Widerstand unserer Truppen, der gewaltige Blutverlust der Gegner, die ersten Gegenschläge und das Wiedererscheinen unserer U-Boote, die Tapferkeit der Heimat, die sich nicht beugen lässt – das alles sind bedeutsame Zeichen. Sie werden sich mehren und endlich den Augenblick herbeiführen, in dem wir aufatmend sagen können, dass wir über den Berg sind."
Anno / ÖNB
Feuerwerk in Moskau (David Rennert)
In Moskau lässt Stalin um 21 Uhr die Einnahme Wiens feiern: 24 Salven aus 324 Geschützen und ein großes Feuerwerk verkünden den Erfolg der Roten Armee in der Donaumetropole. 270.000 sowjetische Soldaten werden den Orden "Für die Befreiung Wiens" erhalten. Angehörige jener Einheiten und Verbände, die sich im Kampf um Wien ausgezeichnet haben, erhalten den Ehrentitel "Venskij" - "Wiener".






13. April 1945: Die Befreiung Wiens steht unmittelbar bevor
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#7
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 7:
14. - 16. April 1945



14. April 1945
Leopold Figl wird zum gefragten Mann (Klaus Taschwer)
Als prominenter Funktionär in der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur ist Leopold Figl nach dem „Anschluss“ der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Bereits am 1. April 1938 wird er ins KZ Dachau verbracht und dort gequält und gefoltert. Nach fünf Jahren in KZ-Haft kommt er im Mai 1943 kurz frei, wird im Oktober 1944 neuerlich verhaftet, kommt ins KZ Mauthausen und wird im Jänner 1945 ins Landesgericht nach Wien überstellt. Dort sitzt er bis 6. April in einer Todeszelle, ehe er wegen des Vorrückens der Roten Armee freigelassen wird.
Die Kämpfe in Wien überlebt er dann im Keller seines Wohnhauses. Knapp eine Woche später stöbern ihn Soldaten der Roten Armee in seiner Wohnung auf und bringen ihn zum Oberkommandanten der 3. Ukrainischen Front, Marschall Tolbuchin. Der Hinweis auf Figl dürfte entweder von Vertretern der Widerstandsorganisation O5 oder von führenden österreichischen Kommunisten gekommen sein.
Die Sowjets brauchen den Agrarexperten, um die Lebensmittelversorgung der Großstadt Wien möglich schnell wieder herzustellen. Dafür ist der ehemalige niederösterreichische Bauernbunddirektor Figl der geeignete Mann. Der tritt auch sofort in Aktion, reaktiviert seine Kontakte und beginnt mit dem Wiederaufbau politischer Strukturen. Am 14. April gründet er den Bauernbund neu und wird dessen Direktor. Und am 17. April wird er bei der Gründung der ÖVP im Wiener Schottenstift zu deren stellvertretendem Obmann gewählt.
Aufräumarbeiten am Stephansplatz beginnen (Tanja Traxler)
Der Brand des Wiener Stephansdoms liegt nun mehr als einen Tag zurück. Inzwischen hat sich die Situation etwas entspannt, und Nonnen beginnen damit, den Schutt vor dem Dom zu beseitigen.
IMAGO/SNA/Boris
Fanatische Aufrufe in Berlin und Graz zum Endkampf (Klaus Taschwer)
Die Kampf um Wien ist zwar entschieden, dennoch wird an anderen Fronten weitergekämpft – auch unmittelbar vor Wiens Haustüre: Nordwestlich der Donau gibt es weiterhin Widerstand gegen die Rote Armee.
Angefeuert wird das sinnlose Sterben durch den Tagesbefehl Adolf Hitlers vom 14. April: „Der Bolschewist wird dieses Mal das alte Schicksal Asiens erleben, er muss und wird vor der Hauptstadt des Deutschen Reiches verbluten. Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch, und Europa wird niemals russisch.“
In Graz ist der von besonderem Fanatismus erfasste Gauleiter Sigfried Uiberreither entschlossen, die Stadt bis zum Äußersten zu verteidigen. Bei einer Kundgebung lässt er wissen: „Bevor ich diese Stadt übergebe, will ich lieber unter ihren Trümmern begraben sein.“ Nach Uiberreithers Vorstellungen und gemäß Nerobefehl sollte die Stadt vor dem Einmarsch sowjetischer Truppen zerstört werden.
Oberbürgermeister Kaspar ruft währenddessen die Grazer Bevölkerung auf, die Stadt in Richtung Gratkorn und Voitsberg zu verlassen.
Wiederbegründung der SPÖ im beschädigten Wiener Rathaus (Klaus Taschwer)
Im Roten Salon des schwer beschädigten Rathauses findet das erste Treffen führender Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten statt. Viele fehlen: einerseits jene aus den weiter entfernten Bundesländern und andererseits die ins Exil Geflüchteten.
Bei diesem provisorischen Parteivorstand wird die frühere SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) unter dem Namen Sozialistische Partei Österreichs (Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten, kurz: SPÖ) wiederbegründet. (Zur Rückbenennung in Sozialdemokratische Partei kommt es auf dem Parteitag 1991 unter Franz Vranitzky.)
Provisorischer Leiter wird Adolf Schärf, der von 1936 bis 1945 als Rechtsanwalt tätig war und später Bundespräsident werden sollte. Der 54-Jährige hat am 12. April auch Kontakt mit der Widerstandsorganisation O5 im Palais Auersperg gemacht. Das sei zu dem Zeitpunkt laut dem SP-Politiker die einzige österreichische Stelle in Wien gewesen, die überhaupt amtierte.
Die Widerstandsorganisation steht nach seinem Eindruck zu sehr unter dem Einfluss der Kommunisten, weil ihre Vorstellung von einer gemeinsamen Regierung aller politischen Kräfte – ohne die Nazis – nach der von Moskau propagierten Volksfrontidee riecht. Entsprechend geht Schärf auf Distanz zu O5 und sollte Gespräche mit der neuen ÖVP bevorzugen, die sich aber erst in drei Tagen gründen sollte.
Brutale Morde in den Sperrzonen (Karin Kirchmayr)
Während die Front weiter nach Westen rückt, richtet die Wehrmacht "Sperrzonen" entlang der Enns ein, die systematisch nach Fahnenflüchtigen durchsucht werden. Lothar Rendulic, Kommandanten der „Heeresgruppe Ostmark“ und Gauleiter August Eigruber wollen auch im Angesicht der Niederlage den Kampf nicht aufgeben. Am 14. April gibt Rendulic den Befehl: "Ab 15. April Mittag sind alle Soldaten aller Wehrmachtsteile, die abseits ihrer Einheit auf Straßen, in Ortschaften, in Trossen oder Ziviltrecks, auf Verbandsplätzen, ohne verwundet zu sein, angetroffen werden, standrechtlich zu erschießen."
Bereits am 9. April wird in Weyer an der Enns ein Auffangstab unter dem Kommando von Oberst Paul von Mayer eingerichtet. Als Zentrale dient der Pfarrhof. Es beginnt eine regelrechte Jagd auf Soldaten, Bauernhäuser und Wälder werden durchkämmt. Wer sich nicht ausweisen kann, wird hingerichtet. Nach Berichten der Kreuzschwester Theoklia wurden bis zum 9. Mai 75 Männer erschossen, zum Teil Soldaten, die der Gefangenschaft entkommen waren. "Manche SS-Männer waren so blutrünstig und grausam, dass sie behaupteten, erst wenn sie ein paar erschossen hätten, dann schmeckte ihnen das Frühstück", schreibt der Pfarrer Ennser 1946 in einem Bericht in den OÖN.
Niemand musste sich für die Verbrechen des Weyrer Auffangstabs verantworten, während Deserteure noch lange als Verräter und Kameradenmörder abgestempelt wurden, wie der Historiker Adolf Brunnthaler betont, der die Geschichte 2016 aufgearbeitet hat.


15.. April 1945
Die erste Ausgabe der "Österreichischen Zeitung" erscheint (Klaus Taschwer)
Am 15. April, einem Sonntag, wird die erste Nummer einer neuen Zeitung von Rotarmisten in Wien verteilt. Sie heißt "Österreichische Zeitung, Frontzeitung für die Bevölkerung Österreichs" und wird vom Sowjetkommando für Österreich herausgegeben.
Auf der Titelseite ist ein Bild des Stephansdoms – vor der Brandkatastrophe – mit einer rotweißroten Fahne zu sehen. Dazu gibt es Aufrufe an die Bevölkerung Österreichs mit dem Hinweis, dass die Wiederherstellung eines selbstständigen Österreichs das Ziel der Alliierten sei.
Auf Seite 2 ist auch eine Passage der Moskauer Deklaration abgedruckt, die einerseits die Wiedergründung Österreichs auf den Weg brachte, andererseits aber auch den bequemen Opfermythos für viele Jahrzehnte festschrieb: „Österreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, muss von der deutschen Herrschaft befreit werden.“
Die „Österreichische Zeitung“ wird, zunächst noch unregelmäßig, bis 1955 als Tageszeitung erscheinen. Sie kostet anfangs 10 Groschen, später den doppelten Betrag. Es gibt noch eine zweite „Österreichische Zeitung“, die an diesem Tag erscheint: allerdings in Stockholm als Exil-Blatt des Free Austrian Movement beziehungsweise der Freien Österreichischen Bewegung. Am Cover: ebenfalls der Stephansdom mit dem Schriftzug "Wien ist befreit".
Anno / ÖNB
Die Universität Wien wird am 15. April wiedereröffnet (1. Teil) (Klaus Taschwer)
Die feierliche Wiedereröffnung von Österreichs größter und ältester Universität nach Ende des Krieges findet in Wien unter symbolträchtigen Umständen statt. Die Zeremonie wird nicht im Hauptgebäude abgehalten, das durch mehr als 20 Bombentreffer schwer beschädigt ist, sondern im Institut für Ägyptologie in der Frankgasse 1 neben der Votivkirche.
Der 22-jährige Kurt Schubert, der erst 1944 dissertiert hat, im katholischen Widerstand engagiert ist und Kontakte zur Widerstandsbewegung O5 hat, lädt für 11 Uhr zu einer Professorenversammlung, der sechs Professoren Folge leisten können, darunter der antisemitische Ägyptologe Wilhelm Czermak. Czermak bestätigte Schubert durch Händedruck in seiner Würde als "Interimsrektor". Zudem wird der 22-Jährige beauftragt, sein provisorisches Amt noch drei Tage länger auszuüben und die Universität von den sowjetischen Truppen zu übernehmen.
Noch heute erinnert eine Gedenktafel am Haus Frankgasse 1 an dieses Ereignis. Was sie allerdings verschweigt: Das Institut für Ägyptologie, das bis 2014 in diesem Haus untergebracht war, ist erst nach dem "Anschluss" an diese Adresse übersiedelt – und zwar in jene Wohnung, die bis 1938 vom Maler Armin Horowitz und seiner Frau Rosemarie bewohnt worden ist. Die Wiedereröffnung der Universität Wien 1945 fand damit streng genommen auf "arisiertem Boden" statt.
Die Universität Wien wird wiedereröffnet (Teil 2) (Klaus Taschwer)
Die sowjetische Verwaltung hat ein besonderes Faible für Stempel. Sie sind Voraussetzung dafür, dass Institutionen Legitimität haben und wieder aufsperren dürfen. Mit dem Stempel zur Wiedereröffnung der Universität Wien am 15. April in der Frankgasse hat es eine besondere Bewandtnis – jedenfalls in der Version, die Kurt Schubert über dessen Herstellung erzählte.
Schubert, der 1944 an der Uni Wien in Altorientalistik promoviert hat und Kontakte zur Widerstandsbewegung O5 vorweisen kann, erhält vom Kommandanten des 1. Bezirks die Vollmacht, das durch Bombentreffer schwer beschädigte Hauptgebäude der Uni Wien am Ring zu betreten.
Begleitet von einem sowjetischen Offizier nimmt Schubert aus dem Schreibtisch des Rektors – in den letzten Kriegstagen war das Schuberts Dissertationsvater Viktor Christian – den Nazi-Stempel der Universität. Gemeinsam schneiden sie das Wappen mit dem Reichsadler der Nationalsozialisten aus dem Stempel heraus und ersetzen es behelfsmäßig durch den doppelköpfigen Adler aus der Zeit des "Ständestaats", der wiederum aus einem alten Dekanatsstempel der Theologen geschnitten wurde.
Fachkundig unterstützt werden die beiden von Roland Grassberger, seines Zeichens Dozent für Kriminalistik. Damit hat die Alma Mater Rudolphina wieder einen offiziellen Stempel: Sein Äußeres ist der alte NS-Stempel, sein Inneres stammt aus dem "Austrofaschismus".
Der Wiedereröffnung der Universität steht nun nichts mehr im Wege.
Karl Renner schreibt Stalin einen Brief (Klaus Taschwer)
Karl Renner befindet sich immer noch auf seiner Klausur am Schloss Eichbüchl bei Wiener Neustadt, um Pläne für die Zukunft Österreichs auszuarbeiten. Am 15. April schreibt er einen Brief an den "sehr geehrten Genossen" Stalin.
"Dank Russlands erstaunlicher Machtentfaltung hat unser ganzes Volk die Verlogenheit zwanzigjähriger nationalsozialistischer Propaganda völlig durchschaut", heißt es da. Oder: "Die österreichischen Sozialdemokraten werden sich mit der K.P. brüderlich auseinandersetzen und bei der Neugründung der Republik auf gleichem Fuß zusammenarbeiten."
Stalin musste den Eindruck haben, dass Renner der richtige Mann ist, um als Sowjet-Marionette die neue Regierung zu führen. Prompt sollte ihn der Diktator zum Staatskanzler machen, der mit einer "Mischung aus Schmeichelei, vorgespiegelter Altersnaivität und kalkulierter Wahrung der österreichischen Interessen" (so Ausstellungskurator Christoph H. Benedikter kürzlich in einem Kommentar der Anderen) ausgetrickst wurde.
Der Historiker John F. Boyer (Uni Chicago), Autor des Standardwerks "Austria, 1867–1955", hegt deshalb große Bewunderung für Renners "chamäleonhafte Schlauheit", wie Boyer in einem STANDARD-Interview formulierte: "Renner kommt mir manchmal wie eine Figur aus einem Woody-Allen-Film vor. Egal, mit wem er sprach: Er konnte seine Gesprächspartner stets überzeugen, dass er auf ihrer Seite stand."
Eilige Bestattungen von tausenden Toten in Wien (Klaus Taschwer)
Radio Moskau meldet am 15. April in den deutschsprachigen Sendungen, dass beim Kampf um Wien von 3. bis 13. April 19.000 deutsche und 18.000 sowjetische Soldaten gefallen sind. Während die Zahl der deutschen (und österreichischen) Soldaten in etwa stimmen dürfte, war die Zahl der Toten auf sowjetischer Seite vermutlich sehr viel höher.
Die Rote Armee sorgt in Wien selbst für die Bestattung ihrer Toten. Zur Bestattung der deutschen und österreichischen Toten, die zu Tausenden in den Straßen liegen, werden Zivilistinnen und Zivilisten für einen mehrstündigen Arbeitseinsatz kurzfristig festgenommen.
Bestattungsstätten – auch für die Opfer unter der Zivilbevölkerung – sind vor allem Parks, aber auch Bombentrichter. Passantinnen und Passanten werden auch zu anderen mehrstündigen Arbeitseinsätzen gezwungen, vor allem zur Freilegung von Verkehrswegen. Die meisten Straßen und Gassen sind nämlich wegen der Berge von Schutt und Trümmern kaum passierbar.
IMAGO/SNA
Auf dem Foto: Sowjetische Soldaten legen am 15. April 1945 am Grab von Johann Strauss einen Kranz nieder.
Ermordung von Widerstandskämpfern in Krems/Stein – und die Rolle eines Rosenkranz'schen "Leistungsträgers" (Klaus Taschwert)
Nachdem das Landesgericht Wien am 6. April evakuiert worden ist, machen sich 60 Gefangene (darunter 46 zum Tode Verurteilte) zu Fuß in Richtung Krems/Stein auf. Die Urteilsvollstreckung ist bis dahin nicht erfolgt, da die Männer Gnadengesuche eingebracht hatten. Die Kontrolle über die Häftlinge obliegt Johann Karl Stich, dem Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht (OLG) Wien.
Am 9. April 1945 erreicht der Tross Krems, wo Stich die nicht zu Tode verurteilten Häftlinge entlässt. Die verbliebenen 44 – zwei können unterwegs fliehen – werden in die Strafanstalt Stein gebracht. Zu ihnen gehören unter anderem Angehörige der polnischen Widerstandsgruppe "Stragan" sowie die widerständigen Geistlichen Angelus Steinwender, Kapistran Pieller und Anton Granig.
Sie alle werden am 15. April 1945 vermutlich von Beamten der Gestapo Wien im Steiner Anstaltshof erschossen – trotz der noch laufenden Gnadengesuche. Ob der Befehl von Gauleiter Hugo Jury oder von Generalstaatsanwalt Stich gekommen ist, kann nie endgültig geklärt werden; Jury begeht wenig später Suizid.
Stich wird auf die am 13. Jänner 1946 veröffentlichte zweite Kriegsverbrecherliste gesetzt und 1948 zu acht Jahren schwerem Kerker verurteilt, aber nur wegen illegaler NSDAP-Mitgliedschaft. Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) nimmt Stich trotz allem 2009 in eine Liste 157 burschenschaftlicher "Leistungsträger" der Zwischenkriegszeit auf.
Das stark zerstörte St. Pölten wird am 15. April 1945 befreit (Klaus Taschwer)
St. Pölten hat den Zweiten Weltkrieg bis Ende März ohne größere Zerstörungen überstanden. Ab dem 22. März 1945 kommt es umso heftiger: Durch US-Luftangriffe, die ihr Ziel (den Bahnhof und Werkstätten) verfehlen, werden hunderte Zivilisten getötet, 39 Prozent des Häuserbestandes zerstört oder beschädigt.
Die Gewalt verdichtet sich in den letzten Kriegstagen: Am 13. April verhaften SS-Angehörige 13 Mitglieder der Widerstandsgruppe Kirchl-Trauttmansdorff, verurteilen sie standrechtlich und richten sie im Hammerpark hin.
"In der Nacht zum 15. April dringen dann sowjetische Soldaten, wahrscheinlich der 106. Garde-Schützen-Division, in die Stadt ein, ohne dabei auf größeren Widerstand zu stoßen", wie Historiker Manfried Rauchensteiner in seinem Standardwerk "Der Krieg in Österreich 1945" schreibt.
Der Kampf um St. Pölten führt zu weiteren Zerstörungen der städtischen Infrastruktur. Zahlreiche Brücken werden von den flüchtenden NS-Truppen gesprengt. Durch die Kampfhandlungen sterben in St. Pölten 591 Zivilpersonen, im Stadt- und Landbezirk St. Pölten kommen mehr als 2.000 deutsche und über 1.600 sowjetische Soldaten ums Leben.
Massaker an rund 100 jüdisch-ungarischen Zwangsarbeitern bei Randegg (Klaus Taschwer)
Etwa 100 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter, die in Lagern in Stangental und Kerschenbach (beide: Bezirk Lilienfeld in Niederösterreich) eingesetzt wurden, treffen am 14. April in Scheibbs ein. Von da soll es am nächsten Tag nach Amstetten weitergehen. Doch ein SS-Mann übernimmt mit einer SS-Mannschaft den Transport und leitet ihn in den Schliefaugraben bei Randegg um – und von dort in den Hundsgraben.
Dort ist bereits ein Maschinengewehr in Position gebracht. Zwischen 96 und 113 Menschen werden von SS-Männern erschossen und von sechs Hitlerjungen verbrannt. Die Überreste der Opfer, zur Hälfte Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, werden am nächsten Tag verscharrt und die wenigen Habseligkeiten der Ermordeten verbrannt, womit auch eine Identifizierung der Opfer verunmöglicht ist.
HJ-Führer Ernst Burian ist der Einzige, der für dieses (und noch ein anderes) Endphaseverbrechen vor Gericht gestellt und 1948 verurteilt wird. Burian bestreitet die direkte Tatbeteiligung, rechtfertigt die Morde aber, da er "solche Leute" als "feindlich unserem Vaterland gesinnt und möglicherweise gefährlich" gesehen hätte und ihm daher deren Ermordung als sinnvoll erschienen sei.
Trotz Verurteilung zu lebenslanger Haft geht Burian bereits 1953 wieder frei.


16. April 1945
16. April 1945: Tagesbefehl Hitlers an die Kämpfer der Ostfront (Klaus Taschwer)
Während die Rote Armee nicht nur in Österreich immer weiter vordringt, gibt Adolf Hitler nach wie vor fanatische Tagesbefehle aus dem Führerhauptquartier aus, die dazu beitragen, dass diese letzten Kriegstage in Deutschland und Österreich besonders viele Opfer fordern. In jenem vom 16. April heißt es:
"Zum letzten Mal ist der jüdisch-bolschewistische Todfeind mit seinen Massen zum Angriff angetreten. Er versucht, Deutschland zu zertrümmern und unser Volk auszurotten. Ihr Soldaten aus dem Osten wisst, welches Schicksal vor allem den deutschen Frauen, Mädchen und Kindern droht.
Während die alten Männer und Kinder ermordet werden, werden Frauen und Mädchen zu Kasernenhuren erniedrigt. Der Rest marschiert nach Sibirien. Wir haben diesen Stoß vorausgesehen, und es ist seit dem Jänner alles geschehen, um eine starke Front aufzubauen. (...)
Wer euch Befehl zum Rückzug gibt, ist sofort festzunehmen und nötigenfalls augenblicklich umzulegen, ganz gleich, welchen Rang er besitzt. Wenn in diesen kommenden Tagen und Wochen jeder Soldat an der Ostfront seine Pflicht erfüllt, wird der letzte Ansturm Asiens zerbrechen, genau so, wie am Ende auch der Einbruch unserer Gegner im Westen trotz allem scheitern wird.
Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch und Europa wird niemals russisch."
Theodor Körner wird als Bürgermeister Wiens nominiert (Klaus Taschwer)
Wien hat seit dem Ende der Kämpfe für einige wenige Tage einen (inoffiziellen) Bürgermeister: Der kommunistische Installateur Rudolf Prikryl "amtiert" mit Unterstützung der Widerstandsbewegung O5 und der russischen Truppen im Wiener Rathaus.
Dort wird am 16. April über die Bildung einer (offiziellen) Stadtregierung verhandelt. (Die noch nicht offiziell gegründete) ÖVP und die KPÖ anerkennen die SPÖ als führende Kraft. In der SPÖ einigt man sich nach langen Diskussionen auf den 71-jährigen früheren General Theodor Körner als Bürgermeister, nachdem etliche andere Kandidaten abgesagt haben.
Körner zur Seite stehen drei Vizebürgermeister: Paul Speiser (SPÖ), Leopold Kunschak (ÖVP) und Karl Steinhardt (KPÖ). Am 17. April 1945 wird Körner vom sowjetischen Stadtkommandanten General Alexej Blagodatow bestätigt. Das kurze und kuriose Interregnum Rudolf Prikryls ist damit vorbei, der daraufhin das Rathaus verlässt.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#8
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 8:
17. - 19. April 1945


17.April 1945
Die ÖVP wird im Schottenstift neu gegründet (Klaus Taschwer)
Im Wiener Schottenstift wird die Österreichische Volkspartei gegründet. Sie unterscheidet sich von der Vorgängerpartei, der Christlichsozialen Partei (CS), durch das Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie. Bei der Namenswahl will Augenmerk darauf gelegt, eine bürgerliche Sammelpartei der Mitte zu sein. Ein Nahverhältnis zur katholischen Kirche zeigt sich nicht nur durch den Ort der Gründung, sondern auch beim Personal.
Leopold Kunschak, der in der Ersten Republik auch als Antisemit aufgefallen ist, wird erster Parteivorsitzender, gibt das Amt jedoch einige Tage später an den Bauernbündler Leopold Figl ab, der am 14. April den Bauernbund wiedergegründet hat und dessen Direktor ist.
Quasi als "Vertreter" der Widerstandsbewegung O5 sitzt der heute weitgehend vergessene Raoul Bumballa auf dem offiziellen Gründungsfoto (siehe oben), das etwas später aufgenommen wurde, zwischen den Galionsfiguren Leopold Figl und Julius Raab, der später von Figl übernehmen wird.
Ohne von den Wiener Vorgängen zu wissen, bemüht sich in Baden Josef Kollmann um Neugründung einer christlichsozialen Partei. Kollmann, 1926 für einige Monate Finanzminister und von 1919 bis 1938 Bürgermeister von Baden, wird von der sowjetischen Kommandantur wieder als Bürgermeister Badens eingesetzt.
Widerstandskämpferin Hilda Monte wird erschossen (Martin J. Stepanek)
Sie ist eine Frau mit vielen Namen und vielen Berufungen. Die in Wien als Hilda Meisel geborene Tochter aus bürgerlich-jüdischem Elternhaus wächst in Berlin auf und schließt sich schon als Schülerin dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK)“ an, einer sozialistischen Absplitterung aus den Tagen der Weimarer Republik. Ein Studienaufenthalt an der London School of Economics führt sie 1933 nach England, wo sie nach Hitlers Machtübernahme lebt.
In den folgenden Jahren arbeitet und reist sie unter dem Namen Hilda Monte für englische Sender und den ISK, sie schreibt politische und volkswirtschaftliche Bücher, aber auch Lyrik und dient bei Besuchen in Deutschland als Informantin für NS-Widerstandsgruppen. Nach einer Scheinehe im Jahr 1938 erhält sie die englische Staatsbürgerschaft und ist nun auch unter dem Namen Elizabeth Olday bekannt. Als Kurierin ist sie als Helen Harriman unterwegs, dann wieder als Hilde Bachmann und zuletzt als Eva Schneider.
Hilda Montes letzte Mission beginnt 1944 im Auftrag des britischen Geheimdiensts und aus Eigeninitiative. Über Genf reist sie nach Kontaktaufnahme mit der Widerstandsgruppe 05 illegal nach Wien. Die Rückreise über die Feldkircher Grenze am 17. April misslingt. Monte, die mit einer Pistole und Geld unterwegs ist, wird aufgegriffen. Als sie nach stundenlanger Verwahrung einen Fluchtversuch startet, wird sie vom Grenzbeamten erschossen.
Gauleiter Eigruber rühmt sich der Erhängung von Deserteuren an der Brücke in Enns (Klaus Taschwer)
August Eigruber, Gauleiter von Oberdonau (also Oberösterreich) meldet sich in Linz zum vierten Mal im Radio, um über die Kriegslage zu sprechen. Seine Ausführungen werden mit jedem Mal fanatischer. Nun sei die Stunde des entscheidenden Kampfes endgültig gekommen. Das verlange besondere Härte gegen alle, die nicht mitmachen.
"So wie die Verräter ihr Schicksal unbarmherzig erleiden, auch wenn sie als Offiziere getarnt durch die Lande ziehen, so werden Deserteure nunmehr hart angepackt. Die ersten zwei Fahnenflüchtigen, welche die Front verließen und nicht bereit waren, Frauen und Kinder gegen den bolschewistischen Mob zu verteidigen, hängen seit gestern an der Brücke in Enns, zur Warnung aller Feiglinge und Verräter." (…)
Entweder ergeben wir uns dem bolschewistischen Ansturm oder wir verteidigen unsere Heimat, unsere Frauen und Kinder. Die zuverlässigsten Nachrichten, welche ich aus Niderdonau, Wien und Steiermark habe, schildern die Schändlichkeiten der bolschewistischen Untermenschen noch viel furchtbarer, als dies bisher in unserer Presse oder im Rundfunk geschah. Es sind keine Menschen, es sind Tiere aus der asiatischen Steppe, welche über Europa Verderben aber auch Tod bringen.“
Deserteure sollten in Österreich erst 2009 rehabilitiert werden und 2014 ein Denkmal am Ballhausplatz erhalten.
Gemeinfrei
Der Auftrag zur Regierungsbildung an Karl Renner wird konkreter (Klaus Taschwer)
Am Schloss Eichbüchl bei Wiener Neustadt wird Renner am 17. April von sowjetischen Offizieren über die Bemühungen der Gründung einer sozialdemokratischen und einer christlichsozialen Partei informiert. Die Personen, die ihm dabei genannt werden, sind Adolf Schärf und Josef Kollmann, der Badener Bürgermeister, der bei der Gründung der ÖVP in Wien freilich keine Rolle spielen sollte.
Renner schreibt an beide Briefe, in denen er eine Zusammenarbeit anbietet. Im Brief an Schärf steht die Notwendigkeit einer Regierungsbildung im Vordergrund. Im Brief an Kollmann bezeichnet Renner eine Zusammenarbeit als wünschenswert, doch "die engere Dollfußclique sowie die enragierten Heimwehrführer bitte ich in der Versenkung verschwinden zu lassen".
Am Ende des Tages, um Mitternacht, wird das entscheidende Telegramm aus Moskau eintreffen: Dessen erster Absatz lautete: „Den Vorschlag Renners über die Bildung einer Provisorischen Regierung halten wir für annehmbar Renner und andere autoritative Leute aus Österreich mögen sich auf die Organisation einer Provisorischen Regierung einigen.“ Wie die Regierung zusammengesetzt sein soll, ist zu diesem Zeitpunkt aber noch unklar.
Eine List rettet die Kunstschätze in Altaussee vorerst vor der Sprengung (Marlene Erhart)
Im Reichsbergungsdepot in Altaussee lagern im Salzbergwerk Kunst- und Kulturgüter im Wert von geschätzt 3,5 Milliarden US-Dollar. Im Untergrund sollen die Werke – etwa von Dürer, Rembrandt und Da Vinci – vor Luftangriffen sicher sein.
Doch Salinendirektor Emmerich Pöchmüller weiß, dass Gauleiter August Eigruber die Schätze mit nicht detonierten Fliegerbomben vernichten will, die er heimlich in den Berg hat bringen lassen. Am 17. April spricht Pöchmüller in Linz bei Eigruber vor, um den Plan zu vereiteln: Er behauptet, die Sprengkraft der 500-Kilo-Bomben reiche nicht für die geplante Zerstörung.
Pöchmüller argumentiert mit einer aufwändigen Felssprengung 1917 an der Italienfront. Ob Eigruber sich nicht daran erinnere, fragt er und schlägt vor, die Werkseingänge zuzusprengen und die Bomben im Inneren durch Kabel fernzuzünden. Eigruber willigt ein. Er ahnt nicht, dass sein Gegenüber keineswegs vorhat, die Werke zu zerstören.
Am 22. April wird Hitler in einem Telegramm die Vernichtung der Kunstwerke verbieten. Pöchmüller will die Bomben daraufhin aus den Stollen entfernen. Doch Eigruber erkennt die Order nicht an, die Bomben bleiben im Berg, Panzersoldaten verstärken die Wache am Salzberg. Tags darauf lässt Pöchmüller die wertvollsten Gemälde tiefer in die Stollen verlagern. Begleitet von Morddrohungen soll es in der Causa Anfang Mai zum Showdown kommen. Wir berichten wieder.
Imago/United Archives International


18. April 1945
Die zerstörte Infrastruktur in Wien wird langsam wiederhergestellt (Klaus Taschwer)
Die Schäden an der Infrastruktur, die bei den Kämpfen um Wien entstanden, sind enorm. In großen Teilen der Stadt ist die Wasserversorgung ausgefallen, die langsam wiederhergestellt wird. Ähnliches gilt für die Stromversorgung: Das E-Werk Simmering wird wieder in Betrieb genommen, damit kann mit dem schrittweisen Aufbau der Stromversorgung begonnen werden.
Auch die Reparaturarbeiten zur Wiederinstandsetzung des Gasrohr- und Kanalnetzes laufen an. Gasrohre werden mit urtümlichen Methoden transportiert: indem man sie auf Baumstämme legt, vorschiebt, dann wieder den letzten Baumstamm nach vorne trägt, unter das Gasrohr legt und wieder weiterschiebt.
Fehlt es bei der Infrastruktur weiter am Nötigsten, so sind Waffen im Überfluss vorhanden: Waffen und Munition, die von den deutschen Truppen auf der Flucht weggeworfen wurden, werden zum Sicherheitsproblem. Kriminelle Banden, die sich zum Teil mit Armbinden als Hilfspolizei tarnen, verüben mit diesen Waffen Überfälle und Plünderungen.
Die wirkliche Hilfspolizei ist unbewaffnet und muss die sowjetischen Organe um Hilfe bitten. Militärpolizei führt in ganz Wien große Suchaktionen nach diesen Waffen durch, wobei auch Schuldlose zu Opfern werden.
Foto?
Widerstandskämpfer Richard Bernaschek wird im KZ Mauthausen ermordet (Klaus Taschwer)
1934 ist Richard Bernaschek Anführer des sozialistischen Schutzbundes in Linz und eine der Schlüsselfiguren des Februaraufstand. Seinem damaligen Todesurteil entgeht er durch Flucht. Er hält sich bis 1939 unter anderem in Zürich, Moskau und Prag auf, ehe sein Bruder bei Gauleiter Eigruber erwirkt, dass er wieder nach Linz zurückkehren mitarbeiten kann.
Bernaschek wird abermals im Widerstand aktiv, diesmal auch mit einem Gegner aus dem Februaraufstand: Der Jurist Josef Hofer hatte 1934 als Polizeioffizier den Einsatz gegen das Hotel Schiff geführt. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 wird Bernaschek verhaftet.
Vom Polizeigefängnis in Linz geht es ins KZ Mauthausen, dann in die Polizeidirektion Wien, von dort in das Gestapogefängnis im vormaligen Hotel Metropol am Morzinplatz. Anfang März 1945 wird der 56-jährige Widerständler wieder nach Mauthausen gebracht, wo man ihn misshandelt und foltert.
Zweieinhalb Wochen bevor US-Truppen das KZ befreien, wird Bernaschek laut Zeugenberichten am 18. April 1945 vom damals 24-jährigen SS-Oberscharführer Josef Niedermeyer durch einen Genickschuss ermordet. "Lungenentzündung" stand als Todesursache im zynischen Beileidsschreiben, das die Lagerleitung an Bernascheks Familie sandte.
Josef Niedermeyer wird beim Mauthausen-Hauptprozess zum Tod verurteilt und am 28. Mai 1947 hingerichtet.
Kapitulation deutscher Truppen in Korneuburg und Mistelbach (Marlene Erhart)
Die letzten deutschen Stützpunkte im heutigen östlichen Niederösterreich kapitulieren vor der Roten Armee. Es handelt sich um Korneuburg und Mistelbach. Obwohl es sich bei beiden um kleine Stellungen handelt, brechen harte Kämpfe los. In diesen heftigen Gefechten verlieren auch viele Zivilistinnen und Zivilisten ihr Leben. Etliche Häuser werden durch den Beschuss schwer beschädigt oder gänzlich zerstört.
1745012095808.png
Die Wiener Gemeindeverwaltung nimmt ihre Tätigkeit auf (Klaus Taschwer)
In Wien werden die Verhandlungen der drei Parteien über die Bildung der Stadtverwaltung abgeschlossen. Bürgermeister Theodor Körner, der erst tags zuvor von den Sowjets offiziell in seinem Amt bestätigt worden ist, bestellt die Stadträte.
Von den Sozialisten kommen Josef Afritsch (Allgemeine Verwaltung), Karl Honay (Finanzen), Felix Slavik (Wohnung), Paul Speiser (Städtische Unternehmungen) und Anton Weber (Bau); von der gerade gegründeten Volkspartei Dr. Ludwig Herberth (Wirtschaft), Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Kerl (Gesundheit) und Leopold Kunschak (Schule); von den Kommunisten Franz Fritsch (Ernährung), Dr. Viktor Matejka (Kultur) und Karl Steinhardt (Wohlfahrtswesen). Franz Fritsvh sollte wenig später zu den Sozialisten übertreten.
Massaker an 40 jüdischen Ungarinnen und Ungarn im Triesingtal (Klaus Taschwer)
In Weißenbach an der Triesting werden nach einem schweren Hochwasser Anfang Juli 1944 Jüdinnen und Juden aus Szeged zunächst zu Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Bei Kriegsende befinden sich noch vierzig Personen im Ort, darunter neun Kinder, wie die Historikerin Eleonore Lappin schreibt.
Am 2. April werden mehrere Einheiten der Waffen-SS, SS-Feldgendarmerie und ungarische Truppen zur Verteidigung des Orts nach Weißenbach verlegt. Gewarnt von zwei Regimegegnern, dass die SS plane, sie zu erschießen, ersuchen einige der Jüdinnen und Juden aus Ungarn den Bürgermeister, sie in eine Heuhütte und andere Privatquartiere am Ortsrand zu verlegen.
Doch am 18. April treibt die SS-Feldgendarmerie sämtliche 40 Personen am Kirchplatz zusammen, angeblich um sie „nach Westen zu bringen“. Stattdessen endet der Rückzugsmarsch in einem Steinbruch zwischen Tasshof und Sulzbach, wo die Feldgendarmen die Häftlinge erschossen und danach ihre Leichen anzünden.
Das Massaker bleibt unaufgeklärt, da die Zivilbevölkerung keine Angaben zur Identität der Mörder machen kann.


