Vor 80 Jahren begann die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft. Nachfolgend Auszüge aus der im STANDARD als Livebericht rekonstruierten Artikel über die letzten Kriegswochen
Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 1:
29. - 31. März 1945
Die Truppenbewegungen in den letzten Kriegswochen
Alliierte Einheiten nähern sich im Frühjahr 1945 von allen Seiten.
29. März 1945
Heute vor 80 Jahren begann die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft.
Wir schreiben den 29. März 1945. Glaubt man der NS-Propaganda, ist der Krieg für Deutschland noch immer nicht verloren. Auszusprechen, dass die Rote Armee schon in Ungarn kurz vor der Reichsgrenze zum Burgenland steht, ist lebensgefährlich.
Die Angst in der Bevölkerung vor der Roten Armee ist enorm (Tanja Traxler)
Nirgends haben Wehrmacht, SS und ihre Helfer - darunter viele Österreicher - in den vergangenen Jahren so viel Leid und Zerstörung angerichtet wie in der Sowjetunion. 17 Millionen tote Zivilisten und neun Millionen tote Soldaten hat der Staat bereits zu beklagen. Im Rückzug hat die Wehrmacht ganze Landstriche dem Erdboden gleichgemacht.
Kein ernsthaftes Hindernis (David Rennert)
Der Vorstoß der Roten Armee geht zügig vonstatten. Die von der NS-Propaganda zum „Südostwall“ aufgeblasene Verteidigungslinie an der Südostgrenze des Deutschen Reichs, zu deren Bau zehntausende Zwangsarbeiter – vor allem ungarische Jüdinnen und Juden – unter mörderischen Bedingungen gezwungen wurden, stellt für die vorrückenden Befreier kein wirkliches Hindernis dar.
Genau sieben Jahre und 17 Tage zuvor ist die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert und statt auf Gegenwehr auf jubelnde Massen gestoßen. Nun ist die Rote Armee auf österreichischem Boden – und trifft nicht auf Begeisterung, sondern auf Angst, Verzweiflung, Flucht und Massenverbrechen.
IMAGO/RIA Novosti
29. März 1945, 11.05 Uhr: "Wir haben die große Linie überschritten“ (David Rennert)
Der Anfang vom Ende der NS-Herrschaft in Österreich hat eine lange Vorgeschichte. An diesem Gründonnerstag wird er aber konkret: Einheiten der 6. Garde-Panzerarmee der 3. Ukrainischen Front überschreiten von Ungarn kommend bei Klostermarienberg im Burgenland die Reichsgrenze und erreichen damit erstmals heutiges österreichisches Gebiet. „Wir haben die große Linie überschritten“, lautet die sowjetische Militärmeldung.
Fanatische Durchhalteparolen (David Rennert)
Auch im Westen rücken die Aliierten zügig vor. In der Nacht auf den 23. März haben erstmals US-amerikanische Truppen den Rhein überquert. Trotz aller Aussichtslosigkeit für das nationalsozialistische Regime werden fanatische Durchhalteparolen ausgegeben.
Männer zwischen 16 und 60 müssen zum völlig sinnlosen „Abwehrkampf“ im sogenannten Volkssturm antreten. Kaum ausgebildet und nur notdürftig ausgerüstet, stehen sie den kampferprobten alliierten Truppen gegenüber – die militärische Wirkung ist äußerst gering. Viele von ihnen werden das Kriegsende nicht erleben.
ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Propaganda und Hetze (David Rennert)
Die Titel der Tageszeitungen in den „Alpen- und Donau-Reichsgauen des Großdeutschen Reichs“, wie das ehemalige Österreich seit 1942 in der NS-Sprache heißt, werden an diesem 29. März von plumper NS-Propaganda und der Lage im Westen dominiert. „Maßlose Übertreibungen der feindlichen Panzererfolge“ sieht das "Neue Wiener Tagblatt". Die "Salzburger Zeitung" ruft dazu auf, „kühles Blut zu bewahren: Eiserne Entschlossenheit notwendiger denn je“.
Der "Völkische Beobachter" hetzt in gewohnter antisemitischer Manier: „Das sowjetisch-plutokratische Bündnis repräsentiert die Gemeinschaft des Weltjudentums“.
Beschwichtigungen (David Rennert)
Noch am Vortag des sowjetischen Einmarsches im Burgenland, dem 28. März, schreibt die nationalsozialistische Kleine Wiener Kriegszeitung: „Die Deutsche Führung steht vor einer Aufgabe, die gewiß nicht leicht ist. Indes, sie hat in den letzten Jahren wiederholt Situationen meistern müssen und alles in allem auch zu meistern verstanden, die gleichfalls schwierig waren und sehr oft sogar aussichtslos schienen. Der Ansturm im Osten ist schließlich auch zum Stehen gebracht worden und hat viel von seiner Bedrohlichkeit verloren.“
Rückblick auf die Befreiung von Auschwitz (Tanja Traxler)
In den Konzentrationslagern auf österreichischem Boden verschlechtern sich die Bedingungen zusehends, vom bevorstehenden Ende der NS-Schreckensherrschaft ist für die Gefangenen noch nichts zu bemerken. Andernorts konnten die Alliierten das Grauen in einigen KZs bereits beenden. Die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee liegt an diesem 29. März 1945 genau zwei Monate und zwei Tage zurück. Mehr darüber ist hier zu lesen.
Todesmärsche Richtung Mauthausen (David Rennert)
Zeitgleich mit der Ankunft der sowjetischen Soldaten im Burgenland am 29. März 1945 ordnen die zuständigen Gauleiter die Räumung der Lager ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter an, die am „Südostwall“ arbeiten mussten. Sie sollen nicht von den Sowjets befreit werden, sondern werden nun unter unvorstellbaren Bedingungen auf Todesmärsche Richtung KZ Mauthausen geschickt.