19. April 1945
Die Wiener Philharmoniker nehmen am 19. April 1945 ihre Probenarbeit wieder auf (Klaus Taschwer)
Auf Anordnung der sowjetischen Kulturverwaltung nehmen die Wiener Philharmoniker unter dem politisch belasteten Dirigenten Clemens Krauss wieder ihre Probenarbeit auf: Auf dem Programm steht unter anderem Tschaikowskis 5. Symphonie. Das erste Konzert wird in gut einer Woche – am 27. April 1945 – im Wiener Konzerthaus stattfinden.
Die Zeitung „Neues Österreich“ wird darüber am 29. April in folgenden Worten berichten: Die Philharmoniker waren mit dieser Darbietung „die künstlerisch vollendeten Verkünder russischer Wesenhaftigkeit (...). Die zahlreich erschienenen Vertreter der Roten Armee stimmten aus der Gemeinschaft der musikalischen Empfindungen mit wahrer Leidenschaft in den Applaus ein“.
Krauss wurde danach kurzfristig mit einem Berufsverbot belegt. Erst 1947 dirigierte er wieder regelmäßig an der Wiener Staatsoper, bei den Wiener Philharmonikern und 1953 Richard Wagners Ring des Nibelungen und Parsifal bei den Bayreuther Festspielen.
Sowjetische Experten stellen am Radiuminstitut in Wien Nachforschungen an (Klaus Taschwer)
Unmittelbar nach der Befreiung Wiens holt die sowjetische Geheimpolizei NKWD zwei Forscher in die Stadt: Vladimir Schewtschenko und Igor Golovin, die beide in führender Rolle in der sowjetischen Atomforschung tätig sind. Sie treffen am 13. April in Wien ein. Was sie bis zum 10. Mai hier machen, ist ein kaum bekanntes Kapitel der Nachkriegsgeschichte.
Ihre wichtigsten Wege führen die beiden ins Radiuminstitut in der Boltzmanngasse, um dort chemische Reagenzien und Geräte sicherzustellen. Zudem wollen die beiden wissen, wie weit die Deutschen beim Bau einer Atombombe gekommen sind und befragen Mitarbeiter des Instituts, die vom Uranprojekt wissen.
In dem erst 1998 zugänglich gemachten Bericht heißt es, dass man so die Orte der drei Teilchenbeschleuniger erfuhr, die bis 1945 im „Altreich“ gebaut wurden. Zudem konnten die wichtigsten Produzenten von metallischem Uran identifiziert werden. Dazu gehörten I.G. Farben, Treibacher Chemische Werke AG und die Auer Gesellschaft, der Hauptproduzent. Die Sowjets beschlagnahmten in Wien insgesamt 340 kg metallisches Uran.
Im „Altreich“ sind die Briten und die US-Amerikaner schneller. Die US-Spezialeinheit Alsos findet am 23. April 1945 den Forschungsreaktor Haigerloch (siehe Foto), das Kernstück des gescheiterten Uranprojekts. Die beteiligten Wissenschafter werden gefangen genommen und die verwendeten Materialien in die Vereinigten Staaten ausgeflogen.
akg-images / picturedesk.com
Im „Altreich“ findet am 23.04.45 die US-Spezialeinheit Alsos den Forschungsreaktor Haigerloch
Propagandaminister Goebbels hält seine letzte Rede (Klaus Taschwer)
Am Vorabend von Hitlers Geburtstag hört man über alle Radiosender in Österreich – ausgenommen ist nur Radio Wien im bereits befreiten Teil des Landes – die letzte Rede von Propagandaminister Joseph Goebbels:
"Der Krieg neigt sich seinem Ende zu (...) Gott wird Luzifer, wie so oft schon, wenn er vor den Toren der Macht über die Völker stand, wieder in den Abgrund zurückschleudern, aus dem er gekommen ist."
Goebbels verkündet, "dass der Feind vergeblich gegen unsere Verteidigungslinien anstürmt" und "dass Deutschland in wenigen Jahren wie nie zuvor mit schöneren Städten und reichen Kornfeldern wieder aufblühen wird".
Er schließt mit dem jetzt täglich mehrmals verkündeten Versprechen Hitlers: "Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch und Europa wird niemals russisch."
Karl Renner trifft am 19. April in Wien ein und hat eine wichtige Besprechung (Klaus Taschwer)
Am Morgen des 19. Aprils wird Karl Renner von Schloss Eichbüchl zu Marschall Tolbuchin nach Wien gebracht. Es kommt zu einer wichtigen Unterredung, die Renner später nicht erwähnt. Doch es gibt ein sowjetisches Gesprächsprotokoll, das seit 1997 bekannt ist.
Unmittelbar vor Renner empfängt die hochrangige Delegation um Tolbuchin den KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig, der wenige Tage zuvor aus dem Exil in Moskau nach Wien zurückgekehrt ist.
Renners vorgelegtes Programm zur Regierungsbildung scheint noch recht unausgegoren. Tolbuchin fordert ihn auf, so bald wie möglich für eine provisorische Regierung zu sorgen, an der Vertreter aller demokratischen Parteien teilnehmen. Anders als die KPÖ-Pläne, die einen politischen Wiederaufbau von unten nach oben vorsehen, hält man nun an einem Top-Down-Ansatz der Regierungsbildung fest, der in den nächsten Tagen ausgearbeitet werden soll.
Ein im Bericht enthaltener Kommentar über Renner lautete: „Mir scheint, dass er bis zuletzt den Sinn unserer Vorschläge nicht verstanden und für sich nicht die nötigen Schlüsse gezogen hat. Er stimmt allen unseren Vorschlägen, allen ihm vorgeschlagenen Maßnahmen begeistert zu.“
Welche sowjetischen „Vorschläge“ der designierte Staatskanzler nicht verstanden hat, wird nicht erwähnt. (Am Foto: Karl Renner am 29. April vor dem Parlament.)
Austrian Archives / brandstaetter
Karl Renner zieht in die Villa Blaimschein in Hietzing ein (Klaus Taschwer)
Nach der Unterredung lud das sowjetische Oberkommando zu einem Mittagessen, an dem auf österreichischer Seite neben Renner auch Johann Koplenig (KPÖ), Leopold Kunschak (ÖVP) und Theodor Körner (SPÖ) teilnehmen.
Danach gibt die sowjetische Kommandantur die sogenannte Blaimschein-Villa im 13. Bezirk, Lainzer Straße 28, Ecke Wenzgasse an Karl Renner. Der wird die Villa in Hietzing als vorübergehenden Amtssitz nützen.
Ihren Namen trägt sie nach dem Margarinefabrikanten Blaimschein, der 1933 gestorben ist, dessen Witwe unter ihrem neuen Namen Kretschmer die Villa weiter besitzt. Laut einem zeitgenössischen Adressverzeichnis war auch der hochrangige deutsche Wehrmachtsoffizier Henning von Thadden an der Adresse gemeldet.
Ab dem 22. April (nach anderen Angaben: ab dem 20. April) werden Vertreter der SPÖ, ÖVP und KPÖ unter dem Vorsitz Renners das Konzept für eine provisorische österreichische Staatsregierung ausarbeiten.
Dass die Verhandlungen in der Villa Blaimschein stattfanden, dürfte schlicht Zufall gewesen sein. Zumindest ist kein spezieller Grund bekannt, warum die sowjetische Kommandantur am 19. April gerade dieses Gebäude, das von den Sowjets beschlagnahmt wird, an Renner als Amtssitz übergibt.
Die Nachkommen Blaimscheins besitzen die Villa bis 1958. Seither ist sie Eigentum der Republik Iran.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#9
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 9:
20. - 21. April 1945


20. April 1945
Verhandlungen zur Bildung einer österreichischen Regierung beginnen (Klaus Taschwer)
Am 20. April im 10 Uhr beginnen in Wien die Koalitionsverhandlungen. In dem von der Politverwaltung der 3. Ukrainischen Front besetzten Gebäude in Wien 1, Kantgasse 3, findet zuerst ein Vieraugengespräch zwischen Karl Renner und seinem Parteikollegen Adolf Schärf statt, der wenige Tage zuvor zum provisorischen Vorsitzenden der SPÖ bestellt worden ist.
Danach findet eine Besprechung mit Vertretern aller drei Parteien statt (also mit ÖVP und KPÖ) statt, die aber ohne greifbare Ergebnisse bleibt. Die zweite Runde folgt auf sowjetische Einladung am 22. April in der Villa Blaimschein, Wenzgasse 2 in Hietzing, die Renner von der Besatzung zugewiesen erhielt.
20. April 1945: „Leider nicht gerade eine Geburtstagslage“ (Klaus Taschwer)
In Berlin wird Hitlers 56. und letzter Geburtstag gefeiert. Ein letztes Mal trifft sich die Spitze des Dritten Reiches im Berliner Führerbunker. Anwesend sind unter anderem Reichsmarschall und Luftwaffen-Chef Hermann Göring, SS-Chef Heinrich Himmler, der hinter Hitlers Rücken bereits Verhandlungen mit den Westalliierten suchte, sowie Albert Speer, der Rüstungsminister, der die letzten Wochen den Nerobefehl hintertrieben hat. Dazu stellt sich die komplette Wehrmachtsspitze zum Gratulieren ein.
Wie sich Hitlers Sekretärin Traudl Junge erinnerte, "drückten ihm alle die Hand, gelobten Treue und versuchten, ihn zum Verlassen der Stadt zu bewegen". Hitler hingegen bleibt und will abwarten. „Leider nicht gerade eine Geburtstagslage“, notiert Hitlers Sekretär Martin Bormann.
Und Christa Schroeder, eine weitere Sekretärin schreibt über den Tag: "Die Gratulationscour des persönlichen Stabes und der Militärs am Vormittag war im Vergleich zu früheren Jahren in sehr gedämpfter Atmosphäre erfolgt. Umso aufdringlicher war die Gratulationscour der Alliierten, indem sie fast unentwegt vom frühen Morgen bis zwei Uhr nachts rollende Luftangriffe auf Berlin flogen. Wir kamen aus dem Bunker nicht mehr heraus.“
Treffen der 26 Wiener Bezirksleitungen im Rathaus (Klaus Taschwer)
Im Rathaus zu einer ersten Zusammenkunft der Bezirksbürgermeister, die von der Besatzungsmacht eingesetzt wurden. Sie amtieren in den Grenzen der 26 Bezirke vom Oktober 1938. 15 der damaligen Bezirksvorsteher gehören der KPÖ an (Bezirke 1, 5, 7, 8, 9, 10, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 22, 25, 26), neun der SPÖ (Bezirke 2, 3, 4, 11, 12, 19, 21, 23 und 24) und einer der ÖVP (6. Bezirk), einer ist parteilos (20. Bezirk). In den meisten Bezirken gibt es zwei Stellvertreter der jeweils anderen Parteien. Bürgermeister Körner bestätigt diese provisorischen Bezirksvertretungen.
Reichsmarschall Göring setzt sich nach Berchtesgaden ab (Klaus Taschwer)
Nach dem offiziellen Geburtstagsempfang für Adolf Hitler verlässt Göring, nach Hitler die Nummer 2 des Deutschen Reiches, am 20. April 1945 Berlin und begibt sich in Richtung Süden, konkret: nach Berchtesgaden. Er verabschiedet sich von Hitler mit der Begründung, dass in Süddeutschland wichtige Aufgaben auf ihn warten würden.
Nach Berchtesgaden lässt er auch seine umfangreiche, in ganz Europa zusammengestohlene Kunstsammlung bringen, die wenig später von vorrückenden Truppen der United States Army (101st Airborne Division) sichergestellt wird. Der erfasste Bestand umfasst 4.263 Werke.
Widerstandskämpfer Raimund Ziegler wird in Klagenfurt hingerichtet (Marlene Erhart)
Seit rund einem Jahr ist der aus Mattighofen stammende Raimund Ziegler bereits inhaftiert. Der 1905 geborene Oberösterreicher war beim Grenzschutz der Deutschen Wehrmacht in Jugoslawien eingesetzt, desertierte 1943 jedoch. Er schloss sich Partisanen an, kämpfte fortan in der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee. Sein Einsatzort lag in der Gegend um Kömmel, heute Bezirk Völkermarkt. Bei Lavamünd geriet er im Frühjahr 1944 in Gefangenschaft.
Im Frühling 1945 sitzt Ziegler im Klagenfurter Gestapogefängnis. Das Kriegsende ist nah, doch bis zuletzt verhängt das NS-Regime in Klagenfurt Todesurteile – wegen Partisanentätigkeit auch gegen Ziegler. Am 20. April wird er zur Militärschießstätte am Kreuzbergl geführt und hingerichtet. Er it einer von mindestens 16 Soldaten, die dort in den letzten Kriegsmonaten exekutiert werden.
Im September 1945 schreibt ein ehemaliger Zellengenosse Zieglers an dessen Witwe Anna:
„Noch kurz vor dem Abgang haben sich die Hitlerbanditen einen Mord an einem Familienvater und überzeugten Österreicher zuschulden kommen lassen, indem diese Ihren Gatten nicht begnadigten, sondern das Urteil vollstreckten. Wir waren Freunde und Zellengenossen der Zelle 12 des Gestapogefängnisses in Klagenfurt, von dort aus musste ihr Mann den Marsch zur Richtstätte antreten. Alle wahren Kämpfer für ein freies und demokratisches Österreich werden Ihrem Gatten ein ehrendes Andenken bewahren.“


21. April 1945
Tragischer Zufall: Attnang-Puchheim als doppeltes Angriffsziel (Marlene Erhart)
Die 9. US-Luftflotte startet an diesem Vormittag im April von Stützpunkten in Belgien und Frankreich. Ihr Auftrag ist es, Attnang-Puchheim anzugreifen. Indes hebt in Italien die 15. US-Luftflotte mit 36 Bombern und Begleitfliegern Richtung Brenner ab. Die Einheit soll dort Ziele bombardieren, doch eine Schlechtwetterfront zwingt sie dazu, auszuweichen.
Ihr alternatives Ziel Nummer 1 ist Rosenheim, doch auch über diesem liegt eine dichte Wolkendecke. So steuert das Geschwader Ersatzziel Nummer 2 an: Attnang-Puchheim. Keine der beiden Einheiten weiß vom Angriff durch die jeweils andere.
Imago/piemags
Mythos der Alpenfestung als Verhängnis einer Stadt (Marlene Erhart)
Obwohl bisher verschont, steht der Verkehrsknotenpunkt Attnang-Puchheim als strategisches Angriffsziel grundsätzlich im Fokus alliierter Truppen. Es gibt es einen weiteren, bedeutenden Faktor, der die Bahnhofsstadt nun ins Visier rücken.
Gelenkt wird die Aufmerksamkeit vom Mythos der Alpenfestung. Diese fiktive Rückzugsposition, gesichert durch Eliteeinheiten, soll als uneinnehmbares Bollwerk in den Bergen in erster Linie hochrangigen Nationalsozialisten Schutz bieten. Im April 1945 befürchten die Alliierten noch, dass kriegswichtige Güter über Attnang-Puchheim zu der vermeintlichen Zufluchtsbasis beziehungsweise von dort zu deutschen Truppen transportiert werden.
Dass es sich bei der Alpenfestung um ein NS-Hirngespinst, ja sogar bewusste Propaganda handelt, wird den Alliierten erst mit Kriegsende klar.
Verheerender Bombenangriff auf Attnang-Puchheim beginnt (Marlene Erhart)
Dumpfes Dröhnen kündigt die Maschinen der US-Airforce an. Als die Menschen in Attnang-Puchheim die Gefahr bemerken, ist es für viele zu spät, Luftschutzräume zu erreichen. Kein Fliegeralarm hat die rund 5.700 Bewohnerinnen und Bewohner vor dem Luftangriff gewarnt. Weshalb die Sirenen an diesem Tag zu spät heulen, ist bis heute ungeklärt.
Um 10:57 Uhr detoniert der erste Sprengkörper. Dann gehen die Bomben wie ein Schnürlregen nieder, berichtet Erich Pühringer. Ein Angriff ungekannten Ausmaßes beginnt. Noch im angrenzenden Regau zittern die Hauswände, erzählt Rudolf Lacher. In Attnang-Puchheim versuchen Menschen, in Kellern Zuflucht zu finden oder aus der Stadt zu fliehen. Doch etliche sterben in einstürzenden Gebäuden, werden von Jagdflugzeugen erschossen, von Bomben zerfetzt oder von Druckwellen erstickt.
Mit einer Stärke von 300 Flugzeugen fliegen die 9. und die 15. US-Luftflotte in 30 Angriffswellen über Attnang-Puchheim. Die Bomben zerstören zahlreiche Gebäude, Gleise, Lagerhäuser und Zugwaggons, geht aus einem Bericht der 9th Air Force hervor. In weiten Teilen wird die Kleinstadt in Schutt und Asche gebombt.
Stadtarchiv Attnang-Puchheim
Menschen versuchen, dem Bombenhagel in Attnang-Puchheim zu entkommen (Marlene Erhart)
Zum Zeitpunkt des Luftangriffs durch zwei Geschwader der US-Airforce halten sich auch zahlreiche aus dem Osten und aus Schlesien geflohene Menschen in Attnang-Puchheim auf. Während viele der Flüchtlinge in Schulen untergebracht sind, sitzen andere in wartenden Zügen am Bahnhof. Dutzende Menschen flüchten in Richtung umliegender Felder, Wiesen und in Wälder.
Die Bomben gehen jedoch nicht nur über dem Bahnhof nieder, zudem feuern die US-Truppen aus Jagdflugzeugen. Etliche Flüchtende finden so den Tod. Im Chaos stürzen Menschen auch immer wieder auf die Straßen, um nach Kindern oder anderen Angehörigen zu suchen – viele sterben dabei.
Stadtarchiv Attnang-Puchheim
(Das Foto zeigt das Trümmerfeld am einstigen Rathausplatz von Attnang-Puchheim)
Bis zu 2340 Bomben fallen bei US-Luftangriff (Marlene Erhart)
Aufgrund unglücklicher Umstände trifft die Schlagkraft von zwei US-Luftflotten Attnang-Puchheim. Zwischen 1850 und 2340 Bomben fallen nach heutigen Schätzungen. Zahlreiche Sprengkörper verfehlen den Bahnhof als eigentliches Ziel und schlagen in Wohngebieten ein. Schon in der ersten Viertelstunde des Angriffs sieht Anna Wiesmüller mit an, wie ihr Haus zerstört wird. Die junge Frau legt sich auf eine Wiese, ihre Mutter über sie: „Damit wir gemeinsam sterben können“, erzählt Wiesmüller.
Erinnerungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind von unschätzbarem Wert, doch ihre Stimmen werden rarer.
Stadtarchiv Attnang-Puchheim
Mehr als 700 Tote nach dreistündigem Bombardement (Marlene Erhart)
Als den schrecklichsten Tag seines Lebens beschreibt Helmut Böhm den 21. April 1945. Der damals 15-Jährige ist zehn Tage zuvor mit seinem kleinen Bruder von Brünn nach Attnang-Puchheim geflohen. Bei dem Luftangriff retten sich die Buben in den Keller des Hauses von Verwandten.
Drei Stunden lang bombardieren die US-Einheiten Attnang-Puchheim. Als die Flugzeuge am frühen Nachmittag das Bombardement einstellen und abdrehen, herrscht ein Bild der Verwüstung. 53 Prozent aller Gebäude sind beschädigt oder gänzlich zerstört. Mehr als 700 Menschen sind tot, nur knapp 200 von ihnen können noch identifiziert werden.
Stadtarchiv Attnang-Puchheim
(Im Bild ist die Schule von Attnang-Puchheim nach dem Luftangriff zu sehen.)
Luftangriff mit der höchsten Todesrate am Gebiet des heutigen Österreich (Marlene Erhart)
300 Flugzeuge, 30 Angriffswellen, mehr als 600 Tonnen Bomben: Der verheerende Luftschlag beschert Attnang-Puchheim mit der höchsten Todesrate am Gebiet des heutigen Österreich einen traurigen Rekord. Gemessen an der Einwohnerzahl sterben nirgendwo mehr Menschen bei Luftangriffen. Rund 13 Prozent der Bevölkerung kommen durch das Bombardement ums Leben.
Die Zahl von 708 Toten ist dabei aller Wahrscheinlichkeit nach noch zu niedrig angesetzt, da Flüchtlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in offiziellen Opferbilanzen nicht erfasst werden. Am Bahnhof in Attnang-Puchheim müssen etwa Gefangene aus dem KZ-Ebensee – ein Außenlager des KZ Mauthausen – Dienste verrichten. Die Dunkelziffer der Opfer aufgrund des Luftangriffs wird teils auf bis zu 1.000 Tote geschätzt.
Austrian Archives/brandstaetter images
(Foto: Bombenopfer des Angriffs auf Attnang-Puchheim wurden in die Georgskirche gelegt.)
Wien: Errichtung provisorischer Übergänge über den Donaukanal (Marlene Erhart)
Anfang April 1945 wurden beinahe alle damals bestehenden Brücken über den Wiener Donaukanal von den zurückweichenden deutschen Truppen gesprengt. Am 21. April beginnen Pioniere der sowjetischen Einheiten mit dem provisorischen Aufbau einiger Übergänge. Teils werden sie dabei von österreichischen Arbeitern unterstützt.
Die Friedensbrücke, die Marienbrücke und die Augartenbrücke sind noch im April wieder benützbar. Über die in der Donau liegenden Trümmer der Floridsdorfer Brücke wird indes ein Fußgängersteg aus Holz gebaut. In den Folgejahren werden viele der zerstörten Donaukanalbrücken nicht mehr instand gesetzt, sondern durch moderne Stahlbetonbrücken ersetzt.
1745246057434.png
Rote Armee kümmert sich um Lebensmittel für das hungernde Wien (Klaus Taschwer)
Am 21. April 1945 wird Erlass des Kriegsrates der 3. Ukrainischen Front betreffs Versorgung der Stadt Wien mit Lebensmitteln ausgegeben, unterzeichnet ist er unter anderem von Marschall Tolbuchin:
„Der Kriegsrat verfügt: Im Hinblick auf den großen Mangel an Lebensmitteln und das fast völlige aussetzen der Versorgung der Bevölkerung von Wien sowie der derzeitigen Unmöglichkeit, aus der Umgebung Lebensmittel heran zu bringen, ist der Stadt Wien in städtische Selbstverwaltung zu übergeben:
1. Brotgetreide – 7000 t
2. Mais – 500 t
3. Schrot – 2000 t
4. Fisolen – 1000 t
5. Erbsen – 1000 t
6. Fleisch – 300 t
7. Zucker – 200 t
8. Salz – 200 t
9. Pflanzenöl – 200 t
10. Ölkulturen 1000 t

Die Übergabe hat der Kommandant des Hinterlandes der Front bis zum 25. April durchzuführen.“
„Drei Stunden um Brot angestellt, keines bekommen“ (Marlene Erhart)
Die 44-jährige Luise Resch lebt mit ihrer Tochter Marie und ihrem Ehemann Gustav im 17. Bezirk in Wien. In den Kriegsjahren führt sie Tagebuch und thematisiert in den Einträgen oft die Ernährungssituation ihrer Familie.
Gegen Ende April hält Resch fest, dass ihr Ehemann bereits Lebensmittelkarten erhalten habe, wobei die ausgeteilten Rationen aber nicht ausreichen würden. Am 21. April schreibt sie über die Anker-Brotfabrik, die nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen von der Bevölkerung geplündert wurde:
„(…) nachmittags drei Stunden um Brot angestellt, keines bekommen. Zum Glück habe ich genügend Knäckebrot, die verantwortlichen Stellen bemühen sich, um genügend Brot herbeizuschaffen, Ankerbrot-Fabrik fällt aus, durch Kriegshandlungen und Plünderungen, es fehlen Treibriemen, Mehl, (…) ansonsten hätte Wien für vier Wochen Brot.“
Obwohl Luise Resch die schlechte Versorgungslage in Wien beklagt, setzt sie ihre Situation in Relation zu jener von Menschen, die noch weniger zu essen haben. In ihrem Tagebuch zeigt sie sich dankbar für jede noch so karge Mahlzeit und hebt auch die Hilfe in der Versorgung der Stadt durch die sowjetischen Truppen hervor.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#10
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 10:
22. - 24. April 1945

22. April 1945
Erinnerungen an einen Massenmord im KZ Gusen (Klaus Taschwer)
Aldo Carpi ist einer der bekanntesten italienischen Maler seiner Generation und hat eine Professur an der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand inne. Der Antifaschist wird 1944 von der SS verhaftet und kommt ins KZ Gusen, in ein Außenlager von Mauthausen. Carpi überlebt das KZ, seine Erinnerungen erscheinen 1971, eine deutsche Übersetzung 2023.
Aus diesen Memoiren lässt sich auch rekonstruieren, was sich in der Nacht vom 21. auf den 22. April in Gusen zuträgt. In dieser Nacht werden Arbeitsunfähige und Schwerkranke im Block 31 des Krankenreviers – im Häftlingsjargon "Bahnhof" genannt – vergast.
Carpi hört, wie auch Kurt Bauer in seinem neuen Buch "Niemandsland" berichtet, Klagen, Geschrei, Gestöhne, Befehle. In der Früh sieht er vom Fenster aus, wie hunderte Tote durch ein Türchen herausgezogen und auf einen Haufen geworfen werden. Die Leichen füllen einen ganzen Lastwagen mit Anhänger und noch viele weitere Handwagen.
Bei vielen der nackten Körper ist Blut aus Nase und Mund getreten, sie haben Wunden am Kopf. Die Gesichter der mit der Arbeit beauftragten Ärzte und Pfleger spiegeln laut Carpi Abscheu und Ekel. Entsetzen breitet sich im Lager aus. Alle Arbeitsunfähigen und Kranken wollen so schnell wie möglich zurück in ihren Block, zurück zur Arbeit – die freilich erst recht tödlich für sie ist.
22. April 1945: Die zweite Runde der Regierungsbildung beginnt mit einem Streit (Klaus Taschwer)
In der Villa Blaimschein in Wien Hietzing, wo Karl Renner zwischenzeitlich residiert, kommt es nach den ersten Unterredungen am 20. April zu einem weiteren Treffen der Vertreter der drei künftigen Regierungsparteien. In der vor dem Plenum angesetzten Unterredung zwischen Renner und Ernst Fischer von der KPÖ kommt es laut den Recherchen des Historikers Wolfgang Mueller allerdings zu einem heftigen Streit.
Es geht, wie könnte es in Österreich auch anders sein, um die Ressortverteilung. Der designierte Kanzler Renner will den Kommunisten nur ein Staatsamt „zum Beispiel für Wiederaufbau“ zugestehen. Fischer forderte hingegen – im Einklang mit den KPÖ-Planungen und der Besprechung von KPÖ-Chef Koplenig mit General Tolbuchin – die Schaffung eines Präsidiums aus Parteienvertretern im Range von Vizekanzlern und für die KPÖ drei Kabinettssitze: einen der Vizekanzlerposten sowie die beiden Staatsämter für Inneres und Unterricht.
Renner lehnt dies ab und attackiert Fischer mit den Worten: „Sie sind einer von diesen Fanatikern, mit denen man nicht reden kann! (…) Was Sie fordern, kommt nicht in Frage.“ Fischer antwortete, dass die KPÖ in diesem Fall nicht in die provisorische Regierung eintreten werde. Zur Erinnerung: Im Brief an Stalin schrieb Renner noch: „Die österreichischen Sozialdemokraten werden sich mit der K.P. brüderlich auseinandersetzen und bei der Neugründung der Republik auf gleichem Fuß zusammenarbeiten.
Die Gespräche zur Regierungsbildung werden vertagt (Klaus Taschwer)
Die Plenarrunde zur Regierungsbildung endet nach dem Eklat zwischen Renner und dem KP-Mann Fischer ohne Einigung. Für die SPÖ nehmen Wiens Bürgermeister Theodor Körner und der niederösterreichische Bauernvertreter Alois Mentasti teil, für die ÖVP Leopold Kunschak und Josef Kollmann, für die KPÖ Johann Koplenig und Ernst Fischer. Die Besprechungen sollen am nächsten Tag wiederaufgenommen werden.
In der Zwischenzeit gibt es indirekte Mediationsgespräche zwischen KPÖ und SPÖ, die mutmaßlich von Oberst Piterskij betrieben werden. Der weist einerseits die KPÖ-Forderungen als überzogen zurück; er kann andererseits aber auch Renner davon überzeugen, dass der KPÖ mehr Regierungsverantwortung zustehen muss.
So wird Renner – der "alte, schlaue Fuchs", so Stalin – am nächsten Tag einwilligen, den Kommunisten zwei Staatsämter zuzugestehen, nämlich für Inneres und für Unterricht. Und er wird auch dem kommunistischen Wunsch nachgeben, dass es einen politischen "Beirat" der drei Parteichefs geben soll.
Die Plenarrunde zur Regierungsbildung endet nach dem Eklat zwischen Renner und dem KP-Mann Fischer ohne Einigung. Für die SPÖ nehmen Wiens Bürgermeister Theodor Körner und der niederösterreichische Bauernvertreter Alois Mentasti teil, für die ÖVP Leopold Kunschak und Josef Kollmann, für die KPÖ Johann Koplenig und Ernst Fischer. Die Besprechungen sollen am nächsten Tag wiederaufgenommen werden.
In der Zwischenzeit gibt es indirekte Mediationsgespräche zwischen KPÖ und SPÖ, die mutmaßlich von Oberst Piterskij betrieben werden. Der weist einerseits die KPÖ-Forderungen als überzogen zurück; er kann andererseits aber auch Renner davon überzeugen, dass der KPÖ mehr Regierungsverantwortung zustehen muss.
So wird Renner – der "alte, schlaue Fuchs", so Stalin – am nächsten Tag einwilligen, den Kommunisten zwei Staatsämter zuzugestehen, nämlich für Inneres und für Unterricht. Und er wird auch dem kommunistischen Wunsch nachgeben, dass es einen politischen "Beirat" der drei Parteichefs geben soll.
Zwischenstand der Befreiung in Österreich und Deutschland (Klaus Taschwer)
Während am 22. April Berlin noch nicht befreit ist, Wien aber schon seit mehr als einer Woche, liegt Österreich beim übrigen Staatsgebiet insgesamt deutlich hinter dem "Altreich" zurück: Dort sind bereits etwa zwei Drittel des Staatsgebiets von den Alliierten erobert, und die Ostfront steht kurz vor dem Kollaps. In Österreich hingegen sind mehr als vier Fünftel des Territoriums noch in der Hand der Nationalsozialisten.
In diesen Gegenden – grob gesagt: westlich von Niederösterreich, aber auch in weiten Teilen der Steiermark – werden nach wie vor Todesurteile an Regimegegnerinnen, Zwangsarbeitern oder Deserteuren verhängt und vollstreckt. Oder die SS ermordet solche Personen einfach.
Allein im Konzentrationslager Mauthausen und den Nebenlagern kommen in diesen Tagen täglich zum Teil noch hunderte Menschen aufgrund von Entkräftung, Hunger und Misshandlungen zu Tode oder werden auf andere Weise ermordet. Wie in der Nacht zum 22. April im KZ Gusen.
Hitler gibt erstmals zu: "Der Krieg ist verloren" (Martin Stepanek)
Zwei Tage nach den Lobeshymnen zu seinem 56. Geburtstag (siehe Oberdonau-Zeitung vom 20. April), kommt es im Berliner Führerbunker zu einer Schlüsselszene. Bei der Lagebesprechung um 15 Uhr holt Adolf Hitler anders als sonst nur vier hohe Generäle und Offiziere zu sich in den zwölf Quadratmeter kleinen Raum, darunter Alfred Jodl. Laut Augenzeugen wie Hitlers Sekretärin Traudl Junge, aber auch seinem Telefonisten und Leibwächter Rochus Misch gesteht Hitler am 22. April erstmals halböffentlich und damit wohl auch sich selbst ein: „Der Krieg ist verloren.“
Bis dahin hat Hitler bei den täglichen Lagebesprechungen stur von Gegenoffensiven und Überraschungserfolgen fantasiert, zu widersprechen wagt ihm längst niemand mehr. Sein militärischer und politischer Beraterkreis weiß natürlich, dass der Krieg verloren ist. Für sein engstes Umfeld, wie Traudl Junge, ist das Eingeständnis des „Führers“ aber ein Schock, wie sie Jahrzehnte später berichtet: „Ich konnte mir das nicht vorstellen, wir waren laut Hitler das Bollwerk gegen den Bolschewismus, und von einem Tag auf den anderen sollte alles verloren sein?“
Während die Rote Armee in blutigen Häuserschlachten die Vororte Berlins erobert, gibt Hitler an diesem 22. April den Befehl, alle sollen ihn im Bunker verlassen und sich in Sicherheit nach Berchtesgaden bringen. Er werde in der Reichshauptstadt bleiben und wenn es soweit wäre, würde er dort auch sterben, nimmt Hitler seinen Selbstmord vorweg. Junge und Misch bleiben im Bunker.
Anno/ÖNB
Medizinische Versorgung in Wien verhindert Seuchen-Ausbruch (Tanja Traxler)
Wie die Wiener Rathauskorrespondenz berichtet, sind Ärzte und Pflegepersonen heute in allen Wiener Spitälern wieder im Einsatz und auch die meisten niedergelassenen Ärzte haben ihre Ordinationen wieder geöffnet. "Der große Einsatz der Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, verhindert den Ausbruch von Seuchen, wie sie in vielen anderen Städten Europas auftreten", heißt es in der Rathauskorrespondenz.
„Himmelfahrtskommando“: KZ-Insassen beseitigen unter Todesgefahr Schäden in Attnang-Puchheim (Marlene Erhart)
Am 21. April verwüstete ein US-Luftangriff den Bahnhof und weite Teile von Attnang-Puchheim. Gefangene des KZ Ebensee müssen nun die Schäden beseitigen. Täglich um fünf Uhr früh bringen Vieh- und Lastwagen mindestens 150 Gefangene – die sogenannte Todeskolonne – zum Bahnhofsareal. Am Abend kommt oft nur die Hälfte lebend zurück.
Die Inhaftierten müssen Schuttberge wegschaufeln, Bombenkrater verfüllen und Gleise instand setzen. Besonders das Heben und Tragen der schweren Schienen ist für die unterernährten Menschen eine Tortur. KZ-Insasse Artur Radvansky muss mit anderen nicht detonierte Sprengkörper ausgraben. Teils explodieren bei dieser Arbeit Blindgänger, wodurch Häftlinge sterben. Die SS nennt den Einsatz daher auch „Himmelfahrtskommando“.
Die Zwangsarbeit am Bahnhof ist nicht nur wegen der Bomben lebensgefährlich. Anton Leitner, der auch als Leiter eines HJ-Ausbildungslagers tätig war, erschießt am 23. April zwei KZ-Häftlinge, da sie in den Trümmern nach Essen suchen. Er wird dafür im Oktober 1947 zu lebenslanger Kerkerstrafe verurteilt, kommt jedoch im Dezember 1953 frei. Wie viele Gefangene beim Einsatz in Attnang-Puchheim sterben oder ermordet werden, ist unklar, da die Toten abends ins KZ Ebensee rücktransportiert und den Opfern des Lagers zugerechnet werden.
Landesarchiv OÖ


23. April 1945
Die Struktur der neuen österreichischen Regierung steht (Klaus Taschwer)
Bei der dritten Besprechung zur Regierungsbildung am 23. April einigen sich SPÖ, ÖVP und KPÖ auf die Struktur der Regierung und die Ressortverteilung. In beiden Bereichen gelingt es der KPÖ, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die Schaffung des „Politischen Kabinetts“, eines Rates von Vertretern der Parteien, der das oberste Organ des Staates bildet, folgt ebenso den von Fischer und Koplenig (KPÖ) formulierten Vorstellungen wie die Drittelparität in der Regierung und die Heranziehung Parteiloser.
Die KPÖ erhält das Innen- und das Unterrichtsressort sowie Sitz und Stimme im Rat der drei Parteienvertreter. Von insgesamt zwölf Staatssekretären gehörten je drei der SPÖ und der KPÖ, vier der ÖVP an, zwei sind parteilos. Unter den 20 Unterstaatssekretären lautete die Verteilung: sieben SPÖ, sieben ÖVP, sechs KPÖ. Renner hat noch am 19. April eine ganz andere Zusammensetzung mit geringerer KPÖ-Beteiligung vorgeschlagen.
Auf Renner gehen aber die Einrichtung der Unterstaatssekretäre, ferner die dadurch erzielte, bereits 1918/19 von ihm praktizierte Mehrfachbesetzung der Staatsämter sowie das Einstimmigkeitsprinzip bei Kabinettsbeschlüssen zurück. Diese auf die Neutralisierung des Parteieinflusses und gegenseitige Überwachung zielenden Grundsätze werden von Renner am 23. April vorschlagen. Vermutlich wurden sie erdacht, um die Folgen der ihm abgerungenen Konzessionen gegenüber der KPÖ zu minimieren.
Eine neue Zeitung: "Neues Österreich" (Tanja Traxler)
Heute erscheint erstmals eine neue Zeitung - die erste Ausgabe von "Neues Österreich" liegt druckfrisch vor. "Österreicher! Zum erstenmal (sic!) seit sieben Jahren dürft Ihr nun wieder in aller Öffentlichkeit mit diesem uns allen so teuren Namen angesprochen werden", heißt es im Aufmachertext auf der Seite 1. "Die von Millionen Menschen unseres Vaterlandes so lange und so heiß ersehnte Stunde der Befreiung von der nazistischen Zwingherrschaft ist gekommen." Herausgegeben wird das Blatt von den drei Parteien als "Organ der demokratischen Einigung". Als Herausgeber fungieren Leopold Arzt als Vertreter der Wissenschaft, Generaldirektor Ernst Czeija als Vertreter der Wirtschaft, Leopold Figl für die ÖVP, Ernst Fischer für die KPÖ, Paul Hörbiger für die Künstler, Franz Schumy für den ehemaligen Landbund und Stadtrat Paul Speiser für die SPÖ.
Anno/ÖNB
Innsbruck: Der Widerstandskämpfer Robert Moser wird zu Tode gefoltert (Karin Kirchmayr)
Als sich im April 1945 in Innsbruck eine überparteiliche Widerstandsbewegung formiert, stellt der Radiohändler Robert Moser seine Geschäftsräume für Treffen zur Verfügung. Moser ist es auch, der den US-Fallschirmagenten Fred Mayer, Kopf der Operation Greenup, als angeblichen Zwangsarbeiter in seinem Betrieb aufnimmt, nachdem dessen Tarnung als Wehrmachtsoffizier aufzufliegen droht.
Wenig später wird die Gruppe, die über den Verbindungsmann Fritz Molden mit dem US-Kriegsgeheimdienst und der Gruppe O5 kooperiert, von einem Spitzel aufgedeckt. Dutzende Personen werden verhaftet, darunter auch der 41-jährige Moser – die Gestapo vermutet in ihm einen Anführer des Tiroler Widerstands. Bei den Festnahmen ging die Gestapo mit äußerster Härte vor. In einem Schreiben vom 23. April wird angeordnet: „Bei der Verhaftung ist rücksichtslos vorzugehen und im Bedarfsfalle von den Sonderbestimmungen des Waffengebrauchs unverzüglich Gebrauch zu machen.“
Moser wird gefoltert und mit einer Lederpeitsche und einem Ochsenziemer geschlagen. Ein Mitgefangener berichtete, dass Mosers Rücken eine einzige blutige Masse war. Die schweren Misshandlungen in den Tagen nach seiner Festnahme in der Nacht auf den 19. April führen dazu, dass er am 23. April stirbt. Seit 1998 erinnert eine Gedenktafel an der Herrengasse 1 in Innsbruck an ihn.
Fred Mayer überlebt die Folter und trägt entscheidend dazu bei, dass Innsbruck am 3. Mai kampflos übergeben wird.


24. April 1945
Sowjetischer Vormarsch in Niederösterreich (Karin Kirchmayr)
Es ist kalt und unwirtlich an diesem Dienstag, selbst in der Ebene wechseln Regen- mit Schneeschauern ab, schildert Theo Rossiwall in seinem Buch "Die letzten Tage". Noch in der Nacht hat die Rote Armee Merkersdorf bei Ernstbrunn eingenommen. Ihr Ziel ist Laa an der Thaya, das in den kommenden Tagen von der deutschen 8. Armee noch erbittert verteidigt werden sollte. Bei Mistelbach und Staatz werden noch letzte heftige Panzerkämpfe ausgetragen.
Im Wienerwald und südlich davon ziehen sich die deutschen Einheiten immer weiter zurück. Nach wochenlangen Kämpfen räumen sie Alland, das seit 6. April in der Kampfzone gelegen war: 41 Häuser, die Kirche und die Schule sind zerstört, die Brücken über die Schwechat gesprengt. Auch Weißenbach an der Triesting wird geräumt, von so mancher Ortschaft, wie etwa Traisen, bleibt kaum ein Haus erhalten.
Der Vormarsch der Roten Armee nähert sich ihrem westlichsten Punkt: Die Front kommt einige Kilometer hinter Sankt Pölten zum Stillstand und zieht sich bis etwa Mistelbach. Die Kämpfe dauern trotzdem noch an. Die SS führt noch einige Gegenangriffe durch und erobert dabei manchmal Dörfer zurück – wenn auch nur für einige Tage und Stunden.
Beinecke Library
Die Karte zeigt in Rot den Verlauf der Frontlinie und die Vorstöße der Alliierten am 24. April 1945.
Schlacht um Berlin und Rückzug aus Italien (Karin Kirchmayr)
Blick zu anderen Schauplätzen der letzten Kriegstage: In Berlin dringt die Rote Armee am 24. April in die Vororte der Stadt vor und kämpft sich Haus um Haus voran. Bereits in den ersten vier Tagen des Vorstoßes wird es mehr als 33 000 Gefallene geben.
Auf der Karte im vorigen Post ist auch gut zu sehen, wie die Alliierten den Klammergriff um das Dritte Reich langsam zuziehen: Vorausabteilungen der amerikanischen und sowjetischen Truppen haben bereits am 24. April Sichtkontakt über die Elbe, erste Funkverbindungen werden aufgenommen.
An der Westfront wird Stuttgart von den französischen Truppen eingenommen. In Norditalien durchbrechen die Alliierten die "Gotenstellung", eine Linie deutscher Befestigungen von der Adria im Osten bis zum Tyrrhenischen Meer im Westen. Der deutsche Rückzug wird zur ungeregelten Flucht. Die Wehrmacht sprengt alle Brücken über den Po, doch auch das kann den Vormarsch der Alliierten nicht aufhalten. Fast ganz Jugoslawien ist bereits in der Hand der Armee Titos.
Imago / ITAR TASS
Foto: Straßenkämpfe in Berlin
Katastrophale Zustände in Wien (Karin Kirchmayr)
Der Großteil Wiens ist wieder mit Wasser und stundenweise mit Strom versorgt. Ansonsten herrschen katastrophale Zustände: Große Teile der Stadt liegen in Trümmern, viele Menschen leben in Kellern und Notquartieren, es fehlt an Lebensmitteln, Medikamenten, Kleidung. Vor allem alte und gebrechliche Menschen, die sich nicht an den Plünderungen der Lebensmittellager beteiligen können, haben nichts mehr zu essen. Menschen sterben am Hunger, Plünderungen und Übergriffe durch sowjetische Soldaten sind an der Tagesordnung.
Die brandneue Zeitung "Neues Österreich" berichtet in ihrer zweiten Ausgabe, dass die Spitäler in Betrieb sind, manche Ärzte wieder ordinieren und in vielen Apotheken Medikamente für dringendste Notfälle vorhanden sind. In kurzer Zeit soll es auch wieder Milch für Kleinkinder und Kranke geben, wird angekündigt. Zumindest sei es gelungen, die Stadt seuchenfrei zu halten.
Am 24. April wird das Apollo-Kino wiedereröffnet. Gezeigt wird der Film "Iwan der Schreckliche" (1944) von Sergej Eisenstein.
Imago / Simon Raskin
Foto: Befreite KZ-Häftlinge kehren nach Wien zurück
Rote Armee zieht Spur der Vergewaltigungen (Karin Kirchmayr)
Bei ihrem Vormarsch ziehen die sowjetischen Soldaten eine Spur grausamer Misshandlungen von Frauen. Wie auch schon an anderer Stelle des Tickers berichtet, werden zigtausende Frauen und Mädchen vergewaltigt. Viel sterben dabei, andere begehen Suizid oder leiden ihr Leben lang an den Folgen.
"Ganze Rudel von Bewaffneten, die plötzlich in den Keller stürmten. Die wenigsten konnten in der Dunkelheit entkommen und sich irgendwo verstecken. Gellende Schreie: 'Mutter, Mutter, hilf mir!' Lautes Geschrei, Flüche, Gegröle der sinnlos Betrunkenen, die mit ihren Waffen herumfuchtelten, Schüsse, durch die die Opfer eingeschüchtert und gefügig gemacht werden sollten. Frauen, Mädchen, die sich zu Tode erschrocken zitternd in irgendwelchen Winkeln, hinter Fässern, Weinpressen, Geräter bargen", erinnert sich Erwin Emminger in Kurt Bauers Buch "Niemandsland zwischen Krieg und Frieden" über die Situation im Ort Prottes im Weinviertel.
"Emminger berichtet von einer hochschwangeren Frau, die unter schwerem Infanteriebeschuss von zwei Soldaten weggezerrt und vergewaltigt wurde. (...) Eine Frau berichtete, sie sei hintereinander von fünf Russen unter vorgehaltener Pistole zum oralen Coitus gezwungen worden. Eine damals 30-Jährige musste über längere Zeit täglich bis zu vierzig Vergewaltigungen über sich ergehen lassen. Eine 21-Jährige starb nach Wochen des schweren Missbrauchs."
Deutsch Wagram: Eine riesen Eierspeise zur Begrüßung der Sowjets (Karin Kirchmayr)
Am 24. April treffen die Truppen der Roten Armee in Deutsch-Wagram, heute im niederösterreichischen Bezirk Gänserndorf, ein. Wie Stefan Wiedl im Rahmen der Ö1-Aktion "Gemeinsam erinnern" schildert, ging sein Vater aktiv auf die ausgehungerten Soldaten zu. Auch Wiedl, dessen Mutter zu dem Zeitpunkt hochschwanger mit ihm ist und auf dem Dachboden versteckt wird, berichtet von Plünderungen und "weinenden, schreienden Frauen". Aber auch von positiveren Begegnungen und einer Strategie des Händeausstreckens. Hier Auszüge aus Stefan Wiedls Beitrag:
"Mein Vater war bereits offiziell zu Hause als entlassener Soldat. Er hatte ein Sprachtalent und so perfekt russisch gelernt, wie er nur konnte. Als die Front nach Deutsch-Wagram kam, veranlasste mein Vater meine Großmutter, eine riesen Eierspeise aus 50 Eiern zu produzieren, die sie zusammenschnorren musste, und möglichst viel Brot zu backen. Mein Vater begrüßte die Soldaten auf Russisch mit Salz und Wodka und hat sie hereingebeten. Sie waren vollkommen perplex und haben alles zusammengesessen, was da war."
"An unserem Haus wurde eine rote Fahne gehisst. Ein Offizier, ein Deutschprofessor aus Leningrad, war bei uns einquartiert. Mein Vater und er haben sich gut verstanden. Die rote Fahne hat auch dazu geführt, dass meine Mutter eine Hausgeburt mit der Unterstützung eines russischen Sanitätsoffiziers hatte."
Sozialistenmorde: Fünf Männer werden in Freistadt erschossen (Marlene Erhart)
Selbst vielen eingefleischten Nationalsozialisten ist klar, dass der Zusammenbruch des Deutschen Reichs bevorsteht. Um die Verwaltung von Freistadt für die Sowjets zu erschweren, werden dort am 24. April die sogenannten Sozialistenmorde verübt.
Kreisleiter Martin Gittmaier und die Kreisleitungs-Mitglieder Josef Czech und Johann Hauf wählen fünf Männer aus, die ihnen als Sozialisten oder Kommunisten gelten: die Hilfsarbeiter Richard Gold und Jakob Smal, den Angestellte Alois Miesenböck, den Ziegelschläger Johann Zeilinger und den polnischen Landarbeiter Stefan Modelsky.
Unter einem Vorwand werden die Männer im Geheimen verhaftet und zur Kreisleitung gebracht. Von dort fährt Kreisleitungs-Chauffeur Josef Obermayr sie zur Hinrichtungsstätte an der Jaunitz. Er lässt den Motor des Wagens aufheulen, um die tödlichen Schüsse zu übertönen. Die fünf Toten werden an Ort und Stelle vergraben.
Laut nachfolgenden Medienberichten waren Kreisamtsleiter Czech und Volkssturm-Bataillonsführer Karl Zimbrich direkt an der Exekution beteiligt. Ein weiterer Beteiligter ist Rudolf Knoll, Gemeindebeamter aus Pregarten.
Während sich Knoll und Gittmaier in den Tagen und Monaten nach Kriegsende erhängen, tauchen Czech und Hauf unter. Zwei der Beteiligten kommen vor Gericht: Zimbrich wird zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt, Obermayer wird freigesprochen.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#11
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 11:
25. - 27. April 1945

25. April 1945
Letzter Bombenangriff auf Linz (Karin Kirchmayr)
Am 25. April, einem Mittwoch, um 10:53 Uhr, beginnt der letzte schwere Bombenangriff auf Linz. Es ist der zeitlich längste und tödlichste. 360 Menschen sterben in dem Bombenhagel, der dem Bahnhof und den Rüstungsbetrieben gilt. Der Hauptbahnhof und das Bahnhofsviertel werden schwer beschädigt, ebenso wie der Volksgartensalon. Mehr als 1000 Wohngebäude sind betroffen, Straßen, Strom- und Wasserleitungen beschädigt. Insgesamt werden in Linz durch die Luftangriffe ab Juli 1944 zwei Drittel des Häuserbestands zum Teil schwer beschädigt oder völlig zerstört.
Auch nach diesem Bombenangriff müssen KZ-Insassen, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter die Toten und Verschütteten bergen und unter Lebensgefahr Blindgänger entschärfen.
Ab heute, dem 25. April 2025, erzählt das Stadtarchiv Linz die Ereignisse der letzten Kriegstage und der Befreiung hier tagesaktuell nach, inklusive Fotos, Dokumenten und Berichten von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
Archiv der Stadt Linz
Im Bild: Blick auf Linz vom Pöstlingberg aus.
An der Universität Wien wird eine neue Leitung gewählt 1. (Klaus Taschwer)
Noch vor der Befreiung Wiens haben sich die NS-Führungskräfte der Uni Wien wie der Anatom und Ex-Rektor Eduard Pernkopf ins Salzkammergut verabschiedet. Mit im Gepäck haben sie einen Großteil der Handkassa – Gelder, die später angeblich bevorzugt an Parteigenossen ausbezahlt werden.
Nach der Befreiung Wiens sind also Rektor, Prorektor, Dekane, Prodekane und der Senat der Universität neu zu wählen. Das geschieht bereits am 25. April 1945. Eine allgemeine Professorenversammlung wird einberufen, zu der all jene Ordinarien geladen werden, die nicht Funktionäre der NSDAP oder Angehöriger der SA oder SS und bereits vor dem 13. März 1938 im Personalstand gewesen sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass einfache Mitglieder der NSDAP oder Parteianwärter teilnehmen dürfen, was einen einfachen Grund hat: Ein Jahr zuvor sind noch fast drei Viertel der Professorenschaft zumindest das eine oder das andere gewesen. Anders formuliert: Es sind zahlreiche (weniger belastete) Nationalsozialisten, die an der größten und ältesten Universität Wien ihre neuen Führungskräfte wählen. Und zwar aus einem Kreis von Personen, die schon in der Dollfuß/Schuschnigg-Diktatur universitätspolitisch eine wichtige Rolle spielten.
An der Universität Wien wird eine neue Leitung gewählt 2. (Klaus Taschwer)
Entsprechend sieht das Endergebnis der Wahl zur neuen Universitätsleitung aus: Die Professorenversammlung wählt den Verfassungsjuristen Ludwig Adamovich sen. zum ersten Rektor der Nachkriegszeit. Adamovich war 1935 maßgeblich an der Formulierung des „austrofaschistischen“ Hochschulerziehungsgesetzes beteiligt und danach letzter Justizminister unter Schuschnigg.
Sein Stellvertreter (genauer: Prorektor) wird Pädagogikprofessor Richard Meister, der in der NS-Zeit bei einigen NS-Vorfeldorganisationen Mitglied war (u.a. Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Nationalsozialistischer Altherrenbund), nur nicht bei der NSDAP selbst. Seit den 1920er-Jahren gehörte Meister unter anderem der antisemitischen Professorenclique Bärenhöhle an – so wie der neu gewählte Dekan der philosophischen Fakultät, Wilhelm Czermak, der in den 1920er- und 1930er-Jahren auch beim antisemitischen rechten Deutschen Klub und der antisemitischen Deutschen Gemeinschaft engagiert war.
Ähnliche Kontinuitäten gibt es auch an anderen Fakultäten. An der philosophischen Fakultät ist es dank Meister und Cermak aber besonders schlimm. Die beiden werden einer Artikelreihe, die ab Ende 1945 in der Zeitung „Wiener Montag“ erscheint, prompt als „Protektoren der Nationalsozialisten“ bezeichnet werden und die Wiener Universität wegen dieser Persönlichkeiten wörtlich als „Keimzelle des Nationalsozialismus“.
Von einer echten Stunde Null konnte 1945 an der Universität Wien mithin keine Rede sein.
Tagebucheintrag der 29-jährigen Wienerin Adolfine Schumann 1. (Klaus Taschwer)
Die 1916 geborene Adolfine Schumann wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Wien auf, brachte es zur Sekretärin und war in den Kriegsjahren als Angestellte eines deutschen Unternehmens in verschiedenen europäischen Großstädten tätig.
Die Kriegstage und die Zeit danach überlebt sie in Wien. Ihr Tagebuch über diese Zeit ist eine aufschlussreiche Quelle für die Zeitgeschichteforschung. Der Eintrag vom 25. April 1945 ist einer der besonders eindrücklichen:
„Alle unsere Kräfte sind aufs Überleben ausgerichtet, der Selbsterhaltungstrieb zwingt einen dazu. Die Jagd nach Lebensmitteln, das Anstellen um Brot, um Petroleum und Wasser, das sind Existenzfragen geworden (…). In der Ernährungsfrage hilft einem niemand, da ist jeder auf seinen eigenen Witz angewiesen, aber gerade diese Schwierigkeiten sind es, die uns letzten Endes helfen, die chaotischen Zeiten zu überstehen.“
Wer jetzt krank ist, der ist schlimm dran. Jetzt ein eitriger Blinddarm oder eine Gallenkolik und man ist verloren. Man findet keinen Arzt, es gibt keine Medikamente. Wer alt und allein ist, geht ohne fremde Hilfe einfach unter. Wer ängstlich oder zu moralisch ist, ist gleichermaßen verurteilt."
Tagebucheintrag der 29-jährigen Wienerin Adolfine Schumann 2. (Klaus Taschwer)
Im Tagebuch von Adolfine "Dolfi" Schumann heißt es am 25. April 1945 weiter:
"Der Hunger ist es nicht allein, Schmerz um den Verlust eines Angehörigen, der Verlust seiner ganzen Habe, die Ungewissheit über das Schicksal der Vermissten, die Existenzangst der vielen kleinen Parteimitläufer.
Viele Wiener starben infolge von Gasgebrechen in den beschädigten Häusern, wurden von zusammenstürzenden Hausruinen begraben, kamen durch explodierende Blindgänger um, wurden Opfer der Übergriffe fremder Soldaten. Schändungen, Deportationen, Verschleppungen, Denunziation sind an der Tagesordnung. Man kann der eigenen Regierung nicht trauen. Um Hilfe kann man sich an niemanden wenden, keiner ist zuständig. Man ist der Willkür ausgesetzt.
Wer die letzten Tage gelebt hat, der hat schon lange gelebt. Und der Krieg ist ja noch nicht aus, wir sind nur im Feindesland, oder besser gesagt: im Niemandsland."
Sowjets und Amerikaner treffen an der Elbe zusammen (Karin Kirchmayr)
Am 25. April ist ein entscheidender Tag im Endstadium des Zweiten Weltkriegs in Europa. Um die Mittagszeit treffen in Turgau an der Elbe zum ersten Mal die 1. US-Armee und die 1. Ukrainische Front aufeinander. Es kommt zum offiziell inszenierten Handshake, ein Symbol des bevorstehenden Sieges über das NS-Regime. Mit der Vereinigung der Armeen ist der Klammergriff um das Dritte Reich vollendet und Deutschland faktisch in zwei Hälften geteilt. In den Abendstunden ist auch Berlin eingekesselt. Die deutschen Soldaten halten nur noch das Stadtzentrum, hunderte Gebäude stehen in Flammen.
Schon am Vormittag haben britische Kampfflieger den Berghof, Hitlers Residenz am Obersalzberg, bombardiert. "Ich würde es für tausend Mal feiger halten, am Obersalzberg einen Selbstmord zu begehen, als hier zu stehen und zu fallen", wird Hitler im Angesicht der aussichtslosen Lage zitiert.
Imago / Underwood Archives
KZ-Außenkommando in Vorarlberg aufgelassen (Martin Stepanek)
Während Wien längst befreit und die Allierten weiter gen Westen vorrücken, ist es im äußersten Westen noch verhältnismäßig ruhig. Dass der Zusammenbruch des NS-Regimes unmittelbar bevorsteht, zeichnet sich aber auch hier ab. Das behelfsmäßig erst am 7. April eingerichtete KZ-Außenlager Lochau, in dem 20 Häftlinge nur wenige Kilometer von Bregenz entfernt ein Blutgerinnungsmittel weiterentwickeln und produzieren sollen, ist plötzlich verwaist, auch Gerätschaften sind mittlerweile verschwunden.
Damit ist das einzige KZ-Außenlager auf Vorarlberger Boden auch schon wieder Geschichte. Während an die Bevölkerung noch Durchhalteparolen ausgegeben werden, stehen die Franzosen von Süddeutschland und dem Bodenseeufer kommend, schon fast vor der Grenze. Im Hintergrund wird hektisch versucht, Bregenz aufgrund der dort befindlichen Lazarette als „offene Stadt“ und somit unter den Schutz des Roten Kreuzes zu stellen und der Stadt damit Kampfhandlungen zu ersparen.
In der Vorarlberger Bevölkerung wächst zudem die Sorge über die 10.000 noch im Land befindlichen Zwangsarbeiter- und arbeiterinnen, die jahrelang unter unmenschlichen Bedingungen ausgebeutet und schlecht behandelt wurden. Aus Angst vor Racheaktionen will man sie möglichst schnell in die Schweiz abschieben, am besten noch vor der Ankunft der Franzosen.
Trauriger Höhepunkt der „Fliegerlynchjustiz“ (Tanja Traxler)
In der Endphase des Kriegs werden die Gegenschläge der Wehrmacht immer sinnloser und grausamer. Besonders brutal fielen die Lynchmorde an alliierten Fliegern aus. Mindestens 100 Piloten, die über heutigem österreichischen Gebiet abgeschossen wurden, sind auf brutalste Weise ermordet worden, wie der Historiker Georg Hoffmann vor einigen Jahren aufgearbeitet hat. Diese dunkle Episode der Endphasenverbrechen, an der sich auch die Bevölkerung sehr rege beteiligt hat, ist als „Fliegerlynchjustiz“ bekannt. Über das tragische Schicksal des US-Piloten Walter P. Manning haben wir in diesem Ticker bereits berichtet.
Am 25. April ereignen sich besonders viele Lynchmorde an Piloten. Allein zwischen Steyr und Linz werden an diesem Tag zehn Flieger von lokalen NS-Parteifunktionären vor Hunderten Augenzeugen misshandelt und ermordet.

Im Bild: Sowjetische Kampfflugzeuge im Zweiten Weltkrieg.
Schleppende Rückkehr zu einer neuen Normalität in Wien (Tanja Traxler)
Wien ist inzwischen bereits seit knapp zwei Wochen von der NS-Herrschaft befreit, die Rückkehr zu einer neuen Normalität geht aber nur äußerst schleppend voran, wie ein Blick in die Zeitung zeigt.
In der heutigen Ausgabe von „Neues Österreich“ ist zu lesen, dass in Wien nach wie vor „viele tausend Obdachlose“ auf der Straße leben würden. Die Hälfte der Wohnungshäuser ist durch die Kriegsereignisse völlig zerstört oder schwer beschädigt worden. „Sie möglichst rasch unter ein Dach zu bringen, hat sich Stadtrat Felix Slavik, dem in der neuen Gemeindeverwaltung das Wohnungs- und Siedlungswesen übertragen wurde, zur vordringlichsten Aufgabe gestellt.“
Auch an der Wiederherstellung der Kommunikationsinfrastruktur wird mit Hochdruck gearbeitet. „Neues Österreich“ wartet auf Seite 1 mit der Schlagzeile auf: „Bald wieder Post und Telephon in Wien“. Wie die Zeitung vom Leiter der Telegraphendirektion Wien, Anton Hyros, erfahren hat, sei beabsichtigt, zunächst in den wichtigsten Zentralstellen, Ämtern und Spitälern den Telefonverkehr wieder zu ermöglichen. Auch die Briefzustellung soll in den kommenden Tagen in Wien wieder erfolgen. „Die Briefe dürfen aber nicht in die Postkästen geworfen werden, sondern sind bei den Postämtern aufzugeben“, wie die Postdirektion Wien mitteilen lässt.
Anno ÖNB
Kärnten: Massaker an einer Familie am Peršmanhof bei Bad Eisenkappel 1. (Karin Kirchmayr)
In der Früh des 25. April kommt, wie schon oft zuvor, eine Gruppe slowenischer Partisaninnen und Partisanen auf den Peršmanhof. Der Bergbauernhof bei Bad Eisenkappel/Železna Kapla-Bela in Kärnten ist ein zentraler Stützpunkt der Widerstandsbewegung. Die Partisanen bringen zwei "weiße Kühe”" und "eine Kalbin oder einen Terz", wird die damals 10-jährige Ana Marija Sadovnik später berichten. "Die Partisanen verhielten sich an diesem Tag wie üblich, nämlich ordentlich, und haben viel gesungen", schildert Ana. Sie ist eines von drei Kindern, die das Massaker, das sich später an dem Tag zutragen wird, überleben.
Nach einer Anzeige wegen Viehdiebstahls und "Bandenbegünstigung" durch die Familie Sadovnik greifen Männer des SS- und Polizeiregiments 13 in den Abendstunden den Peršmanhof an. Die etwa 100 bis 150 Partisanen flüchten in verschiedene Richtungen, die Familienmitglieder verstecken sich im Keller.
Nach längeren Feuergefechten mit den Partisanen beschließt der Anführer Josef Reischl, die Waffen und Munition, das Vieh und das frisch geschlachtete Fleisch, das er am Hof gesehen hat, als Beute einzubringen. Gegen acht Uhr abends kehrt ein Stoßtrupp zurück. Im Zuge der Aktion gibt Reischl den Schießbefehl zur Ermordung der Familie, der von Freiwilligen exekutiert wurde, wie Lisa Rettl und Gudrun Plohberger in dem Buch "Peršman" rekonstruierten. Elf Menschen werden ermordet, darunter sieben Kinder im Alter von ein bis zwölf Jahren.
DÖW
Massaker an einer Familie am Peršmanhof bei Bad Eisenkappel 2. (Karin Kirchmayr)
Die zehnjährige Ana Marija Sadovnik und die sechsjährige Amalja überleben das Massaker am Peršmanhof nur, weil sie nach den Streifschüssen auf sie für tot gehalten werden, ein anderes Kind versteckt sich hinter dem Küchenherd. Als die Männer um Josef Reischl das Wohnhaus und das Wirtschaftsgebäude anzünden, flüchten sie in den Wald.
Die überlebenden Kinder ziehen Ende der 1940er-Jahre als Jugendliche in den zerstörten Hof und bewohnen das teils sehr baufällige Haus bis zur Jahrtausendwende. Dank des Verbands der Kärntner Partisanen entwickelt es sich sukzessive zum Gedenkort, 1982 wird in einem Teil des Hauses ein Museum und eine Gedenkstätte eröffnet.
Zwar wird bereits am Tag nach dem Massaker Anzeige erstattet, doch Ermittlungen gegen die Täter, die ab 1946 laufen, laufen ins Leere und werden 1949 eingestellt. Auch ein Wiederaufnahmeversuch 1960 bleibt ergebnislos. Es kommt nie zu einer Anklage.
Slowenisches wissenschaftliches Institut Klagenfurt
Foto: Ein Familienbild aus dem Jahr 1943


26. April 1945
US-Militärs betreten am 26. April erstmals kurz österreichisches Staatsgebiet (Klaus Taschwer)
Bisher ist – abgesehen von einzelnen britischen und US-amerikanischen Fallschirmjägern – nur die Rote Armee von Osten her auf österreichisches Staatsgebiet vorgedrungen. Entsprechend sind noch mehr als zwei Drittel des Landes unter NS-Herrschaft und nicht befreit.
Am 26. April 1945 beginnt sich die Lage ein wenig zu ändern: Erstmals und kurzfristig betritt ein US-amerikanischer Spähtrupp bei Schwarzenberg am Böhmerwald österreichischen Boden. Der kleine, einsame Ort liegt im Dreiländereck Deutschland–Österreich–Tschechien.
Zur Besetzung und Befreiung Oberösterreichs ist die 3. US-Armee ausersehen. Das XX. Korps sollte im Raum südlich, das XII. Korps nördlich der Donau vorgehen. Es sollte noch bis zum 29. und 30. April dauern, ehe die US-Truppen dann auf breiter Front ins Obere Mühlviertel eindringen. Sie werden hier auf einigen, aber nicht allzu heftigen Widerstand stoßen und zügig Richtung Linz marschieren.
1745672793398.png OpenStreetMap contributors / Datawrapper
Endphasenverbrechen in und um Prein an der Rax 1. (Klaus Taschwer)
In und um Prein an der Rax kommt es im Laufe des 26. April 1945 zu besonders grausamen Endphaseverbrechen. Insgesamt 17 Personen werden von meist jugendlichen Mitgliedern eines Volkssturmkommandos ermordet. Die Opfer – unter ihnen zahlreiche Frauen – werden verdächtigt, Sozialistinnen und Sozialisten oder gegen das NS-Regime eingestellt zu sein.
Eine von ihnen ist Anna Fischer. Sie wird im Keller ihres Wohnhauses ermordet. Mitglieder der Hitlerjugend zwingen danach die Gendarmen Johann Gehring und Franz Zenz, die Leiche aus dem Keller auf die Straße zu tragen und auf einem Gartenpfeiler aufzuhängen, wie Martin Zellhofer in seiner Diplomarbeit berichtet. Den beiden Gendarmen wird beim Anblick der Leiche schlecht. Prompt verhöhnen Mitglieder der HJ die Gendarmen und bezeichnen sie als „alte Schlappschwänze“.
Anna Fischer wird in ein rotes Fahnentuch gewickelt, das sie angeblich zum Empfang der Russen vorbereitet hat und versehen mit der Schmähinschrift „Ich war eine Verräterin“ auf einem Gartenpfeiler oder ihrer Haustüre aufgehängt.
Endphasenverbrechen in und um Prein an der Rax 2. (Klaus Taschwer)
Alle Opfer dieses Endphaseverbrechens sind am 23. und 24. April unter großer Geheimhaltung verhaftet und im Postgebäude von Prein festgehalten worden. Ein Teil der Opfer wird zum Schloss Wartholz gebracht und dann auf der Kletschkahöhe ermordet.
Die noch festgehaltenen acht Frauen werden von einem Volkssturmsonderkommando abgeholt. Eine von ihnen wird auf Intervention eines ihr bekannten steirischen Volkssturmführers freigelassen. Mitglieder des Sonderkommandos erschießen die übrigen sieben – Marie Habietinek, Johanna Eggl, Anna Frindt, Theresia Weitzbauer, Marie Landskorn und die Schwestern Elisabeth und Olga Waissnix – im Keller des Hotels „Kaiserhof“. (Die 26-jährige Unternehmerin Olga Waissnitz ist erst Anfang April wegen der vorrückenden Roten Armee aus der Haft in St. Pölten entlassen worden und wähnte sich in Reichenau sicher.)
In der Nacht werden die sieben Leichen heimlich am Friedhof unter Mithilfe der Gendarmen des Postens Prein verscharrt.
Am Reichenauer Schlossplatz an der Umfassungsmauer rechts von der Kirche hängt seit 1995 eine Gedenktafel mit 25 Namen. Mit ihr gedenkt die Gemeinde Reichenau an der Rax „ihren 1945 bis 1946 außerhalb der Kriegshandlungen gewaltsam ums Leben gekommenen“ Bürgerinnen und Bürgern.
Hakenkreuzentfernung in Wien (Tanja Traxler)
Unter dem Titel „Die Hakenkreuzabnahme“ berichtet die Zeitung „Neues Österreich“ von einer alten Frau, die in Wien herumliegende Hakenkreuze einsammelt. „Was soll’n denn die Russen denken, wenn sie in Wien einmarschieren und alle Straßen sind mit den Abzeichen versaut? So viel Nazi hat’s ja in wien gar net geb’n, als da Abzeichen herumliegen“, wird die Dame zitiert. Generell zeigt sich die Zeitung überzeugt, dass die Wiener sieben Jahre leidenschaftlich herbeigesehnt hätte, „das verhasste Hakenkreuz mit Füßen zu treten“.
Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
Foto: Sowjetische Soldaten entfernen eine NSDAP-Tafel
Die Lage in Wien knapp zwei Wochen nach Ende der Kämpfe (Klaus Taschwer)
Wie die Wiener Rathauskorrespondenz vermeldet, können die Wiener E-Werke keinen Strom beziehen, sondern sind auf die eigene Stromerzeugung aus Kohle angewiesen. Die Kohlenvorräte sind jedoch begrenzt. Deswegen kann Strom nur kurzzeitig abgegeben werden. Es gilt vor allem, die Versorgung der Wasserwerke sowie von Brotfabriken, Krankenhäusern und anderen lebenswichtigen Einrichtungen zu sichern.
Die Stadtverwaltung teilt zudem mit, dass auf den Friedhöfen 5500 unbeerdigte Leichen liegen. Eine noch weit größere, aber niemals genau ermittelte Zahl von Toten ist in Grünanlagen und Bombentrichtern provisorisch bestattet worden und muss möglichst bald exhumiert und ordentlich beigesetzt werden. Es gibt allerdings keine Särge.
Ein Tagebucheintrag am 26. April im fernen New York zum "Aufschrei des Entsetzens" (Klaus Taschwer)
Der deutsche Jurist und Schriftsteller Alfred Kantorowicz kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und konnte sich 1941 vor der Verfolgung in die USA retten. Am 26. April 1945 schreibt er in New York City folgende Zeilen in sein Tagebuch:
"Im April 1945 hat die westliche Welt den Bestand von Konzentrationslagern in Nazideutschland "entdeckt". Ein Aufschrei des Entsetzens läuft durch die Presse der Demokratien. Sie hätten das alles bereits seit zwölf Jahren zur Kenntnis nehmen können, aus Tausenden von Berichten entkommener Opfer, aus dokumentarisch belegten Büchern. Hätten sie die Wahrheit damals nicht überhört, so wäre dieser Krieg mit seinen 30 Millionen Toten und der Verwüstung Europas vielleicht zu verhindern gewesen.
Wir alle haben Euch gewarnt: Seht Euch um, so beginnt es; die ersten Opfer sind die guten Deutschen selber, ihr werdet die nächsten sein, wenn ihr nicht zu Hilfe eilt.
Jetzt, nachdem alles vorbei ist, die Blüte Europas teils in diesen Lagern und teils auf den Schlachtfeldern verfault, jetzt "entdeckt" man, daß Nazis wie Nazis handeln. Es wird die Toten nicht wieder erwecken."