Gewaltsame Übergriffe und mutige Hilfsaktionen (Tanja Traxler)
Rund 40.000 Menschen werden durch die Steiermark und das heutige Nieder- und Oberösterreich nach Mauthausen und weiter in das Außenlager Gunskirchen getrieben. Wer zu erschöpft ist zum Weitergehen, wird erschossen. Unterwegs kommt es zu gewaltsamen Übergriffen und Massakern an den ungarischen Jüdinnen und Juden in Ortschaften entlang des Wegs, selten auch zu heimlichen Hilfsaktionen durch mutige Ortsansässige.
30. März 1945
Standrecht in Wien (David Rennert)
An diesem Karfreitag, dem 30. 3. 1945 erfahren Wienerinnen und Wiener aus den Zeitungen, dass Reichsverteidigungskommissar Baldur von Schirach das Standrecht proklamiert hat. Damit können auch Zivilisten bei kleinsten Vergehen ohne ordentliches Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet werden.
imago/ZUMA/Keystone
Im Bild: Baldur von Schirach in Haft nach Kriegsende.
In der Verlautbarung heißt es: „Die Härte des Ringens um den Bestand des Reiches erfordert von jedem Deutschen Kampfentschlossenheit und Hingabe bis zum Aeußersten. Wer versucht, sich seinen Pflichten gegenüber der Allgemeinheit zu entziehen, insbesondere wer dies aus Feigheit oder Eigennutz tut, muß sofort mit der notwendigen Härte zur Rechenschaft gezogen werden, damit nicht aus dem Versagen eines einzelnen dem Reich Schaden erwächst.“
"Wozu eigentlich?" (Tanja Traxler)
Der österreichische Diplomat Josef Schöner wundert sich über die Ausrufung des Standrechts. „Die heutigen Zeitungen bringen die Verordnung Schirachs über die Verhängung des Standrechtes in Wien – wozu eigentlich?“, notiert er in seinem Tagebuch. „Das Regime hat doch jetzt schon die Macht, jedermann jederzeit vom Leben zum Tode zu bringen, ohne die Gerichte besonders zu bemühen. Standrecht erhöht nur die allgemeine Unruhe.“
Schöner ist 1933 in den auswärtigen Dienst eingetreten und 1939 von den Nationalsozialisten in vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Der Höhepunkt seiner diplomatischen Karriere steht aber noch bevor: Er wird an den Verhandlungen zum Österreichischen Staatsvertrag beteiligt sein und später Botschafter in Bonn und London werden. In seinem „Wiener Tagebuch 1944/45“ hält Schöner die Kriegswirklichkeit in der Donaustadt akribisch fest.
Vorstoß der Roten Armee (David Rennert)
Die Rote Armee, die am Vortag erstmals heutigen österreichischen Boden erreicht hat, kommt im Burgenland schnell voran. Während es mancherorts zu erbitterten Kämpfen mit der Wehrmacht kommt, behauptet der deutsche Wehrmachtsbericht, dass noch immer in Ungarn gekämpft wird.
Indes schickt die „Kriegsschule Wiener Neustadt“ (heute: Militärakademie) 1200 Fahnenjunker zur Verteidigung von Stellungen an der Grenze zwischen dem Burgenland und Niederösterreich. Wie der Journalist Herbert Lackner in seinem neuen Buch "1945 – Schwerer Start in eine neue Zeit" schreibt, wird eine der Gruppen vom 30-jährigen Hauptmann Rudolf Kirchschläger befehligt, dem späteren österreichischen Bundespräsidenten. Kirchschläger ist schon im Herbst 1939 zur Wehrmacht eingezogen und mehrfach verwundet worden.
Todesmärsche gehen weiter (Tanja Traxler)
Während im Burgenland gekämpft wird und Zivilisten vor den näherrückenden sowjetischen Soldaten fliehen, forcieren SS, lokale Machthaber und ihre Helfer die mörderischen Todesmärsche von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern weiter. Ungarische Jüdinnen und Juden sind die größte Opfergruppe der sogenannten Endphasenverbrechen auf österreichischem Boden: Rund 23.000 werden auf den Todesmärschen ermordet oder sterben an Hunger und Erschöpfung.
Luftangriffe auf Wien (David Rennert)
In Wien gibt es am Vormittag wieder Luftangriffe. Getroffen werden vor allem die südlichen Randgebiete der Stadt. Der schwerste Bombenangriff auf heutigem österreichischem Boden liegt zweieinhalb Wochen zurück: Am 12. März hat die US-Armee Wien mit fast 750 Bombern, begleitet von 230 Jagdflugzeugen, angegriffen. Eigentliches Ziel war die Ölraffinerie in Wien-Floridsdorf. Doch stattdessen wurde vor allem die Wiener Innenstadt getroffen. Unter anderem das Burgtheater, das Kunsthistorische Museum, das Volkstheater, die Oper und der Heinrichshof erlitten schwere Schäden. Die meisten Todesopfer liegen noch unter den Trümmern des komplett eingestürzten Philipphofs am Albertinaplatz begraben. Rund 200 Menschen starben im Luftschutzkeller des noblen Wohnhauses.
IMAGO/GRANGER Historical Picture
Sowjetische Bomber (David Rennert)
Am Vortag hat auch die Sowjetunion erstmals Angriffe geflogen – bis dahin waren nur US-amerikanische und britische Flugzeuge über dem Gebiet des heutigen Österreichs im Einsatz gewesen. Ziel war abermals das bereits schwer zerstörte Wiener Neustadt. „Nach den amerikanischen Angriffen gibt es aber nichts mehr zu zerstören. Es werden daher nicht einmal mehr Aufzeichnungen über Schäden geführt“, stellt die Militärakademie fest.