27. April 1945
Provisorische Regierung unter Dr. Karl Renner wird (in)offiziell anerkannt (Tanja Traxler)
Am 27. April erkennt der Oberkommandierende der 3. Ukrainischen Front, Marschall Fëdor I. Tolbuchin, in seinem Befehlsbereich die neu gebildete provisorische österreichische Staatsregierung unter der Führung des Sozialdemokraten Dr. Karl Renner an. Es handelt sich dabei um eine Konzentrationsregierung aus SPÖ, ÖVP und KPÖ.
Der Marschall erklärt, dass die Rote Armee die provisorische Regierung unterstütze, was allerdings (noch) keine völkerrechtliche Anerkennung der Regierung durch die UdSSR bedeutete. Zudem sagt er, dass er mit ähnlichen Schritten der Westmächte rechne.
Das war zu diesem Zeitpunkt allerdings offen: Für die Westmächte hatte diese eilige Gründung der Zweiten Republik eher den Charakter eines Handstreichs, wie der Historiker Wolfgang Mueller nach Auswertung sowjetischer Quellen schreibt.
Tatsächlich wird der neue Staat erst am 11. September 1945 per Beschluss des Alliierten Rates durch die USA, Großbritannien und Frankreich anerkannt.
Die provisorische Regierung Renner wird bis zum 20. Dezember 1945 amtieren.
Ihre Befugnisse leitete die provisorische Staatsregierung aus der ebenfalls von den drei zu diesem Zeitpunkt existierenden Parteien proklamierten Unabhängigkeitserklärung ab, mit der die Republik Österreich wiedererrichtet wird.
Friedensverhandlungen in San Francisco (Tanja Traxler)
Die österreichischen Zeitungen berichten heute von den Fortschritten bei der Weltfriedenskonferenz, die seit 25. April in San Francisco stattfindet und zu der zahlreiche Regierungschefs angereist sind. Die "Österreichische Zeitung" zitiert US-Präsident Harry Truman, der an die Teilnehmer der Weltfriedenskonferenz appelliert: "Von Ihren Bemühungen wird es abhängen, ob es der leidenden Menschheit beschieden sein wird, eines gerechten und dauerhaften Friedens teilhaft zu werden."
Republik Österreich erklärt Unabhängigkeit (Tanja Traxler)
Am heutigen 27. April 1945 erklärt die provisorische Übergangsregierung unter der Leitung von Karl Renner (im Bild) die Unabhängigkeit der Republik Österreich und legt damit den Grundstein für die Zweite Republik. Mit den Unterschriften der Parteivorsitzenden von SPÖ, ÖVP und KPÖ wird der 1938 erfolgt "Anschluss" an Nazi-Deutschland für "null und nichtig" und die Republik Österreich für "wiederhergestellt" erklärt.
Die Unabhängigkeitserklärung im Wortlaut (Tanja Traxler)
Hier der Wortlaut der Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs vom 27. April 1945 (St.G.Bl. 1/1945):
Angesichts der Tatsache, daß der Anschluss des Jahres 1938 nicht, wie dies zwischen zwei souveränen Staaten selbstverständlich ist, zur Wahrung aller Interessen durch Verhandlungen von Staat zu Staat vereinbart und durch Staatsverträge abgeschlossen, sondern durch militärische Bedrohung von außen und den hochverräterischen Terror einer nazifaschistischen Minderheit eingeleitet, einer wehrlosen Staatsleitung abgelistet und abgepresst, endlich durch militärische kriegsmäßige Besetzung des Landes dem hilflos gewordenen Volke Österreichs aufgezwungen worden ist,
angesichts der weiteren Tatsachen, daß die so vollzogene Annexion des Landes sofort missbraucht worden ist, alle zentralen staatlichen Einrichtungen der ehemaligen Bundesrepublik Österreich, seine Ministerien und sonstigen Regierungseinrichtungen zu beseitigen und deren Bestände nach Berlin wegzuführen, so den historisch gewordenen einheitlichen Bestand Österreichs aufzulösen und vollkommen zu zerstören, Österreichs Hauptstadt Wien, die vielhundertjährige glorreiche Residenzstadt, zu einer Provinzstadt zu degradieren, die Bundesländer aller ihrer geschichtlichen Selbstregierungsrechte zu berauben und zu willenlosen Verwaltungssprengeln unberufener und dem Volke unverantwortlicher Statthalter zu machen, und darüber hinaus angesichts der Tatsachen, daß diese politische Annexion Österreichs zur wirtschaftlichen und kulturellen Beraubung Wiens und der österreichischen Bundesländer ausgenützt und missbraucht worden ist, die Österreichische Nationalbank aufzuheben und ihren Goldschatz nach Berlin zu entführen, alle großen Unternehmungen Österreichs reichsdeutschen Firmen einzuverleiben und so das österreichische Volk aller selbständigen Verfügung über die natürlichen Quellen seines Wohlstandes zu berauben; daß dieser Missbrauch endlich dem österreichischen Volke auch seine geistigen und kulturellen Hilfsquellen verkümmert hat, indem er die unermesslichen Kunst- und Kulturschätze des Landes, welche selbst der harte Friede von Saint-Germain durch ein 20jähriges Verbot vor jeder Veräußerung geschützt hat, der Verschleppung außer Landes preisgegeben hat,und endlich angesichts der Tatsache, daß die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat, in einen Eroberungskrieg […] beinahe die ganze Jugend-und Manneskraft unseres Volkes, bedenkenlos hingeopfert hat […]


angesichts dieser Tatsachen und im Hinblick darauf, daß durch die drei Weltmächte in wiederholten feierlichen Deklarationen insbesondere in der Deklaration der Krimkonferenz und in der Konferenz der Außenminister Hull, Eden und Molotow zu Moskau Oktober 1943 festgelegt worden ist: "Die Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika kamen überein, dass Österreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, von der deutschen Herrschaft befreit werden muss.
Sie betrachten den Anschluss, der Österreich am 15. März 1938 von Deutschland aufgezwungen worden ist, als null und nichtig. Sie geben ihrem Wunsche Ausdruck, ein freies und wiederhergestelltes Österreich zu sehen und dadurch dem österreichischen Volke selbst, ebenso wie anderen benachbarten Staaten, vor denen ähnliche Probleme stehen werden, die Möglichkeit zu geben, diejenige politische und wirtschaftliche Sicherheit zu finden, die die einzige Grundlage eines dauerhaften Friedens ist."
Angesichts der angeführten Tatsachen und im Hinblick auf die feierlichen Erklärungen der drei Weltmächte, denen sich inzwischen beinahe alle Regierungen des Abendlandes angeschlossen haben, erlassen die unterzeichneten Vertreter aller antifaschistischen Parteien Österreichs ausnahmslos die nachstehende Unabhängigkeitserklärung.
Artikel I. Die demokratische Republik Österreich ist wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten.
Artikel II. Der im Jahre 1938 dem österreichischen Volke aufgezwungene Anschluss ist null und nichtig.
Artikel III. Zur Durchführung dieser Erklärung wird unter Teilnahme aller antifaschistischen Parteirichtungen eine Provisorische Staatsregierung eingesetzt und vorbehaltlich der Rechte der besetzenden Mächte mit der vollen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt betraut.
Artikel IV. Vom Tage der Kundmachung dieser Unabhängigkeitserklärung sind alle von Österreichern dem Deutschen Reiche und seiner Führung geleisteten militärischen, dienstlichen oder persönlichen Gelöbnisse nichtig und unverbindlich.
Artikel V. Von diesem Tage an stehen alle Österreicher wieder im staatsbürgerlichen Pflicht- und Treueverhältnis zur Republik Österreich. In pflichtgemäßer Erwägung des Nachsatzes der erwähnten Moskauer Konferenz, der lautet: "Jedoch wird Österreich darauf aufmerksam gemacht, dass es für die Beteiligung am Kriege auf seiten Hitlerdeutschlands Verantwortung trägt, der es nicht entgehen kann, und dass bei der endgültigen
Regelung unvermeidlich sein eigener Beitrag zu seiner Befreiung berücksichtigt werden wird", wird die einzusetzende Staatsregierung ohne Verzug die Maßregeln ergreifen, um jeden ihr möglichen Beitrag zu seiner Befreiung zu leisten, sieht sich jedoch genötigt, festzustellen, daß dieser Beitrag angesichts der Entkräftung unseres Volkes und Entgüterung unseres Landes zu ihrem Bedauern nur bescheiden sein kann.
Wien, den 27. April 1945.
Urkund dessen die eigenhändigen Unterschriften der Vorstände der politischen Parteien Österreichs:
Für den Vorstand der österreichischen Sozialdemokratie, nunmehr Sozialistische Partei Österreichs (Sozialdemokraten und Revolutionäre Sozialisten): Dr. Karl Renner und Dr. Adolf Schärf
Für den Vorstand der Christlichsozialen Volkspartei bzw. nunmehr Österreichische Volkspartei: Leopold Kunschak
Für die Kommunistische Partei Österreichs: Johann Koplenig

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Republiksjubiläum (Tanja Traxler)
Zeitsprung ins Jahr 2025: Beim Staatsakt anlässlich des 80. Jahrestages der Wiedererrichtung der Republik Österreich sagt Bundespräsident Alexander Van der Bellen: „Der Augenblick, in dem Österreich am 27. April 1945 seine Unabhängigkeit erklärte, ist nicht nur ein Moment des Neuanfangs für unsere Heimat. Er stellt auch einen bedeutenden Einschnitt in der Geschichte Europas dar. Der Puls unserer Heimat schlug wieder. Und die ganze Welt konnte ihn hören.“
Van der Bellen hebt in seiner Rede insbesondere die Bedeutung des politischen Kompromisses hervor und würdigt Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen, die sich für die Demokratie eingesetzt haben. „Sie taten dies, weil sie an die Freiheit glaubten. Die Gleichheit. Die Demokratie. Und weil sie dies taten und weil sie auch nach diesem Glauben handelten, hielten sie den Puls Österreichs am Schlagen.“
APA/ROLAND SCHLAGER
Foto: Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) im Rahmen eines Festaktes anlässlich des 80. Jahrestages der Wiedererrichtung der Republik Österreich am 27.04.2025
...und wieder zurück zu den Ereignissen 1945:
Die Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig wird in Linz ermordet (Karin Kirchmayr)
Am 27. April erschießt die SS im Arbeitserziehungslager Schörgenhub kommunistische Häftlinge, darunter Gisela Tschofenig aus Linz. Die als Gisela Taurer geborene Kärntnerin war im Kommunistischen Jugendverband (KJV) aktiv und emigriert 1939 zu ihrem Jugendfreund Josef Tschofenig, ein verfolgter Kommunist, nach Antwerpen. Nach dem Einmarsch der Nazis in Belgien 1940 wird Josef Tschofenig verhaftet und in das KZ Dachau deportiert. Gisela Taurer ist zu diesem Zeitpunkt schwanger und kehrt nach Linz zurück, wo sie im Dezember 1940 einen Sohn zur Welt bringt.
In Linz wird sie Teil der Widerstandsgruppe um den Kommunisten Josef Teufl. Aufgrund ihrer Französischkenntnisse stellt sie Kontakt zu Zwangsarbeitern in den Hermann-Göring-Werken her.
Im September 1944 fliegt die Gruppe auf. Tschofenig wird in Kärnten festgenommen und in das Frauengefängnis Kaplanhof in Linz überstellt. Ihr Sohn kommt bei ihrer in Linz lebenden Familie unter. Nach der Bombardierung des Kaplanhofs Ende März 1945 (wir haben im Ticker berichtet) wird sie gemeinsam mit den anderen ca. 60 überlebenden Frauen in das Arbeitserziehungslager Schörgenhub verlegt. Am 27. April, nur wenige Tage vor der Befreiung des Lagers, wird Tschofenig gemeinsam mit der Welserin Theresia Höllermann und einer unbekannten Wiener Jüdin hingerichtet.
Seit 2006 ist eine Wohnstraße in Linz-Ebelsberg nach Gisela Tschofenig benannt.

Quelle: Buch “Widerstand und Zivilcourage. Frauen in Oberösterreich gegen das NS-Regime 1938–1945”
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#12
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 12:
28. - 30. April 1945

28. April 1945
Das US-Militär überschreitet erstmals die Grenze nach Tirol (Karin Kirchmayr)
Zwischen Pfronten (Bayern) und Vils (Bezirk Reutte) überschreiten amerikanische Soldaten erstmals die Tiroler Nordgrenze. Tirol ist auf den Krieg im eigenen Land militärisch nicht vorbereitet, es stehen weder effektive Verteidigungsanlagen und Kriegsgerät bereit noch Frontsoldaten in ausreichender Zahl. Hitler gibt am 28. April noch den Befehl zum Ausbau der Alpenfestung – der Plan, hochmotivierte Kampftruppen und unzählige Elitesoldaten für den Endkampf in den Bergen zu verschanzen, blieb allerdings ein Hirngespinst.
Auch aus dem Plan von Gauleiter Franz Hofer, mit "Standschützen" eine paramilitärische Formation aus aufgelösten Traditionsverbänden Tirols und Vorarlbergs zu formieren, wurde nichts. Zu einer generellen Mobilmachung der Standschützen kommt es nicht. Nur vereinzelt werden Einheiten zu den Waffen gerufen. Alles in allem wird es in Tirol wenige Kampfhandlungen geben.
Letzte Morde in der Gaskammer des KZ Mauthausen (Marlene Erhart)
Geht es nach Gauleiter August Eigruber, sollen „die Alliierten in den Alpengauen keine aufbauwilligen Kräfte“ vorfinden. So veranlasst er noch kurz vor der Befreiung des KZ Mauthausen, dort inhaftierte oberösterreichische Antifaschisten hinzurichten.
Am 28. April 1945 wird der Befehl umgesetzt und mehr als 40 Gefangene in der Gaskammer des KZ exekutiert. Laut Lagerschreiber Hans Maršálek sind es 33 Österreicher, fünf Polen, vier Kroaten sowie ein Österreicher mit englischer Staatsbürgerschaft.
Zu den Ermordeten zählen die Widerstandskämpfer Willibald Zelger, Karl Loy und Josef „Sepp“ Teufl. Sie alle waren Teil der „Welser Gruppe“, die 1944 von einem Gestapo-Spitzel aufgedeckt wurde.
Die Opfer der Exekution am 28. April sind die letzten Gefangenen, die in der Gaskammer des KZ Mauthausen ermordet werden. Danach baut die SS die technischen Einrichtungen ab, um die begangenen Verbrechen zu verschleiern. Ab März 1942 wurden mindestens 3.500 KZ-Insassen in der Gaskammer mit dem Giftgas Zyklon B getötet.
Benito Mussolini wird mit seiner Geliebten hingerichtet (Klaus Taschwer)
Der Faschist Benito Mussolini ist von 1922 bis 1943 Regierungschef Italiens, ehe er im Juli 1943 abgesetzt und interniert wird. Im September 1943 befreit ihn eine Nazi-Einheit, um ihn an die Spitze der Italienischen Sozialrepublik (RSI) zu hieven, des faschistischen Marionettenstaates der deutschen Besatzungsmacht.
Ende April 1945 scheitern dann die Verhandlungen über eine Kapitulation dieser sogenannten Republik von Salò, benannt nach einem Ort am Gardasee. Der 61-jährige Mussolini versucht im Auto zu fliehen, wird aber am 27. April an einer Straßensperre der kommunistischen Brigade Giuseppe Garibaldi am Comer See erkannt und festgenommen.
Was am 28. April genau geschieht, gilt als umstritten. Klar ist, dass Mussolini und seine Geliebte Clara Petacci in Giuliano di Mezzegra an diesem Tag erschossen werden. In früheren Versionen geschieht das am Nachmittag nach einem Gerichtsverfahren.
Wahrscheinlicher ist, dass die beiden bereits am Vormittag hingerichtet werden, ehe man den Leichen am Nachmittag noch einmal Schüsse zufügt. Das bestätigt eine Augenzeugin in den 1990er-Jahren. Die frühere Version ist wohl für die Alliierten zurechtgelegt worden, die Wert auf eine Verhaftung und ein anschließendes Gerichtsverfahren legten.
MAGO/Bridgeman Images
Die geschändeten Leichen der beiden (2. und 3. von links) werden mit weiterer Faschisten danach kopfüber an einer Tankstelle in Mailand aufgehängt und zur Schau gestellt (siehe Foto).
Helene Postranecky ist erstes weibliches Regierungsmitglied in Österreich (Klaus Taschwer)
Die Provisorische Staatsregierung Renner, die am 28. April ihre Amtsgeschäfte aufnimmt, ist zunächst nur von der Roten Armee (und noch nicht einmal offiziell von der Sowjetunion) anerkannt. Statt Ministerien gibt es elf Staatsämter, vier der Amtsinhaber gehören der ÖVP an, drei der SPÖ, zwei der KPÖ und zwei sind parteilos (Josef Gerö, Justiz; Josef Zimmermann, Finanzen).
Dazu gibt es eine große Anzahl an Unterstaatssekretären, um auf die Staatssekretäre aus den jeweils anderen Parteien „aufzupassen“ – sowie eine Unterstaatssekretärin.
Dabei handelt es sich um das KPÖ-Mitglied Helene Postranecky, die damit als erste Frau einer österreichischen Regierung angehört. Postranecky – hier geht es zu einem ausführlichen Porträt – ist zunächst Mitglied der Sozialdemokratie. Doch wie so viele im österreichischen Widerstand wechselt auch sie zur illegalen KPÖ, in ihrem Fall erst nach dem "Anschluss".
Postranecky ist bis Dezember 1945 als Unterstaatssekretärin für Volksernährung für die Lebensmittelaufbringung verantwortlich. Erst 21 Jahre später wird ihr mit Sozialministerin Grete Rehor (ÖVP) eine zweite Frau in der Regierung nachfolgen
Joseph Goebbels schreibt einen letzten Brief an seinen Stiefsohn (Klaus Taschwer)
Propagandaminister Joseph Goebbels wird von Hitler am 28. April 1945 befohlen, Berlin zu verlassen. Goebbels weigert sich: Er könne „den Führer in seiner schwersten Stunde“ nicht allein lassen. Kurz nach Mitternacht wird Goebbels dann Trauzeuge sein, als Hitler mit Eva Braun die Ehe schließt, die allerdings nur kurz währen sollte.
Kurz zuvor schreibt Goebbels am 28. April noch einen Abschiedsbrief an seinen Stiefsohn Harald Quandt, den Sohn aus der ersten Ehe seiner Ehefrau Magda mit dem Industriellen Günther Quandt. In diesem Brief deutet Goebbels den kollektiven Suizid der Familie an ("Du darfst in Zukunft nur eine Aufgabe kennen, Dich des schwersten Opfers, das wir zu bringen bereit und entschlossen sind, wert zu erweisen").
Außerdem heißt es in dem Schreiben: "Du kannst stolz darauf sein, eine Mutter wie die Deine zu besitzen. Der Führer hat ihr gestern abend das Goldene Parteiabzeichen, das er jahrelang an seinem Rock trug, gegeben, und sie hat es auch verdient. Laß Dich nicht vom Lärm der Welt, der nun einsetzen wird, verwirren. Die Lügen werden eines Tages in sich zusammenbrechen und über ihnen wieder die Wahrheit triumphieren."
Goebbels und seine Frau werden am 1. Mai Suizid begehen. Zuvor ermorden sie ihre sechs Kinder mit Gift.
Die Familie Quandt gehört heute zu den reichsten Deutschlands, der Grundstock des Vermögens stammt aus der Zeit vor 1945.
Todesmarsch aus dem überfüllten KZ Mauthausen nach Gunskirchen angeordnet (Marlene Erhart)
Im April 1945 ist das KZ Mauthausen völlig überfüllt, denn schon seit Monaten schafft die SS zigtausende Menschen von Konzentrationslagern nahe der Front zu weiter in der Reichsmitte gelegenen Lagern. Das Stammlager Mauthausen ist dabei Anlaufpunkt großer Evakuierungstransporte.
Seit Ende März werden zudem dessen östlich gelegene Außenlager aufgelöst. Per Eisenbahn oder Schiff verfrachtet die SS KZ-Insassen nach Mauthausen, etliche werden zu Fuß auf den Weg gebracht. So auch die zum Bau des Südostwalls verpflichteten ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Viele von ihnen überleben die Todesmärsche nicht. Jene, die es nach Mauthausen schaffen, kommen in einem behelfsmäßigen Zeltlager unter.
15.000 Gefangene hausen Mitte April im Zeltlager, das KZ-Kommandant Franz Ziereis schließlich räumen lässt. Die Insassen werden – zusammen mit Gefangenen aus dem aufgelösten KZ Auschwitz – nach Gunskirchen überstellt. In drei Gruppen verlassen die KZ-Häftlinge zu Fuß das Stammlager in Richtung des knapp 60 Kilometer entfernten Außenlagers.
US Holocaust Memorial Museum
Foto: Lagerkommandant Franz Ziereis (3. v. li.)
Opferreichste Strecke: Todesmarsch ins Typhus-verseuchte Lager Gunskirchen (Marlene Erhart)
Im April 1945 werden im überfüllten KZ Mauthausen rund 22.000 erschöpfte Häftlinge neuerlich in Marsch gesetzt. In drei Gruppen werden die jüdischen Männer, Frauen und Kinder unter strenger SS-Bewachung ins Lager Gunskirchen getrieben. Das genau Datum der Märsche ist nicht klar feststellbar, meist wird die Zeit von 15. bis 28. April genannt.
Gesichert ist, dass die KZ-Insassen bis zu drei Tage unterwegs sind – wenn sie überleben. Die Schwächsten werden sofort ermordet. Auf den ersten vier Kilometern seien bei einem Marsch 800 Menschen erschossen worden, so KZ-Kommandant Franz Ziereis in einem Verhör. Wer auf der Strecke nicht Schritt halten kann, wird erschossen oder erschlagen.
Zeitzeugen wie Alois G. berichten von erschütternden Szenen:
„Es sind nur Skelette vorbeigezogen, die nicht mehr weiter konnten. Wenn einer sich am Gehsteigrand niedersetzen wollte, hat es schon gekracht.“
Die rund 60 Kilometer zwischen den Lagern gelten als opferreichster Abschnitt der Todesmärsche. Schätzungen zufolge starben bis zu 6.000 Menschen. Die Überlebenden kommen in einem ebenfalls überbelegten Lager an. Es herrschen SS-Gewalt, Unterversorgung und eine Typhusepidemie – täglich sterben bis zu 200 Inhaftierte.
1745868686025.png
Angriff der Roten Armee in Niederösterreich (Karin Kirchmayr)
In Niederösterreich hat die Rote Armee bereits vor einigen Tagen ein Stück hinter St. Pölten ihren westlichsten Punkt erreicht. Etwas nördlich von St. Pölten gibt es in den Abendstunden des 28. April den letzten bedeutenden Angriff der Sowjets: Er hat die Ortschaft Theyern im Traisental zum Ziel. Der Ort kann jedoch nicht vollständig eingenommen werden und bereits in der Nacht kehrt wieder Ruhe ein. Die Sowjets beginnen, sich im Frontabschnitt Traisen einzugraben und die Stellungen zu verbessern.
Knapp einen Monat, nachdem die Rote Armee zum ersten Mal österreichischen Boden betreten hat, sind nun auch die westlichen Alliierten auf dem Vormarsch. Das sorgt für Beunruhigung unter den Sowjets. Dem Bundesheer-Magazin "Truppendienst" zufolge beginnen sie mit einer "Lautsprecheroffensive" und beschallen die deutschen Stellungen, um vor dem bevorstehenden "größten Verrat der Menschheitsgeschichte" zu warnen. Es wird befürchtet, dass US-Truppen mit den Deutschen gemeinsam gegen die Rote Armee vorgehen könnten. Das Gerücht dürfte weitverbreitet gewesen sein – war aber vollkommen haltlos.
Bundesheer/Red. "Truppendienst"
Die Karte zeigt die letzte Hauptkampflinie zwischen Krems und Lilienfeld. Es handelt sich um den ungefähren Frontverlauf vom 22. April bis zum 7. Mai 1945, der bis auf kleinere Geländegewinne von beiden Seiten stabil war.
„Keine Milde verdient“: Exekution von fünf Peilsteinern wegen versuchter Entfernung von Panzersperre 1. (Marlene Erhart)
Immer näher rücken US-Truppen an die heutige Grenze zwischen Bayern und Oberösterreich heran. In Peilstein im Mühlviertel ist einigen Bürgern zu Ohren gekommen, dass Orte, in denen Panzersperren den Durchmarsch von US-Truppen behindern, beschossen werden. Am 26. April versuchen sie daher, eine Panzersperre auf der Straße Richtung Kollerschlag zu entfernen.
Das Vorhaben scheitert: Mit vorgehaltener Pistole und der Drohung, die Tat werde ein böses Nachspiel haben, zwingen Volkssturm-Vertreter die Männer zum Wiederaufbau der Sperre. Gauleiter August Eigruber, der am Folgetag die Verteidigungsmaßnahmen gegen die nahenden Alliierten in der Region überprüfte, erfährt von den „Wehrkraftzersetzern“ und begibt sich mit SS-Gefolge nach Peilstein.
Eigruber lässt Karl Hartl, Josef Autengruber, Karl Haider, Hans Hesch, Max Innertsberger, Johann Pfeil, Johann Oberngruber und Hermann Auinger zu sich bringen. Wagnermeister Franz List entwischt bei seiner Abholung durchs Schlafzimmerfenster, Tischlermeister Franz Märzinger war schon am Vorabend geflohen.
Nach Einzelverhören dürfen Landwirt Pfeil und der Zimmermann Oberngruber gehen. Alle anderen werden ins Landesgericht nach Linz gebracht. Gemeindearzt und Wehrmachtsangehöriger Auinger verlangt seine Übergabe an ein Wehrmachtsgericht – durch eine Verzögerung findet die Verhandlung vor Kriegsende nicht mehr statt.
„Keine Milde verdient“: Exekution von fünf Peilsteinern wegen versuchter Entfernung von Panzersperre 2. (Marlene Erhart)
Der vereitelte Versuch, in ihrer Heimatgemeinde eine Panzersperre zu entfernen, endet für fünf Männer aus Peilstein am 27. April 1945 vor einem Standgericht in Linz. Es handelt sich um Glasermeister Karl Haider, Gastwirt Josef Autengruber, Kaufmann Johann Hesch, Siebreifenerzeuger Karl Hartl und Gemeindesekretär Max Innertsberger.
In der Verhandlung wird laut Protokoll noch betont, dass vier der fünf Angeklagten für mehrere Kinder zu sorgen hätten. Erwähnt wird auch, dass Hartl und Innertsberger der NSDAP angehören und Hesch eigenen Angaben zufolge schon 1938 großdeutsch gesinnt war. Doch weder die familiäre Situation noch politisch gefällige Gesinnungen sind eine Rettung:
„Wer bei Annäherung des Feindes an den Gau Oberdonau sich wie die Angeklagten feige benimmt und dem ausdrücklichen Befehl des Gauleiters und Reichsverteidigungskommissar, der auch den Angeklagten bekannt war, ‚In Oberdonau wird gestanden und gekämpft‘, zuwiderhandelt, verdient keine Milde.“
Wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ wird über alle Angeklagten die Todesstrafe verhängt, schon am nächsten Tag wird das Urteil vollstreckt. Die Männer werden am 28. April um 18:30 Uhr am Militärübungsplatz Treffling erschossen.
1745869853652.png


29. April 1945
Französische Truppen nähern sich Vorarlberg (Karin Kirchmayr)
Nachdem am 28. April das US-Militär erstmals in Tirol Fuß gefasst hat, nähert sich auch die französische Armee der Grenze zu Vorarlberg. Am Vormittag des 29. April greifen französische Tiefflieger die in Bregenz einfahrende Bregenzerwaldbahn “Wälderbähnle” an, zwölf Menschen sterben.
Schon am 28. April hat der für die Verteidigung von Tirol und Vorarlberg zuständige General Valentin Feurstein befohlen, Bregenz als offene Stadt zu behandeln und nicht zu verteidigen, er wird aber am 29. April von Gauleiter Franz Hofer abgesetzt. Sein Nachfolger Hans Schmidt bereitet die Verteidigung Vorarlbergs vor, mit 8000 Mann, die unerfahren, schlecht ausgerüstet und wenig motiviert sind. Bereits beim Anlegen der Verteidigungsstellungen wird das fehlende Engagement der "Standschützen", die den Volkssturm bilden, kritisiert. Sie sehen ihre Aufgabe eher darin, Plünderungen und Zerstörungen zu verhindern als den Vormarsch der Franzosen.
Doch auch kurz vor dem Einmarsch der französischen Truppen wüten fanatische Nazis in vielen Gemeinden, wie der Fall von Hermann Rottmeier zeigt. Um die mögliche Beschießung seiner Gemeinde zu verhindern, hat Rottmeier an seinem Haus in Hohenweiler am Vorabend eine weiße Fahne gehisst. Er wird von SS-Einheiten, die am Rückzug sind, verhaftet und anschließend erschossen – nur kurz bevor am Abend die Alliierten bei Hohenweiler nach Vorarlberg vordringen.
Stadtarchiv Bregenz
Im Bild das zerstörte Wälderbähnle.
Wien: Die provisorische Regierung zieht in das Parlament ein (Klaus Taschwer)
Der 29. April 1945 ist ein Sonntag – und in Wien ein Tag zum Feiern: Um 10 Uhr versammeln sich im Roten Salon des beschädigten Rathauses die Provisorische Stadtregierung, die Provisorische Stadtverwaltung, die Vertreter der 26 Wiener Bezirke sowie die Spitzen der sowjetischen Stadtkommandantur. Bürgermeister Körner hält eine Begrüßungsansprache, Staatskanzler Renner dankt, wie die Wiener Rathauskorrespondenz vermeldet.
Anschließend zieht die Regierung über den dicht mit jubelnden Menschen gefüllten Rathausplatz (siehe Foto: Renner ganz links, neben ihm Körner) zum nicht weniger beschädigten Parlamentsgebäude. Viele tausende Menschen bilden ein Spalier, eine russische Militärkapelle spielt Wiener Musik.
Lauter Jubel braust auf, als die Politiker die Parlamentsrampe betreten. General Blagodatow übergibt mit einer kurzen Rede das Parlament, das bis dahin von der Besatzungsmacht beschlagnahmt war, an die neue Regierung.
Renner verkündet die Wiederherstellung der demokratischen Republik Österreich. Sie wird in einem anschließenden Festakt in der Ruine des Parlaments mit einer weiteren Ansprache Renners vollzogen – "überwältigt vom Wortschwall seiner Rhetorik", wie Staatssekretär Ernst Fischer süffisant kommentiert.
Franz Blaha © Österreichische Nationalbibliothek
In Wien treten zahlreiche Straßenumbenennungen in Kraft (Klaus Taschwer)
Wie die Zeitung "Neues Österreich" vermeldet, hat Bürgermeister Körner mit sofortiger Wirksamkeit die Umbenennung folgender Straßen und Plätze verkündet, deren Namen bis dahin "an die für Wien so traurige Zeit des faschistischen Naziterrors" erinnerten:
I., Adolf-Hitler-Platz nunmehr wieder Rathausplatz
I., Joseph-Bürckel-Ring – Dr.-Ignaz-Seipel-Ring
II., Schönererstraße – Heinestraße
(...)
VII., Straße der Julikämpfer – Siebensterngasse
(...)
IX., Platz der Sudetendeutschen – Althanplatz
X., Horst-Wessel-Platz – Viktor-Adler-Platz (...)

Außerdem heißt es in der Zeitung: "Wie wir hierzu ergänzend feststellen können, hat die Wiener Bevölkerung diese Rückbenennungen zum Teil schon vorweggenommen, die nazistischen Straßentafeln aus eigener Initiative entfernt und durch Aufschriften an den Haustoren ersetzt."
Anno / ÖNB
Radioübertragung des Staatsakts aus dem Parlament scheitert (Klaus Taschwer)
Der österreichische Rundfunk plant die Übertragung des Staatsaktes von der Bildung der provisorischen Regierung durch zwei Wiener Sender. Auf Grund einer technischen Panne wird dies jedoch vereitelt.
Der langjährige Ravag-Direktor Oskar Czeija, der seit Mitte April am Wiederaufbau des österreichischen Rundfunks arbeitet, bittet Renner und Körner deshalb, ihre Reden im Funkhaus zu wiederholen. Die größte Sorge aber ist, dass man überhaupt gehört wird, da die provisorisch errichteten Sendestationen noch sehr schwach sind.
Von 19.30 bis 21.30 Uhr gibt es wieder eine Sendung von Radio Wien. Sie steht im Zeichen der Wiedergeburt Österreichs. Ab dem folgenden Tag sendet Radio Wien täglich 7 bis 8, 12 bis 14 und 19.30 bis 21.30 Uhr. Am Beginn jedes Sendungsblocks sind Nachrichten, danach Musik, unterbrochen von kurzen Vorträgen.
Die Angst vor den französischen Befreiern (Martin Stepanek)
Dass französische Soldaten auf Vorarlberg anrücken, ist in diesen letzten Apriltagen 1945 trotz Informationssperre auch der Bevölkerung klar. Wochenlang schürt das Nazi-Regime die Furcht vor den französischen Truppen, unter denen sich viele marokkanische Streitkräfte befinden. Es werde zu Vergewaltigungen, Plünderungen und Folterungen kommen, lautet die Propaganda, auf die am Ende wie so oft auch das eigene Klientel hereinfällt.
Denn wie schon bei der Mär von der angeblichen Alpenfestung, die Wochen zuvor viele hochrangige Nazis gen Westösterreich flüchten ließ, wollen dieselben Leute nun wieder gen Osten nach Tirol in US-Gefangenschaft. Daher torpediert die Nazi-Führung alle Bemühungen, Vorarlberg kampflos und ohne Blutvergießen aufzugeben. Mit der Errichtung von Panzersperren und dem Aufruf zur Verteidigung soll Zeit gewonnen werden, damit sich die noch verbliebenen Teile der SS und der Wehrmacht absetzen können.
„Die Amerikaner galten als naiv und dass sie einen Überfluss an Lebensmitteln haben. Von den Franzosen wurde das Bild gezeichnet, dass sie selber nichts zu essen haben und sich rächen wollen“, erklärt der Historiker Meinrad Pichler. Tatsächlich hätten sie aber vom ersten Moment ihrer Ankunft der Bevölkerung signalisiert, dass sie nicht als Besatzer und Eroberer, sondern als Befreier und Freunde kommen. Diverse Kampfhandlungen wird das leider nicht verhindern können. Es wird aber praktisch keine Übergriffe geben.
Stadtarchiv Bregenz/ECPAD
Bild: Französische Fliegereinheit, April 1945
Franzosen überschreiten die Vorarlberger Grenze (Martin Stepanek)
In den Abendstunden des 29. Aprils 1945 ist es soweit. Um exakt 20:30 Uhr betritt eine Aufklärungspatrouille der französischen und marokkanischen Streitkräfte im Norden des Landes in Hohenweiler das Gebiet des heutigen Vorarlbergs. Der für Vorarlberg zuständige Teil der Première Armée Française unter General Jean de Lattre de Tassigny besteht aus einer Panzer- und einer marokkanischen Gebirgsjägerdivision.
Praktisch zur selben Zeit erreichen die Truppen nur wenige Kilometer von Hohenweiler entfernt den Hörbranzer Grenzübergang Unterhochsteg, wo die Leiblach, der heutige Grenzfluss zu Deutschland, in den Bodensee mündet. Schon diese erste Vorhut, die zunächst nicht auf Widerstand stößt, montiert an den Grenzen Tafeln. Auf jener in Hörbranz werden die nachkommenden Truppen informiert, dass sie nun „Freundesland“ betreten: „Ici l’Autriche, pays ami“ (siehe Bild). Gleichzeitig dient die Tafel als Signal an die Bevölkerung, dass man als Freunde zur Befreiung komme.
Dass die Franzosen nicht gleich bis Bregenz vorrücken, hat einen Grund. Die Nazi-Führung hat kurz vor Bregenz, bei der Lochauer Klause eine Panzersperre errichtet. Die Bregenzer Gestapo-Beamten haben die Stadt übrigens bereits am Vortag Richtung Tirol verlassen. Zuvor haben sie sämtliche Dokumente ihrer siebenjährigen Terrortätigkeit verbrannt.
Stadtarchiv Bregenz/ECPAD


30. April 1945
Walther Rauff wird am 30. April 1945 in Italien verhaftet (Klaus Taschwer)
Als Organisator der sogenannten Gaswagenmorde ist Walther Rauff einer der schlimmsten NS-Kriegsverbrecher. Die mobilen Gaskammern, in denen mehr als hunderttausend Menschen ermordet werden, waren auch im KZ Mauthausen im Einsatz.
Rauff wird während des Kriegs nach Italien versetzt und am 30. April 1945 in Mailand gefangengenommen. (Das Foto zeigt ihn bei der Verhaftung durch die Westalliierten.) Im dortigen Hotel Regina hatte er sich zuvor mit anderen SS-Offizieren verbarrikadiert.
Nach der Vernehmung heißt es über ihn: "Rauff has brought his organisation of political gangsterism to stream-lined perfection and is proud of the fact. By nature cynical and overbearing, but cunning and shifty rather than intelligent, he regards his past activities as a matter of course."
Rauff kann 1946 aus dem Kriegsgefangenenlager in Rimini fliehen. Dabei haben ihm seine Kontakte zu US-Geheimdiensten vermutlich nicht geschadet. Laut eigener Aussage kann er für Monate in Rom untertauchen, mit Hilfe der katholischen Kirche und sehr wahrscheinlich dank des österreichischen Bischofs Alois Hudal.
Rauffs späteren Jahren in Chile hat der Autor, Anwalt und Völkerrechtler Philippe Sands umfangreiche Recherchen gewidmet – mit schockierenden Erkenntnissen, die in seinem neuen Buch nachzulesen sind. Sands kommt nächste Woche nach Wien und erhält, wie heute bekannt gegeben wurde, für sein Werk den Erich-Maria-Remarque
Gemeinfrei / Wikimedia
Adolf Hitler begeht Suizid (Tanja Traxler)
Berlin liegt an diesem 30. April 1945 bereits völlig in Trümmern und die Tage der NS-Herrschaft sind unzweifelhaft gezählt. Adolf Hitler hat sich mit seiner Lebensgefährtin Eva Braun im sogenannten Führerbunker verschanzt. Noch am Vorabend haben die beiden hier im kleinen Kreis geheiratet und ungefähr gegen 15:30 Uhr begehen sie hier gemeinsam Suizid.
Die genaueren Umstände sind lange Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Einer der letzten Menschen, die zuvor noch mit ihm gesprochen haben, ist sein Adjutant Otto Günsche. Er gibt später zu Protokoll: "Er [Hitler] eröffnete mir dann auch persönlich, dass er sich nun erschießen und, dass auch Fräulein Braun aus dem Leben scheiden werde. Er wolle weder lebend noch tot in die Hände der Russen fallen und nicht in einem Panoptikum ausgestellt werden, wobei er von Moskau sprach. Die Leichen sollten verbrannt werden. Die erforderlichen Vorkehrungen übertrage er mir."
Um 16 Uhr kommen Hitlers Vertraute seinem Wunsch nach: Die Leichen von Hitler und Braun werden im Garten der Alten Reichskanzlei verbrannt.
US-Truppen erreichen Oberösterreich (Karin Kirchmayr)
In den Abendstunden des 30. April betreten amerikanische Soldaten östlich von Passau erstmals Oberösterreich. Die Einheiten des 11. US-Panzerdivision kommen von Wegscheid her bei Kollerschlag im oberen Mühlviertel über die Grenze. Die amerikanischen Truppen kommen im Mühlviertel wesentlich langsamer voran als in Bayern. Schwere Regenfälle und ein Gelände, das schwierig zu passieren war, verzögern den Vormarsch, wie das Magazin “Truppendienst” rekonstruiert hat.
Die Amerikaner stoßen nicht nur auf weiße Fahnen als Zeichen der Kapitulation, sondern immer wieder auch auf fanatischen Widerstand. Noch tagelang liefern sich SS und Volkssturm Gefechte mit den vorrückenden US-Truppen, während andere versuchen, Orte kampflos zu übergeben und so weitere Opfer zu vermeiden.
Oö. Landesarchiv
Foto: Einheiten der 11. US Panzerdivision überqueren mit Panzerfahrzeugen und Jeeps die Mühl bei Neufelden (2. Mai 1945)
In Braunau wird ein "Deserteur" hingerichtet (Karin Kirchmayr)
Die amerikanischen Truppen nähern sich auch südlich von Passau dem Ort Simbach am Inn. Der Grenzort liegt gegenüber von Braunau, der Geburtsstadt Hitlers. Schon am Vormittag des 30. April gehen die ersten und letzten Bomben über Simbach und Braunau nieder, fünf Menschen sterben.
Am Abend des selben Tags wird der 20 Jahre alte Soldat Georg Hauner aus Simbach in Braunau wegen Fahnenflucht erschossen. Hauner war beim Anmarsch der Russen von einem Wiener Lazarett beurlaubt worden und hätte am 25. oder 26. April wieder zu seiner Einheit nach Augsburg einrücken sollen. Angesichts des Vordringens der Amerikaner wollte er deren Ankunft zu Hause abwarten. Er wird verraten und am 30. April auf Betreiben eines SS-Majors vor ein Standgericht gestellt. Das Gericht fällt nicht das erwünschte Todesurteil, sondern tritt den Fall an das ordentliche Divisionsgericht ab, was praktisch einem Freispruch gleichkommt. Der SS-Major will das nicht anerkennen, löst das Standgericht auf und bildet ein neu besetztes, das Georg Hauner zum Tode verurteilt. Der SS-Major erschien gegen 18 Uhr in der Kaserne in Braunau mit dem Todesurteil und forderte die sofortige Exekution, die er selbst leitete.
Der Name des Majors konnte nach dem Krieg nicht eruiert werden. Die Untersuchung der Gendarmerie Braunau erhob zwar den Verdacht gegen eine bestimmte Person in der Bundesrepublik Deutschland, doch dieser ließ sich nicht bestätigen.
Heute erinnert in Braunau ein Marterl an dieses Verbrechen.
Ruhe vor dem Sturm in Vorarlberg (Martin Stepanek)
In Vorarlberg spitzt sich am 30. April die Situation weiter zu. Französische Truppen liefern sich im Laiblachtal vor Bregenz und bei Hohenweiler erste Gefechte. Acht deutsche Soldaten, drei Zivilisten und zwei Franzosen kommen dabei ums Leben.
Als der neu eingesetzte General der deutschen Truppen in Vorarlberg, Hans Schmidt, dem Roten Kreuz in Genf mitteilt, dass die Panzersperre nicht entfernt und Bregenz verteidigt wird, ist der Traum von der "offenen Stadt" endgültig ausgeträumt. Diese Sonderstellung aufgrund der dort befindlichen Lazarette hätte Bregenz vor Kampfhandlungen verschont.
Die Franzosen drohen ihrerseits, die Stadt ab drei Uhr Früh zu bombardieren, wenn die Zufahrt weiterhin blockiert werde. Die Bregenzer Bevölkerung wird aufgefordert, sich in Luftschutzkeller und -stollen zu begeben, wo die meisten auch die Nacht verbringen werden.
Stadtarchiv Bregenz
Bild: Die Flak auf der Bregenzer Gulaschbrücke beim Bahnhof.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#13
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 13:
1. - 2. Mai 1945

1. Mai 1945
Der Angriff auf Bregenz beginnt
(Martin Stepanek)
Am 1. Mai um 3 Uhr Früh endet das Ultimatum der französischen Truppen, die Zufahrt nach Bregenz zu öffnen und so der Stadt Kampfhandlungen zu ersparen. Da sich die NS-Führung weiter weigert, wird die Stadt ab den frühen Morgenstunden von einem höher gelegenen Punkt des Nebenorts Lochau und vom gegenüberliegenden Bodenseeufer in Lindau mit Artillerie beschossen. Ab dem Vormittag kommt es zu einer ersten Welle von Luftangriffen. Durch die Jagdbomber werden über 70 Häuser zerstört. In der Stadt wüten Brände, es herrscht das reinste Chaos.
Als die französischen Truppen am Boden mit dem Vorrücken beginnen, befinden sich die deutschen Truppen bereits auf dem Rückzug. Dabei kommt es zu einer weiteren menschlichen Tragödie. Der 20-jährige Bregenzer Anton Renz und der Tiroler Helmut Falch aus Mötz versuchen in ihren Offiziersuniformen die geplante Sprengung der Achbrücke zwischen Bregenz und Lauterach zu verhindern. Eine SS-Einheit durchschaut den riskanten Bluff und nimmt die Freunde, die vor Tagen desertiert waren und sich in Bregenz versteckt hatten, fest.
Sie werden in ein Lauteracher Gasthaus geschleppt, misshandelt und verhört und kurz danach erschossen. Ihre Leichen werden in eine Jauchegrube geworfen. Die Brücke wird gesprengt.
Stadtarchiv Bregenz/ECPAD
Bild: Das brennende Bregenz am 1. Mai 1945
„Schönster Frühling seit Menschengedenken“: Wien feiert den 1. Mai (Marlene Erhart)
Zum ersten Mal seit 1933 wird der 1. Mai – der Tag der Arbeit – in Wien wieder gefeiert. Erstmals nach „siebenjährigem Verbot wenden sich die demokratischen Parteien Österreichs zur Feier des 1. Mai mit Kundgebungen an die gesamte Öffentlichkeit“, ist in der Zeitung „Neues Österreich“ zu lesen.
Die Feierlichkeiten, vielfach unter Fahnenschmuck, finden nicht zentral statt, noch kann auf der Ring nicht marschiert werden. Stattdessen begehen die SPÖ, KPÖ und ÖVP als Gründungsparteien der Zweiten Republik gemeinsam in den Bezirken den Festtag, der im selben Jahr auch wieder zum Staatsfeiertag erklärt wird. Über den Eindruck der Aufmärsche und Feiern schreibt ein Redakteur der „Österreichischen Zeitung“:
„Wenn man durch die Straßen wandert und die bewegte Menge sieht, wenn man mit Freunden und Bekannten spricht, denen man begegnet, ist es überall wie ein Erwachen aus einem Alptraum, und überall hört man die gleichen Worte, dass dies der schönste Frühling ist seit Menschengedenken, der schönste erste Mai, den wir je erlebten.“
Anno / ÖNB
Was wurde eigentlich aus Wiens Gauleiter Baldur Schirach? (Klaus Taschwer)
„Bis zum letzten Mann“ sollte auf Befehl von Wiens deutschem Gauleiter Baldur Schirach um die Stadt gekämpft werden. Der Reichsverteidigungskommissar selbst allerdings hat sich während des Kampfs heimlich in Richtung Westen davongestohlen. Am 1. Mai erreicht er Gmunden am Traunsee, wo es immer noch eine HJ-Funkstation gibt.
Dort erfährt er mit seinen Fluchtbegleitern vom Selbstmord Hitlers in Berlin, weshalb sich Schirach abermals in einen VW-Käfer setzt, um in Richtung der geplanten und nie verwirklichten „Alpenfestung“ zu fahren. Als das Auto in Tirol streikt, beschließt Schirach einfach in Schwaz zu bleiben, wo er gestrandet ist.
Eine neue Identität wird nötig: Schirach lässt sich einen Schnurrbart wachsen und rüstet sich mit einer Schreibmaschine aus, um als Kriminalschriftsteller Dr. Richard Falk an einem neuen Krimi zu schreiben, wie Zeithistoriker Oliver Rathkolb in seiner lesenswerten Schirach-Biografie berichtet.
Am 4. Juli wird er sich schließlich den US-Alliierten stellen.
Mutige Einzelaktionen kürzen Blutvergießen in Bregenz ab (Martin Stepanek)
Obwohl die Bevölkerung am Vortag schon in die Luftschutzstollen geschickt wird, riskieren einzelne Bregenzer alles, um den Franzosen zu helfen und die Kampfhandlungen abzukürzen. Bereits am frühen Morgen war der pensionierte Gymnasiallehrer Paul Pirker aufgebrochen, um die französischen Truppen an den Panzersperren vorbei über einen Schleichweg in die Stadt zu lotsen.
Der Widerstandskämpfer Walter Kareis wiederum hängt an neuralgischen Gebäuden wie der Post, dem Rathaus und der Gewerbeschule von weitem sichtbare weiße Fahnen auf. Eine Hitler-Büste aus Gips, die er im Rathaus findet, wirft er kurzerhand aus dem Fenster. Einem deutschen Kommandanten, der in einer Schule allein die Stellung hält, reicht es offenbar auch. Er zieht ohne Gegenwehr ab. „Wahrscheinlich hatte er die Nase schon voll“, gibt Kareis später zu Protokoll.
Zu einem zweiten Luftangriff kommt es nicht mehr. Ob die mutigen Einzelaktionen dazu führten, dass die bereits startklaren Bomber nicht erneut losfliegen, bleibt unklar. Kurz nach Mittag trifft der Stoßtrupp mit Pirker in Bregenz ein. Die restlichen Truppen folgen kurze Zeit später, nachdem sie die Panzersperre in Lochau freigesprengt hatten. Während Pirkers Heldentat nach dem Krieg gewürdigt wird, gerät der Kommunist und sogenannte "Halbjude" Kareis hingegen schnell in Vergessenheit. Politische Gründe haben dabei wohl auch eine wichtige Rolle gespielt.
Bregenzer Stadtarchiv/ECPAD
Bild: Französische Truppen am Kornmarktplatz
Tagebucheintrag der Anni Forster (Martin Stepanek)
Die damals 14-jährige Bregenzerin Anni Forster schreibt seit Februar 1944 Tagebuch, in dem sie die letzten Kriegsjahre inklusive der erlebten Befreiung festhält. Ihr Eintrag zum 1. Mai 1945 spiegelt die dramatischen Ereignisse dieses Tages wider:
„Für unsere Stadt der Tag des Schreckens! Die Nacht des Grauens! (…)
O, wie traurig! Daß man solche Zeiten erleben kann, durch 6 Kriegsjahre hindurch ist unsere Stadt erhalten und verschont geblieben. Jetzt in der letzten Minute – 5 Minuten vor 12 Uhr – muß alles noch hin sein. Ein unbändiger Groll stieg in mir auf, gegen die, die das auf dem Gewissen hatten.
Langsam wurde der Rauch dünner. Wir hielten uns vor unserem schützenden Mausloch auf und besprachen mit Grimm die Lage. Plötzlich kam die Nachricht. Die Franzosen sind in Bregenz einmarschiert. Erst hielt ich den Atem inne, doch dann machte ich einen Freudensprung und gab meiner Freude Ausdruck. Ganz still waren sie hereingekommen, ohne daß jemand was bemerkt hätte.
Wir gingen hinauf in die Kirche und dankten Gott. Erst jetzt, als wir den Marienaltar sahen, erinnerten wir uns daran, daß heute der 1. Mai war. Die Franzosen brachten den Maibaum. Diesen 1. Mai wird die Stadt u. ich nie mehr vergessen. Die Aussprache Mariens wurde offenbar.“
Stadtarchiv Bregenz/ECPAD
Bild: Bregenz liegt nach dem 1. Mai in Schutt und Asche, die Bevölkerung versucht zu retten, was zu retten ist.
Letzter alliierter Luftangriff fordert bis zu 20 Tote in Salzburg (Marlene Erhart)
Am 1. Mai fliegen 27 US-amerikanische B-17 Bomber einen Angriff auf den Hauptbahnhof und umliegende Gleisanlagen in Salzburg. Eskortiert werden die von Italien aus gestarteten Langstreckenbomber von Jagdflugzeugen des Typs P-38 Lightning und P-51 Mustang. Im Fall eines Gegenschlags durch feindliche Flugzeuge sollen sie die schweren Bomber schützen. Der starken Flugabwehr in und um Salzburg hat dieser Begleitschutz freilich nichts entgegenzusetzen.
Aufgrund des zu befürchtenden FLAK-Beschusses greifen die Bomber aus großer Höhe – zwischen 6.500 und 8.000 Meter – an. Was die Flieger der 15. US-Luftflotte schützt, vergrößert den Schaden in der Stadt, da die Bomben bei dieser Abwurfhöhe teils ihre eigentlichen Ziele verfehlen. Bei diesem letzten Luftschlag am Gebiet des heutigen Österreich sterben unterschiedlichen Quellen zufolge zwischen 16 und 20 Menschen.
IMAGO/piemags
Foto: Zerstörte Gleise und beschädigte Waggons nach einem Angriff der 15. US-Luftflotte auf die Bahninfrastruktur in Salzburg
Widerstand im Kleinwalsertal, Tragödie im Bregenzerwald (Martin Stepanek)
Das Kleinwalsertal, das auch heute noch leichter von Deutschland als über die Vorarlberger Seite zu erreichen ist, wurde in der Nazi-Zeit vom Gau Schwaben verwaltet. In der Gemeinde Mittelberg schafft es der Metzger Peter Meusburger eine bewaffnete Widerstandsbewegung zu gründen. Am 1. Mai umstellt er mit 30 Männern das provisorisch eingerichtete Gemeindeamt und zwingt die verantwortlichen Nationalsozialisten, die zivile Verwaltung an Einheimische zu übertragen. Das erklärte Ziel ist es, das Tal kampflos übergeben zu können. Da die Amerikaner und nicht die Franzosen erwartet werden, wird eilig ein englischsprachiges Schild gebastelt (siehe Bild).
Das Kleine Walsertal ist eines der wenigen Beispielen, bei denen die Zivilbevölkerung sich am Ende aus eigener Kraft befreien kann. Tragisch endet hingegen ein ähnlicher Versuch in Langenegg im Bregenzerwald. Im Wissen um die anrückenden Allierten inhaftieren einige Männer der lokalen Widerstandsbewegung am 1. Mai die örtlichen NSDAP-Mitglieder und sperren sie in den Keller einer Molkerei. Rot-weiß-rote Fahnen werden aufgehängt. Nachrückende SS- und Wehrmachtssoldaten, die am Abend eintreffen und von dem Vorfall erfahren, laufen Amok. Das folgende Gefecht im Ort kostet sechs Lingenauer Zivilisten das Leben. Zwei Jugendliche, die gehängt werden sollen, werden durch das Einschreiten eines SA-Mannes noch gerettet.
Gemeinde Mittelberg
Französische Armee auf dem Vormarsch (Martin Stepanek)
Am 1. Mai hat die französische Armee, wie berichtet, Bregenz eingenommen und will im Rheintal weiter Richtung Süden vorrücken. Gesprengte Brücken und Panzersperren, die verteidigt werden, machen dies zu einem mühsamen Unterfangen. Aber auch vom Nordwesten dringen französische Truppen von Oberstaufen in den Bregenzerwald und von Oberstdorf ins Kleinwalsertal vor. Dort hatten die Menschen ursprünglich mit den US-Amerikanern gerechnet.
Ziel sowohl der Franzosen als auch der flüchtenden SS-Truppen und der Wehrmacht ist der Arlberg. Letztere wollen durch den Tunnel nach Tirol und so in die Hände der Amerikaner gelangen, von denen sie sich eine bessere Behandlung erwarten. Die blasser eingezeichneten roten Linien auf der Tiroler Seite zeigen die Bewegungen der amerikanischen Truppen ab Anfang Mai bis kurz vor Kriegsende. Auch sie haben ein Ziel: den Arlberg zu erreichen und auf dem Weg dorthin Innsbruck und andere wichtige Städte zu befreien.
Robin Kohrs/DerStandard
Heftigstes Gefecht des Krieges in Tirol tobt am Fernpass (Marlene Erhart)
In Tirol rücken Soldaten der 44. US-Infanteriedivision von Reutte kommend zum Fernpass vor. Um den Amerikanern den Zugang zum Inntal zu versperren, haben sich deutsche Streitkräfte an der Passage festgesetzt. Mit Straßensperren, Hangsprengungen und Artillerie verteidigen 300 Wehrmacht-Soldaten standhaft die Serpentinenstraße.
Ein US-Bataillon greift die Stellung in den Morgenstunden des 1. Mai an, womit das heftigste Gefecht während des Krieges in Tirol beginnt. General William Dean ahnt bereits, dass ein Durchkommen für die Truppen am Pass schwierig wird, heißt es in einem US-Bericht. Der Kommandant schickt eine Kompanie zum Umgehungsmanöver los, doch im Neuschnee kommt diese nur mühsam voran.
Während sich die Kompanie am nächsten Tag noch immer durch das Gelände quält, bricht ein zweites US-Bataillon zum nach wie vor umkämpften Fernpass auf. Am Weg treffen die Soldaten auf fünf einheimische Partisanen, die Hilfe anbieten. Über eine schmale Straße führen sie die Amerikaner durch einen Wald und über einen steilen Kamm hinter die feindliche Verteidigungslinie. Mit dem US-Bataillon im Rücken kollabiert der deutsche Widerstand. Auf beiden Seiten sind etwa hundert Soldaten verwundet oder to
1746120559590.png
Im Widerstand in Oberösterreich: 13 Menschen werden in Treffling erschossen (Marlene Erhart)
Die Widerstandsbewegung „Freistädter Gruppe“ – auch „Neues freies Österreich“ – formiert sich 1944 unter Ludwig Hermentin, Krankenkassenleiter in Freistadt. Die überparteiliche Gruppe sammelt hauptsächlich Spenden, um KZ-Insassen zu unterstützen oder Menschen zu helfen, die wegen NS-Repressalien in Not sind. Auch werden wortführende Nationalsozialisten vermerkt, um sie nach der ersehnten Befreiung aus der Politik fernzuhalten.
Im Herbst 1944 deckt ein Spitzel die Gruppe auf, es kommt zu 52 Verhaftungen, unter Folter erpresst die Gestapo Geständnisse. Gegen 36 Menschen sollen Schauprozesse wegen Hochverrats geführt werden. Am 27. Februar 1945 fällt das in Linz tagenden Volksgerichtshofs acht Todesurteile. Gnadengesuche bleiben unbeantwortet, die Exekutionen sind also selbst nach NS-Recht illegal.
Am 1. Mai werden in Treffling dennoch gesamt 13 im Widerstand tätige Männer und Frauen erschossen: die Schneiderin Cäzilie Zinner, Arbeiterin Therese Erhart, Bediensteter Josef Grillmayer, Gemeindesekretär Leopold Kotzmann, die Kaufmänner Karl Preinfalk und Johann Angerer, die Angestellten Willibald Thallinger und Ignaz Bayer, Molkereileiter Josef Haunschmidt, Landratsangestellter Johann Schöfer, Magazineur Karl Hehenberger, Arbeiter Friedrich Derflinger und Ludwig Hermentin.
Suizid des Ehepaares Goebbels und Mord an den sechs gemeinsamen Kindern (Marlene Erhart)
Seit 22. April sind Propagandaminister Joseph Goebbels, seine Frau Magdalena, genannt Magda, und ihre sechs Kinder im Führerbunker. Vor zwei Tagen war er noch Hitlers Trauzeuge, heute ist er laut dessen politischem Testament Nachfolger des Reichskanzlers und sieht dem Ende des Regimes entgegen.
Schon im Februar hat Goebbels erklärt, bei einer Niederlage mit seinen Kindern in den Tod gehen zu wollen. Seine Gattin Magda schreibt im Abschiedsbrief an Sohn Harald Quandt aus erster Ehe: „Die Welt nach dem Führer und dem Nationalsozialismus ist nicht mehr wert, darin zu leben.“ Den Kindern wolle sie die Erlösung geben.
Sie bittet den SS-Zahnarzt Helmut Kunz, die Töchter Helga (12), Hildegard (11), Holdine (8), Hedwig (6), Heidrun (4) und Sohn Helmut (9) mit Morphium zu betäuben. Danach erhalten sie eine tödliche Dosis Zyankali – ob von ihrer Mutter oder Hitlers Leibarzt Ludwig Stumpfegger, ist strittig.
Spätabends verlässt das Ehepaar Goebbels den Bunker und nimmt sich im Garten der Reichskanzlei das Leben. Als wahrscheinlichste Todesursache gilt heute eine Kombination aus Zyankali-Vergiftung und Kopfschuss. Goebbels Anweisung folgend, zündet sein Adjutant die mit Benzin übergossenen Leichen an. Tags darauf findet die Rote Armee die halb verkohlten Toten.
1746170457456.png imago/Arkivi