"Die Russen können uns den ganzen Tag unter Alarm halten" (Tanja Traxler)
Der Diplomat Josef Schöner vermutet, dass am 30. März auch sowjetische Bomber über Wien fliegen. In seinem „Wiener Tagebuch“ notiert er:
„Wir sitzen zumeist im Hof in der Sonne, weil es im LS-Keller saukalt ist. Im
1. Stock schreit der Lautsprecher am Fenster seine Luftlagemeldungen: Viele Einzelflugzeuge in kurzen Abständen überfliegen die Stadt. Ich sehe sie deutlich in geringer Höhe, Kondensstreifen hinter sich ziehend, anscheinend zweimotorige Schlachtflieger – alle aus dem Osten kommend und nach Süden abfliegend. Wir vermuten, daß es sich erstmals um russische Flugzeuge handelt, da ihre Taktik von der gewohnten der Amerikaner völlig abweicht – keine Verbände, alles kommt einzeln. Die Flak schießt stark, die weißen Wölkchen stehen im blauen Himmel. Hie und da werden einzelne Bomben abgeworfen, wir hören das Rauschen deutlich und laufen dann in Deckung. Aber gleich darauf kommt alles wieder hervor und geht fröstelnd in die Sonne. Wenn die Russen wollten, so könnten sie uns den ganzen Tag unter Alarm halten, indem sie alle Stunden ein paar Flugzeuge von ihren ungarischen Feldflugplätzen herüberschicken, weit ist es ja nicht mehr. Es dauert aber Gott sei Dank nicht so lang, wie ich befürchtet habe, um 12.40 h wird Vorentwarnung gegeben.“
Unbehelligter Kriegsverbrecher (David Rennert)
Einer der Verantwortlichen für den Zwangsarbeitereinsatz am sinnlosen "Südostwall", den die Rote Armee rasch überschreitet, und die Todesmärsche ist der steirische Gauleiter und Reichskommissar Sigfried Uiberreither. Er ist auch in zahlreiche weitere Verbrechen involviert, noch Anfang April 1945 wird er die Hinrichtungen von Regimegegnern anordnen, ohne die Urteile der Standgerichte abzuwarten.
Als Kriegsverbrecher gesucht, lebt Uiberreither nach dem Krieg unter falschem Namen völlig unbehelligt bis zu seinem Tod 1984 im deutschen Sindelfingen. Der Historiker Stefan Karner hat Uiberreithers Geschichte in seinem neuen Buch "Gauleiter Uiberreither. Zwei Leben. Gesucht als Kriegsverbrecher – gelebt in Deutschland" minutiös recherchiert. Eine Rezension des Buchs von STANDARD-Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer finden sie hier.
Weltbild / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Massenmorde im Burgenland (Tanja Traxler)
In den vergangenen Tagen haben SS und lokale Beteiligte im Burgenland und der Steiermark schon mehrere Massaker an ungarischen Jüdinnen und Juden verübt. Bereits in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 wurden in Rechnitz rund 200 jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn erschossen, die zum Bau des Südostwalls zur Abwehr der Roten Armee gezwungen worden waren. Das Massengrab mit den Ermordeten wurde trotz intensiver Suche und Grabungen 1966 bis 1969, 1993, 2017, 2019 und 2021 bis heute nicht gefunden – auch, weil sich ein Großteil der Lokalbevölkerung in Schweigen hüllte.
Hans Ringhofer / picturedesk.com
Im Bild: Ein Mahnmal beim Kreuzstadel in Rechnitz, in dessen Nähe der Tatort vermutet wird.
"Dann bin ich ja ein Mörder" (David Rennert)
Auch am Vortag, dem 29. März, als die Rote Armee das Burgenland erreicht, werden beim Massaker in Deutsch-Schützen mindestens 57 weitere jüdische Zwangsarbeiter von der Waffen-SS ermordet. Wie in so vielen Fällen werden auch bei diesem Massenmord die Täter nie zur Rechenschaft gezogen.
Einen von ihnen, den ehemaligen SS-Unterscharführer Adolf Storms, macht der Wiener Politikwissenschafter Walter Manoschek im Jahr 2008 ausfindig: Storms lebt da seit mehr als sechs Jahrzehnten unbehelligt in Duisburg. Manoschek führt mehrere Interviews mit Storms, der sich an die Tat vorgeblich nicht mehr erinnern kann. Daraus entsteht der Film "Dann bin ich ja ein Mörder".
Über die Begegnungen mit dem SS-Mann und die Versäumnisse der Justiz sprach Manoschek im STANDARD-Interview.
31. März 1945
In Linz fallen Bomben (Marlene Erhart)
Bereits seit Monaten fliegen die Alliierten immer wieder Luftangriffe auf Linz, in deren Mittelpunkt strategische Ziele wie etwa die Hermann-Göring-Panzerwerke stehen. Am 31. März wird bei einem Bombenangriff US-amerikanischer Truppen das Linzer Frauengefängnis Kaplanhof getroffen. Mehr als 160 Frauen sind zu diesem Zeitpunkt am Areal des ehemaligen Gutshofs in der Kaplanhofstraße 40 inhaftiert, Stadtpläne zeigen dort mehrere Baracken. Die Gefangenen sind vornehmlich Regimegegnerinnen, darunter etwa Mitglieder der von der Gestapo als „Welser Gruppe“ bezeichneten Widerstandsbewegung. Auch Russinnen, Ukrainerinnen, Griechinnen, Französinnen und Frauen anderer Nationalität, die in Fabriken und auf Feldern in der Umgebung Zwangsarbeit leisten müssen, sind in der provisorischen Haftanstalt eingesperrt.