2. Mai 1945
2. Mai 1945: Tiroler Propagandazeitung vermeldet Hitlers Tod (Martin Stepanek)
Zwei Tage nach Adolf Hitlers Selbstmord im Bunker in Berlin vermelden die am 2. Mai 1945 zum vorletzten Mal erscheinenden Innsbrucker Nachrichten, dass der "Führer in Berlin gefallen" sei, "bis zum letzten Atemzuge gegen den Bolschewismus kämpfend". Die Öffentlichkeit hatte vom Tod Hitlers erstmals am Vorabend um 22.30 Uhr in einer Rundfunkansprache vom auserkorenen Nachfolger Karl Dönitz gehört. Der Abdruck gibt Teile der Rede wieder und übernimmt die falsche Angabe, Hitler sei erst am 1. Mai nachmittags gestorben. Auch vom Suizid ist keine Rede.
Dass Großadmiral Dönitz, seit 30. Jänner 1943 Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine, nun Reichspräsident ist, hat Hitler in seinem politischen Testament verfügt. Tatsächlich erfuhr er selbst erst am 1. Mai um 15 Uhr 18 über ein Telegramm aus der Partei-Kanzlei der NSDAP, dass Hitler tot ist. Als Dönitz die Rede hält, sind auch der von Hitler testamentarisch als Reichskanzler vorgesehene Joseph Goebbels, seine Frau und seine sechs Kinder bereits tot.
Auch davon ahnt die Tiroler Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt noch nichts. In Innsbruck bereiten Widerstandskämpfer und -kämpferinnen die Befreiung der Stadt vor. Die US-Truppen befinden sich bereits unmittelbar vor der Stadt.
Anno / ÖNB
Die US-Armee nähert sich Innsbruck (Karin Kirchmayr)
Einen Tag, nachdem Bregenz eingenommen worden ist und sich die US-Armee über den Fernpass gekämpft hat, rücken die Amerikaner zügig Richtung Innsbruck vor. Der für Tirol und Vorarlberg zuständige Gauleiter Franz Hofer wendet sich am 2. Mai zum letzten Mal mit Durchhalteparolen an die Bevölkerung. Der treue Nationalsozialist versucht angesichts der bevorstehenden Niederlage, möglichst unbeschadet aus der Misere zu kommen und Tirol aus der Kampfzone herauszuhalten. Am 2. Mai tritt auch die Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Oberitalien in Kraft – es wird immer enger für das NS-Regime.
National Archives
Foto: Soldaten der US-Cactus Division sind am 2. Mai 1945 auf dem Sprung, in den Ortsteil Auland der Gemeinde Reith bei Seefeld im Bezirk Innsbruck-Land vorzudringen.
Der Widerstand organisiert die Übernahme Innsbrucks (Karin Kirchmayr)
Am 2. Mai versucht die Widerstandsgruppe rund um den späteren Außenminister Karl Gruber, die sich im März 1945 im konservativen Lager formiert hat, Schlüsselpositionen der Stadt einzunehmen. Kasernen werden besetzt, und am Abend schleicht sich eine Gruppe auf die Hungerburg, den Sitz des Wehrmachtstabes, und verhaftet dort handstreichartig SS-Offiziere beim Abendessen.
Der Tiroler Widerstandsgruppe, der neben Gruber auch drei Agenten der Operation Greenup angehören, wird maßgeblich dafür verantwortlich sein, dass Innsbruck am 3. Mai kampflos übergeben wird. Sie hatten, unterstützt durch zahlreiche Frauen, längst Funkkontakt zu alliierten Geheimdiensten, Verbindungen zu anderen Widerstandsbewegungen und Kontakte bis in die Gestapo hinein.
1746184733398.png National Archives
Foto: Das Greenup-Team mit Unterstützerinnen im Mai 1945 in Oberperfuss nach der Befreiung: Hinten (von links): Hans Wijnberg, Maria Hörtnagl, Fred Mayer. Vorne: Anni Niederkircher und Franz Weber.
Ermordung der Morscher-Brüder in Klaus, Vorarlberg (Martin Stepanek)
Hitler und Goebbels sind tot, Wien hat bereits eine Regierung, doch andernorts geht der Terror weiter. Ein besonders drastischer Fall spielt sich in Vorarlberg ab, wo die französischen Truppen nach dem Einmarsch in Bregenz am 2. Mai kampflos Dornbirn einnehmen können. Da weiter südlich, in Hohenems und Götzis, noch Widerstand geleistet wird, soll der 50-jährige Landwirt Josef Morscher aus Klaus als Teil des „Volkssturms“ mitkämpfen.
Da sich die Einheit aber auflöst, geht er nach Hause zur Schlosserei seines Bruders Otto und verschießt die letzten Patronen aus seinem Gewehr. Ein 20-jähriger SS-Mann, der zufällig beim Haus vorbei kommt, fühlt sich bedroht und lässt beide Brüder verhaften. Eine öffentliche Hinrichtung kann der unbeteiligte Bruder, dessen drei Söhne alle eingerückt waren, gerade noch verhindern. Anschließend werden sie allerdings in der Gemeindekanzlei schwerst misshandelt. Offenbar sind die Blutspuren nachher noch an den Wänden sichtbar.
„Dann wurden sie von der SS gebunden und zur Schlossruine Montfort geschleppt, mit Gewehrkolben misshandelt, durch Genickschuss getötet und über den Felsen hinunter geworfen“, berichtet der Priester Georg Schelling in seiner Chronik des Kriegsendes. Besonders beschämend: Weder bei diesem Vorfall noch nach Kriegsende, als die Witwe von Otto Morscher die Schlosserei kaum weiterbetreiben kann, setzt sich irgendwer für die als Sozialdemokraten und Nazi-Gegner bekannte Familie ein.
1746184907910.png Privat
Bild: Die Brüder Josef und Otto Morscher
Raketenpionier Wernher von Braun stellt sich in Reutte der US-Army (Klaus Taschwer)
Einer der Nazis, die sich vor genau 80 Jahren auf österreichischem Staatsgebiet den US-Streitkräften stellen, ist der deutsche Raketenpionier Wernher von Braun. Mit eingegipster Schulter (siehe Foto) ergibt er sich am 2. Mai in Reutte in Tirol. Ihm zur Seite stehen einige seiner Ingenieure wie Walter Dornberger, die an der Entwicklung der berühmt-berüchtigten "V2" (eigentlich: Aggregat 4) beteiligt waren.
Für ihre Einvernahmen durch die US-Amerikaner haben sich Wernher von Braun und seine Kollegen ihre eigene Version der Geschichte zurechtgelegt: Sie seien zwangsweise in das Raketenprogramm der Nazis eingebunden worden. Und sie hätten in Peenemünde, wo sie die Pläne für die Raketen zeichneten, nichts von den Bedingungen bei der Raketenmontage in den unterirdischen Fertigungshallen mitbekommen.
Das ist alles gelogen – was für die US-Amerikaner kein allzu großes Problem darstellt: Im Rahmen der geheimen Operation Overcast suchen sie gezielt nach Nazi-Experten, die militärisch wichtiges Wissen besitzen und deshalb in die USA gebracht werden sollen.
imago images/Everett Collection
Massenansturm auf Liechtensteiner Grenze (Martin Stepanek)
Während die französischen Truppen sich mit 2000 bis 3000 deutschen Soldaten Gefechte am Kummenberg bei Götzis liefern, kommen sie im Kleinwalsertal kampflos in Mittelberg an. Die Widerstandsbewegung hat die örtlichen Nazis bereits eingesperrt. Im Bregenzerwald, in der Gemeinde Krumbach, wo einige Deserteure jahrelang Unterschlupf fanden, will der 1944 desertierte Max Ibele die Sprengung einer Brücke verhindern. Der 24-Jährige wird von SS-Einheiten so schwer verwundet, dass er Tage später stirbt.
Dramatische Szene spielen sich indes an der Liechtensteiner Grenze ab. Am Grenzübergang Tisis in Feldkirch kommen allein am 2. Mai 3000 Menschen an. (Bild) Neben Tausenden Zwangs- und „Fremdarbeiter“ sowie Kriegsgefangenen versuchen viele Einheimische den Grenzübertritt. Einer Gruppe von 600 Vorarlberger Frauen und Kindern wird das aus Schutz vor den drohenden Kämpfen erlaubt, sie müssen am 3. Mai aber wieder zurück.
Auch wohlhabende Nationalsozialisten wollen mit dem Auto fliehen. Sie erhalten in den meisten Fällen keinen Einlass, anders als der Tross von knapp 500 Angehörigen der sogenannten „Russischen Nationalarmee“, die auf deutscher Seite gegen die Sowjetunion kämpft, und ebenfalls am 2. Mai auftaucht. Unter den Flüchtenden sind auch zehn KZ-Überlebende, die sich mit Hilfe eines SS-Offiziers bei einem „Todesmarsch“ von Dachau nach Salzburg absetzen konnten. Das Projekt „Über die <Grenze“ erinnert an viele dieser Fluchtgeschichten.
Liecht. Landesarchiv/Eduard v. Falz-Fein
Die US-Armee nimmt Braunau ein (Karin Kirchmayr)
Am Nachmittag des 2. Mai 1945 marschieren amerikanische Soldaten der "Black-Cat-Division" in Braunau ein. Die Einnahme der Geburtsstadt Hitlers, der zwei Tage zuvor Selbstmord verübt hat, ist ein kriegswichtiges Symbol für den Untergang des Dritten Reichs.
Schon am 1. Mai wurden auf Befehl von Gauleiter August Eigruber die Straßen- und die Eisenbahnbrücken über den Inn zerstört. Am Vormittag des 2. Mai überbringt der Bürgermeister von Simbach, der bayerischen Schwesterstadt von Braunau, per Zille die Nachricht des amerikanischen Ultimatums zur kampflosen Übergabe.
Eigruber beharrt trotz der offensichtlichen Sinnlosigkeit auf der Verteidigung der Stadt. Seit der Nachricht von Hitlers Tod kommt es zu Massendesertionen, es gibt kaum Munition. Eine halbe Stunde vor Ablauf des Ultimatums um 12 Uhr wird der Kreisleiter Fritz Reithofer von den Braunauern niedergebrüllt, sie fordern die Übergabe. Drei Minuten vor zwölf rudert eine Delegation nach Simbach, um die Stadt zu übergeben.
Um 15 Uhr beginnt der Einmarsch der Amerikaner, eine Fußbrücke führt über die Trümmer der Eisenbahnbrücke (siehe Foto). Eigruber befiehlt übrigens noch nach der Besetzung von Braunau, dass eine Kampfgruppe in die Stadt eindringt und Hitlers Geburtshaus in die Luft sprengen soll. Der Versuch misslingt durch eine Intervention von US-Soldaten, drei Nazis sterben.
Jaroslav Smejkal
Die Briten und Titos Armee nähern sich Kärnten (Karin Kirchmayr)
Am 2. Mai 1945 ist Kärnten, ebenso wie ein Großteil der Steiermark, noch unter Kontrolle der deutschen Wehrmacht. Die Lage ist chaotisch, die Moral der Truppen am Boden. Zahlreiche deutsche Einheiten ziehen sich aus Jugoslawien nach Kärnten zurück – oft mit dem Ziel, sich den Briten zu ergeben, um einer Gefangennahme durch die Rote Armee oder die jugoslawischen Partisanen zu entgehen.
Deren Marschall Josip Broz Tito erteilt am 2. Mai den Befehl, nach Kärnten einzumarschieren, um die schon seit langem bestehenden Gebietsansprüche durchzusetzen. Zersprengte Einheiten der deutschen Wehrmacht versuchen, den Vormarsch der jugoslawischen Truppen aufzuhalten.
Zeitgleich stößt von Italien her die britische 8. Armee als letzte der Alliierten nach Österreich vor. Sie liefert sich in den folgenden Tagen einen Wettlauf mit den Einheiten der Tito-Partisanen, die sich ebenfalls bereits der Kärntner Grenze nähern.
In der Oststeiermark gibt es Vorstöße sowjetischer Truppen Richtung Westen. Nachdem sie im Stellungskrieg ausgeharrt haben, setzen sie in den kommenden Tagen ihren Vormarsch Richtung Graz fort.
1746200413648.jpeg United States Office of Strategic Services
Die Karte zeigt den Frontverlauf in Europa am 1. Mai 1945.
Massaker an 228 jüdischen Frauen, Männern und Kindern durch Waffen-SS in Hofamt Priel (Marlene Erhart)
Im provisorischen Auffanglager in Hofamt Priel sind Anfang Mai rund 240 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter untergebracht. Sie sind von NS-Einheiten wegen des Vorstoßes sowjetischer Truppen im Osten hierher verlegt worden.
Die Gendarmerie bemüht sich, die Menschen zu verpflegen, sagen Lagerbewohner. Sie dürfen sich frei bewegen, werden von der Bevölkerung mit Brot oder Wäsche versorgt und meist freundlich behandelt.
In der Nacht des 2. Mai dringen Angehörige einer Waffen-SS-Einheit in die Baracken ein, holen Männer, Frauen und Kinder und richten sie unweit des Lagers mit Schüssen hin. Die Leichen übergießen sie mit Benzin und zünden sie an. Zurück im Lager erschießen sie alle dort Verbliebenen.
Der 11-jährige Tibor Schwarcz versteckt sich unter Stroh: „Die SS-Männer kamen in die Baracke und haben alle neben mir erschossen – auch die Kinder und die Frau, die neben mir lagen“, erzählt er. Seine Mutter und seine zwei Schwestern sind tot, nur neun Menschen überleben die Nacht.
Die Täter des Massakers, bei dem 228 Menschen sterben, werden nie ausgeforscht. Seit 1964 liegen die Opfer am jüdischen Friedhof in St. Pölten.
1746267942892.png
Österreichischer Rundfunk sendet aus Dornbirn (Martin Stepanek)
„Hier spricht der österreichische Rundfunk, Sender Vorarlberg in Dornbirn.“ Mit diesen Worten meldet sich am 2. Mai 1945 um 21.30 Uhr erstmals seit Kriegsbeginn ein freier österreichischer Sender. Radio Wien hatte zwar nur Tage zuvor den Sendebetrieb wieder aufgenommen, befindet sich aber unter russischer Kontrolle. Dass Radio Vorarlberg nur Stunden, nachdem die Franzosen Dornbirn erobert hatten, überhaupt schon senden kann, ist einzig und allein dem Einsatz von Widerstandskämpfern zu verdanken.
So konnten der Postamtsvorsteher Gottfried Öttl und der spätere Sendeleiter Otto Schubert die Zerstörung des von den Nazis verwendeten Radioequipments gerade noch verhindern. Sie überzeugen den bestehenden Sendeleiter, sich des wiederholten Auftrags des Kreisleiters zu widersetzen. Der Sprengstoff wird unschädlich gemacht. Als der Tiroler Gauleiter Franz Hofer am Mittag übers Radio noch Durchhalteparolen ausgeben will, kappen die Widerständler die Leitung.
Mit dem in den Nächten zuvor zusammengeklaubten Equipment richtet Schubert eine provisorische Sendestation im Keller des Dornbirner Rathauses ein. „Es wurde halb 10 Uhr, bis durch das Mikrophon zum ersten Mal nach sieben Jahren wieder ein österreichischer Sender seine Stimme im Äther erhob“, erinnert sich Schubert einige Monate später. Die Franzosen dulden den Betrieb, bei großen politischen Radioansprachen werden die Reden jedoch vorab begutachtet.
Stadtarchiv Dornbirn
Foto: Dornbirner Bevölkerung und französische Truppen am Marktplatz
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#14
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 14:
3. - 4. Mai 1945

3. Mai 1945
Vorstoß der Franzosen bis Feldkirch (Martin Stepanek)
Am Morgen des 3. Mai liegt Götzis in Trümmern. Um Ähnliches für seine Gemeinde Rankweil zu verhindern, riskiert der Tischlermeister Alfons Branner alles. Mithilfe des französischen Kriegsgefangenen Jean Mariani nimmt er Kontakt mit den französischen Truppen auf. Die ganze Nacht fährt er zwischen den Oberländer Gemeinden hin und her und zeigt ihnen schließlich eine alternative Route um Rankweil herum zur Stadt Feldkirch.
Dort ziehen die Franzosen gegen Mittag kampflos ein (siehe Bild), da der Volkssturm sich weigert, die Stadt zu verteidigen. Die Wehrmachts- und SS-Truppen haben sich zu diesem Zeitpunkt schon weiter nach Süden zurückgezogen. Lediglich die wichtige Felsenaubrücke über den Fluss Ill wird von der Wehrmacht noch gesprengt.
Wie gefährlich der Widerstand auch in diesen allerletzten Kriegstagen ist, zeigt sich im weiter südlich gelegenen Bludenz. Wie in Rankweil und Feldkirch gibt es dort eine organisierte Widerstandsbewegung. Etwa 40 Mann aus unterschiedlichen politischen Lagern stürmen die NSDAP-Kreisleitung, aufgrund der anrückenden SS-Truppen wird die Aktion aber abgebrochen. Der Eisenbahner Alois Jeller wird von SS-Leuten festgenommen. Er wird brutal gefoltert und erschlagen. Der Leiche wird noch ein Genickschuss verpasst.
Stadtarchiv Bregenz
Rettung der Montafoner Kraftwerke (Martin Stepanek)
Die im Süden Vorarlbergs befindlichen Kraftwerksanlagen, die Illwerke, drohen in den letzten Kriegstagen von den Nazis gesprengt zu werden. Für den gefährlichen Ausbau während des Krieges hatte das NS-Regime Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen zu der gefährlichen Arbeit im Montafoner Hochgebirge zwangsverpflichtet. Allein 39 Personen verunglücken nachweislich bei Unfällen, die Dunkelziffer jener, die an Krankheiten, Unterernährung, bei Fluchtversuchen oder durch Überstellungen in Straf- und Konzentrationslager sterben, ist weit höher.
Der Bevölkerung sind die menschenunwürdigen Zustände bekannt, manche versuchen, mit Kleidung und Nahrungsmitteln das Leid zu lindern. Jetzt, am Kriegsende, will eine Widerstandsgruppe unter der Leitung von Romed Boss nicht hinnehmen, dass das Kraftwerk und damit die Stromversorgung zerstört werden. Rene Pfeifer, Alwin Pfeifer, Othmar Rudigier und Hans Schemnitzer holen am 1. Mai die 2000 vorgesehenen Sprengkapseln aus dem Bunker und werfen Munitionsvorräte der Flak bei der Staumauer in den Stausee.
Am 3. Mai wird der eingetroffene Oberleutnant in Schutzhaft genommen. Die Flak, die gegen die Franzosen im Tal eingesetzt werden sollte, wird nun zum Schutz des Kraftwerks umfunktioniert und schließlich gegen die SS-Truppen eingesetzt.
Reinhard Mittersteiner, Strom prägt...
Die letzten Endphaseverbrechen in Prein an der Rax (Julia Sica)
Bereits Ende April verüben Volkssturm-, HJ- und SS-Angehörige mit der Gendarmerie zwischen Rax und Schneeberg Morde an „politisch unzuverlässigen Personen“. Die Henker sind teils 17 Jahre alt.
Die drei letzten Erschießungen vor Kriegsende finden am 3. Mai statt. Man hatte ihnen nicht gesagt, weshalb sie festgenommen wurden. Das Opfer Johann Reifböck ist Reichenauer und Sozialdemokrat. Tochter und Ehefrau können sich nicht mehr nach ihm erkundigen, sie wurden wenige Tage zuvor vom „Sonderkommando“ ermordet.
Der junge Ladislaus Hrozek aus der Tschechoslowakei wurde wegen vermeintlichem Lebensmitteldiebstahl und politischen Aussagen inhaftiert, sagt man seiner schwangeren Verlobten Hermine Rigler. Wie sie später erfährt, dürfte ihr Verlobter Rachegelüsten eines Gendarmen zum Opfer gefallen sein, welcher glaubte, Riglers Familie habe Verwandte des Kommandanten angezeigt. Daher habe man sich „den Behm geholt“.
Willkür und Rassenwahn spielen auch bei der Verhaftung von Perlja Koch eine Rolle. Die gebürtige Russin, zuvor wohl wegen „wehrkraftzersetzender Äußerungen“ verurteilt, bewohnt mit ihrem Mann Hugo zwei Zimmer in einer Villa in der Prein. NSDAP-Kreisleiter Johann Braun erkundigt sich am 1. Mai in der Villa nach Räumlichkeiten und weist sie an, die Zimmer zu räumen. Während Hugo den Umzug anbahnt, nimmt man Perlja fest.
Die offiziellen Stellen speisen die Angehörigen der Inhaftierten ab, schicken sie heim oder zu anderen Zuständigen. Hugo Koch und Hermine Rigler glauben, ihre Partner nach kurzen Treffen in Haft bald wiedersehen zu können; Rigler sagt man zuletzt, ihr Verlobter Ladislaus Hrozek werde nur evakuiert.
Hrozek und Perlja Koch werden auf der Sonnleiten bei Prein an der Rax erschossen und vergraben. Nach der Ankunft der Roten Armee erwartet Hugo Koch die Rückkehr seiner Frau, während andere im Ort längst um ihr Schicksal wissen; Ende Mai erbarmt sich der Pfarrer und sagt ihm die Wahrheit. Kurz darauf werden die Leichen entdeckt, Anfang Juni exhumiert und bestattet. Perlja Koch hat einen großen Blutfleck im Genick. Hermine Rigler erfährt erst im August, dass ihr Verlobter erschossen wurde.
Die Täter und Mitläufer treten mit Kriegsende vielfach die Flucht an, werden jedoch wiedergefunden und inhaftiert. Bei den Gerichtsverfahren versuchen sie, sich zu entlasten, und geben vor, nichts mit den Kriegsendverbrechen zu tun gehabt zu haben. Die Verfahren gegen manche werden eingestellt, andere begehen Suizid. Drei werden zum Tode verurteilt: Johann Braun, SA-Standartenführer Josef Weninger und HJ-Bannführer Johann Wallner. Das Urteil wird 1948 vollstreckt.
(Quellen: DÖW bzw. Heinz Arnberger / Claudia Kuretsidis-Haider (Hg.): Gedenken und Mahnen in Niederösterreich; Martin Prinz: Die letzten Tage)
Die Befreiung Innsbrucks steht bevor (Karin Kirchmayr)
Am 3. Mai führen die Mitglieder der Tiroler Widerstandsgruppe rund um den späteren Außenminister Karl Gruber weiter, was sie am Tag zuvor begonnen haben, und übernehmen weiter Schlüsseldienststellen der Stadt Innsbruck. Gegen Mittag verlassen Spitzen von SS und Gestapo rund um den Gauleiter Franz Hofer in einem Autokonvoi die Stadt und ziehen sich auf Hofers Anwesen in Volders zurück.
Gegen 13 Uhr zwingen die Widerstandskämpfer den Polizeipräsidenten und den Leiter der Gendarmerie zur Aufgabe. Um 14 Uhr besetzen sie das bereits leere Gauhaus. (Das heutige Landhaus wurde 1938 errichtet und ist noch heute der größte bestehende NS-Bau in Tirol). Kurz zuvor haben sie bereits den Sender in Aldrans nahe Innsbruck ohne Gegenwehr eingenommen, danach dringen sie in das Studio im Keller des Gauhauses ein. In einer ersten Radiosendung zwischen 15 und 16 Uhr meldet die Widerstandsgruppe, dass sie in Tirol die Regierungsgeschäfte übernommen haben. Mit der Ankunft der alliierten Truppen sei in Bälde zu rechnen. Die geladene Pistole sei neben dem Mikrofon gelegen, erzählt der erste Radio-Direktor Artur Schuschnigg später in einem Interview.
Stadtarchiv Innsbruck
Foto: Die österreichische Fahne am Landhaus, jubelnde Mitglieder der Widerstandsbewegung.
Franz Mair stirbt bei der Verteidigung des Landhauses (Karin Kirchmayr)
Während die Widerstandskämpfer das bisherige Gauhaus besetzen, kommt es davor immer wieder zu einzelnen Schusswechseln mit der SS. Bei der Verteidigung des Landhauses wird der Widerstandskämpfer Franz Mair, ein beliebter Lehrer am Akademischen Gymnasium, verletzt und stirbt am 6. Mai an den Folgen.
Der 34-Jährige hatte gemeinsam mit Schülern die Widerstandsvereinigung „Gruppe Franz Mair“ gegründet. Er wurde 1944 von der Gestapo festgenommen, entging aber einem Todesurteil und wurde entlassen. Er unterstützte Deserteure und versteckte einen französischen Agenten samt dessen Funkanlage bei einem Bauern. Er hatte Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen wie der Weißen Rose und den Alliierten.
Am 8. Mai 1946 wurde Franz Mair in einer großen Feier eine Gedenktafel am Alten Landhaus in Innsbruck gewidmet (siehe Foto). Die Tafel blieb über Jahrzehnte das einzige Erinnerungszeichen des Landes Tirol an den Widerstand.
SS verwischt Spuren ihrer Verbrechen und verlässt KZ Mauthausen und KZ Gusen (Marlene Erhart)
Seit Tagen zieht sich die SS sukzessive aus dem KZ Mauthausen zurück. Vor dem vollständigen Verschwinden verwischt sie noch die Spuren der begangenen Verbrechen. Seit den letzten Morden in der Gaskammer werden bauliche Einrichtungen zur Massentötung demontiert und belastende Schriftzeugnisse verbrannt.
Daneben entledigt sich die SS eines Großteils der Menschen, die vor Gericht gegen die Täter hätten aussagen können. Geheimnisträger – also Mitwisser der Massenmorde – wie etwa Häftlinge, die im Krematorium arbeiten mussten, werden exekutiert.
Am 3. Mai fliehen die letzten SS-Angehörigen schließlich aus den Lagern Mauthausen sowie Gusen. Offiziell befinden sich zu diesem Zeitpunkt 64.800 männliche, 1.734 weibliche und weitere rund 15.000 nicht erfasste Häftlinge im KZ Mauthausen.
Angehörige der Wiener Feuerschutzpolizei übernehmen die Bewachung der Gefangenen. Langsam geht die Macht im Lager jedoch auf das bis dahin illegale Internationale Komitee der Häftlinge über.
Die Rettung der Kunstschätze im Bergwerk Altaussee 1. (Marlene Erhart)
Neben tausenden Kunst- und Kulturgütern lagern im Bergungsdepot im Bergwerk Altaussee auch acht Fliegerbomben. Gauleiter August Eigruber plant, damit die Güter zu zerstören. Zwar stehen die Amerikaner schon in Salzburg, doch noch ist die Gefahr nicht gebannt.
Am 3. Mai erfährt die Bergwerksleitung, dass ein NS-Trupp mit Zündungen für die Bomben im Anmarsch ist. Nun werden die Bergarbeiter über die Sprengkörper in den Stollen informiert.
In einem Appell ruft die Salinenleitung zur Bewachung der Bomben Freiwillige auf, die „im äußersten Fall auch die Beseitigung des Sprengkommandos übernehmen.“ Die gesamte Belegschaft meldet sich. Angesicht der möglichen Sprengung fürchten die Männer auch um ihre Arbeitsstätte.
Bergarbeiter Alois Raudaschl bringt Gestapo-Chef Ernst Kaltenbrunner dazu, nach Altaussee zu kommen. Er sieht die Chance, sich als Retter der Kunstgüter zu inszenieren und befiehlt die Entfernung der Bomben – durch einen Mittelsmann erfährt das auch Eigruber.
Wutentbrannt droht der Gauleiter dem Gestapo-Chef in einem Telefonat um ein Uhr nachts gar mit Exekution, sollte dieser die Vernichtung der Kunstwerke verhindern. Nach dem heftigen Wortwechsel gewährt er den Abtransport der Sprengkörper jedoch, verbietet aber, diese, wie von Kaltenbrunner geplant, im See zu versenken.
Imago/United Archives International
Die Rettung der Kunstschätze im Bergwerk Altaussee 2. (Marlene Erhart)
Stunden bevor Gestapo-Chef Kaltenbrunner und Gauleiter Eigruber am Telefon über die Entfernung der Bomben im Reichsbergungsdepot Altaussee streiten, beschließen die Arbeiter des Bergwerks, zu handeln. Um 20:15 Uhr fahren 12 Männer der Nachtschicht mit Oberbürgermeister Alfred Jud mit der Grubenlokomotive ins Werk.
Sie verladen die ersten vier Stück der 500-Kilo-Bomben und bringen sie zum Zentralschacht, wo sie unter Bewachung stehengelassen werden. In einem anderen Teil des Bergwerks holen sie die übrigen vier Sprengsätze. Um 0:50 Uhr kehrt der Trupp mit allen acht Bomben aus den Stollen zurück.
Am 5. Mai setzen die Bergleute rund 500 Bohrlöcher und sprengen kontrolliert die Eingänge zum Bergwerk. So sind die Werke von Caravaggio, Rubens, Dürer, Raffael, Vermeer sowie Skulpturen, Flügelaltäre, Kupferstiche, Pergamentbände, Möbel und Goldmünzen in den Stollen vor Zugriffen sicher. Am 8. Mai kommen US-Einheiten in Altausee an, in den folgenden Tagen werden die Eingänge zum Bergwerk geöffnet und die Kunstschätze sichergestellt.
Imago/United Archives International
Foto: Bergleute mit den aus dem Bergwerk entfernten Bomben.
Innsbruck ist befreit (Karin Kirchmayr)
Schon am Nachmittag haben die Widerstandskämpfer rund um Karl Gruber das Landhaus in Innsbruck eingenommen und senden von dort erste Radiosendungen. Sie haben somit die Stadt schon vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen befreit. Um 17.10 Uhr verkündet das Radio den Waffenstillstand in Italien, um 17.30 Uhr folgt der Aufruf an alle Angehörigen des Widerstandes, zum Rathaus zu kommen, um sich zu bewaffnen und mit Armbinden der Widerstandsbewegung einen behelfsmäßigen Polizeidienst anzutreten. Bald sind hunderte Männer ausgerüstet. In ihren Reihen fanden sich, so Gruber, „nicht wenig Nazi, die die Gelegenheit für günstig erachteten, sich schnell in die Rolle eines Widerstandskämpfers hineinzuwerfen”, wie hier zu lesen ist.
Um 18 Uhr verhaften Fred Mayer und zwei andere Agenten der Operation Green-Up Gauleiter Hofer und seinen Stab in Volders, wohin diese sich zurückgezogen haben. Mayer informiert die US-Truppen, die bereits kurz vor Innsbruck stehen und bisher keine Klarheit über die Situation hatten. Damit steht einer kampflosen Übergabe nichts im Weg und die US-Truppen rücken weiter Richtung Innsbruck vor.
National Archives
US-Truppen werden in Innsbruck empfangen (Karin Kirchmayr)
Um 19:45 Uhr marschieren die ersten amerikanischen Truppen in Innsbruck ein. Die Stadt ist bereits rot-weiß-rot beflaggt, vor dem Landhaus wird eine US-Flagge aufgezogen. Ein Ausschuss unter der Leitung von Karl Gruber, dem Kopf des Tiroler Widerstands, übergibt Innsbruck als befreite Stadt.
"Schwerbewaffnete Österreicher schwärmten über den ganzen Platz aus und der ganze Aufzug sah aus wie ein drittklassiger Hollywoodfilm ... Einige waren in deutschen Uniformen, einige in Zivilkleidern, alle trugen weiß-rote Armbinden der Widerstandsbewegung ... Ihre Haltung war sehr freundlich ...”, schildert ein amerikanischer Beobachter.
Begeistert ist auch der offizielle Berichterstatter der 103. Infanteriedivision: "Es war wie die Befreiung von Paris. Der Jubel war ungeheuer. Männer, Frauen und Kinder schrieen den einmarschierenden Truppen Begrüßungsworte zu und streuten ihnen Blumen. Den Soldaten wurden Cognac- und Weinflaschen angeboten. Hübsche Mädchen kletterten auf Panzer und Jeeps, um die Soldaten zu küssen. Österreichische Fahnen wehten überall in der Stadt. Man sah keine weißen Fahnen. Die Menschen schienen den Einmarsch der US-Truppen als Befreiung zu betrachten. Deutsche Soldaten standen, immer noch in Uniform, am Straßenrand; sie trugen ihre Waffen, aber auch Armbinden mit 'Freies Österreich' und riefen uns zu 'Heil den Amerikanern!' Die Szene unterschied sich vollkommen von allem, was die Soldaten in deutschen Städten erlebt hatten.“
National Archives Administration
Foto: Innsbruck am 3. Mai 1945


4. Mai 1945
Die Stadt Salzburg wird kampflos befreit (Julia Sica)
In der Nazi-Propaganda ist die Stadt Salzburg Teil der „Alpenfestung“. Mehr als Propaganda ist dies aber nicht, Wehrmacht und SS können den aus Bayern vorrückenden US-Truppen keinen nennenswerten Widerstand mehr leisten. Entgegen anderslautenden Befehlen entschließt sich der Kampfkommandant der Stadt Salzburg, Oberst Hans Lepperdinger, die Stadt unblutig zu übergeben. Dieses Vorgehen ist vonseiten der NS-Führung zwar mit der Todesstrafe bedroht, Lepperdingers Vorgesetzter General Max von Borck hat jedoch keine Mittel mehr in der Hand, den Oberst zu verhaften.
Hans Lepperdinger kündigt die Kapitulation am Freitag, den 4. Mai um sechs Uhr in der Früh via Radio an. Er selbst fährt am Vormittag über die Saalachbrücke nach Freilassing und bespricht mit den US-Kommandanten der 3. Infanteriedivision „Rock of the Marne“ die Übergabe. Um 13.30 Uhr vereinbaren Brigadegeneral Robert N. Young und Lepperdinger im Hotel „Österreichischer Hof“ auch formal die Übergabe der Stadt. Salzburg ist damit befreit.
Die in diversen Berichten oft irrtümlich als Befreierin Salzburgs genannte 42. US-Infanteriedivision „Rainbow Division“ wurde übrigens erst im Juli 1945 nach Salzburg verlegt. Ihr Regenbogen-Graffito ist heute noch an vielen Stellen in Stadt und Land Salzburg sichtbar. (neu)
Thomas Neuhold
Foto: Gedenktafel der Stadt Salzburg in Erinnerung an die Befreiung durch
die US-Armee.
SS-Truppen flüchten Richtung Arlberg (Martin Stepanek)
Nach den Gefechten bei Götzis zwei Tage zuvor, zeigen die deutschen Truppen nun auch in Vorarlberg Auflösungserscheinungen. Am 4. Mai erreichen die Franzosen Bludenz. Der Sturm der Widerstandskämpfer auf die Kreisleitung endet zwar im brutalen Mord an Alois Jeller, viele hochrangige Nazis fliehen wegen der Widerstandsaktion aber. Die Stadt wird bis auf ein kurzes Rückzugsgefecht außerhalb von Bludenz nicht mehr verteidigt, die SS-Truppen flüchten ungeordnet über das Vorarlberger Klostertal Richtung Arlberg.
Auch das Montafon, wo die wichtigen Kraftwerksanlagen stehen, wird am 4. Mai befreit. Die Freude ist groß, überall hängen rot-weiß-rote und weiße Fahnen. Doch nicht alle haben vergessen, dass viele Einheimische begeisterte Anhänger des Nazi-Regimes waren. Der deutsche Theologe und Widerstandskämpfer Emil Fuchs, der im Montafon Unterschlupf gefunden hat, erinnert sich in seiner Autobiographie „Mein Leben“ an den französischen Einmarsch.
„Da sah ich vor der Kirche festlich gekleidete Männer und weißgekleidete Jungfrauen mit Blumensträußen versammelt. Droben hingen schon an den Häusern der großen Bauern die österreichischen Fahnen vom Dach bis auf die Straße – wie kurz vorher die Hakenkreuzfahnen. Der alte, ehrwürdige Pfarrer des Ortes sagte mir in diesen Tagen: ‚Als ich sie einst warnte, Hitler zu wählen, wollten sie mich fast totschlagen. Nun sind sie wieder begeistert! Was soll man zu diesen Leuten sagen?‘"
Anno / ÖNB
Robin Kohrs/DerStandard
Jüdischer Fremdenlegionär aus Wien als Befreier (Martin Stepanek)
Unter jenen Soldaten, die Anfang Mai Vorarlberg befreien, ist der Wiener Herbert Traube. Als Wiener Jude muss er als Jugendlicher nach Frankreich fliehen, wo er in letzter Sekunde einem Transport in Richtung Auschwitz entkommt. Mit falscher Identität heuert er bei der Fremdenlegion an und trifft im befreiten Rankweil erstmals wieder auf Österreicherinnen, die erstaunt über den Franzosen sind, der perfekt Deutsch spricht, aber ihm auch Misstrauen entgegenbringen, da sie einen Spion vermuten.
In einem Videointerview berichtet Traube über den Zwiespalt, den er selbst empfindet. „Ich bin in Österreich, aber bin ich noch ein Österreicher?“ Auf der einen Seite die Freude, den Krieg überlebt und die Nazis besiegt zu haben, auf der anderen Seite die Erinnerungen an die Demütigungen, die er als Kind erlebte. Dass sein Vater in Auschwitz und fast alle Verwandten im KZ umgekommen sind, weiß er zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Theodor Kramer Gesellschaft
Erst Jahrzehnte später hält er seine Erlebnisse im Buch „Eine ungewöhnliche Odyssee von Wien nach Paris und Menton“ fest, gibt Vorträge, besucht Schulen. „Ich will erklären, wie es in einem hochzivilisierten Land durch Hassreden, Provokationen, falschen Patriotismus möglich war, normale Bürger zu Bestien zu machen.“ Mit seinem Zeugnis wolle er sicherstellen, dass so etwas nicht wieder passieren könne. Sein Appell: „Man darf seinen Nächsten nicht als Fremden ansehen, sondern als ein Mitglied der Menschheit“.
Der letzte Nazi-Mord in der Stadt Salzburg (Julia Sica)
Die kampflose Übergabe der Stadt Salzburg ist im Gang. Die US-Armee hat die Saalach überschritten und befindet sich bereits in den Stadtteilen links der Salzach. Rechts der Salzach regiert noch für einige Stunden der Nazi-Terror.
Das letzte – derzeit bekannte – Opfer der versprengten SS-Gruppen ist Michael Chartchenko. Der 31 Jahre alte Zwangsarbeiter aus der Ukraine trägt die Häftlingsnummer 66698 des KZ Dachau. Er ist dem Himmelfahrtskommando Bombenentschärfung in Salzburg zugeteilt und hat dieses bis zum Tag der Befreiung überlebt.
Michael Chartchenko wird von SS-Schergen am 4. Mai im Salzburger Volksgarten durch Schüsse in Rücken, Kopf und Herz ermordet. Seine Leiche wird von seinen Mördern noch notdürftig verscharrt. Erst Wochen später wird der Leichnam exhumiert und am Kommunalfriedhof beigesetzt.
Personenkomitee Stolpersteine Salzburg
Für Michael Chartchenko wurde am 22. August 2007 am Ort seiner Ermordung ein Stolperstein verlegt.
„Ein Lager wie ein Höllenloch“: US-Armee erreicht das KZ Gunskirchen (Marlene Erhart)
Das KZ Gunskirchen – ein Außenlager des KZ Mauthausen – liegt verborgen in einem Kiefernwald. Viele der hauptsächlich jüdischen Gefangenen sind erst kürzlich in Todesmärschen hierher getrieben worden.
Am Nachmittag des 4. Mai erreicht ein Trupp der 71. Infanteriedivision das am Morgen entdeckte Lager. Die SS ist abgezogen, auch rund 3.000 der Gefangenen haben das KZ verlassen. Ausgehungerte Menschen säumen die Straße, viele brechen kurz nach dem Lagertor zusammen und sterben, berichtet Captain J. D. Pletcher.
„Nationalsozialismus in seiner schlimmsten Ausprägung“, sagt Major Cameron Coffman zu dem sich bietenden Bild: hunderte Tote, die Lebenden bis auf die Knochen abgemagert, zusammengepfercht, oft in Exkrementen liegend. Insassen, die noch die Kraft dazu besitzen, umringen den Trupp jubelnd.
Mehr als 1.300 Soldaten beteiligen sich in den Folgetagen an der Befreiung. Jedes Radfahrzeug im Umkreis von Meilen wird beschlagnahmt, um die kranken und hungernden Ex-Häftlinge wegzubringen, so Korporal Jerry Tax. Sie kommen in Notspitäler und Lazarette, wo noch hunderte von ihnen sterben.
United States Holocaust Memorial
Linz verhandelt über eine kampflose Übergabe 1. (Karin Kirchmayr)
Seit den Morgenstunden des 4. Mai 1945 steht Linz unter stetigem Artilleriebeschuss der US-Truppen, die sich vom Mühlviertel her annähern und nur mehr wenige Kilometer entfernt sind. Noch am 2. Mai verlautbarte Gauleiter Eigruber, dass Linz nur im Kampf dem Feind überlassen werde. Angesichts der aussichtslosen Lage erklärt sich Eigruber am 4. Mai einverstanden, dass der Linzer NSDAP-Kreisleiter Franz Danzer Verhandlungen mit den Amerikanern aufnimmt. Danzer und der Arzt Fritz Rosenauer, der als Dolmetscher fungiert, machen sich zu Mittag auf den Weg und treffen in Rottenegg auf die US-Armee. Die Amerikaner forderten eine bedingungslose Übergabe der Stadt, mit den Donaubrücken (die bereits mit Sprengstoff versehen waren) in intaktem Zustand.
Als Danzer gegen 16 Uhr nach Linz zurückkehrt, herrscht Verwirrung. Die kampflose Übergabe war nicht mit der Wehrmacht abgesprochen, Lothar Rendulic, Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, hat den Befehl erteilt, "Linz um jeden Preis, Haus für Haus, zu verteidigen".
Gauleiter Eigruber hat die Stadt bereits in Richtung Kirchdorf an der Krems verlassen. Mit falschen Papieren, die auf den Namen "Bernhard Gruber" lauten, wird er in den nächsten Tagen untertauchen und sich auf einer Jagdhütte verstecken. Am 10. August wird er in St. Pankraz verhaftet. Wegen seiner Beteiligung an den Verbrechen im KZ Mauthausen wird er 1947 hingerichtet.
Archiv der Stadt Linz
Foto: US-Truppen auf dem Weg Richtung Linz
Linz verhandelt über eine kampflose Übergabe 2. (Karin Kirchmayr)
Am Nachmittag herrschen in Linz chaotische Zustände. Hektisch wird versucht, Gauleiter Eigruber in Kirchdorf zu erreichen, damit dieser den General Lothar Rendulic überzeugt, den Widerstandsbefehl zurückzunehmen. Der Artilleriebeschuss auf Linz hält an, weil die Amerikaner den Beschluss der Wehrmacht abwarten.
Erst nach 20 Uhr kommt die Mitteilung, dass die Wehrmachtsführung die Verteidigung der Stadt aufgibt. Rendulic gibt schließlich den Befehl, dass sich die deutschen Truppen noch in der Nacht von 4. auf 5. Mai aus Linz und dem Gebiet bis zur Traun zurückziehen.
Quellen: Auf der Webseite des Archivs der Stadt Linz finden sich ein Interview mit Franz Danzer und Aufzeichnungen beteiligter Personen.
National Archives Washington
Foto: Da der Weg nach Linz vom Westen aufgrund der Linzer Flak-Stellungen zu gefährlich ist, nähern sich die US-Truppen über den Norden. Am 4. Mai gelangten sie nach Hellmonsödt, in den Morgenstunden des 5. Mai sind sie bereits in Gallneukirchen, wie das Foto zeigt.
Standgericht in Hartberg verurteilt 13 Menschen zum Tode (Marlene Erhart)
Im steirischen Hartberg stemmt sich eine Widerstandsgruppe seit Herbst 1944 gegen stärker werdende SS-Verbände. Zu den rund 40 Mitgliedern, die sich in den Bergen um Hartberg versteckt halten, zählen Deserteure der Wehrmacht und Volkssturm-Angehörige. Unterstützt werden sie von Bauern aus der Region, die sie verpflegen und sie auf ihren Höfen nächtigen lassen.
Im März nimmt die Gruppe den bewaffneten Kampf auf, sprengt bei Penzendorf drei Flugzeuge und versucht, den Hartberger Ortsgruppenleiter Erich Heumann festzunehmen. Dabei kommt es zu einem Schusswechsel, die Widerstandskämpfer erschießen Heumanns Familie und verwunden ihn schwer.
Infolge gelingt es SS-Männern, sich bei den Partisanen einzuschleichen und Informationen weiterzugeben, woraufhin erste Exekutionen stattfinden. Schließlich werden auch zahlreiche Bauern der Gegend festgenommen, denen Unterstützung der Widerstandskämpfer vorgeworfen wird.
Am 4. Mai verurteilt ein Standgericht 13 Menschen zum Tode, acht werden umgehend im Stadtpark erschossen, ein Flüchtiger am Stadtplatz, wo noch vier Männer an Laternen erhängt werden. Am Rückzug vor der nahenden Roten Armee erschießt die SS am 7. Mai weitere Unterstützerinnen und Unterstützer der Partisanen.
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#15
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 15:
5. - 6. Mai 1945


5. Mai 1945
Die US-Armee marschiert in Linz ein (Karin Kirchmayr)
In den Morgenstunden des 5. Mai macht sich der Linzer NSDAP-Kreisleiter Franz Danzer erneut nach Rottenegg auf, um die Kapitulationsverhandlungen, die schon am Vortag begonnen hatten, zu Ende zu bringen. Bedingungen sind eine Waffenniederlegung der deutschen Truppen, eine weiße Beflaggung der Stadt und intakte Donaubrücken.
Währenddessen rücken die ersten Truppen bereits nach Urfahr ein. Noch bevor Danzer in Linz ankommt, ist die Stadt bereits befreit. Um 11.07 Uhr treffen die amerikanischen Truppen auf dem Linzer Hauptplatz, dem damaligen Adolf-Hitler-Platz, ein. Sie werden mit Jubel, Blumen, Most und Wein empfangen. Der NS-Oberbürgermeister Franz Langoth übergibt die Stadt an General Lucius Holbrooks.
Um 11.30 Uhr weisen die Amerikaner die Bevölkerung an, weiße Armbinden zu tragen, alle Waffen abzugeben und eine Ausgangssperre einzuhalten – die aufgrund der Masse an Menschen auf den Straßen zunächst nicht durchsetzbar ist.
Tagebucheinträge und Interviews über die Befreiung von Linz finden sich auf der Webseite des Stadtarchivs Linz.
Archiv der Stadt Linz
Foto: US-Panzer fahren über die Nibelungenbrücke zum Linzer Hauptplatz.
US-Truppen am Linzer Hauptplatz (Karin Kirchmayr)
Dieser Film des US-Militärs zeigt feiernde US-Truppen am Tag der Befreiung von Linz und den Abmarsch entwaffneter Wehrmachtstruppen vom Hauptplatz. Er könnte dem Stadtarchiv Linz zufolge auch erst am 6. Mai 1945 aufgenommen worden sein.
National Archives, Washington
US-Armee nähert sich unvorbereitet Gusen und Mauthausen (Karin Kirchmayr)
Am 5. Mai 1945 ist das Kampfkommando B, eine von drei Einheiten der 11. Division der 3. US-Armee, in Gallneukirchen stationiert. Es soll den Einmarsch in Linz, der am selben Tag erfolgt, von der Nordflanke her absichern.
Eine 23-köpfige Patrouille unter dem Kommando von Sgt. Albert J. Kosiek soll auskundschaften, in welchem Zustand sich die Brücke über die Gusen bei St. Georgen befindet. Dabei stoßen die Männer völlig unvorhergesehen auf die Konzentrationslager Gusen und Mauthausen. Entgegen ihrer eigentlichen Mission wird diese Truppe wenige Stunden später die Konzentrationslager befreien.
Ralf Lechner/Gusen Memorial
Karte: Vormarschroute der Kampfkommandos A und B der 11th Armored Division zwischen dem 1. und 6. Mai 1945.
Erinnerungen eines Befreiers und eines KZ-Häftlings (Karin Kirchmayr)
Wie der US-Kommandant Albert J. Kosiek und der 17-jährige Pole Henryk Dziedzic, einer der befreiten Häftlinge, den 5. Mai 1945 erlebten, erzählen die Söhne der beiden heute noch. Die Kollegen Klaus Taschwer und Thomas Neuhold haben mit den Söhnen über die Schicksale ihrer Väter und deren Verbindung gesprochen.
Der Artikel ist hier nachzulesen.
1746454936702.png Mauthausen Memorial / Collection Antonio García
Foto: Sergeant Albert J. Kosiek (mit Helm) betritt am 5. Mai 1945 das KZ Mauthausen.
Die "Entdeckung" von Gusen (Karin Kirchmayr)
Als Erstes trafen US-Kommandant Albert J. Kosiek und seine Truppe auf das Außenlager Gusen III in Lungitz. In seinen Erinnerungen hält Kosiek später fest:
"Plötzlich stolperte einer unserer Männer über einige Personen, die in großen Käfigen zu sein schienen (das KZ Gusen III mit etwa 300 Insassen). Er informierte mich sofort, und während er dies tat, erschien ein deutscher Soldat und kam auf mich zu. Dieser deutsche Soldat trug mehr verschiedene Waffen vor sich als er Haare auf dem Kopf hatte. Auf Englisch erklärte er uns, dass sich vor uns ein Nebengebäude eines Konzentrationslagers befand, und dass die Häftlinge Polen und Russen (auch Italiener) waren. Wir funkten den Befehlshaber an und sagten ihm, dass wir kein Artilleriefeuer brauchen würden, und dann trieben wir die vierzig Deutschen, die das Wachpersonal bildeten, zusammen und schickten sie mit zwei Leuten, die sie im Auge behalten sollten, zurück zum Truppenhauptquartier."
Von Gusen nach Mauthausen (Karin Kirchmayr)
Von Lungitz aus, wo sie auf das erste Außenlager des KZ Mauthausen (Gusen III) gestoßen waren, fahren US-Kommandant Kosiek und sein Spähtrupp weiter. An einer Straßenblockade stoßen sie auf Louis Häfliger, einen Schweizer Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes. Häfliger hat wenige Tage zuvor im KZ Mauthausen den SSler Guido Reimer, Leiter der Spionage- und Sabotage-Abwehr im Lager, kennengelernt. Von Reimer hat er am 2. Mai von den Plänen Himmlers erfahren, dass alle Insassen im Stollensystem von St. Georgen ermordet werden sollen – was er verhindern will.
Am 4. Mai streichen Häfliger und Reimer ein SS-Fahrzeug weiß an und bringen eine Rotkreuz-Fahne an. Am 5. Mai treffen sie auf Kosieks Patrouille und geleiten sie über St. Georgen zuerst zu den Lagern Gusen II und Gusen I und nach einem kurzen Stopp nach Mauthausen.
Erst am späten Nachmittag werden die etwa 800 Wachmänner der Feuerschutzpolizei, die sich noch in Gusen befinden, widerstandslos entwaffnet. Gemeinsam mit den etwa 1000 Feuerschutzpolizisten aus Mauthausen werden sie als Kriegsgefangene nach Gallneukirchen gebracht.
Insgesamt waren in Gusen 71.000 Menschen aus 27 Ländern inhaftiert, mindestens 35.800 wurden ermordet. Darunter waren besonders viele Polinnen und Polen, darunter viele Mitglieder der polnischen Intelligenzia, soziale und politische Aktivisten. Auch nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 wurden zahlreiche seiner Teilnehmer in das KZ Gusen deportiert.
1746455318086.png USHMM / Mauthausen Memorial
Foto: KZ Gusen
Die Befreiung von Mauthausen 1. (Karin Kirchmayr)
Als US-Kommandant Albert J. Kosiek und seine Truppe Mauthausen erreichen, bieten sich ihnen schreckliche Zustände. Der erste Anblick waren mächtige Mauern, danach ein Stacheldraht, hinter dem hunderte von völlig ausgemergelten Menschen "vor Freude geradezu verrückt wurden", wie Kosiek schildert. Die SS hat sich bereits aus dem Staub gemacht, die letzten sind am 3. Mai aus Mauthausen und Gusen geflohen und haben die Bewachung des Lagers an 50 Mitglieder der Wiener Feuerschutzpolizei übergeben. Diese üben diese Funktion aber nie aus, ein schon zuvor unter den Insassen gebildetes Komitee hat praktisch die Kontrolle übernommen.
Hinter dem Haupttor treffen die Amerikaner auf weitere hunderte Gefangene, die Emotionen sind kaum fassbar. "Niemals zuvor habe ich ein solches Gefühl verspürt wie in diesem Moment", wird Kosiek später sagen.
DÖW
Foto: Nach der Befreiung des KZ Mauthausen wird der Reichsadler als Symbol des NS-Regimes entfernt.
Die Befreiung von Mauthausen 2. (Karin Kirchmayr)
Etwa 40.000 Häftlinge befinden sich zu diesem Zeitpunkt in den Lagern in Mauthausen und Gusen. Sie sind zu Skeletten abgemagert, zum Teil nackt, von Krankheiten gezeichnet. In Mauthausen sind mehr als 500 Leichen zwischen zwei Baracken aufgestapelt, ähnliches zeigt sich auch in Gusen. Die US-Soldaten werden zu den Krematorien gebracht, ihnen wird erklärt, wie die Menschen ermordet wurden. Sie sehen, wie die Insassen in den Baracken leben mussten, erfahren, dass die Essensration für sieben Gefangene pro Woche ein Laib Brot war, und wie die Häftlinge von den Deutschen behandelt wurden.
"Ich habe Dinge gesehen, die ich nie geglaubt hätte, wenn ich sie nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte. Ich hätte nie gedacht, dass Menschen andere Menschen auf diese Weise behandeln können", schrieb Kosiek später in seinen Erinnerungen.
US Holocaust Memorial Museum
Foto: Überlebende Häftlinge zeigen den amerikanischen Truppen das Krematorium des KZ Mauthausen.
Die Befreiung von Mauthausen 3. (Karin Kirchmayr)
Schon im März 1945 war mit dem Zustrom von tausenden Menschen, die auf Todesmärschen von anderen Lagern nach Mauthausen getrieben wurden, die Lebensmittelversorgung komplett zusammengebrochen. Auch nach der Befreiung war es für die Amerikaner kaum möglich, die verbliebenen rund 40.000 Menschen sofort zu versorgen.
Die Lebensmittel, wie etwa Konserven, die zur Verfügung standen, waren nicht geeignet für die Kranken, viele litten an Durchfall, wie der Lagerschreiber Hans Maršálek in einem Interview des Stadtarchivs Linz erzählt. Tausende Häftlinge werden noch nach der Befreiung sterben.
Der Mangel an Lebensmitteln führt dazu, dass die befreiten KZ-Häftlinge in den Bauernhöfen der Umgebung nach Lebensmitteln suchen, und sich auf den Weg nach Linz machen. Es kommt zu Konflikten mit den Bauern, die dem Auftrag der Amerikaner, Milch, Reis oder Grieß abzugeben, nicht nachkommen wollen.
Im Lager versucht die US-Armee, die katastrophale Situation in den Griff zu bekommen und Plünderungen sowie Lynchjustiz an Kapos zu verhindern.
Die bei der Befreiung vorgefundenen Toten sowie jene Insassen, die noch nach der Befreiung sterben, werden auf einem neu angelegten Friedhof auf dem Gelände des SS-Sportplatzes bestattet. Dafür und für die Aufräumarbeiten werden die lokale Bevölkerung, NSDAP-Funktionäre und gefangene SS-Angehörige herangezogen.
Archiv der Stadt Linz
Das System Mauthausen (Karin Kirchmayr)
Die Konzentrationslager Mauthausen sowie Gusen I, II und III waren die vorletzten, die befreit wurden. Das KZ Stutthof bei Danzig wurde vier Tage später von der sowjetischen Armee befreit. Hier findet sich eine Chronologie der Befreiung der Konzentrationslager.

Die Karte zeigt die rund 40 Außenlager des KZ Mauthausen, die drei größten, Gusen, Ebensee und Melk, sind schwarz markiert. Insgesamt waren zwischen 1938 und 1945 rund 200.000 Menschen inhaftiert, mindestens 90.000 überlebten nicht. Vermutlich wurde je ein Drittel in Mauthausen, in Gusen und in den restlichen Außenlagern ermordet.
Erinnerungen eines Kapos (Karin Kirchmayr)
Der Pole Stefan Krukowski überlebte fünf Jahre im Konzentrationslager Mauthausen. Er war als Zwangsarbeiter im Steinbruch mehrmals nur knapp der Ermordung entkommen und später aufgrund seiner hervorragenden Deutschkenntnisse zum Funktionshäftling in der SS-Kleiderkammer aufgestiegen. In seinen Erinnerungen dokumentiert er die Verbrechen, und wie die SS zu Kriegsende versuchte, die Spuren zu verwischen.
Kollege Thomas Neuhold hat Krukowskis 2024 unter dem Titel "Ich war Kapo" erschienenes Buch gelesen. Hier der Artikel über dieses außergewöhnliche Zeitdokument.
Häftlingsarmband Nummer 701 (Karin Kirchmayr)
Britta Lamberg war 15 Jahre alt, als sie 1942 mit ihren Eltern von Wien nach Theresienstadt deportiert wurde. Zwei Jahre später wurde die jüdische Familie getrennt voneinander in das KZ Auschwitz gebracht, wo die Eltern vermutlich kurz nach der Ankunft ermordet wurden.
Kurze Zeit später wird Britta Lamberg im November 1944 in das erst wenige Tage zuvor eingerichtete Lager Lenzing, ein Außenlager des KZ Mauthausen, überstellt. Dort bekommt sie ein Armband mit der Häftlingsnummer 701.
In dem Lager waren etwa 600 weibliche KZ-Häftlinge untergebracht, mehrheitlich aus dem KZ Auschwitz. Die Frauen mussten Zwangsarbeit in der Zellwollefabrik Lenzing leisten, ohne ausreichende Ernährung und ohne Schutz vor giftigen Chemikalien. Am 5. Mai 1945 wurde das Lager Lenzing befreit.
Nach Kriegsende ging Lamberg in die damalige Tschechoslowakei und später nach England, wo sie 2020 starb. Bereits 1997 hatte sie dem Jüdischen Museum in Wien das Armband sowie Dokumente und Fotos geschenkt.
Jüdisches Museum Wien
Das Häftlingsarmband ist derzeit im Schaufenster des Jüdischen Museums in Wien zu sehen. Es ist Teil des Projekts "Liberation, Objects!" , das von der KZ-Gedenkstätte Mauthausen initiiert wurde, um an möglichst vielen öffentlichen Orten in ganz Österreich eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Lagers Mauthausen und seinen Außenlagern anzuregen.
Die Angst der KZ-Gefangenen, im Steinbruch vergessen zu werden (Marlene Erhart)
Sechs Tage vor der Befreiung des KZ kommt Helga Weissová-Hošková mit einem Transport aus Freiberg, ein Außenlager des KZ Flossenbürg, im Stammlager Mauthausen an.
Die SS steckt die 16-Jährige mit anderen in die kürzlich erbauten Baracken im Steinbruch „Wiener Graben“ unterhalb des Hauptlagers, so auch Eva Selucká. Beide haben bereits das KZ Auschwitz und Flossenbürg überstanden und erleben hier die Befreiung.
Über dem Hauptlager sehen sie eine weiße Fahne wehen. Während sich Insassen vor Freude in die Arme fallen, ist Selucká nicht mehr in der Lage, Emotionen zu empfinden:
„Also man konnte auf den Turm hinauf sehen aus dem Wiener Graben und tatsächlich wehte dort die Fahne, sodass ich mir gesagt habe: ‚Na, es ist also vorbei‘ und ich weiß, dass mir wirklich bewusst war, dass ich nichts fühle und dass ich unfähig bin irgendetwas zu fühlen (…)“, erzählt sie.
Unter den im Steinbruch untergebrachten Menschen herrscht auch Angst, dort vergessen zu werden. Etliche haben nicht mehr genügend Kraft, um in Richtung des Hauptlagers zu gehen. „Und jetzt waren wir dort völlig vergessen, denn das war schon irgendwie außerhalb des Lagers“, sagt Weissová-Hošková. Es ist bereits dunkel, als amerikanische Soldaten in den Steinbruch kommen.
Bundesarchiv/CC-BY-SA 3.0
Foto: Aufnahme des Steinbruchs Wiener Graben 1942/43
Soldaten der US-Armee und Wehrmacht kämpfen auf Schloss Itter in Tirol gemeinsam gegen SS (Marlene Erhart)
Als Außenstelle des KZ Dachau beherbergt Schloss Itter prominente „Sonder- und Ehrenhäftlinge“, darunter Frankreichs ehemaliger Präsident Albert Lebrun, die einstigen französischen Premiers Édouard Daladier und Paul Reynaud, sowie Tennisstar Jean Borotra.
Seit dem kürzlichen Abzug der SS-Wachmannschaft sind die Häftlinge de facto frei, doch ziehen Trupps der Waffen-SS mordend durch die Gegend. Ein Bote wird mit einem Hilfsgesuch nach Wörgl geschickt, wo er auf den inzwischen mit dem Widerstandskämpfer Alois Mayr verbundenen Wehrmacht-Major Josef Gangl trifft, der mit Hauptmann John Lee der 12. US-Panzerdivision Kapitulationsverhandlungen eingeleitet hat.
Gangl und Lee folgen dem Hilferuf und beziehen mit einem kleinen Trupp von US- und Wehrmachtssoldaten und einige einheimischen Partisanen im Schloss Stellung. Am 5. Mai greifen als 100 Männer der Waffen-SS mit Maschinengewehren, Flug- und Panzerabwehrkanonen an. Um vier Uhr kommt die gerufene US-Verstärkung an und besiegt die Belagerer.
Gangl ist das einzige Todesopfer dieses Gefechts, das – neben der zur Rettung von Lipizzanern durchgeführten Operation Cowboy – die einzig bekannte Schlacht des Krieges ist, die US-Armee und Wehrmacht gemeinsam gegen die SS fechten.
1746456262668.png Imago/Arkivi


6. Mai 1945
Franzosen tauchen unerwartet hinter dem Arlberg auf (Martin Stepanek)
Der kopflose Rückzug der verbleibenden SS-Truppen in Vorarlberg endet am 6. Mai 1945 am Arlberg. Diese hatten von Anfang an das Ziel, nach Tirol und in US-Gefangenschaft gelangen. Sie fürchten, die Franzosen werden sich nach dem im eigenen Land erlittenen Unheil rächen. Als die französischen Truppen beim Nadelöhr, dem Eisenbahntunnel, ankommen, bietet sich ein absurdes Bild: verlassene Autos, Transportwägen und Panzer säumen den Weg (Foto).
Der Tunnel wird bis zum Schluss verteidigt. Der auf Seiten der Franzosen kämpfende Wiener Jude Herbert Traube erinnert sich: „Warum diese Leute, viele davon jung, gedacht haben, sie müssen bis zum Letzten kämpfen, ist uns nicht eingegangen. Einige von uns haben geschrien: ‚Hört auf, der Krieg ist bald aus!‘ Aber viele waren so fanatisiert, sie haben sich lieber erschießen lassen, als gefangengenommen zu werden.“ Von Tiroler Seite aus wird schließlich noch ein Waggon im Tunnel gesprengt, um den Durchgang zu blockieren.
Als die französischen Truppen am Nachmittag endlich durch den Tunnel nach St. Anton vordringen können, staunen auch sie nicht schlecht. Denn die französische Armee ist schon da. Eine französische Gebirgseinheit war mithilfe von Kleinwalsertalern über den Tannberg nach St. Anton gelotst worden.
Mit dem Zusammentreffen der französischen und später der amerikanischen Truppen hinter dem Arlberg endet die Odyssee im äußersten Westen Österreichs nach ziemlich genau einer Woche.
)
Stadtarchiv Bregenz (ECPAD)
6. Mai: Kapitulation in Tirol und Vorarlberg (Martin Stepanek)
Nachdem die 19. Armee der Wehrmacht bereits am Vortag in Innsbruck bedingungslos kapituliert und deren Oberbefehlshaber Erich Brandenberger die von der US-Militärregierung vorgelegte Erklärung unterzeichnet hat, tritt diese am Mittag des 6. Mai in Kraft. Noch am 5. Mai war es im Bezirk Imst bis zur Kapitulation zu Kämpfen gekommen, auch weil ein lokaler Wehrmachtsbefehlshaber trotz Drängen der Zivilbevölkerung auf das Weiterkämpfen beharrte.
Mit der offiziell in Kraft getretenen Kapitulation ist der Krieg nun auch in Tirol zu Ende. Denn die unterzeichnete Erklärung gilt auch für alle Wehrmachtseinheiten östlich von Tirol. Die US-Armee dokumentiert das Ende des Krieges mit zahlreichen Fotografien. Bei Prutz im Bezirk Landeck geben die Wehrmachtssoldaten ihre Waffen ab. „They seem happy that it is all over“, notieren die US-Amerikaner unter dem entsprechenden Schnappschuss. Die Kriegsgefangenen müssen sich aus Lebensmittelbeständen der Wehrmacht selbst versorgen. Laut US-Armee sind es im Tiroler Oberland 20.000 Menschen, die sofort zu Straßen- und Feldarbeiten herangezogen werden.
Und was wurde eigentlich aus dem General, der durch seine eigennützigen Verteidigungsbefehle Vorarlberg in diesen letzten Kriegstagen noch Zerstörung und Leid brachte? Hans Schmidt hat es in Landeck in US-Gefangenschaft geschafft. Er stirbt drei Jahre nach Kriegsende in Stuttgart.
Kärntner Partisanen schließen sich mit Titos Armee zusammen (Karin Kirchmayr)
Am 6. Mai stehen sowohl Titos Armee als auch die Briten vor der Landesgrenze zu Kärnten. Tito sieht seine Chance, die schon lange gehegten Gebietsansprüche auf Kärnten zu verwirklichen – am 2. Mai hat er den Vorstoß der jugoslawischen Truppen nach Klagenfurt befohlen. Der Vormarsch der jugoslawischen Armee nach Kärnten gestaltet sich allerdings schwierig, Angehörige der deutschen Wehrmacht, der Waffen-SS, kroatische Ustaša, Kosaken und slowenische Heimwehr verwickeln sie auf ihrem Rückzug Richtung Kärnten in schwere Gefechte. Währenddessen rücken die Briten von Italien her vor, was durch die Kapitulation der deutschen Heeresgruppe C am 2. Mai deutlich erleichtert wird.
Die Kärntner Partisaninnen und Partisanen, die bis dahin unabhängig von Titos Volksarmee agiert haben, schließen sich am 6. Mai mit den jugoslawischen Partisanen zusammen. Dem von Kärntner Slowenen angeführten Widerstand gelingt es in den folgenden Tagen, einige Orte in Südkärnten zu befreien und fast zeitgleich mit den Briten in Klagenfurt einzumarschieren.
Dort fordert am 6. Mai eine provisorische Landesregierung Gauleiter Friedrich Rainer zum Rücktritt auf. Er wird einen Tag später abdanken und sich in ein Versteck in Oberkärnten absetzen. Er wird am 31. Mai 1945 von den Briten verhaftet, 1947 an Jugoslawien ausgeliefert und zum Tod verurteilt.
DÖW
Foto: Befreiung Südkärntens durch die Partisanen, Mai 1945.
In Hermagor werden "Deserteure" erschossen (Karin Kirchmayr)
Kurz vor Kriegsende wollen drei Wehrmachtssoldaten (in anderen Aufzeichnungen sind es vier) angesichts des bevorstehenden Untergangs des Dritten Reichs über die Grenze nach Italien flüchten. In Möderndorf werden sie aufgegriffen und ins Gefängnis in Hermagor gebracht, Nahrung bekommen sie nicht.
Am 6. Mai, zwei Tage vor Kriegsende und nur Stunden vor dem Einmarsch der Briten in Kärnten, werden sie von der SS durch die Stadt getrieben und an der Südseite der Mauer des Friedhofs von Hermagor erschossen
US-Truppen nähern sich der Roten Armee an (Karin Kirchmayr)
Nördlic h der Donau gestaltet sich der Vormarsch der US-Truppen schwieriger als südlich davon. Entlang der Linie Grein - Königswiesen leistet die 3. SS-Panzerdivision hartnäckigen Widerstand, wie das Magazin "Truppendienst" rekonstruiert hat.
Am 6. Mai ist Königswiesen im Mühlviertel voller Soldaten. Viele Bewohner versuchen, sich in den Gehöften der Umgebung oder in den Wäldern zu verstecken, außerhalb des Ortes spielen sich heftige Gefechte ab.
Südlich der Donau treffen die amerikanischen Truppen am 6. Mai friedlich in Waidhofen/Ybbs in Niederösterreich ein. Den Auftrag, mit den Sowjets Verbindung aufzunehmen, können sie zwar nicht erfüllen. Dafür führen sie eine andere wichtige Mission aus und leiten Verhandlungen zwischen US-Vertretern und dem Kommandanten der Heeresgruppe Ostmark, Lothar Rendulic, über die Kapitulation seiner Heeresgruppe ein.
Am selben Tag befiehlt Rendulic, dass am 7. Mai ab 9 Uhr die Kämpfe gegen die US-Armee einzustellen sind – unberechenbar blieb allerdings, inwieweit sich Mitglieder der Waffen-SS daran halten würden.
Bundesheer/Redaktion Truppendienst
Die Karte zeigt die Vorstöße der Sowjets und der US-Armee in den letzten Kriegswochen und -tagen.
Erstes großes Fußballspiel in Wien nach Kriegsende (Klaus Taschwer)
An diesem Sonntag vor 80 Jahren gibt es das erste große Fußballspiel nach Kriegsende in Wien: Der Wiener Sportklub trifft auf die Vienna, die Dornbacher verlieren gegen die Döblinger 2:3. Das war, wie es im Spielbericht der Zeitung „Neues Österreich“ zwei Tage später heißt, weitaus knapper, „als man mit Rücksicht auf die schweren Spielerverluste des Sportklubs angenommen hatte“.
Auf einem Nebenschauplatz – dem Rapid-Platz – gibt es am 6. Mai „ein recht nettes Lehrspiel“ zwischen einer kombinierten Elf von Rapid gegen eine Russenmannschaft, die aus in Wien stationierten Soldaten zusammengesetzt ist. Dieses Match endete 9:5. Der Kurzkommentar des Sportreporters des "Neuen Österreich" lautet: "Die Rapidler strengten sich nicht sehr an und gaben den im Naturstil spielenden Russen Gelegenheit zur Entfaltung ihrer nicht unerheblichen Anlagen."
Partisanen und Nazi-Größen stoßen im Salzkammergut aufeinander (Karin Kirchmayr)
Seit dem Frühjahr 1944 versteckt sich eine Gruppe von Widerstandskämpfern im "Igel" in den Bergen oberhalb von Altaussee. Die Gruppe Willy-Fred besteht aus Kommunisten, Deserteuren und KZ-Flüchtlingen, die Vorbereitungen für ein freies Österreich treffen und auch in Verbindung mit jenen Salinenarbeitern stehen, die wenige Tage zuvor eine Sprengung des Salzbergwerks Altaussee, in dem Nazi-Raubkunst lagert, verhindert haben.
Am 5. und 6. Mai rücken die Partisanen in Bad Ischl und Bad Aussee ein. Noch vor dem Eintreffen der US-Truppen verhaften sie führende NS-Funktionäre und sorgen dafür, dass geflohene KZ-Wächter und hochrangige Nazis, die im Salzkammergut Zuflucht gesucht haben, nicht entkommen.
Am 6. Mai entschließt sich Ernst Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitsamtes, der sich schon seit Ende April immer wieder in Altaussee aufhält, unterzutauchen. Er versteckt sich mit falschen Papieren auf der Wildenseehütte im Toten Gebirge, unweit des "Igels". Wenig später wird er verraten, an der Verhaftung Kaltenbrunners am 12. Mai sind auch Widerstandskämpfer beteiligt. 1946 wird Kaltenbrunner in Nürnberg zum Tode verurteilt.
Auch Adolf Eichmann, Organisator des Holocaust, flüchtet Anfang Mai ins Salzkammergut und verschanzt sich bei der Blaa-Alm. Ihm gelingt es, sich nach Bad Ischl und später nach Argentinien abzusetzen. Erst 1960 wird er vom Mossad entdeckt und 1962 hingerichtet.
Zeitgeschichte Museum Ebensee
Foto: Mitglieder der Gruppe Willy-Fred
KZ Ebensee wird als eines der letzten NS-Außenlager befreit 1.
(Marlene Erhart)
Allein im April 1945 sterben im KZ Ebensee mehr als 3.000 Menschen. In dem Außenlager des KZ Mauthausen müssen die Gefangenen unter widrigen Bedingungen Stollen in den Berg treiben, zugleich ist die Versorgung mit Nahrung völlig unzureichend. „Die Häftlinge starben wie Ratten, man war wahnsinnig vor Hunger“, erzählt der Insasse Nico Wijnen.
Das Lager operiert unter dem Decknamen „Zement“. Es sollen unterirdische Anlagen für die Waffenproduktion und Treibstofferzeugung entstehen. Der Stollenbau basiert auf einem Gutachten von Ladislaus von Rabcewicz – auch dadurch wurde die „New Austrian Tunnelling Method“ vorangetrieben.
Täglich schuften die Häftlinge acht bis elf Stunden ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen, nicht aber am 4. Mai: Beim Morgenappell weist Lagerkommandant Anton Ganz alle Inhaftierten an, sich zum Schutz vor den nahenden US-Truppen in die Stollen zu begeben.
Durch Mitglieder der Wachmannschaft haben die Inhaftierten vom tatsächlichen Vorhaben des SS-Hauptsturmführers erfahren: Einmal in den Stollen, will er die Gefangenen durch eine Sprengung töten. Kollektiv verweigern die KZ-Insassen, dem Befehl Folge zu leisten.
J Malan Heslop/gemeinfrei
KZ Ebensee wird als eines der letzten NS-Außenlager befreit 2. (Marlene Erhart)
Am 6. Mai stößt der Kompaniezug von Leutnant Ross R. Courtright auf jenes KZ, das die US-Armee in der Gegend um Ebensee vermutet. Von innen öffnet sich das Lagertor, die Jeeps rollen voran, doch kommen nicht weit: Hunderte jubelnde Häftlinge blockieren den Weg. Sie umarmen und küssen die Ankommenden, heben sie hoch, ein Mann bittet sogar um seine Unterschrift, erzählt Soldat William Gibson.
Am Vortag ist die SS aus dem KZ verschwunden, seither fertigen die Inhaftierten Fahnen an, schmücken das Lager, tausende warten am Appellplatz auf ihre Befreier, berichtet der Gefangene Max R. Garcia. Niemand kommt, Enttäuschung macht sich breit, doch am nächsten Tag – an dem es auch zu Lynchjustiz an Kapos kommt – drängen sich schließlich wieder alle, die vom Hunger nicht zu geschwächt sind, am Appellplatz und am Zaun.
Bald trifft ein weiterer US-Trupp im KZ ein, es werden Nahrung und medizinische Versorgung für die rund 15.000 Gefangenen organisiert. Das rettet vielen Insassen das Leben, hunderte sterben dennoch in den folgenden Wochen. Das KZ Ebensee zählt zu den letzten befreiten nationalsozialistischen Außenlagern.
Jahrzehnte nach der Befreiung, im Jahr 1992, übergibt der ehemalige Gefangene Louis Sevens dem Archiv der KZ-Gedenkstätte Ebensee einen Zettel. Er ist mit 6. Mai 1945 datiert und trägt zwei Unterschriften, eine stammt von William Gibson.
J Malan Heslop/gemeinfrei
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#16
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 16:
7. - 8. Mai 1945