IMAGO/piemags
Geplagt von Hunger und Läusen (Marlene Erhart)
Die Lebensbedingungen der Inhaftierten im Frauengefängnis Kaplanhof sind katastrophal. Die Zellen des Gefängnisses sind völlig überbelegt, die hygienischen Bedingungen erbärmlich. Inhaftierte werden von Läusen und Wanzen geplagt, nur alle zwei Wochen dürfen die Frauen ihre Wäsche wechseln. In der Früh gibt es für die Frauen einen Kaffee, zu Mittag ein Kilo Brot, das sich je 12 Insassinnen teilen müssen, dazu bekommen sie eine Suppe. Etwas besser gestellt sind jene, die von Verwandten mit Kleidung und Essen versorgt werden können, wobei die von Angehörigen gesendeten Pakete aber nicht immer bei den Gefangenen ankommen. Auch die monatliche Besuchserlaubnis wird häufig verweigert. Von dem seit 1944 bestehenden Gefängnis gingen regelmäßig Gefangenentransporte in verschiedene Konzentrationslager, etwa in das Frauen-KZ Ravensbrück.
Flammen, Chaos und Schüsse (Marlene Erhart)
Das Frauengefängnis Kaplanhof fängt durch das Bombardement der Alliierten Feuer. Die durch Holzwände in Zellen unterteilten Gefängnisbaracken stehen in Flammen. Maria Ehmer, eine der Gefangenen, spricht von einem lauten Knall, von zweistündiger Bombardierung, von Schreien und Chaos. Manche Frauen, die versuchen, sich zu retten, werden von der SS erschossen, andere werden von herabstürzenden Gebäudeteilen erschlagen oder kommen im Feuer ums Leben. Rund 100 Frauen, also mehr als die Hälfte der Inhaftierten, sterben. Die hohe Opferzahl ergibt sich auch daraus, dass es den Gefangenen wegen eines vorangegangenen Fluchtversuchs nicht mehr erlaubt ist, bei Fliegeralarm Zuflucht in den Luftschutzgräben zu suchen.
Das Schicksal der überlebenden Frauen (Marlene Erhart)
Rund 60 Gefangene des Frauengefängnisses Kaplanhof überleben, als dieses beim Luftangriff auf Linz getroffenen wird. Sie werden infolge in das „Arbeitserziehungslager Schörgenhub“ der Staatspolizei Linz im Süden der Stadt verlegt. Es ist ein Lager für Menschen, die vom NS-Regime als „Arbeitsverweigerer“ und „Arbeitsflüchtlinge“ eingestuft werden. Das dortige Frauenlager ist mit provisorischen Pritschen eingerichtet, die Versorgung wird als verheerend beschrieben. Generell ähneln die Zustände jenen in Konzentrationslagern. Unter den überlebenden Frauen, die hierher verlegt werden, ist auch die Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig. Wenige Tage vor Kriegsende wird sie – wie viele andere im Lager – von der SS erschossen.
Fahrzeuge dürfen Wien nicht mehr verlassen (David Rennert)
Schauplatzwechsel nach Wien: "Das Verlassen des Gebietes des Reichsgaues Wien (...) wird mit sofortiger Wirkung für motorisierte und bespannte Fahrzeuge aller Art, mit Ausnahme der Fahrzeuge der Wehrmacht, SS und Polizei, verboten", ist im "Neuen Wiener Tagblatt" vom 31. März 1945 zu lesen.
Unter dem Titel "Sternschnuppen im April" hat die Zeitung an diesem Tag auch noch leichte Kost zu bieten: "Sternschnuppen sind bei jedermann beliebt, geht doch von ihnen die Sage um, daß sie Wünsche erfüllen. Man braucht nur beim Aufleuchten dieser glänzenden Boten aus dem All blitzschnell einen Wunsch auszusprechen, und dann geht er nach alter Volksmeinung in Erfüllung."
Neues Wiener Tagblatt, 31.03.45 Die Front rückt näher:
"Anordnung des Reichsverteidigungskommissars für den Reichsverteidigungsbezirk Wien"
ANNO, Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 1945-03-31, Seite 2
Eingeständnis zwischen den Zeilen (David Rennert)
Dass sowjetische Truppen auf dem Boden der Alpen- und Donau-Reichsgaue (sprich: im heutigen Österreich) stehen, lässt sich für Geografiekundige an diesem 31.3. auch aus dem offiziellen Wehrmachtsbericht herauslesen. "Südwestlich Koermend und im Gebiet nördlich Guens konnten die Bolschewisten nach harten Kämpfen weiter vordringen." 22 Gemeinden auf heutigem österreichischen Gebiet sind bereits befreit, darunter Mattersburg.
Sowjetische Truppen rücken vor (Marlene Erhart)
Die 6. Panzerarmee, auch Panzerarmeekommando 6, der Wehrmacht errichtet in der Burg zu Wiener Neustadt ihren Gefechtsstand. Indes gelingt es sowjetischen Truppen, zwischen der 12. und 13. SS-Panzerdivision durchzubrechen und bis Deutschkreutz vorzudringen. Durch einen erfolgreichen Gegenangriff können die SS-Brigaden verhindern, eingeschlossen zu werden, und sich nach Sopron absetzen.
Die Rote Armee erreicht um 14 Uhr die Ortschaft Edlitz und besetzt später an diesem Tag Grimmenstein. Um 16 Uhr nehmen sowjetische Truppen Thernberg ein, auch Scheiblingkirchen wird besetzt. Weiter im Süden wird Aspang erreicht, Aufklärungstrupps dringen bis St. Corona am Wechsel vor.

Die letzten dramatischen Wochen des Zweiten Weltkriegs – und der Beginn eines neuen Österreichs - Teil 1:
29. - 31. März 1945
Die Truppenbewegungen in den letzten Kriegswochen
Alliierte Einheiten nähern sich im Frühjahr 1945 von allen Seiten.

29. März 1945
Heute vor 80 Jahren begann die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft.
Wir schreiben den 29. März 1945. Glaubt man der NS-Propaganda, ist der Krieg für Deutschland noch immer nicht verloren. Auszusprechen, dass die Rote Armee schon in Ungarn kurz vor der Reichsgrenze zum Burgenland steht, ist lebensgefährlich.
Die Angst in der Bevölkerung vor der Roten Armee ist enorm (Tanja Traxler)
Nirgends haben Wehrmacht, SS und ihre Helfer - darunter viele Österreicher - in den vergangenen Jahren so viel Leid und Zerstörung angerichtet wie in der Sowjetunion. 17 Millionen tote Zivilisten und neun Millionen tote Soldaten hat der Staat bereits zu beklagen. Im Rückzug hat die Wehrmacht ganze Landstriche dem Erdboden gleichgemacht.
Kein ernsthaftes Hindernis (David Rennert)
Der Vorstoß der Roten Armee geht zügig vonstatten. Die von der NS-Propaganda zum „Südostwall“ aufgeblasene Verteidigungslinie an der Südostgrenze des Deutschen Reichs, zu deren Bau zehntausende Zwangsarbeiter – vor allem ungarische Jüdinnen und Juden – unter mörderischen Bedingungen gezwungen wurden, stellt für die vorrückenden Befreier kein wirkliches Hindernis dar.
Genau sieben Jahre und 17 Tage zuvor ist die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert und statt auf Gegenwehr auf jubelnde Massen gestoßen. Nun ist die Rote Armee auf österreichischem Boden – und trifft nicht auf Begeisterung, sondern auf Angst, Verzweiflung, Flucht und Massenverbrechen.

29. März 1945, 11.05 Uhr: "Wir haben die große Linie überschritten“ (David Rennert)
Der Anfang vom Ende der NS-Herrschaft in Österreich hat eine lange Vorgeschichte. An diesem Gründonnerstag wird er aber konkret: Einheiten der 6. Garde-Panzerarmee der 3. Ukrainischen Front überschreiten von Ungarn kommend bei Klostermarienberg im Burgenland die Reichsgrenze und erreichen damit erstmals heutiges österreichisches Gebiet. „Wir haben die große Linie überschritten“, lautet die sowjetische Militärmeldung.
Fanatische Durchhalteparolen (David Rennert)
Auch im Westen rücken die Aliierten zügig vor. In der Nacht auf den 23. März haben erstmals US-amerikanische Truppen den Rhein überquert. Trotz aller Aussichtslosigkeit für das nationalsozialistische Regime werden fanatische Durchhalteparolen ausgegeben.
Männer zwischen 16 und 60 müssen zum völlig sinnlosen „Abwehrkampf“ im sogenannten Volkssturm antreten. Kaum ausgebildet und nur notdürftig ausgerüstet, stehen sie den kampferprobten alliierten Truppen gegenüber – die militärische Wirkung ist äußerst gering. Viele von ihnen werden das Kriegsende nicht erleben.

Propaganda und Hetze (David Rennert)
Die Titel der Tageszeitungen in den „Alpen- und Donau-Reichsgauen des Großdeutschen Reichs“, wie das ehemalige Österreich seit 1942 in der NS-Sprache heißt, werden an diesem 29. März von plumper NS-Propaganda und der Lage im Westen dominiert. „Maßlose Übertreibungen der feindlichen Panzererfolge“ sieht das "Neue Wiener Tagblatt". Die "Salzburger Zeitung" ruft dazu auf, „kühles Blut zu bewahren: Eiserne Entschlossenheit notwendiger denn je“.
Der "Völkische Beobachter" hetzt in gewohnter antisemitischer Manier: „Das sowjetisch-plutokratische Bündnis repräsentiert die Gemeinschaft des Weltjudentums“.
Beschwichtigungen (David Rennert)
Noch am Vortag des sowjetischen Einmarsches im Burgenland, dem 28. März, schreibt die nationalsozialistische Kleine Wiener Kriegszeitung: „Die Deutsche Führung steht vor einer Aufgabe, die gewiß nicht leicht ist. Indes, sie hat in den letzten Jahren wiederholt Situationen meistern müssen und alles in allem auch zu meistern verstanden, die gleichfalls schwierig waren und sehr oft sogar aussichtslos schienen. Der Ansturm im Osten ist schließlich auch zum Stehen gebracht worden und hat viel von seiner Bedrohlichkeit verloren.“
Rückblick auf die Befreiung von Auschwitz (Tanja Traxler)
In den Konzentrationslagern auf österreichischem Boden verschlechtern sich die Bedingungen zusehends, vom bevorstehenden Ende der NS-Schreckensherrschaft ist für die Gefangenen noch nichts zu bemerken. Andernorts konnten die Alliierten das Grauen in einigen KZs bereits beenden. Die Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee liegt an diesem 29. März 1945 genau zwei Monate und zwei Tage zurück. Mehr darüber ist hier zu lesen.
Todesmärsche Richtung Mauthausen (David Rennert)
Zeitgleich mit der Ankunft der sowjetischen Soldaten im Burgenland am 29. März 1945 ordnen die zuständigen Gauleiter die Räumung der Lager ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter an, die am „Südostwall“ arbeiten mussten. Sie sollen nicht von den Sowjets befreit werden, sondern werden nun unter unvorstellbaren Bedingungen auf Todesmärsche Richtung KZ Mauthausen geschickt.
Gewaltsame Übergriffe und mutige Hilfsaktionen (Tanja Traxler)
Rund 40.000 Menschen werden durch die Steiermark und das heutige Nieder- und Oberösterreich nach Mauthausen und weiter in das Außenlager Gunskirchen getrieben. Wer zu erschöpft ist zum Weitergehen, wird erschossen. Unterwegs kommt es zu gewaltsamen Übergriffen und Massakern an den ungarischen Jüdinnen und Juden in Ortschaften entlang des Wegs, selten auch zu heimlichen Hilfsaktionen durch mutige Ortsansässige.
30. März 1945
Standrecht in Wien (David Rennert)
An diesem Karfreitag, dem 30. 3. 1945 erfahren Wienerinnen und Wiener aus den Zeitungen, dass Reichsverteidigungskommissar Baldur von Schirach das Standrecht proklamiert hat. Damit können auch Zivilisten bei kleinsten Vergehen ohne ordentliches Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet werden.

Im Bild: Baldur von Schirach in Haft nach Kriegsende.
In der Verlautbarung heißt es: „Die Härte des Ringens um den Bestand des Reiches erfordert von jedem Deutschen Kampfentschlossenheit und Hingabe bis zum Aeußersten. Wer versucht, sich seinen Pflichten gegenüber der Allgemeinheit zu entziehen, insbesondere wer dies aus Feigheit oder Eigennutz tut, muß sofort mit der notwendigen Härte zur Rechenschaft gezogen werden, damit nicht aus dem Versagen eines einzelnen dem Reich Schaden erwächst.“
"Wozu eigentlich?" (Tanja Traxler)
Der österreichische Diplomat Josef Schöner wundert sich über die Ausrufung des Standrechts. „Die heutigen Zeitungen bringen die Verordnung Schirachs über die Verhängung des Standrechtes in Wien – wozu eigentlich?“, notiert er in seinem Tagebuch. „Das Regime hat doch jetzt schon die Macht, jedermann jederzeit vom Leben zum Tode zu bringen, ohne die Gerichte besonders zu bemühen. Standrecht erhöht nur die allgemeine Unruhe.“
Schöner ist 1933 in den auswärtigen Dienst eingetreten und 1939 von den Nationalsozialisten in vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Der Höhepunkt seiner diplomatischen Karriere steht aber noch bevor: Er wird an den Verhandlungen zum Österreichischen Staatsvertrag beteiligt sein und später Botschafter in Bonn und London werden. In seinem „Wiener Tagebuch 1944/45“ hält Schöner die Kriegswirklichkeit in der Donaustadt akribisch fest.
Vorstoß der Roten Armee (David Rennert)
Die Rote Armee, die am Vortag erstmals heutigen österreichischen Boden erreicht hat, kommt im Burgenland schnell voran. Während es mancherorts zu erbitterten Kämpfen mit der Wehrmacht kommt, behauptet der deutsche Wehrmachtsbericht, dass noch immer in Ungarn gekämpft wird.
Indes schickt die „Kriegsschule Wiener Neustadt“ (heute: Militärakademie) 1200 Fahnenjunker zur Verteidigung von Stellungen an der Grenze zwischen dem Burgenland und Niederösterreich. Wie der Journalist Herbert Lackner in seinem neuen Buch "1945 – Schwerer Start in eine neue Zeit" schreibt, wird eine der Gruppen vom 30-jährigen Hauptmann Rudolf Kirchschläger befehligt, dem späteren österreichischen Bundespräsidenten. Kirchschläger ist schon im Herbst 1939 zur Wehrmacht eingezogen und mehrfach verwundet worden.
Todesmärsche gehen weiter (Tanja Traxler)
Während im Burgenland gekämpft wird und Zivilisten vor den näherrückenden sowjetischen Soldaten fliehen, forcieren SS, lokale Machthaber und ihre Helfer die mörderischen Todesmärsche von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern weiter. Ungarische Jüdinnen und Juden sind die größte Opfergruppe der sogenannten Endphasenverbrechen auf österreichischem Boden: Rund 23.000 werden auf den Todesmärschen ermordet oder sterben an Hunger und Erschöpfung.
Luftangriffe auf Wien (David Rennert)
In Wien gibt es am Vormittag wieder Luftangriffe. Getroffen werden vor allem die südlichen Randgebiete der Stadt. Der schwerste Bombenangriff auf heutigem österreichischem Boden liegt zweieinhalb Wochen zurück: Am 12. März hat die US-Armee Wien mit fast 750 Bombern, begleitet von 230 Jagdflugzeugen, angegriffen. Eigentliches Ziel war die Ölraffinerie in Wien-Floridsdorf. Doch stattdessen wurde vor allem die Wiener Innenstadt getroffen. Unter anderem das Burgtheater, das Kunsthistorische Museum, das Volkstheater, die Oper und der Heinrichshof erlitten schwere Schäden. Die meisten Todesopfer liegen noch unter den Trümmern des komplett eingestürzten Philipphofs am Albertinaplatz begraben. Rund 200 Menschen starben im Luftschutzkeller des noblen Wohnhauses.

Sowjetische Bomber (David Rennert)
Am Vortag hat auch die Sowjetunion erstmals Angriffe geflogen – bis dahin waren nur US-amerikanische und britische Flugzeuge über dem Gebiet des heutigen Österreichs im Einsatz gewesen. Ziel war abermals das bereits schwer zerstörte Wiener Neustadt. „Nach den amerikanischen Angriffen gibt es aber nichts mehr zu zerstören. Es werden daher nicht einmal mehr Aufzeichnungen über Schäden geführt“, stellt die Militärakademie fest.
"Die Russen können uns den ganzen Tag unter Alarm halten" (Tanja Traxler)
Der Diplomat Josef Schöner vermutet, dass am 30. März auch sowjetische Bomber über Wien fliegen. In seinem „Wiener Tagebuch“ notiert er:
„Wir sitzen zumeist im Hof in der Sonne, weil es im LS-Keller saukalt ist. Im
1. Stock schreit der Lautsprecher am Fenster seine Luftlagemeldungen: Viele Einzelflugzeuge in kurzen Abständen überfliegen die Stadt. Ich sehe sie deutlich in geringer Höhe, Kondensstreifen hinter sich ziehend, anscheinend zweimotorige Schlachtflieger – alle aus dem Osten kommend und nach Süden abfliegend. Wir vermuten, daß es sich erstmals um russische Flugzeuge handelt, da ihre Taktik von der gewohnten der Amerikaner völlig abweicht – keine Verbände, alles kommt einzeln. Die Flak schießt stark, die weißen Wölkchen stehen im blauen Himmel. Hie und da werden einzelne Bomben abgeworfen, wir hören das Rauschen deutlich und laufen dann in Deckung. Aber gleich darauf kommt alles wieder hervor und geht fröstelnd in die Sonne. Wenn die Russen wollten, so könnten sie uns den ganzen Tag unter Alarm halten, indem sie alle Stunden ein paar Flugzeuge von ihren ungarischen Feldflugplätzen herüberschicken, weit ist es ja nicht mehr. Es dauert aber Gott sei Dank nicht so lang, wie ich befürchtet habe, um 12.40 h wird Vorentwarnung gegeben.“
Unbehelligter Kriegsverbrecher (David Rennert)
Einer der Verantwortlichen für den Zwangsarbeitereinsatz am sinnlosen "Südostwall", den die Rote Armee rasch überschreitet, und die Todesmärsche ist der steirische Gauleiter und Reichskommissar Sigfried Uiberreither. Er ist auch in zahlreiche weitere Verbrechen involviert, noch Anfang April 1945 wird er die Hinrichtungen von Regimegegnern anordnen, ohne die Urteile der Standgerichte abzuwarten.
Als Kriegsverbrecher gesucht, lebt Uiberreither nach dem Krieg unter falschem Namen völlig unbehelligt bis zu seinem Tod 1984 im deutschen Sindelfingen. Der Historiker Stefan Karner hat Uiberreithers Geschichte in seinem neuen Buch "Gauleiter Uiberreither. Zwei Leben. Gesucht als Kriegsverbrecher – gelebt in Deutschland" minutiös recherchiert. Eine Rezension des Buchs von STANDARD-Wissenschaftsredakteur Klaus Taschwer finden sie hier.

Massenmorde im Burgenland (Tanja Traxler)
In den vergangenen Tagen haben SS und lokale Beteiligte im Burgenland und der Steiermark schon mehrere Massaker an ungarischen Jüdinnen und Juden verübt. Bereits in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 wurden in Rechnitz rund 200 jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn erschossen, die zum Bau des Südostwalls zur Abwehr der Roten Armee gezwungen worden waren. Das Massengrab mit den Ermordeten wurde trotz intensiver Suche und Grabungen 1966 bis 1969, 1993, 2017, 2019 und 2021 bis heute nicht gefunden – auch, weil sich ein Großteil der Lokalbevölkerung in Schweigen hüllte.

Im Bild: Ein Mahnmal beim Kreuzstadel in Rechnitz, in dessen Nähe der Tatort vermutet wird.
"Dann bin ich ja ein Mörder" (David Rennert)
Auch am Vortag, dem 29. März, als die Rote Armee das Burgenland erreicht, werden beim Massaker in Deutsch-Schützen mindestens 57 weitere jüdische Zwangsarbeiter von der Waffen-SS ermordet. Wie in so vielen Fällen werden auch bei diesem Massenmord die Täter nie zur Rechenschaft gezogen.
Einen von ihnen, den ehemaligen SS-Unterscharführer Adolf Storms, macht der Wiener Politikwissenschafter Walter Manoschek im Jahr 2008 ausfindig: Storms lebt da seit mehr als sechs Jahrzehnten unbehelligt in Duisburg. Manoschek führt mehrere Interviews mit Storms, der sich an die Tat vorgeblich nicht mehr erinnern kann. Daraus entsteht der Film "Dann bin ich ja ein Mörder".
Über die Begegnungen mit dem SS-Mann und die Versäumnisse der Justiz sprach Manoschek im STANDARD-Interview.
31. März 1945
In Linz fallen Bomben (Marlene Erhart)
Bereits seit Monaten fliegen die Alliierten immer wieder Luftangriffe auf Linz, in deren Mittelpunkt strategische Ziele wie etwa die Hermann-Göring-Panzerwerke stehen. Am 31. März wird bei einem Bombenangriff US-amerikanischer Truppen das Linzer Frauengefängnis Kaplanhof getroffen. Mehr als 160 Frauen sind zu diesem Zeitpunkt am Areal des ehemaligen Gutshofs in der Kaplanhofstraße 40 inhaftiert, Stadtpläne zeigen dort mehrere Baracken. Die Gefangenen sind vornehmlich Regimegegnerinnen, darunter etwa Mitglieder der von der Gestapo als „Welser Gruppe“ bezeichneten Widerstandsbewegung. Auch Russinnen, Ukrainerinnen, Griechinnen, Französinnen und Frauen anderer Nationalität, die in Fabriken und auf Feldern in der Umgebung Zwangsarbeit leisten müssen, sind in der provisorischen Haftanstalt eingesperrt.

Geplagt von Hunger und Läusen (Marlene Erhart)
Die Lebensbedingungen der Inhaftierten im Frauengefängnis Kaplanhof sind katastrophal. Die Zellen des Gefängnisses sind völlig überbelegt, die hygienischen Bedingungen erbärmlich. Inhaftierte werden von Läusen und Wanzen geplagt, nur alle zwei Wochen dürfen die Frauen ihre Wäsche wechseln. In der Früh gibt es für die Frauen einen Kaffee, zu Mittag ein Kilo Brot, das sich je 12 Insassinnen teilen müssen, dazu bekommen sie eine Suppe. Etwas besser gestellt sind jene, die von Verwandten mit Kleidung und Essen versorgt werden können, wobei die von Angehörigen gesendeten Pakete aber nicht immer bei den Gefangenen ankommen. Auch die monatliche Besuchserlaubnis wird häufig verweigert. Von dem seit 1944 bestehenden Gefängnis gingen regelmäßig Gefangenentransporte in verschiedene Konzentrationslager, etwa in das Frauen-KZ Ravensbrück.

Flammen, Chaos und Schüsse (Marlene Erhart)
Das Frauengefängnis Kaplanhof fängt durch das Bombardement der Alliierten Feuer. Die durch Holzwände in Zellen unterteilten Gefängnisbaracken stehen in Flammen. Maria Ehmer, eine der Gefangenen, spricht von einem lauten Knall, von zweistündiger Bombardierung, von Schreien und Chaos. Manche Frauen, die versuchen, sich zu retten, werden von der SS erschossen, andere werden von herabstürzenden Gebäudeteilen erschlagen oder kommen im Feuer ums Leben. Rund 100 Frauen, also mehr als die Hälfte der Inhaftierten, sterben. Die hohe Opferzahl ergibt sich auch daraus, dass es den Gefangenen wegen eines vorangegangenen Fluchtversuchs nicht mehr erlaubt ist, bei Fliegeralarm Zuflucht in den Luftschutzgräben zu suchen.

Das Schicksal der überlebenden Frauen (Marlene Erhart)
Rund 60 Gefangene des Frauengefängnisses Kaplanhof überleben, als dieses beim Luftangriff auf Linz getroffenen wird. Sie werden infolge in das „Arbeitserziehungslager Schörgenhub“ der Staatspolizei Linz im Süden der Stadt verlegt. Es ist ein Lager für Menschen, die vom NS-Regime als „Arbeitsverweigerer“ und „Arbeitsflüchtlinge“ eingestuft werden. Das dortige Frauenlager ist mit provisorischen Pritschen eingerichtet, die Versorgung wird als verheerend beschrieben. Generell ähneln die Zustände jenen in Konzentrationslagern. Unter den überlebenden Frauen, die hierher verlegt werden, ist auch die Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig. Wenige Tage vor Kriegsende wird sie – wie viele andere im Lager – von der SS erschossen.
Fahrzeuge dürfen Wien nicht mehr verlassen (David Rennert)
Schauplatzwechsel nach Wien: "Das Verlassen des Gebietes des Reichsgaues Wien (...) wird mit sofortiger Wirkung für motorisierte und bespannte Fahrzeuge aller Art, mit Ausnahme der Fahrzeuge der Wehrmacht, SS und Polizei, verboten", ist im "Neuen Wiener Tagblatt" vom 31. März 1945 zu lesen.
Unter dem Titel "Sternschnuppen im April" hat die Zeitung an diesem Tag auch noch leichte Kost zu bieten: "Sternschnuppen sind bei jedermann beliebt, geht doch von ihnen die Sage um, daß sie Wünsche erfüllen. Man braucht nur beim Aufleuchten dieser glänzenden Boten aus dem All blitzschnell einen Wunsch auszusprechen, und dann geht er nach alter Volksmeinung in Erfüllung."
Neues Wiener Tagblatt, 31.03.45 Die Front rückt näher:
"Anordnung des Reichsverteidigungskommissars für den Reichsverteidigungsbezirk Wien"
ANNO, Neues Wiener Tagblatt (Tages-Ausgabe), 1945-03-31, Seite 2
Eingeständnis zwischen den Zeilen (David Rennert)
Dass sowjetische Truppen auf dem Boden der Alpen- und Donau-Reichsgaue (sprich: im heutigen Österreich) stehen, lässt sich für Geografiekundige an diesem 31.3. auch aus dem offiziellen Wehrmachtsbericht herauslesen. "Südwestlich Koermend und im Gebiet nördlich Guens konnten die Bolschewisten nach harten Kämpfen weiter vordringen." 22 Gemeinden auf heutigem österreichischen Gebiet sind bereits befreit, darunter Mattersburg.
Sowjetische Truppen rücken vor (Marlene Erhart)
Die 6. Panzerarmee, auch Panzerarmeekommando 6, der Wehrmacht errichtet in der Burg zu Wiener Neustadt ihren Gefechtsstand. Indes gelingt es sowjetischen Truppen, zwischen der 12. und 13. SS-Panzerdivision durchzubrechen und bis Deutschkreutz vorzudringen. Durch einen erfolgreichen Gegenangriff können die SS-Brigaden verhindern, eingeschlossen zu werden, und sich nach Sopron absetzen.
Die Rote Armee erreicht um 14 Uhr die Ortschaft Edlitz und besetzt später an diesem Tag Grimmenstein. Um 16 Uhr nehmen sowjetische Truppen Thernberg ein, auch Scheiblingkirchen wird besetzt. Weiter im Süden wird Aspang erreicht, Aufklärungstrupps dringen bis St. Corona am Wechsel vor.

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