7. Mai 1945
Deutschland unterzeichnet in Reims die bedingungslose Kapitulation (Karin Kirchmayr)
Im Mai 1945 befindet sich die geheime Kommandozentrale der westlichen Alliierten unter General Eisenhower in einer Schule in Reims in Frankreich. Hierhin begeben sich am Abend des 6. Mai Generaloberst Alfred Jodl, sein Adjutant Wilhelm Oxenius und Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg, beauftragt von Karl Dönitz, Nachfolger Hitlers und Chef der Wehrmacht.
Ursprünglich wollten die Deutschen nur eine Teilkapitulation unterzeichnen und an der Ostfront weiter gegen die sowjetische Armee kämpfen. Doch Eisenhower besteht auf einer vollständigen Kapitulation. Nun hat auch Jodl die Vollmacht dazu.
Am 7. Mai, um 2.41 Uhr, unterzeichnen die Verhandler beider Seiten die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht – ein historisches Ereignis, das das Grauen des Zweiten Weltkrieges in Europa beendet.
Das Ende der Kampfhandlungen wird für den 8. Mai um 23.01 Uhr festgelegt. Der von Jodl ausgehandelte Aufschub soll ermöglichen, dass möglichst viele Deutsche noch die westliche Zone erreichen und damit nicht in die Hände der Roten Armee fallen.
Stalin besteht auf einer Ratifizierung in der sowjetischen Besatzungszone. Eine weitere Kapitulationserklärung wird am 9. Mai um 0.16 Uhr, also direkt nach dem offiziellen Inkrafttreten, in Berlin unterzeichnet. Da auch das Inkrafttreten nach Moskauer Zeit schon auf den 9. Mai fällt, wird in Russland und anderen postsowjetischen Staaten der "Tag des Sieges" nicht am 8., sondern am 9. Mai begangen.
imago images/KHARBINE-TAPABOR
"Der Schlüssel zur Freiheit", ein Kurzfilm von Wim Wenders (Karin Kirchmayr)
Der Regisseur Wim Wenders hat mit Unterstützung des deutschen Außenministeriums einen vierminütigen Kurzfilm gedreht, der an den Schauplatz der Kapitulationsunterzeichnung in Reims führt und die Ereignisse an diesem entscheidenden Tag in der Geschichte rekonstruiert.
AuswaertigesAmtDE
Die Briten marschieren in Kärnten ein (Karin Kirchmayr)
Am 7. Mai überqueren die ersten britischen Truppen die Landesgrenze von Kärnten. Sie werden in Kötschach-Mauthen von einer jubelnden Bevölkerung begrüßt. Auch die Partisanengruppen Titos dürften sich bereits weiter östlich im Raum des Faaker Sees befinden.
In Klagenfurt ist für Gauleiter Friedrich Rainer nun klar, dass er abdanken und an die provisorisch gebildete Landesregierung unter dem Sozialisten Hans Piesch übergeben muss. Bevor er sich in ein Versteck in Oberkärnten absetzt, verkündet er am Abend des 7. Mai im Kärntner Rundfunk, dass er seinen Platz räume, um jenen Kräften, "die der Auffassung unserer Feinde besser entsprechen, Gelegenheit zur Bildung einer politischen Plattform zu geben."
Piesch veranlasst die Aushebung des Hauptquartiers der Gestapo in der Klagenfurter Burg. Einige Gestapo-Männer leisten erbitterten Widerstand, verbarrikadieren sich im Gebäude, verwunden fünf Sicherheitskräfte und flüchten schließlich mit einem Panzerwagen, wie hier zu lesen ist.
Am selben Tag müssen KZ-Häftlinge des Außenlagers Loibl Süd, die noch imstande sind zu gehen, zu Fuß westwärts marschieren. Das Nordlager war schon im April wegen anhaltender Partisanenaktionen geschlossen worden.
Kärntner Landesarchiv, Klagenfurt
Foto: Britische Soldaten werden in Kötschach-Mauthen empfangen.
Extreme Lebensmittelnot in Wien treibt Hamsterfahrten und Schleichhandel an (Marlene Erhart)
In Wien können die Menschen kaum mit Nahrung versorgt werden, von öffentlichen Stellen kann nur ein halbes Kilo Brot pro Person und Woche ausgegeben werden. Zwar lindert die Maispende der Roten Armee, die beschlagnahmte Lebensmittel an die Bevölkerung weitergibt, die größte Not. Doch stillt die auch „Erbsenspende“ genannte Hilfe nur den unmittelbarsten Hunger.
Durch die Zuweisung von 150 Gramm Fleisch, 400 Gramm Hülsenfrüchten, 50 Gramm Öl und 125 Gramm Zucker für eine Woche liegt der Brennwert einer Tagesration bei rund 350 Kalorien und damit weit unter dem physiologischen Existenzminimum, so das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung.
Wegen mangelnder Zulieferung und fehlender Transportmöglichkeiten können die Wiener Molkereien täglich maximal 5.000 Liter Milch ausliefern. Bei einer Ration von einem Viertelliter pro Kopf reicht diese Menge nicht einmal für die Säuglingsversorgung.
Viele Städterinnen und Städter begegnen der kärglichen Versorgung mit Hamsterfahrten aufs Land, bei denen Lebensmittel gegen Habseligkeiten getauscht oder erbettelt werden. Auch der Schwarzmarkt floriert, der Resselpark vor der Karlskirche und der Naschmarkt sind Zentren des Schleichhandels.
ÖNB/Otto Croy
Foto: Wochenration mit Maispende 1945
Hermann Göring wird in Altenmarkt im Pongau festgenommen (Karin Kirchmayr)
Am Abend des 7. Mai ist Hermann Göring, Organisator der "Endlösung der Judenfrage" und einst designierter Nachfolger Hitlers, unterwegs in Richtung der Burg Mauterndorf in Salzburg. Er nennt sie die "Burg seiner Jugend", sie wurde ihm von der jüdischstämmigen Familie Epenstein, die eine Art Patenfamilie für Göring war, übertragen.
Zwei Wochen zuvor hat ihn Hitler abgesetzt und wegen Hochverrats am Obersalzberg in Berchtesgaden verhaften lassen, er konnte aber dem Todesurteil entgehen und sich nach Österreich absetzen. Nun will er sich den Amerikanern stellen – in der Erwartung, dass man mit ihm über die Kapitulation verhandeln werde.
Aus Angst, dass die Sowjets bis in den Lungau vordringen könnten, entschließt er sich, weiter westlich zum Schloss Fischhorn zu fahren. Auf dem Weg dorthin, bei Altenmarkt im Pongau, trifft er auf US-Militärfahrzeuge und lässt sich festnehmen. Der Kofferraum seines Wagens ist voller Medikamente wie Paracodintabletten, die er für seine Morphinsucht benötigt.
Am nächsten Tag wird Göring in das Grand Hotel nach Kitzbühel gebracht, wo General Dahlquist vor der Kamera eines Kriegsberichterstatters angeregt mit ihm plaudert – Eisenhower ist empört und befiehlt, Göring zu inhaftieren. Auch in seiner nächsten Station in Augsburg wird er am 11. Mai noch eine Pressekonferenz geben.
Göring wird 1946 in Nürnberg verurteilt und nimmt sich in der Nacht vor seiner Hinrichtung das Leben.
USHMM
Foto: Göring am 9. Mai vor einer texanischen Fahne und mit NS-Orden.


8. Mai 1945
Vor 80 Jahren endet der Zweite Weltkrieg in Europa (Karin Kirchmayr)
Am 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr tritt die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft. Damit enden die Kampfhandlungen offiziell. Mit der Befreiung kommen die Besatzer, auch Leid und Gewalt dauern für viele Menschen noch an – aber der Zweite Weltkrieg ist vorbei, zumindest in Europa.
Unser historischer Ticker geht damit ebenfalls einem Ende zu. Heute berichten wir noch "live", morgen folgt eine letzte Runde der Rekapitulationen und des Ausblicks.
In Österreich wird der 8. Mai als Tag der Befreiung begangen. Das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) lädt ab 19.30 Uhr zum mittlerweile 13. Fest der Freude am Wiener Heldenplatz – zum Gedenken an die Opfer und in Freude über die Befreiung von der NS-Terrorherrschaft. Highlight wird eine Rede des Zeitzeugen und STANDARD-Kolumnisten Paul Lendvai sein.
ÖNB
Briten und Titos Partisanen treffen in Klagenfurt ein (Karin Kirchmayr)
Wenige Stunden vor Titos Partisanen marschieren am Vormittag des 8. Mai 1945 britische Truppen am Neuen Platz in Klagenfurt ein. Der Zeitzeuge Walter Rubenthaler, zu diesem Zeitpunkt elf Jahre, erinnert sich: „Wir haben noch Schule gehabt, aber es hat geheißen, die britischen Soldaten werden einmarschieren. Geht und empfangt sie. Alle haben wir geschrien 'Good bye'. Die Soldaten haben zornig geschaut, aber wir konnten ja kein Englisch.“
Am selben Tag landen fünf britische Soldaten mit Fallschirmen nahe dem Stalag-Kriegsgefangenenlager Wolfsberg, 366 SS-Wachmannschaften ergreifen die Flucht und die Häftlinge werden befreit.
Die KZ-Häftlinge, die tags zuvor zu Fuß vom KZ-Außenlager Loibl Süd in Marsch gesetzt wurden, werden kurz vor Feistritz von den Partisanen befreit. Die SS-Wachmänner versuchen, sich in Zivilkleidung aus dem KZ Richtung Klagenfurt abzusetzen, viele von ihnen können jedoch an der Draubrücke von Partisanen und KZ-Häftlingen identifiziert und zur Festnahme übergeben werden.
Die Rolle der Kärntner Partisaninnen und Partisanen (Karin Kirchmayr)
Die Kärntner Partisanen und Partisaninnen waren die größte militärisch organisierte Widerstandsgruppe in Österreich und im gesamten Deutschen Reich für den einzigen bewaffneten Widerstand verantwortlich. Sie trugen erheblich zum Ende der NS-Herrschaft in Österreich bei. Zu ihrem Höhepunkt 1944 kämpften mehr als 900 Männer und Frauen in den Kärntner Partisanenverbänden. Der slowenische Historiker Marjan Linasi zählte 800 Kämpfe, Aktionen und Auseinandersetzungen im zweisprachigen Kärnten der NS-Zeit.
Im Kärnten.Museum Klagenfurt wird am Abend die Ausstellung "Hinschauen! Poglejmo. Kärnten und der Nationalsozialismus. Koroška in nacionalsocializem" eröffnet. Themen sind bisher wenig beleuchtete historischen Ereignisse, wie die Beteiligung der Kärntnerinnen und Kärntner am Holocaust, Wehrmachtserinnerung versus partisanischen Widerstand, Bevölkerungsverschiebungen in der Region, Landnahme/Besetzung von Slowenien und Oberitalien sowie Wissenschaft, die dem Regime zuarbeitete.
DÖW
Foto: Partisanenabteilung in den Kärntner Bergen.
Provisorische Regierung erlässt das Verfassungsgesetz zum Verbot der NSDAP (Marlene Erhart)
Unter Vorsitz von Karl Renner wird in der Sitzung des Kabinettrats am 8. Mai 1945 das Verfassungsgesetz zum Verbot der NSDAP beschlossen, wie tags darauf in der Zeitung „Neues Österreich“ zu lesen ist. Vor dem Erlass durch die provisorische Regierung haben die sowjetischen Militärbehörden ihre Genehmigung zu dem Rechtsrahmen erteilt.
Mit dem Gesetz werden die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und all ihre Gliederungen – etwa die Wehrverbände SS und SA, der NS-Soldatenring und der NS-Offiziersring – aufgelöst. Ihre Neugründung ist verboten. Es ist jedermann untersagt, sich für die NSDAP oder ihre Ziele zu betätigen, so Artikel 1, Paragraf 3. „Wer weiterhin dieser Partei angehört oder sich für sie oder ihre Ziele betätigt, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird hierfür mit dem Tode und dem Verfalle des gesamten Vermögens bestraft“, heißt es weiter.
Alle Personen, die der Partei oder einer ihrer Gruppierungen zwischen 1. Juli 1933 und 27. April 1945 angehört haben, sind zudem registrierungspflichtig. Kommt es auf Basis der Rechtsgrundlage zu Verfahren, finden sie vor einem Volksgericht statt. Diese bestehen aus zwei Berufsrichtern und drei Laienrichtern, die von den demokratischen Parteien nominiert werden.
Anno / ÖNB
Die Welt jubelt anlässlich der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands (Marlene Erhart)
Während das britische Informationsministerium ein Kommuniqué vorbereitet, in dem der 8. und 9. Mai zu Feiertagen erklärt werden, sind die Menschen bereits singend und tanzend auf den Straßen. London und alle englischen Städte prangen in Fahnenschmuck, berichtet die „Österreichische Zeitung“.
In Massen strömt die Bevölkerung von Paris durch die Boulevards, über der Stadt kreisen Flugzeuge, die Leuchtraketen abwerfen. Durch Lautsprecher wird der Friede in Oslo verkündet, wo Freiheitskämpfer aus den Gefängnissen entlassen und von jubelnden Menschen auf den Schultern getragen werden.
In ganz Holland läuten Glocken den Sieg über Nazideutschland ein, alliierte Truppen werden mit Flieder und Tulpen überhäuft. Ein triumphaler Empfang erwartet einrückende Truppen auch in Dänemark, in Genf und anderen Schweizer Städten erklingen ebenfalls Hochrufe auf die Alliierten.
Die Stimmung ist auch in New York ausgelassen: Tausende ziehen durch die Straßen, Konfetti und Papierschnipsel flattern von Häusern, ähnliche Freudenszenen spielen sich in Washington ab. „Wir können wieder frei atmen“, sagt Schwedens Ministerpräsident Per Albin Hansson in einer Ansprache. Noch seien Leid und Sorge nicht von Europa gewichen, „aber nach sechs Jahren ist die Vernichtung von Menschenleben und Kulturwerken endgültig vorüber“.
GRANGER Historical Picture Archive
Foto: Tausende Menschen haben sich am Trafalgar Square in London versammelt.
Graz wird als letzte Landeshauptstadt Österreichs befreit (werden) 1. (Klaus Taschwer)
Graz gilt 1938 als die „Stadt der Volkserhebung“, also die erste Stadt in Österreich, wo schon vor dem 13. März die Nationalsozialisten das Sagen übernommen haben. Sieben Jahre später ist Graz noch nach Klagenfurt die letzte Landeshauptstadt, die befreit werden wird – und zwar in der Nacht auf den 9. Mai.
In beiden Fällen – also sowohl am voreiligen Beginn der NS-Herrschaft wie auch an ihrem letzten Tag, dem 8. Mai 1945 – hat der Chemiker, Universitätsprofessor und Gauhauptmann Armin Dadieu das Sagen. Für die Zeit dazwischen führt der deutlich radikalere Nationalsozialist Sigfried Uiberreither die Steiermark „mit eisener Hand“, wie Zeithistoriker Stefan Karner in seiner neuen, lesenswerten Uiberreither-Biografie schreibt und im STANDARD-Podcast „Rätsel der Wissenschaft“ hörenswert ausführt. Doch am 8. Mai in der Früh sieht auch der fanatische Gauleiter keine Hoffnung mehr und übergibt an seinen Gauhauptmann, der für die Übergabe der Stadt zuständig sein sollte.
Wie lange und hartnäckig sich die Nazis in der Steiermark bis zuletzt wehren, zeigt sich auch daran, dass einige von ihnen noch am 8. Mai um 15 Uhr den Kirchturm in Feldbach sprengen, weil dort zuvor die Glocken zum Kriegsende geläutet haben.
Graz wird als letzte Landeshauptstadt befreit (werden) 2. (Klaus Taschwer)
Gegen 18 Uhr wird in Graz am 8. Mai die erste provisorische Landesregierung gebildet. Und noch vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Graz vermeldet Gauhauptmann Armin Dadieu am Abend über das Radio die vollzogene Machtübergabe. Nach dem folgenden nächtlichen Einmarsch der Roten Armee in Graz beendete der sowjetische Stadtkommandant Chabarov die provisorische Regierung mit einem einzigen Wort in etwas gebrochenem Deutsch: „Aufgelöst!“
Gauleiter Uiberreither hat sich derweil in Richtung Obersteiermark davongemacht. Das weitere Schicksal von ihm und seinem gemäßigteren Stellvertreter weist einige Ähnlichkeiten auf: Vor allem entgehen beide einem ordentlichen Verfahren, obwohl sie beide als Kriegsverbrecher gesucht werden.
Dadieu kann über die Rattenlinie nach Argentinien flüchten, arbeitet dort als Raketenexperte für Perón, ehe er diese Tätigkeit in Stuttgart ab 1958 fortsetzt. Uiberreiter kann 1947 aus alliierter Haft fliehen, untertauchen und täuscht eine Flucht nach Argentinien nur vor. Er lebt bis zu seinem Tod 1984 mit seiner Familie unter falscher Identität in Sindelfingen. Noch im 21. Jahrhundert erscheinen Texte, in denen steht, dass Uiberreither unter dem Tarnnamen Armin Dadieux in Argentinien gelebt habe.
Fürböck / Privatbestand Stefan Karner
Am Foto von links nach rechts: Dadieu, Uiberreither und Reichspostminister Ohnesorge.
Graz wird als letzte Landeshauptstadt befreit (werden) 3. (Klaus Taschwer)
Der sowjetische Stadtkommandant Chabarov wird in Graz – ähnlich wie bereits in Wien geschehen – am 9. Mai eine Regierung aus ÖVP, SPÖ und KPÖ einsetzen. Die Steiermark wird danach fünffach besetzt.
Der Großteil inklusive Graz von sowjetischen Truppen, andere Landesteilen von US-Amerikanern, Briten, Bulgaren und Tito-Partisanen. Nach dem alliierten Zonenabkommen vom 24. Juli 1945 übernehmen die Briten das ganze Land als Besatzer (zunächst noch ohne das Ausseerland).
Steiermarks 75 Tage unter sowjetischer Besatzung hat Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung und Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Uni Graz, ein neues Buch gewidmet: „Roter Stern über Graz“, das Anfang April erschien und auch schon präsentiert wurde.
Zwei Generäle stoßen in Erlauf auf den Sieg an (Karin Kirchmayr)
In der Nacht von 8. auf 9. Mai findet in Erlauf im Mostviertel ein denkwürdiges Treffen statt. In Erlauf ist der sowjetische Generalmajor Dmitri Dritschkin stationiert. Er lässt US-Generalmajor Stanley Reinhart extra aus Linz abholen, um gemeinsam mit ihm auf den Sieg anzustoßen sich die Hände zu schütteln – nicht ganz so ikonisch wie am "Elbe Day" in Deutschland, aber dafür pünktlich zum Inkrafttreten der Kapitulation um 23.01 Uhr.
Das Treffen geriet in Vergessenheit, bis 20 Jahre später der jüdische Emigrant Ernst Brod in einer Bibliothek in Kalifornien auf eine Broschüre stößt, die an die Begebenheit erinnert. Der Zufallsfund legt den Grundstein für Denkmäler und das Museum Erlauf erinnert, das 2015 eröffnet wurde und sich auch mit der NS-Zeit und der Besatzungszeit in der Region beschäftigt. Letztere war besonders in den ersten Wochen von Vergewaltigungen und Exzessen geprägt.
Das Treffen in Erlauf war allerdings nicht das erste Mal, dass Amerikaner und Sowjets aufeinandertrafen, wie das Magazin "Truppendienst" rekonstruiert hat: Schon vorher bekämpften sich Soldaten beider Mächte irrtümliches in Aggsbach Markt. In Amstetten gab es erste Verbindungen, in Strengberg kam es zu einem friedlichen Zusammentreffen von Soldaten. Erst am 9. Mai fand an der symbolträchtigen Brücke von Enns, der Demarkationslinie während der Besatzungszeit, ein erstes offizielles und medienwirksam inszeniertes Treffen statt.
Erlauf erinnert
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#17
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 17:
Mai 1945 - Resümee

Artefakt eines Überlebenden (Julia Sica)
Mit der Befreiung des KZs Mauthausen kommt auch Hans Maršálek frei, den die Nationalsozialisten 1941 mit 27 Jahren als politischen Gefangenen inhaftiert hatten. Ihm widmet das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes das Objekt des Monats Mai: In seinem Notizbuch fertigte Maršálek Zeichnungen von Funktionshäftlingen bzw. Kapos an. Diese Privilegierten nutzten ihre Stellung teils, um an seltene Ware wie Alkohol zu kommen; manche waren „tief in die Verbrechen der SS verstrickt“, heißt es im Beitrag. „Hans Maršáleks Zeichnungen können als künstlerische Selbstbehauptung und Gegenerzählung in der sogenannten Häftlingsgesellschaft gegen den SS-Terror angesehen werden. Sie gehören zu den stärksten Zeugnissen satirischer Kunst aus den Konzentrationslagern.“
Maršálek, geboren in Wien-Hernals, war Sozialist und engagierte sich im Widerstand gegen den Austrofaschismus. Um 1938 der Einberufung in die Wehrmacht zu entgehen, floh er nach Prag, half anderen Flüchtenden und wirkte bei Sabotageakten mit, bis er verhaftet wurde.
Im KZ arbeitete er im Steinbruch und als Holzfäller, schaffte es in die Position des Lagerschreibers und nutzte seine Vorteile, um Mitgefangene zu unterstützen. Ab 1945 betrieb er als Kriminalpolizist auch Nachforschungen zu NS-Funktionären und Kriegsverbrechern, baute die Gedenkstätte Mauthausen auf und war ab 1976 deren Leiter. Er starb 2011 mit 97 Jahren.


Überblick über den Einmarsch der Alliierten in Österreich (Karin Kirchmayr)
Hier noch einmal ein Überblick über den Ablauf der Befreiung und Besetzung Österreichs seit dem 29. März 1945.
Eine Sonderrolle neben den vier alliierten Besatzungsmächten nehmen dabei die Truppen der jugoslawischen Armee Titos ein. Sie besetzten im Mai den Süden Kärntens und Teile der Südsteiermark. Erst nach der Androhung von militärischen Operationen durch die Briten zog Stalin die Partisanen ab 21. Mai aus Kärnten zurück.
In dieser Phase ereignete sich eine Reihe von jugoslawischen Nachkriegsverbrechen, ausgehend vom "Massaker von Bleiburg" Mitte Mai. Gefangengenommene kroatische Ustaša-Kollaborateure, serbische Tschetniks, slowenische Heimwehr-Angehörige und Mitglieder der Wehrmacht und der SS wurden auf dem Transport in jugoslawische Kriegsgefangenenlager systematisch ermordet.


Bilanz des österreichischen Widerstands 1. (Karin Kirchmayr)
Die Rolle des Widerstands und die Verdienste der Männer und Frauen, die sich gegen das NS-Regime stellten, wurden nach dem Krieg schnell unter den Teppich gekehrt. Das lag auch daran, dass sie zu einem Großteil aus dem kommunistischen Lager kamen.
"Kommunistinnen und Kommunisten leisteten den entschiedensten und zahlenmäßig opferreichsten Widerstand. Sie betonten ihre österreichisch-patriotische Ausrichtung und traten (...) für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs ein. Durch den Zustrom ehemaliger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wurden sie zur zahlenmäßig stärksten Kraft im Widerstand", heißt es im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW).
Das NS-Regime verfolgte Personen, die sich kommunistischen Widerstandsgruppen anschlossen, von Anfang an mit großer Brutalität. Das zeigt auch die Zuordnung der von NS-Gerichten angeklagten politischen Gegnerinnen und Gegnern des Regimes: Aus der Kommunistischen Partei kamen mehr als aus allen anderen Gruppierungen zusammen.
Der hohe Anteil der Arbeiterschaft zeigt sich auch daran, dass unter den Bundesländern Wien und die Steiermark den höchsten Anteil der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer stellten.

Bilanz des österreichischen Widerstands 2. (Klaus Taschwer)
In den 2000er-Jahren widmete sich eine neue Generation von Historikerinnen und Historikern der Widerstandsforschung. Besonders die Geschichten der Frauen wurden erst in den letzten Jahren aufgearbeitet. Viele Personen und einzelne Ereignisse sind noch immer unterbelichtet.
Sozialer Hintergrund war bei vielen Arbeiterschaft oder Adel, es gab Priester und nicht wenige Soldaten – nur Kleinbürger waren kaum vertreten. Diese Personen leisteten auf verschiedenste Arten Widerstand, verbreiteten Flugblätter, sammelten Spenden für die Familien Verfolgter und Inhaftierter, halfen Deserteuren, führten Sabotageakte durch und gaben Informationen an die Alliierten weiter. Partisanen leisteten bewaffneten Widerstand.
Insgesamt werden bis zum Kriegsende fast 3.000 Österreicherinnen und Österreicher wegen ihres Widerstands hingerichtet, viele davon in den letzten Wochen des Regimes. 32.000 politische Gegnerinnen und Gegner des Regimes starben in Konzentrationslagern und Gefängnissen. Diese 35.000 Personen, die ihr Leben für den Kampf gegen den Nationalsozialismus opferten, machten 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. (Zum Vergleich: Rund 10 Prozent waren NSDAP-Mitglieder.)
Damit könne man die Österreicher und Österreicherinnen nicht mit der "Gloriole eines kollektiven Widerstandes" versehen, resümierte Erika Weinzierl, die Pionierin der Zeitgeschichteforschung. Die große Mehrheit ließ sich vom Terror des NS-Regimes einschüchtern, verharrte in politischer Abstinenz oder Gleichgültigkeit.

Österreich wird in Besatzungszonen aufgeteilt (Karin Kirchmayr)
Das Staatsgebiet Österreichs wird in den Grenzen, wie sie bis zum "Anschluss" an das Deutsche Reich 1938 bestanden hatten, wiederhergestellt und im Juli 1945 von den Alliierten in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Der ungefähre Grenzverlauf der Zonen war bereits in der Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 beschlossen worden. Kleine Änderungen und Verschiebungen waren nötig durch das Hinzukommen Frankreichs als Besatzungsmacht. Die Besatzungszeit endet mit dem Abschluss des Staatsvertrags 1955.

Wiens Besatzungszonen
Auch Wien wird in vier Besatzungszonen aufgeteilt, nur die Innere Stadt wird gemeinsam verwaltet.
1746803557550.png

Traurige Bilanz der Opferzahlen des Zweiten Weltkriegs (Tanja Traxler)
Als der Zweite Weltkrieg am 2. September 1945 zu Ende geht, sind binnen weniger Jahre etwa drei Prozent der Weltbevölkerung getötet worden. Exakte Zahlen gibt es nicht, Schätzungen gehen von bis zu 85 Millionen Todesopfern weltweit aus. Darunter sind Soldaten, zivile Opfer der Kampfhandlungen und Opfer von Massenverbrechen, Verfolgung und Genozid.
Die meisten Toten hat die Sowjetunion zu beklagen, rund 27 Millionen sowjetische Soldaten und Zivilisten erleben das Ende des Krieges nicht.
Am stärksten von Massenverbrechen betroffen waren Jüdinnen und Juden. Insgesamt wurden rund sechs Millionen Menschen in der Shoah ermordet, darunter auch mehr als 66.000 österreichische Jüdinnen und Juden. Die Nationalsozialisten ermordeten zudem Hunderttausende Roma und Sinti, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen, und politische Gegner.

Menschen ohne Heimat (Karin Kirchmayr)
Zu Kriegsende befanden sich rund 1,65 Millionen DPs (Displaced Persons) auf österreichischem Boden, das entsprach rund 27 Prozent der Bevölkerung. Als DPs wurden seit 1943 Personen bezeichnet, die als Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus ihrem Herkunftsland verschleppt worden waren, dazu kamen Kriegsgefangene.
Eine zentrale Gruppe waren Holocaustüberlebende: Alliierte Truppen befreiten rund 25.000 Jüdinnen und Juden aus dem KZ Mauthausen und seinen Außenlagern. Neben etwa 5.000 ehemaligen ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern kehrten tausende KZ-Überlebende nach Österreich zurück.
Zwischen 1945 und 1954 war Österreich Drehscheibe für mindestens 200.000 jüdische DPs, denen weiterhin Antisemitismus entgegenschlug.
Vor allem in der amerikanischen Besatzungszone entstanden zahlreiche DP-Camps, etwa im ehemaligen Rothschild-Spital in Wien, rund um Linz, in Wels, Ebensee, Bad Ischl, Bad Goisern, Bad Gastein und Salzburg, in der britischen Besatzungszone in Graz, Judenburg und Trofaiach. Die DP-Camps standen unter Kontrolle der Untergrundhilfsorganisation Bricha, die Jüdinnen und Juden zur Weiterreise nach Palästina verhalf. In den Lagern sammelten DPs auch Materialien über den Holocaust – die in Österreich vor allem der Strafverfolgung von NS-Verbrechern dienen sollten.

1746803883108.jpeg
Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust Studien (VWI)

Kleine Hilfeleistungen abseits von Rassenwahn und hasserfüllter Ideologie (Marlene Erhart)
Etliche der getickerten Ereignisse behandeln NS-Verbrechen, deren Grausamkeit die Grenzen der Vorstellungskraft übersteigen.
Die Gräuel überschatten dabei einen – wenn auch kleinen – Aspekt, der in manchen Ticker-Einträgen aufgrund der begrenzten Textlänge wegfiel: Immer wieder fanden sich zu einzelnen Ereignissen Berichte über Taten der Hilfsbereitschaft. So versorgten manche Zivilistinnen und Zivilisten verwundete US-Piloten, andere gaben KZ-Häftlingen, die auf Todesmärschen durchs Land getrieben wurden, zu essen, wieder andere versteckten verfolgte Menschen vor ihren Peinigern.
Solche Taten wurden meist mit äußerster Gewalt unterbunden. Etwa wenn Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die Essen annahmen, vor den Augen jener, die es ihnen reichten, erschossen wurden.
Viele Geschichten, die dennoch zeigen, dass es in der Bevölkerung stets Menschen gab, die nicht von Rassenwahn und hasserfüllter Ideologie gelenkt waren, haben auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit uns geteilt. Danke dafür!
Natürlich machen solche Gesten die Barbarei und den Umstand, dass Unzählige bereit waren, ein mörderisches System tatkräftig zu unterstützen, nicht wett. Dennoch haben sie – insbesondere beim Eintauchen in unfassbare Abgründe – geholfen, nicht gänzlich zu verzweifeln und den Glauben an die Menschheit zu verlieren.

Die Lücken des Wissens und auffällige Widersprüche (Marlene Erhart)
Viele der im Ticker geteilten Informationen waren sehr schwer zu finden. Manch interessanter Aspekt hat sich trotz intensiver Mühe nicht verifizieren lassen. Einige (vergriffene) Bücher liegen in Stadtbibliotheken im ganzen Land verstreut. Eine Menge an Aufarbeitung ist der aufwändigen Kleinstarbeit von Lokalhistorikerinnen und Historikern zu verdanken.
Was die Informationslage verschlechtert: Viele Dokumente wurden vernichtet, um Verbrechen zu verschleiern. Daneben gingen Dokumente im Zuge von Gefechten und Bombardements verloren oder verbrannten.
Es ist bedauerlich, dass relevantes und noch verfügbares Wissen oft kaum zugängig ist, gerade in Zeiten, in denen nicht mehr jedes Schulkind weiß, was der Holocaust ist.
Dass es darüber hinaus in der Geschichte Widersprüche in Erzählungen gibt, ist klar. Wie häufig diese sind, hat uns erst die Arbeit im Ticker vor Augen geführt. Selbst in verlässlichen Quellen weichen Angaben teils stark voneinander ab – etwa bei Zahlen zu Überlebenden, die um den Faktor zehn auseinanderklaffen. Sogar auf Mahnmalen finden sich zu ein und demselben Ereignis unterschiedliche Datumsangaben, teils verschiedene Namen von Opfern.
Es ist nicht neu, dass Österreich ein Problem mit der Aufarbeitung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit hat. Doch wenn solche Abweichungen existieren, ist das Problem größer als befürchtet. Wenn irgendjemand aus der Geschichte lernen soll, muss die Basis dafür eine verlässliche sein.

Sechs Wochen historischer Ticker im Wissenschaftsressort in der Redaktion von DERSTANDARD (Julia Sica)
Dieser historische Livebericht hat unser Team nun über mehr als sechs Wochen beschäftigt, auch weit über die Recherche- und Schreibzeiten hinaus. Er erinnerte uns mitunter daran, wie stark die Wirkung von zeitgenössischen Fotografien, Zeitungen, von persönlichen Tagebucheinträgen und individuellen Geschichten sein kann. In der Büroküche und am Telefon sprachen wir über bewegende Schicksale; bei Spaziergängen durch die Stadt und Fahrten übers Land stellten wir uns plötzlich die Schüsse in den Straßen vor, Versteckte hinter Fensterläden und in Kellern, Ängste und Schrecken, die die meisten von uns nie erleben mussten. Manche Bilder erinnerten mich an eine verstörende Dissonanz, die ich bei einem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erlebte: dass in solch friedlich erscheinenden Landschaften derartige Gewaltverbrechen geschahen. Neben alldem hat er uns den Stellenwert einer vielzitierten Maxime verdeutlicht: nie wieder.
29.03. - 09.05,2025
Die letzten Kriegswochen 1945 in Österreich: Ein Rückblick Tag für Tag
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben